Hören Sie weitere Folgen der fünfteiligen Serie: Tagebuch einer Flucht mit der Band Khebez Dawle.
Bis zum 08. Januar in unserer Sendung Kompressor ab 14.07 Uhr:
Folge 1: Beirut. Keine neue Heimat.
Folge 2: Lesbos. Ankunft am Touristenstrand
Folge 4: Wien. Pläne schmieden.
Folge 5: Berlin. Wie schaffen wir das?
Zagreb: Flucht als Musiktour
Rund einen Monat waren die Musiker der syrischen Band Khebez Dawle unterwegs, um von Beirut nach Berlin zu kommen. Unterwegs haben die Syrer Konzerte gegeben. In den Medien werden sie als Band bekannt, die ihre Flucht nach Europa in eine Tournee verwandelt hat.
Folge 3: Zagreb. Flucht als Musiktour.
Griechenland, Mazedonien, Serbien. Seit zwei Wochen sind die Musiker der syrischen Band Khebez Dawle auf der Flucht, über 1.000 Kilometer haben sie entlang der Balkanroute zurückgelegt, mal sind sie im Konvoi unterwegs, mal zu Fuß. Als sie die Nachricht aus Ungarn hören, sitzen Anas, Hekmat, Bazz und fünf befreundete Musiker gerade in einer Wohnung in Belgrad.
Tagesthemen vom 14.9.2015: "Ungarn schottet sich ab. Ein Eisenbahnwaggon brachte heute den Stacheldraht, mit dem die letzte Lücke im Grenzzaun zu Serbien geschlossen wurde."
Anas Maghrebi: "Da haben wir entschieden, zu improvisieren und einen ganz neuen Weg auszuprobieren, als den, der in den Medien erwähnt wurde – nämlich Kroatien. Wir haben eine Karte aufgemacht und nachgeschaut. Wir waren die ersten acht Syrer in Kroatien, es war lustig, die Zeitungen sprachen von 'diesen acht Syrern, die das Land betreten haben', als seien wir ein außergewöhnlicher Fall. Viele Zeitungen und Fernsehsender haben berichtet, so sind wir irgendwie populär geworden; auf der Straße haben wir uns vorgestellt: 'Wir sind die Acht!' und die Leute wussten Bescheid."
Polizisten stürmen auf sie zu
Manchmal irritiert mich Anas Maghrebis Optimismus, mit dem er selbst die schwierigsten Momente der Flucht als komische oder absurde Episoden zu erzählen weiß. Er beschreibt eine dreistündige Wanderung im Niemandsland zwischen Serbien und Kroatien. Zu Fuß über die grüne Grenze, bei strömenden Regen, in der schwärzesten Nacht. Und dann, ich sehe die Szene vor mir: Helles Licht zerschneidet die Dunkelheit, durch die Luft hallen Befehle in einer fremden Sprache. Kroatische Polizisten stürmen auf sie zu, Endstation. Die nächsten 36 Stunden sitzen die Musiker im zweiten Stock einer lokalen Polizeistation fest.
Anas Maghrebi: "In dieser langen Zeit haben wir uns mit den Polizisten angefreundet. Sie haben erzählt, dass sie Musikfans sind. Es war eine freundliche Atmosphäre und wir haben angefangen, von unserer Band zu erzählen, von unserem Projekt, unserer Botschaft und alles. Irgendwann hat ein Polizist seinen Browser aufgemacht und 'Khebez Dawle' eingetippt und sie haben alle Videos und Artikel gesehen. Sie waren total schockiert: diese Typen sind jetzt hier! Einer hat dann ein Lied auf seinem Handy abgespielt, der Song heißt 'Bitamr', darin geht es um Freiheit und Gefängnisse und Gefangene...
Er hat sich das Lied angehört und wir haben uns angeschaut, sprachlos, dass wir so einen Moment erleben. Dieser Polizist hat dich inhaftiert, er hat die Macht, dich festzuhalten. Aber du bringst ihn dazu, deinem Lied zuzuhören, in dem es um ihn und dich und die ganze Situation geht. Das ist vielleicht noch wichtiger, als bei Festivals aufzutreten."
Sie treten zweimal in Kroatien auf
Der Traum von Festivals wird trotzdem wahr: Als die Musiker von Khebez Dawle die Polizeistation verlassen dürfen, treten sie zweimal in Kroatien auf. Ihr Konzert in der Hauptstadt Zagreb wird zum Triumph. Der arabische Nachrichtensender Al Jazeera veröffentlicht ein Video: "Diese syrische Rockband hat ihre Flucht nach Europa in eine Musiktour verwandelt!". Anas liebt diese Schlagzeile, hinter der ihre Ängste, die Unsicherheit und der Status als Flüchtlinge verblassen.
Der Bassist Muhammad Bazz erzählt mir, dass nach dem Auftritt ein Mann aus dem Publikum mit einer Frage zu ihm gekommen sei.
Muhammad Bazz: "Er hat gefragt: Ist das dein Bass? Ich habe nein gesagt, er gehört dem Organisator. Er fragt, kannst du eine halbe Stunde warten? Ich sage ok. Und er verschwindet und kommt zurück mit einem Bass ohne Koffer, ohne irgendwas, und sagt: das ist mein Bass und ich möchte, dass du ihn mitnimmst. Ich sage nein, ich bin Musiker und ich weiß, was das Instrument für einen Musiker bedeutet, ich kann es nicht mitnehmen. Bitte, ich möchte, dass du den Bass mitnimmst auf die Reise. Also habe ich ihn mitgenommen. Ohne Kabel, ohne Koffer, so habe ich ihn getragen."
Mit dem Bass über der Schulter geht es weiter, das nächste Ziel ist Wien. Mein Mann dreht durch, als ich ihm von einer Idee erzähle: Ich möchte das Wohnmobil meiner Eltern holen und die Band nach Deutschland holen.