Die syrische Band Khebez Dawle - Teil 4/5

Wien: Ohne Hilfe geht es nicht

Ein Konzert der syrischen Band Khebez Dawle
Ein Konzert der syrischen Band Khebez Dawle © Tabea Grzeszyk
Von Tabea Grzeszyk |
Rund einen Monat waren die Musiker der syrischen Band Khebez Dawle unterwegs, um von Beirut nach Berlin zu kommen. Unterwegs haben die Syrer Konzerte gegeben. In den Medien werden sie als Band bekannt, die ihre Flucht nach Europa in eine Tournee verwandelt hat.
Folge 4: Wien. Ohne Hilfe geht es nicht.
Eine wacklige Handkamera bewegt sich auf die Bühne zu, im Hintergrund leuchten hunderte kleine Lichter wie ein Sternenhimmel am Firmament. Das Licht ist gedämpft, die Wände blutrot gestrichen. Hekmat sitzt links mit Gitarre auf einer Box, ein befreundeter syrischer Musiker, auch auf der Flucht, hinterm Schlagzeug. Bazz hält einen schneeweißen Bass in der linken Hand, die rechte steckt in seiner Hosentasche. Anas hat sich in die hintere Ecke der Bühne zurückgezogen, wo ihn das Scheinwerferlicht nicht findet. Das "Loft" in Wien. Die syrische Band Khebez Dawle beim Soundcheck.
Ich verfolge die Flucht der syrischen Musiker über ein Kaleidoskop von Bildern: gepostete Videoschnipsel, Fotos, Statusmeldungen. Jeden Tag sind wir über Facebook-Nachrichten in Kontakt. Von meinem Plan, die Jungs mit dem Wohnmobil nach Deutschland zu holen, habe ich nach schlaflosen Nächten und langen Gesprächen abgelassen. Ich bin Journalistin, keine Fluchthelferin.
So zumindest die Theorie. Ich unterstütze die Musiker mit Informationen, rufe bei Hilfsorganisationen an, manchmal sage ich Kollegen Bescheid, in Athen, in Wien. Doch wo verläuft die Grenze? Während ich meine Gewissenskonflikte austrage, finden Anas, Hekmat und Bazz unterwegs die Hilfe, die sie brauchen. Egal wo die junge Band aufkreuzt, treffen sie auch auf Unterstützer, erzählt Anas.
Anas Maghrebi: "Es gibt viele Bewegungen, die Flüchtlinge willkommen heißen – in allen Ländern, die wir durchquert haben. Es gibt viele Menschen, die helfen wollen, unabhängig davon, ob wir Musiker sind oder nicht. Die meisten Leute, die wir kennen gelernt haben, waren schon vorher Aktivisten; sie versuchen, Aufmerksamkeit und Bewusstsein für diese ganze Krise zu verbreiten."
Spricht man Anas heute auf diese grenzüberschreitenden Netzwerke an, leuchten seine Augen. Wieder einmal fällt mir auf, wie leidenschaftlich er über die positiven Momente der Flucht spricht. Das ist manchmal so weit von meinen eigenen Vorstellungen und Ängsten entfernt, dass zwischen den Bildern ein Riss klafft.
Anas Maghrebi: "Die Reise selbst war voller Hoffnung. Sie war voll guter Abenteuer und Erfahrungen. Dein Vertrauen in die Menschheit und die Möglichkeit, dass sich Menschen wieder als Menschen sehen, unabhängig von Nationalitäten und Staatsangehörigkeiten, dieses Vertrauen wird viel stärker. Gleichzeitig sinkt dein Glaube an Nebensachen wie Pässe und Grenzen und Papiere."
Die Band ist eine tolle Story
Daran möchte ich auch glauben. Während die Musiker mit hunderttausenden Flüchtlingen auf der Balkanroute unterwegs sind, bestärkt Anas dieses Bild in zahllosen Interviews – mit Al Jazeera, BBC, France 24, The Independent, NPR, Vice, später folgen der Spiegel, der Guardian, das ZDF.
Khebez Dawle sind einfach eine gute Story. Die Jungs spucken dem Opfer-Klischee vom mittellosen Flüchtling so selbstbewusst ins Gesicht, dass sie in internationalen Medien als "Band auf Tournee statt auf der Flucht" gefeiert werden. Anas, Hekmat und Bazz werden zu Aktivisten, die als Musiker daran erinnern, warum sie eigentlich auf der Flucht sind – nicht wegen Europa, sondern wegen ihrer verlorenen Heimat.
Anas Maghrebi: "Syrien ist heute ein internationales Schlachtfeld für Waffen, Pistolen, Bomben, Granaten. Ich habe für die nächsten Jahre keine große Hoffnung, dass die Situation dort besser wird. Aber zumindest müssen wir die Geschichte erzählen, das ist das Mindeste, das wir tun können. Es sind nämlich nicht nur Extremisten, die das Regime stürzen wollen. Es begann mit einer der schönsten Revolutionen in der Geschichte. Ich habe selbst gesehen, wie es angefangen hat."
Am 4. Oktober 2015 schreibt mich eine Kollegin an. "Kennst du jemanden, der durch Deutschland nach Berlin fahren kann?" Die Journalistin ist mit den Musikern in Österreich unterwegs, für eine Produktionsfirma, die einen Film über die Band dreht. Ich bin völlig perplex, als ich meine Antwort tippe: "Ich unterstütze die Jungs, seit sie auf Lesbos gelandet sind. Ich helfe ihnen, habe aber keine Lust, plötzlich die Logistik für einen Dokumentarfilm zu machen". Was ist los? Bin ich eifersüchtig, dass ich nicht doch selbst mit der Band unterwegs bin?
Die nächsten Tage herrscht Funkstille. 48 Stunden ohne Nachricht von der Band. Plötzlich meldet sich die Kollegin wieder, sie sind jetzt in Berlin! Mein Herz rast. Ich nehme mein Handy und wähle die neue deutsche Nummer von Anas.

Hören Sie weitere Folgen der fünfteiligen Serie: Tagebuch einer Flucht mit der Band Khebez Dawle.
Bis zum 8. Januar in unserer Sendung Kompressor ab 14.07 Uhr:

Folge 1: Beirut. Keine neue Heimat.

Folge 2: Lesbos. Ankunft am Touristenstrand

Folge 3: Zagreb. Flucht als Musiktour

Folge 5: Berlin. Wie schaffen wir das?

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