Gedenkkultur

Auch die Täter müssen sichtbar sein

Stalin-Denkmal in einem litauischen Park, in dem Skulpturen aus der sowjetischen Besatzungszeit ausgestellt werden. Auf Tafeln werden die abgebildeten Personen vorgestellt und ihre Taten benannt.
Stalin-Denkmal in einem litauischen Park, in dem Skulpturen aus der sowjetischen Besatzungszeit ausgestellt werden. Auf Tafeln werden die abgebildeten Personen vorgestellt und ihre Taten benannt. © picture alliance / Zoonar / @Tartezy
Von Paul Stänner |
Gute Menschen stellt man auf den Sockel, böse vergisst man am besten schnell. So lautet das Credo der Gedenkkultur. Paul Stänner schlägt vor, auch die Täter auf den Sockel zu stellen - zur Mahnung an uns alle.
Jedes Jahr am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, erinnern wir uns an Menschen, die gegen die Nazis gekämpft haben. Viele von ihnen bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Die Geschwister Scholl werden gefeiert, Oberst von Stauffenberg ist berühmt, auch vieler anderer Helden aus dem zivilen und politischen Widerstand wird gedacht. Ihnen werden Straßen gewidmet, Plätze, manchmal sogar die Straßennamen ganzer Stadtteile. Das ehrt die, die gekämpft haben, und auch die Republik, die sie sich zum Vorbild nimmt.
Aber wo sind die Täter geblieben?
Sie konnten sich oft in das gnädige Vergessen zurückziehen. Nehmen wir Doktor Georg Leibbrandt, handverlesener Teilnehmer der sogenannten Wannseekonferenz, auf der die Vernichtung des europäischen Judentums organisiert wurde. Er schaffte es, sich nach dem Krieg - weil er ja nur Verwaltungstätigkeiten ausgeübt hatte - als unbelastet labeln zu lassen und stieg so in der Regierung Adenauer wieder auf in hohe Positionen. Auf Leute wie ihn hatte sich das Nazi-Regime aufgebaut – die vielen Helfer, Organisatoren, die stillen Kräfte im Hintergrund.
Karlrobert Kreiten war ein begnadeter junger Pianist. Aber er glaubte nicht an den Endsieg. Dies äußerte er gegenüber einer Freundin seiner Mutter. Die gute Freundin rannte zur Gestapo und tat sich wichtig. Bekannt ist die Frau, die Kreiten verriet, bekannt ist der Staatsanwalt, der ihn anklagte und bekannt ist der Richter, der ihm wegen einer kurzen Bemerkung das Leben nahm. Wahrscheinlich ließe sich auch der Name des Henkers ermitteln, der als pflichtbewusster Justizangestellter das Fallbeil bediente. Sie sollten nicht einfach so untertauchen dürfen!

Die alten Griechen zum Vorbild nehmen

Suchen wir Rat bei den alten Griechen, die uns schon große Dienste geleistet haben bei der Erfindung der Demokratie und der Geschichtsschreibung. Als im Jahr 332 vor Christus der Fünfkämpfer Kallipos seine Konkurrenten bestach und so zu Unrecht zum Sieger gekrönt wurde, musste er nach seiner Enttarnung eine saftige Strafe zahlen.
Davon wurde eine Statue des Gottes Zeus errichtet. In das Podest darunter wurden der Name des Spenders und sein Vergehen eingeschrieben. Kallipos blieb nicht der einzige. Heute noch stehen in Olympia die Sockel von 16 so genannten Zanes und erinnern an 16 ehrlose Sportler, die die heiligen Spiele entweihten.
Warum nehmen wir uns nicht die alten Griechen zum Vorbild? So richtig es ist, der Opfer zu gedenken, so richtig wäre es, auch die Täter sichtbar zu machen. Statt die Namen aus dem öffentlichen Bild zu löschen, wie bei den deutschen Kolonialverbrechern geschehen, sollte man sie zur Warnung an die Kommenden im Stadtbild hervorheben.

Die Verachtung der Nachwelt

Aber wohin damit? Die örtliche Kläranlage wäre ein guter Ort, liegt meist aber abgelegen. Unsere Zanes sollten wie im alten Griechenland auf der Zufahrtstraße nach Olympia liegen – auf dem Kudamm in Berlin, der Kö in Düsseldorf oder der Maximilianstraße in München.
Man könnte Kolossalfiguren der Hitler-Bildhauer Arno Breker und Josef Thorak, die beide gesund und mit großen Gewinnen aus dem Nazi-Desaster wiederauftauchten, in Reihen aufstellen und in die Fundamente die Namen und Funktionen derer einmeißeln, die die Verachtung der Nachwelt auf sich gezogen haben. Richter, Gestapo-Beamte, die Baufirmen, die die Konzentrationslager errichteten.
Das Gesocks auf die Sockel! Zur Abschreckung!
Sollte man nach dem Ende der DDR in der Tradition sozialistischer Stadtplanung auch eine „Allee der Stasi-Spitzel“ einrichten? Mit den Namen der Täterinnen und Täter sowie der Opfer, deren Biografien sie zerstört haben? Das mögen sich Menschen überlegen, die auf dem Boden der DDR geboren sind. Ich finde, die Niedertracht braucht Namen!

Paul Stänner wurde in Ahlen in Westfalen geboren, hat in Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte studiert. Er arbeitet als Rundfunkjournalist und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Agatha Christie in Greenway House“.

Paul Stänner im Porträt
© Deutschlandradio / Paul Stänner
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