Die Tante ist ein Onkel
Deutschlands Kindergärten sind eine Frauendomäne. Von 100 Erziehern sind 96 weiblich, nur 4 sind männlich. Zeit, dass sich das ändert, sagte sich die Berlin-Brandenburger Väterinitiative. Sie hat angeregt, zwei Jahre lang bislang arbeitslose Männer zu Erziehern auszubilden.
Christian Bethke: "Okay, guten Morgen, wir fangen jetzt an, auch wenn noch nicht alle da sind."
19 Männer im Alter von 23 bis 41 sitzen im Seminarraum. Es sind gelernte Industriemechaniker, Bürokaufmänner, frühere Bundeswehrsoldaten, Kfz-Schlosser, Fliesenleger, Elektriker.
Bethke weiter:
"Wir fangen um neun an, also seid bitte nicht erst um neun da."
Auffällig: Fünf der 19 Männer tragen lange Haare. Auch der Ausbilder, der vor ihnen steht. Christian Bethke, Geschäftsführer des Berliner Instituts für Frühpädagogik. Schulterlange, wellige Haare, gestutzter Vollbart, Holzfällerhemd, Cordhose.
"So, jetzt der Morgenkreis. Da bin ich ja mal sehr gespannt, zumal ich da schon ein Radio oder etwas Ähnliches erspähe. Heute ist Silvio an der Reihe."
Morgenkreis. Ein Kindergartenwort. Es bedeutet: den Morgen gemeinsam anfangen. Mit einem Gespräch über den gestrigen Tag, einem jahreszeitlich passenden Thema, einem Lied. Die Männer stehen auf, setzen sich in einem Kreis auf den Boden. In der Mitte ein orangefarbener Plattenspieler. Silvio Hohlfeld hält eine Schallplatte in der Hand.
"Ich dachte, eine Platte liegt mir selber sehr am Herzen und finde es auch ein schönes Medium. Das Schöne ist eben, das man sieht, wo der Ton eigentlich herkommt. Ich hab die Idee gehabt, dass man die Kinder auch selber an das Gerät ranlässt, und einfach den Plattenteller drehen lässt."
Eine Platte aus den 70er Jahren, die Hülle abgeschabt. Jean-Michel Jarre.
Bethke: "Wie übersetze ich eigentlich das, was da elektronisch passiert in selbst für uns kaum verstehbare Prozesse, die für Kinder durchschaubar werden, wie kann das gehen. Das geht auch mit einer Postkarte. Wenn Du da eine Nadel reinsteckst, so einmal durchfädelst und die vorsichtig auf die sich drehende Platte hältst, dann hörst Du den Sound Doch. Schon wieder ein naturwissenschaftliches Experiment."
Physik im Kindergarten. Schnell kommen die angehenden Erzieher auf weitere akustische Experimente und Spiele. Stille Post, Büchsentelefone, überlange Papprollen, mit denen man den eigenen Herzschlag hören kann.
Bethke: "Da lässt sich ganz viel entwickeln. Aber was immer klar wird, das geht nicht ohne die Vorbereitung dafür. Da kann ich nicht morgens in die Kita kommen und sagen, jetzt mache ich mal den Morgenkreis. Was mir jetzt noch fehlt, ist ein schönes Lied."
Die Männer schauen sich vielsagend an. Waren sie bislang in ihrem Element – Naturwissenschaften sind schließlich eine Männerdomäne - wird es jetzt schwieriger. Singen, dazu noch Kinderlieder, ist das nicht Frauensache?
"Okay, da bin ich ja mal gespannt, stimm Du mal an. Eins, zwei drei: Lasst uns froh und munter sein …"
"Stopp, das machen wir noch mal. Das ist lustig. Da haben wir Spaß dran, da kommt der Nikolaus. Eins zwei drei."
Alle sind aufgestanden. Schmettern aus voller Kehle. Sie singen die anfängliche Peinlichkeit aus sich heraus.
"Na, geht doch."
Raucherpause. Alle strömen vor die Tür, zünden sich eine Zigarette an, reden über Bindungsverhalten, Eingewöhnung im Kindergarten, Basteln zur Weihnachtszeit. Seit einem Jahr sind sie nun dabei. Abwechselnd zwei Wochen im Kindergarten, eine Woche im Seminar. Eine neue Berufsperspektive für die Männer, die zuvor ohne Job waren. Für den burschikosen Sportler Alex Ziesche zum Beispiel, Kurze, gegelte Haare, Jeans, weiße Turnschuhe, grüne Militärjacke.
"Es ist eben nicht der klassische Männerberuf."
Der 24-jährige Cottbusser hat eine Ausbildung als Textilmaschinenführer gemacht, war dann arbeitslos, danach zwei Jahre bei der Bundeswehr, wieder arbeitslos. Als er die Ausbildung zum Erzieher begann, haben seine Kumpel vom Football-Club große Augen gemacht und ihn aufgezogen.
"Das war am Anfang, da hatte ich den Spitznamen ‚Hortnerin’ weg, ist ein bisschen dusselig, war ein bisschen fragwürdig. Das waren alles solche Schränke, dusselige LKW-Fahrer, die haben sich dann lustig gemacht, aber alle meine Kumpel, die Abitur haben oder höher, die fanden das schon ganz cool."
"Hortnerin", das sagt niemand mehr zu Alex. Das Football-Spielen hat er aufgegeben. Jetzt kommen seine Freunde und Verwandten und fragen ihn um Rat bei Problemen mit ihren Kleinkindern. "Wir Männer sind die besseren Erzieher", sagt Alex Ziesche und grinst dabei: "Wir stürzen uns rein, machen mit, die Frauen stehen immer am Rand."
"Einmal bin ich lockerer. Dann das Vertrauen dahin, das wird schon gut gehen. Ein Kind, das mal auf einem Stuhl herumturnt, das muss sich ja nicht gleich das Genick brechen, auch wenn’s nicht schön aussieht. Solche Sachen, dass man das eben aushält, das schaffen Frauen nicht, denn Männer sind eher bereit, ein Risiko einzugehen. Das sieht man an den Sportarten, die wir ausüben."
Sollte Alex seine Ausbildung erfolgreich abschließen und einen Job im Kindergarten bekommen, wird er in Brandenburg zwischen 1000 und 1500 Euro im Monat verdienen. Das niedrige Gehalt ist ein Grund dafür, warum so wenige Männer den Beruf ergreifen. Für den selbstbewussten Alex Ziesche kein Problem.
"Welche Wahl habe ich denn im Osten. Ich will hier in Cottbus bleiben, also muss ich damit leben, dass hier wenig Geld verdient wird. So viele Jobs haben wir nicht bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit, und da ist zwischen 1000 und 1500 Euro relativ viel, im Vergleich zu gar nichts."
Alex und die anderen 18 angehenden Erzieher aus Cottbus und Umgebung machen den Anfang. Ginge es nach der Berlin-Brandenburger Väterinitiative, würden in den Kindergärten genauso viele Männer wie Frauen arbeiten. Im Alltag von Kleinkindern kommen Männer immer weniger vor, hat Jürgen Schlicker beobachtet, der Vorsitzende der Väterinitiative. Gründe dafür sind eine wachsende Zahl von allein erziehenden Müttern, viele so genannte Patchworkfamilien, Väter, die weit weg zur Arbeit pendeln. Grundschulen werden von Lehrerinnen dominiert, Kindergärten von Erzieherinnen. Auf die Dauer ist das nicht gesund, sagt Jürgen Schlicker.
"Ein männliches Vorbild zu haben, da eine Möglichkeit zu haben, das zu erleben, wie ein Mann reagiert, dieses andere Verhalten zu studieren, daran zu lernen, auch Männer als fürsorglich und pflegend zu erleben, das ist ganz wichtig für Kinder."
Eine Quote für Männer in Frauenberufen? Stellenausschreibungen mit dem Satz: "Bei gleicher Qualifikation werden Männer bevorzugt"? Jürgen Schlicker von der Väterinitiative schüttelt mit dem Kopf.
"Ich würde auf Freiwilligkeit setzen, also vom Prinzip her sind die Qualität der Ausbildung, das Passen in das Team ein entscheidendes Kriterium, ich würde persönlich nicht quotieren wollen."
"Mehr Männer in die Kindergärten" – diese Forderung lässt sich auch wissenschaftlich untermauern. Ausbilder Christian Bethke verweist auf entsprechende Studien. Kinder, die mit beiden Geschlechtern aufwachsen, entwickeln sich besser und können mit Schwierigkeiten leichter umgehen, sagt der Pädagoge. Trotzdem gab und gibt es Irritationen. Bei den angehenden Erziehern und deren Freunden genauso wie bei den Kindergärtnerinnen.
"Dazu kommen die Eltern in den Kitas, die inzwischen sehr wohlwollend sind, aber anfangs sehr skeptisch waren, ob die Männer das können. Und was leider auch mitschwingt, wenn Männer mit kleinen Kindern umgehen: Wieweit ist diese Missbrauchsgefahr da. Da haben wir versucht, offen mit umzugehen, und inzwischen ist das vom Tisch."
Die Cottbusser Ausbildung betritt in doppelter Hinsicht Neuland. Zum einen werden nur Männer ausgebildet, zum zweiten wird eine andere Art von Ausbildung erprobt, Theorie und Praxis sind eng verzahnt, die angehenden Erzieher erhalten keine Noten. Nur das Land Brandenburg erkennt bislang den Abschluss an.
"Wir arbeiten extrem selbst gesteuert. Ich kann nur dann mit Kindern so arbeiten, wie wir das heute in der Pädagogik wollen, wenn ich selber durch so eine Schule gegangen bin. Ich kann keine klassische Schulkarriere hinter mich gebracht haben, und dann auf einmal freie Bildungsprozesse bei Kindern begleiten."
Die Kindertagesstätte "Waldhaus" in Guben. Kurz vor dem Mittagessen dürfen die Kinder auf dem weitläufigen Gelände herumtoben. Einige klettern auf dem hölzernen Piratenschiff herum, andere kurven mit Plastikautos über den Hof. Silvio Hohlfeld hält einen blassen, verängstigt wirkenden Jungen auf dem Arm, versucht ihn zu trösten.
"Der ist ganz neu hier, ganz frisch, sieht traurig aus. Wirklich traurig."
Hausmeister Hartmut Schöppan fegt Laub zusammen, schaufelt es auf die Schubkarre, schaut dem tröstenden Silvio von weitem zu. Es ist ein skeptischer Blick, den er auf seinen Geschlechtsgenossen wirft. Dem Hausmeister will nicht einleuchten, warum ein Mann einen Frauenberuf erlernt.
"Manchmal denke ich, die jungen Bengels, die könnten auch eigentlich einen richtigen Männerberuf lernen, so auf dem Bau oder so. Für mich wäre das nichts, hier mit den Kindern so rumeiern, das ist nicht meine Welt."
Hausmeister Schöppan ist der einzige Skeptiker geblieben. Kindergärtnerinnen und Eltern sind mittlerweile davon überzeugt, dass männliche Erzieher den Kindern gut tun. Auch Silvana Felgentrebe, die gerade ihre Tochter Lea abholt.
"Warum sollen die Männer nicht auch im Kindergarten mitarbeiten, finde ich optimal, gerade für Jungs."
Tochter: "Der spielt immer mit uns, der tut mit uns auch einen Turm bauen, der tut mit uns spielen."
Auch Erzieherin Anke Hausmann ist des Lobs voll über ihren neuen Kollegen. Die 41-Jährige ist die Mentorin von Silvio, die erste Ansprechpartnerin für den angehenden Erzieher.
"Er ist für uns hier ein Ruhepol, er macht die Sache enorm gut, er hat stets und ständig Kinder um sich herum, die er schafft zu begeistern. Und auch diese pflegerischen Maßnahmen, wo ich dachte, dass es vielleicht für einen so jungen Mann Zeit bedarf, ehe man sich dran wagt, auch das hat er inzwischen in den Griff bekommen, und wir können ganz zufrieden sein."
Für Anke Hausmann ist es wichtig, dass Männer und Frauen sich im Kindergarten nicht auf traditionelle Rollen festlegen lassen. Silvio singt ein Lied, während ich die Lampe repariere, sagt die Erzieherin.
"Unser neues Trampolin war kaputt, reparierte das Trampolin, während er mit einem Kind zur Wickelkommode gegangen ist, was die Windel voll hatte. Das wird nicht typisch getrennt, da ist was zu reparieren, das macht er. Da kann ich mich auch ranwagen, so sehen es auch die Kinder."
Nach Mittagessen und Zähneputzen kümmert Silvio sich um die Kleinen, wickelt sie vor dem Mittagsschlaf, singt ein Lied. Ein Mädchen ist in seinem Schoß eingeschlafen, er streichelt sinnierend über ihren Kopf.
"Es gibt Momente, wo das immer noch für mich komisch ist. Okay, jetzt bist Du hier mit einer Gruppe Kinder unterwegs, windelst sie, umsorgst, was man ja sonst der weiblichen Rolle zuschreibt, ich akzeptiere das auch für mich."
Silvio Hohlfeld ist 32, hat eine Lehre als Industriemechaniker gemacht, war dann arbeitslos. Während einer ABM im Jugendclub merkte er, dass er gerne mit Kindern arbeitet.
"Da ich selber auch spielerisch veranlagt bin, habe ich gemerkt, dass ich da vieles von mir weitergeben kann und in die Arbeit positiv einbringe. Und zweitens muss man deutlich sagen, es ist eine Möglichkeit, einen neuen Beruf zu lernen und Fuß zu fassen, was ja in der Gesellschaft nicht so leicht ist."
Genau wie für seinen Kollegen Alex Ziesche ist auch für Silvio Hohlfeld das vergleichsweise niedrige Erziehergehalt kein Hinderungsgrund. Ich brauche keine großen Reichtümer, sagt der 32-Jährige und lächelt.
"Und in dem Sinne stellt sich auch für mich nicht die Frage nach dem Einkommen. Mich bereichert jeder Tag hier, von daher habe ich genug Einkommen."
Zeit für die Mittagsgeschichte. Die großen Kinder haben sich um Silvio gescharrt. Er verteilt Fingerpuppen, für jede Figur in der Geschichte eine.
"Das hier ist der kleine Affe Oskar, der Richard hat das Krokodil, die hat keinen Namen und Angelique hat die Gazelle. Und ich fange jetzt an, die Geschichte vorzulesen. Es war einmal ein kleiner blauer See mitten im Urwald. Ringsherum wuchsen hohe Bäume und selbst wenn die Sonne …"
Die Ausbildung hat die Männer positiv verändert. Das sagen alle, die die Entwicklung der angehenden Erzieher verfolgen. Sie müssen sich zwangsläufig mit ihrer Rolle als Mann auseinandersetzen, mit gesellschaftlichen Klischees, mit sozialen Fragen. Jürgen Schlicker von der Väterinitiative Berlin-Brandenburg.
"Die sind viel offener geworden, viel selbstsicherer auch, ein gutes Stück emotionaler. Der harte Bauarbeiterton, der ist in der Kita nicht da. Das ist ein ganz anderes Arbeiten, ein viel menschlicheres Arbeiten, wenn sie sich darauf einlassen, ist das für die Männer eine ganz spannende Geschichte."
19 Männer im Alter von 23 bis 41 sitzen im Seminarraum. Es sind gelernte Industriemechaniker, Bürokaufmänner, frühere Bundeswehrsoldaten, Kfz-Schlosser, Fliesenleger, Elektriker.
Bethke weiter:
"Wir fangen um neun an, also seid bitte nicht erst um neun da."
Auffällig: Fünf der 19 Männer tragen lange Haare. Auch der Ausbilder, der vor ihnen steht. Christian Bethke, Geschäftsführer des Berliner Instituts für Frühpädagogik. Schulterlange, wellige Haare, gestutzter Vollbart, Holzfällerhemd, Cordhose.
"So, jetzt der Morgenkreis. Da bin ich ja mal sehr gespannt, zumal ich da schon ein Radio oder etwas Ähnliches erspähe. Heute ist Silvio an der Reihe."
Morgenkreis. Ein Kindergartenwort. Es bedeutet: den Morgen gemeinsam anfangen. Mit einem Gespräch über den gestrigen Tag, einem jahreszeitlich passenden Thema, einem Lied. Die Männer stehen auf, setzen sich in einem Kreis auf den Boden. In der Mitte ein orangefarbener Plattenspieler. Silvio Hohlfeld hält eine Schallplatte in der Hand.
"Ich dachte, eine Platte liegt mir selber sehr am Herzen und finde es auch ein schönes Medium. Das Schöne ist eben, das man sieht, wo der Ton eigentlich herkommt. Ich hab die Idee gehabt, dass man die Kinder auch selber an das Gerät ranlässt, und einfach den Plattenteller drehen lässt."
Eine Platte aus den 70er Jahren, die Hülle abgeschabt. Jean-Michel Jarre.
Bethke: "Wie übersetze ich eigentlich das, was da elektronisch passiert in selbst für uns kaum verstehbare Prozesse, die für Kinder durchschaubar werden, wie kann das gehen. Das geht auch mit einer Postkarte. Wenn Du da eine Nadel reinsteckst, so einmal durchfädelst und die vorsichtig auf die sich drehende Platte hältst, dann hörst Du den Sound Doch. Schon wieder ein naturwissenschaftliches Experiment."
Physik im Kindergarten. Schnell kommen die angehenden Erzieher auf weitere akustische Experimente und Spiele. Stille Post, Büchsentelefone, überlange Papprollen, mit denen man den eigenen Herzschlag hören kann.
Bethke: "Da lässt sich ganz viel entwickeln. Aber was immer klar wird, das geht nicht ohne die Vorbereitung dafür. Da kann ich nicht morgens in die Kita kommen und sagen, jetzt mache ich mal den Morgenkreis. Was mir jetzt noch fehlt, ist ein schönes Lied."
Die Männer schauen sich vielsagend an. Waren sie bislang in ihrem Element – Naturwissenschaften sind schließlich eine Männerdomäne - wird es jetzt schwieriger. Singen, dazu noch Kinderlieder, ist das nicht Frauensache?
"Okay, da bin ich ja mal gespannt, stimm Du mal an. Eins, zwei drei: Lasst uns froh und munter sein …"
"Stopp, das machen wir noch mal. Das ist lustig. Da haben wir Spaß dran, da kommt der Nikolaus. Eins zwei drei."
Alle sind aufgestanden. Schmettern aus voller Kehle. Sie singen die anfängliche Peinlichkeit aus sich heraus.
"Na, geht doch."
Raucherpause. Alle strömen vor die Tür, zünden sich eine Zigarette an, reden über Bindungsverhalten, Eingewöhnung im Kindergarten, Basteln zur Weihnachtszeit. Seit einem Jahr sind sie nun dabei. Abwechselnd zwei Wochen im Kindergarten, eine Woche im Seminar. Eine neue Berufsperspektive für die Männer, die zuvor ohne Job waren. Für den burschikosen Sportler Alex Ziesche zum Beispiel, Kurze, gegelte Haare, Jeans, weiße Turnschuhe, grüne Militärjacke.
"Es ist eben nicht der klassische Männerberuf."
Der 24-jährige Cottbusser hat eine Ausbildung als Textilmaschinenführer gemacht, war dann arbeitslos, danach zwei Jahre bei der Bundeswehr, wieder arbeitslos. Als er die Ausbildung zum Erzieher begann, haben seine Kumpel vom Football-Club große Augen gemacht und ihn aufgezogen.
"Das war am Anfang, da hatte ich den Spitznamen ‚Hortnerin’ weg, ist ein bisschen dusselig, war ein bisschen fragwürdig. Das waren alles solche Schränke, dusselige LKW-Fahrer, die haben sich dann lustig gemacht, aber alle meine Kumpel, die Abitur haben oder höher, die fanden das schon ganz cool."
"Hortnerin", das sagt niemand mehr zu Alex. Das Football-Spielen hat er aufgegeben. Jetzt kommen seine Freunde und Verwandten und fragen ihn um Rat bei Problemen mit ihren Kleinkindern. "Wir Männer sind die besseren Erzieher", sagt Alex Ziesche und grinst dabei: "Wir stürzen uns rein, machen mit, die Frauen stehen immer am Rand."
"Einmal bin ich lockerer. Dann das Vertrauen dahin, das wird schon gut gehen. Ein Kind, das mal auf einem Stuhl herumturnt, das muss sich ja nicht gleich das Genick brechen, auch wenn’s nicht schön aussieht. Solche Sachen, dass man das eben aushält, das schaffen Frauen nicht, denn Männer sind eher bereit, ein Risiko einzugehen. Das sieht man an den Sportarten, die wir ausüben."
Sollte Alex seine Ausbildung erfolgreich abschließen und einen Job im Kindergarten bekommen, wird er in Brandenburg zwischen 1000 und 1500 Euro im Monat verdienen. Das niedrige Gehalt ist ein Grund dafür, warum so wenige Männer den Beruf ergreifen. Für den selbstbewussten Alex Ziesche kein Problem.
"Welche Wahl habe ich denn im Osten. Ich will hier in Cottbus bleiben, also muss ich damit leben, dass hier wenig Geld verdient wird. So viele Jobs haben wir nicht bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit, und da ist zwischen 1000 und 1500 Euro relativ viel, im Vergleich zu gar nichts."
Alex und die anderen 18 angehenden Erzieher aus Cottbus und Umgebung machen den Anfang. Ginge es nach der Berlin-Brandenburger Väterinitiative, würden in den Kindergärten genauso viele Männer wie Frauen arbeiten. Im Alltag von Kleinkindern kommen Männer immer weniger vor, hat Jürgen Schlicker beobachtet, der Vorsitzende der Väterinitiative. Gründe dafür sind eine wachsende Zahl von allein erziehenden Müttern, viele so genannte Patchworkfamilien, Väter, die weit weg zur Arbeit pendeln. Grundschulen werden von Lehrerinnen dominiert, Kindergärten von Erzieherinnen. Auf die Dauer ist das nicht gesund, sagt Jürgen Schlicker.
"Ein männliches Vorbild zu haben, da eine Möglichkeit zu haben, das zu erleben, wie ein Mann reagiert, dieses andere Verhalten zu studieren, daran zu lernen, auch Männer als fürsorglich und pflegend zu erleben, das ist ganz wichtig für Kinder."
Eine Quote für Männer in Frauenberufen? Stellenausschreibungen mit dem Satz: "Bei gleicher Qualifikation werden Männer bevorzugt"? Jürgen Schlicker von der Väterinitiative schüttelt mit dem Kopf.
"Ich würde auf Freiwilligkeit setzen, also vom Prinzip her sind die Qualität der Ausbildung, das Passen in das Team ein entscheidendes Kriterium, ich würde persönlich nicht quotieren wollen."
"Mehr Männer in die Kindergärten" – diese Forderung lässt sich auch wissenschaftlich untermauern. Ausbilder Christian Bethke verweist auf entsprechende Studien. Kinder, die mit beiden Geschlechtern aufwachsen, entwickeln sich besser und können mit Schwierigkeiten leichter umgehen, sagt der Pädagoge. Trotzdem gab und gibt es Irritationen. Bei den angehenden Erziehern und deren Freunden genauso wie bei den Kindergärtnerinnen.
"Dazu kommen die Eltern in den Kitas, die inzwischen sehr wohlwollend sind, aber anfangs sehr skeptisch waren, ob die Männer das können. Und was leider auch mitschwingt, wenn Männer mit kleinen Kindern umgehen: Wieweit ist diese Missbrauchsgefahr da. Da haben wir versucht, offen mit umzugehen, und inzwischen ist das vom Tisch."
Die Cottbusser Ausbildung betritt in doppelter Hinsicht Neuland. Zum einen werden nur Männer ausgebildet, zum zweiten wird eine andere Art von Ausbildung erprobt, Theorie und Praxis sind eng verzahnt, die angehenden Erzieher erhalten keine Noten. Nur das Land Brandenburg erkennt bislang den Abschluss an.
"Wir arbeiten extrem selbst gesteuert. Ich kann nur dann mit Kindern so arbeiten, wie wir das heute in der Pädagogik wollen, wenn ich selber durch so eine Schule gegangen bin. Ich kann keine klassische Schulkarriere hinter mich gebracht haben, und dann auf einmal freie Bildungsprozesse bei Kindern begleiten."
Die Kindertagesstätte "Waldhaus" in Guben. Kurz vor dem Mittagessen dürfen die Kinder auf dem weitläufigen Gelände herumtoben. Einige klettern auf dem hölzernen Piratenschiff herum, andere kurven mit Plastikautos über den Hof. Silvio Hohlfeld hält einen blassen, verängstigt wirkenden Jungen auf dem Arm, versucht ihn zu trösten.
"Der ist ganz neu hier, ganz frisch, sieht traurig aus. Wirklich traurig."
Hausmeister Hartmut Schöppan fegt Laub zusammen, schaufelt es auf die Schubkarre, schaut dem tröstenden Silvio von weitem zu. Es ist ein skeptischer Blick, den er auf seinen Geschlechtsgenossen wirft. Dem Hausmeister will nicht einleuchten, warum ein Mann einen Frauenberuf erlernt.
"Manchmal denke ich, die jungen Bengels, die könnten auch eigentlich einen richtigen Männerberuf lernen, so auf dem Bau oder so. Für mich wäre das nichts, hier mit den Kindern so rumeiern, das ist nicht meine Welt."
Hausmeister Schöppan ist der einzige Skeptiker geblieben. Kindergärtnerinnen und Eltern sind mittlerweile davon überzeugt, dass männliche Erzieher den Kindern gut tun. Auch Silvana Felgentrebe, die gerade ihre Tochter Lea abholt.
"Warum sollen die Männer nicht auch im Kindergarten mitarbeiten, finde ich optimal, gerade für Jungs."
Tochter: "Der spielt immer mit uns, der tut mit uns auch einen Turm bauen, der tut mit uns spielen."
Auch Erzieherin Anke Hausmann ist des Lobs voll über ihren neuen Kollegen. Die 41-Jährige ist die Mentorin von Silvio, die erste Ansprechpartnerin für den angehenden Erzieher.
"Er ist für uns hier ein Ruhepol, er macht die Sache enorm gut, er hat stets und ständig Kinder um sich herum, die er schafft zu begeistern. Und auch diese pflegerischen Maßnahmen, wo ich dachte, dass es vielleicht für einen so jungen Mann Zeit bedarf, ehe man sich dran wagt, auch das hat er inzwischen in den Griff bekommen, und wir können ganz zufrieden sein."
Für Anke Hausmann ist es wichtig, dass Männer und Frauen sich im Kindergarten nicht auf traditionelle Rollen festlegen lassen. Silvio singt ein Lied, während ich die Lampe repariere, sagt die Erzieherin.
"Unser neues Trampolin war kaputt, reparierte das Trampolin, während er mit einem Kind zur Wickelkommode gegangen ist, was die Windel voll hatte. Das wird nicht typisch getrennt, da ist was zu reparieren, das macht er. Da kann ich mich auch ranwagen, so sehen es auch die Kinder."
Nach Mittagessen und Zähneputzen kümmert Silvio sich um die Kleinen, wickelt sie vor dem Mittagsschlaf, singt ein Lied. Ein Mädchen ist in seinem Schoß eingeschlafen, er streichelt sinnierend über ihren Kopf.
"Es gibt Momente, wo das immer noch für mich komisch ist. Okay, jetzt bist Du hier mit einer Gruppe Kinder unterwegs, windelst sie, umsorgst, was man ja sonst der weiblichen Rolle zuschreibt, ich akzeptiere das auch für mich."
Silvio Hohlfeld ist 32, hat eine Lehre als Industriemechaniker gemacht, war dann arbeitslos. Während einer ABM im Jugendclub merkte er, dass er gerne mit Kindern arbeitet.
"Da ich selber auch spielerisch veranlagt bin, habe ich gemerkt, dass ich da vieles von mir weitergeben kann und in die Arbeit positiv einbringe. Und zweitens muss man deutlich sagen, es ist eine Möglichkeit, einen neuen Beruf zu lernen und Fuß zu fassen, was ja in der Gesellschaft nicht so leicht ist."
Genau wie für seinen Kollegen Alex Ziesche ist auch für Silvio Hohlfeld das vergleichsweise niedrige Erziehergehalt kein Hinderungsgrund. Ich brauche keine großen Reichtümer, sagt der 32-Jährige und lächelt.
"Und in dem Sinne stellt sich auch für mich nicht die Frage nach dem Einkommen. Mich bereichert jeder Tag hier, von daher habe ich genug Einkommen."
Zeit für die Mittagsgeschichte. Die großen Kinder haben sich um Silvio gescharrt. Er verteilt Fingerpuppen, für jede Figur in der Geschichte eine.
"Das hier ist der kleine Affe Oskar, der Richard hat das Krokodil, die hat keinen Namen und Angelique hat die Gazelle. Und ich fange jetzt an, die Geschichte vorzulesen. Es war einmal ein kleiner blauer See mitten im Urwald. Ringsherum wuchsen hohe Bäume und selbst wenn die Sonne …"
Die Ausbildung hat die Männer positiv verändert. Das sagen alle, die die Entwicklung der angehenden Erzieher verfolgen. Sie müssen sich zwangsläufig mit ihrer Rolle als Mann auseinandersetzen, mit gesellschaftlichen Klischees, mit sozialen Fragen. Jürgen Schlicker von der Väterinitiative Berlin-Brandenburg.
"Die sind viel offener geworden, viel selbstsicherer auch, ein gutes Stück emotionaler. Der harte Bauarbeiterton, der ist in der Kita nicht da. Das ist ein ganz anderes Arbeiten, ein viel menschlicheres Arbeiten, wenn sie sich darauf einlassen, ist das für die Männer eine ganz spannende Geschichte."