Mit der Seilbahn über die Hellersdorfer Alpen
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Glück so nah ist? Wer braucht schon die Alpen oder chinesische Ziergärten, wenn im Berliner Osten die Internationale Gartenausstellung (IGA) ihre Pforten geöffnet hat? Ein Paradies mit Plattenbau-Panorama.
Eine Seilbahn mitten in der Großstadt. Wo man sonst einem Bergpanorama entgegenseufzen würde, sieht man aus der Seilbahn der Internationalen Gartenausstellung (IGA), die Hellersdorfer Alpen, das Plattenbau-Panorama von Berlin-Marzahn. Man fliegt ihnen entgegen. Und es ist der Hammer: Bäume, Wiesen, Gärten, echte Kühe und angrenzend Siedlungen zu allen Seiten. Und darüber: Der Himmel über Berlin. Alles in einem Blick.
Und dann: In einem italienischen Renaissance-Garten sitzen und auf DDR-Plattenbauten gucken, an einem Wasserfall liegen und eine Fertigteilhaus-Siedlung im Rücken haben, in einer orientalischen Säulenhalle stehen, in die die Äste eines europäischen Laubbaumes ragen, eine Palme vor einem Wohnblock, und ringsherum Wildblumen. Man weiß gar nicht, wo man ist, man ist überall zugleich. Vielleicht zeigt sich darin der "Dialog der Kulturen", der ein Motto der IGA ist.
IGA - Documenta für Blumenfans
Im Publikum zeigt er sich nicht; das ist sehr weiß. Zumindest an diesem Tag im August. Weiß und beige angezogen. Mit Rucksäcken und Sonnenhüten und Outdoor-Sandalen. Sie haben Pausenbrote dabei und sind meist in Gruppen unterwegs. Sie haben Inge verloren. Sie sind froh, dass es endlich mal nicht regnet und drängen in den Schatten. Sie bewundern die 100 verschiedenen Fuchsienarten und finden manche Gärten "raffiniert", andere einfach "dämlich". Die IGA ist die Documenta für Blumenfans. Und sie ist ein Disneyland für Leute, die keine Achterbahnen mögen.
Mein Lieblingsfahrgeschäft ist der Los Angeles Garden: Ein asphaltierter Parkplatz mit einem in Maschendraht eingezäunten Stück Rasen in der Mitte, auf dem sechs riesige Palmen und drei kleinen Parkbänke stehen. Daneben auf dem Parkplatz drei amerikanische Autos, aus denen man ausgestiegen wäre, um den Palmengarten durch ein hüfthohes Tor mit der Aufschrift "People Park please no dogs" zu betreten.
"Hier würde ich gern den ganzen Tag sitzen und Lana del Rey hören, und mich fühlen wie in einem ihrer Videos", sagt meine Begleitung am Zaun stehend. Man darf den West-Coast-Themenpark nicht wirklich betreten. In den aufgemalten weißen Parkbuchten kann man stehen. Aber weder in den Autos, noch auf den Bänken darf man sitzen, das Tor zum Palmengarten ist verschlossen, mit Kabelbindern.
Kein Zutritt zum Paradies
Und das ist fast überall so in diesen Gärten der Welt: Wo es schön wäre, zu verweilen, ist abgesperrt. Wo es interessant wäre, darf man nicht hin. Man soll die Kieselsteine nicht betreten, und die Felsen nicht beklettern, und die Pflanzen nicht anfassen, alles ist gemacht, alles ist ordentlich, alle Wege sind ausgeschildert.
An einem kleinen Bächlein im japanischen Garten setzen wir uns auf die Steine und halten die Füße ins Wasser. Schnell gesellen sich andere Leute zu uns, bald sitzen wir zu zehnt in einer Reihe, und halten zwanzig Füße ins Wasser. "Kommen jetzt auch diese Massage-Fische, die's im Urlaub immer gibt?", scherzt jemand. Es wird gekichert und sich nass gespritzt; Wanderpause auf der Japanreise. Bis eine Parkwächterin kommt und sagt: "Das geht ja so gar nicht. Die Wege sind nicht zu verlassen, steht extra angeschrieben."
Sie sagt es mit Bedauern in der Stimme. Und dass wir die Füße gut waschen sollen später, denn das Wasser aus dem Bach sei natürlich "nicht ganz natürlich".
Einmal um die ganze Welt – aber ohne Anfassen
Der Einbruch des Realen an einem Dienstag auf der internationalen Gartenausstellung. Dabei hatten wir Japan gerade liebgewonnen und Urlaubsbekanntschaften geschlossen und den Wochentag vergessen. Also weiter. Bratnudeln im Chinesischen Garten. Die Tropen in einer Halle. Rhododendron-Hain. "Einmal um die ganze Welt, wir ham ne richtige Weltreise gemacht heute", höre ich jemanden im Vorbeigehen sagen. Es stimmt. Die IGA ist Urlaub für solche, die nicht gern verreisen. Ich mag die echte Welt allerdings doch lieber, weil man darf in ihr mehr anfassen, und auch Wege gehen, die noch keiner kennt.