"Die Theologie der Heiligkeit hat sich sicherlich geändert"

Ralf Miggelbrink im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.04.2011
Am Sonntag wird Karol Jozef Wojtyła, Papst Johannes Paul II., seliggesprochen. Noch nie ist es so schnell nach dem Tod eines Menschen zur Seligsprechung gekommen. Doch dass es heute mehr Selig- und Heiligsprechungen gibt, hat ganz konkrete Gründe.
Dieter Kassel: Am Sonntag wird Karl Josef Wojtyła, Papst Johannes Paul II., seliggesprochen. Eigentlich ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Papst nach seinem Tod selig- oder sogar heiliggesprochen wird, aber noch niemals ging das so schnell. Im Mai 2005, nicht einmal sechs Wochen nach dem Tod Johannes Paul II., wurde das kirchliche Verfahren eingeleitet, und auch das vorübergehend aufgetauchte Problem eines mangelnden Beweises für ein vollbrachtes Wunder – das ist nämlich eine der Voraussetzungen für eine Seligsprechung –, auch dieses Problem konnte gelöst werden, so dass es die Entscheidung der Kongregation für die Heiligsprechung nicht ernsthaft behinderte. Zu einem Gespräch über diese und über Seligsprechungen im Allgemeinen begrüße ich jetzt am Telefon Professor Ralf Miggelbrink. Er ist der Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Universität Duisburg-Essen. Schönen guten Tag, Herr Miggelbrink!

Ralf Miggelbrink: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Warum ging das so schnell im Fall von Papst Johannes Paul II.?

Miggelbrink: Wir haben ja insgesamt im Pontifikat von Johannes Paul II. eine gewisse Beschleunigung bei den Selig- und Heiligsprechungsprozessen gehabt und eine große Anzahl an Selig- und Heiligsprechungsprozessen, so dass in der Tat wahrscheinlich ein starkes Interesse da war, in der Kirche, Johannes Paul II. zügig selig- und heiligzusprechen, und dem hat die Heiligsprechungskongregation Rechnung getragen und hat das Verfahren ziemlich zügig behandelt.

Kassel: Nun mag man ja als Nichtexperte auch umgekehrt sogar die Frage stellen, wenn fünf Jahre nun als so extrem schnell gehen, warum dauert denn eine Selig- oder Heiligsprechung oder die Entscheidung, eine solche durchzuführen, normalerweise so lange?

Miggelbrink: Das ist eine gewisse Vorsicht. Bei Seligsprechungen geht es ja darum, gelungene Gestalten des Glaubens und der Begegnung Gottes mit den Menschen den Christen in der Kirche als Beispiel vor Augen zu stellen und diese gelungenen Gestalten als Ansprechpartner der Gläubigen zu bestätigen durch die kirchliche Autorität. Und dass man dabei Vorsicht walten lässt, ist verständlich, weil man nicht in modische und vorübergehende Strömungen hineinkommen will und sich abhängig machen will von Tendenzen, die in einem längeren Abstand dann womöglich kritisch betrachtet werden müssen.

Kassel: Im 20. Jahrhundert vor Beginn des Pontifikats von Papst Johannes Paul II., also bis 1978, von 1900 an, wurden ganze 28 Menschen heiliggesprochen vom Vatikan, von seinen Vorgängern, während des Pontifikats, von 1978 bis zu seinem Tod 2005, waren es dann 483. Das ist nun schon eine bemerkenswerte Entwicklung – woran liegt das? War das wirklich eine Eigenheit des Papstes, oder war das eine bewusste Änderung der Kirchenpolitik?

Miggelbrink: Es ist natürlich eine weltweiter gewordene Kirche, eine erheblich viel größer gewordene Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil hat auch 2000 Bischöfe in der Konzilshalle des Petersdoms versammelt, und wenn wir heute noch mal ein Konzil machen müssten, dann müsste man mit der doppelten Anzahl an Bischöfen ungefähr rechnen. Die Kirche wird natürlich größer, sie wird internationaler, aber auch die Theologie der Heiligkeit hat sich sicherlich geändert. Es hat sich doch dahingehend gewandelt, dass wir heute sehr wachsam sehen, dass es sich bei den Heiligen um Gestalten der gelungenen Umsetzung göttlicher Gnade im Leben eines Menschen handelt und dass man damit rechnen muss, dass es sehr vielgestaltige Formen von Heiligkeit gibt. Und eigentlich ist ein Problem, dass Johannes Paul II. zwar sehr viele Menschen heiliggesprochen hat, dass er aber dieser Vielgestalt des Heiligen nicht besonders Rechnung getragen hat. Also wir haben sehr, sehr viele heilige Nonnen und heilige Priester und heilige Bischöfe und Päpste, aber vergleichsweise wenig heilige Busfahrer, Familienväter, Frauen unter Johannes Paul II.

Kassel: Das heißt, er hat vielleicht manchmal die, die die Richtigen gewesen wären, nicht heiliggesprochen, hat er auch manchmal die, die die Falschen waren, heiliggesprochen?

Miggelbrink: Na ja, nun, also das maße ich mir jetzt nicht an. Das Verfahren ist ja lang, dauert fünf Jahre. Sicherlich haben viele schlucken müssen, als der Gründer des Opus Dei heiliggesprochen wurde, Josemaría Escrivá, und es war sicher auch unter Benedikt XVI. ein Problem, als 500 Märtyrer aus dem Spanischen Bürgerkrieg heiliggesprochen worden sind, wobei man einfach sagen muss, diese 400, es waren ja nicht 500, 498, waren ja Menschen, die im Zusammenhang des Spanischen Bürgerkrieges im Wesentlichen, zum ganz überwiegenden Teil durch republikanische Kämpfer zu Tode gekommen sind. Und wenn man also die jetzt in cumulo seligspricht, dann ist das natürlich eine Positionierung in einem noch nicht vollständig überwundenen politischen Konflikt unserer Zeitgeschichte. Und das waren sicherlich Seligsprechungen, die problematisch waren, und wo eine Gefahr besteht, dass durch diese Seligsprechung eine einseitige Positionierung der Kirche im politischen Zusammenhang stattfindet. Und das ist ja auch ein Argument, das also im Zusammenhang jetzt von Johannes Paul II. sicherlich zu bedenken ist, dass Johannes Paul II. ja auch jemand war, der sich politisch stark antikommunistisch profiliert hat und etwa in Lateinamerika eine sehr ambivalente Bewertung erfährt und auch durchaus skeptische Bewertungen, negative Bewertungen, erfährt. Wenn jetzt ein solcher Mann heiliggesprochen wird, mutet der Vatikan der Kirche die Toleranz zu, das Positive, das Heldenhafte, das Herausragende an Johannes Paul II. als ein Wirken Gottes in der Gegenwart anzuerkennen – was ja nicht ausschließt, dass ein solches Wirken auch durch Irrtümer und Fehleinschätzungen verblendet und beschädigt gewesen ist – und dabei zu übersehen und weniger zu berücksichtigen, was eben auch an Negativem bewirkt worden ist durch diesen verehrten Seligen.

Kassel: Was natürlich sogar dazu geführt hat – das geht ja im Moment durch die Presse –, dass es einen Aufruf an den Vatikan gibt, einen Aufruf an Benedikt XVI., den unter anderem der CDU-Politiker Heiner Geißler in Deutschland mit unterschrieben hat, eben wegen dieser umstrittenen Aktion oder auch unterlassenen Aktion in Mittel- und Südamerika, den Papst nicht seligzusprechen. Das wird – so viel Prophezeiung sei mir erlaubt – wahrscheinlich drei Tage, bevor es passiert, nicht mehr viel bewirken, aber was genau tut man denn da? Ich meine, man kann doch jetzt auch mithilfe eines Verfahrens, das ja, widersprechen Sie mir, wenn es nicht stimmt, ein bisschen sogar an ein weltliches Gerichtsverfahren erinnert, mit einem solchen Verfahren kann man doch nicht wirklich im Nachhinein feststellen, ob jemand ein guter, ein christlicher Mensch war, oder nicht?

Miggelbrink: Nein, in einem gewissen Sinne schon. Die Bedingung für die Aufnahme eines solchen Verfahrens ist ja, dass ein Interesse an der Verehrung des betreffenden Heiligen besteht, also es muss überhaupt erst einmal ein Bedarf da sein, ein solches Verfahren einzuleiten. Und dann prüft man, ob also diese Verehrung, die beabsichtigt ist, und die in der Kirche in irgendeiner Weise auch schon besteht – dafür gibt das Wunder Zeugnis –, ob die bedenklich ist, ob die ablehnungswürdig ist, oder ob der Betreffende hinsichtlich seiner Lebensführung und seines Einsatzes, seiner Leidenschaft im Glauben wirklich als verehrungswürdig zu gelten hat.

Kassel: Glauben Sie an Wunder, Professor Miggelbrink?

Miggelbrink: Ja, ich glaube schon an Wunder, allerdings glaube ich, ist es wichtig, dass man sagt, das Wunder, das im Heiligsprechungsverfahren nachgefragt wird, ist ja eigentlich nur das Zeugnis eines Menschen, das ihm durch den Verstorbenen Hilfe zu Teil geworden ist, und zwar eine solche Hilfe, für die man natürliche Ursachen nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ausschließen kann. Das heißt also, ein Wunder, das man sozusagen wirklich aktenkundig machen könnte, wäre kein wirkliches Wunder mehr. Hier wird also in einem Ausschlussverfahren nur sichergestellt, dass eine Verehrung des betreffenden Heiligen besteht, die auf eine Verbindung zu lebenden Menschen hindeutet. Und das ist eigentlich das Entscheidende im Heiligsprechungsverfahren.

Kassel: Über die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. am kommenden Sonntag reden wir hier im Deutschlandradio Kultur gerade mit dem Theologen Ralf Miggelbrink. Lassen Sie uns über eines noch reden, Professor Miggelbrink: Was ich nicht gewusst hab vor der Beschäftigung mit diesem Thema, ist, dass Selig- und Heiligsprechungen ja Geld kosten, das hat mich aber nicht überrascht, was mich überrascht hat, ist, dass dieses Geld nicht der Vatikan bezahlt, sondern das zahlt der Antragsteller, also je nachdem einfach die Gemeinde, aus der eine seligzusprechende Person kommt oder wer auch immer es gerade ist. Und es ist nicht so wenig, die genauen Zahlen divergieren, auch je nachdem Selig- und Heiligsprechung, aber die Rede ist von mindestens 50-, bei Heiligsprechungen 250.000 Euro, die so etwas kostet. Das sind für den Vatikan ja Einnahmen. Bin ich da zu böse, wenn ich unterstelle, das könnte auch ein Grund dafür sein, dass es so viele Heiligsprechungen gab ab 1978?

Miggelbrink: Na ja, das sind aber teuer erwirtschaftete Einnahmen, denn man muss ja dafür auch eine Administration vorhalten, man muss Beweisverfahren durchführen, man muss Zeugen hören, man muss Recherchen finanzieren. Also das, glaube ich, rechnet sich nicht.

Kassel: Aber eine Menge Geld ist es schon – sorgt das nicht dafür, dass der eine, denn Sie haben ja vorhin über Busfahrer geredet, die nicht heiliggesprochen werden, vielleicht haben die Leute, die Busfahrer unterstützen möchten, auch einfach keine 250.000 Euro.

Miggelbrink: Ja, die Unterstützung läuft ja immer über den Ortsbischof, das heißt, der jeweilige Ortsbischof beantragt für einen verehrungswürdigen Christen seines Bistums die Selig- oder Heiligsprechung in Rom. Und in der Tat, dabei mag es doch Unterschiede geben, was die finanzielle Prioritätensetzung anbelangt. Es wird sicherlich Bistümer geben, in denen man sagt, wir haben vorrangigere Aufgaben als die Finanzierung eines Seligsprechungsverfahrens jetzt in Rom.

Kassel: Sagt Professor Ralf Miggelbrink. Er ist der Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Universität Duisburg-Essen. Herr Miggelbrink, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
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