"Die Tiere sind noch im Garten Eden"

Moderation: Britta Bürger |
"Die Tiere sind in der Bibel omnipräsent", sagt der katholische Priester und Biologe Rainer Hagencord. Doch im theologischen Diskurs stehe oft nur der Mensch im Mittelpunkt. Um das zu ändern, hat Hagencord ein Institut für Theologische Zoologie in Münster gegründet. Tier würden unmittelbar von Gott bewegt, so Hagencord.
Britta Bürger: Begleitet von Hund, Schafen, Ochs und Esel ziehen sie gen Jerusalem: die Heiligen Drei Könige Kaspar, Melchior und Balthasar. Und auch im Stall von Bethlehem sind Mensch und Tier friedlich vereint. Dagegen spielen die Tiere in der heutigen Theologie kaum eine Rolle. Woran liegt das? Und wie sollten sich Christen gegenüber Tieren verhalten? Mit diesen Fragen befasst sich der katholische Priester und Biologe Rainer Hagencord an seinem neu gegründeten Institut für Theologische Zoologie in Münster. Schönen guten Morgen, Herr Hagencord!

Rainer Hagencord: Guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Gibt es ein Tier, zu dem Sie eine besonders tiefe Beziehung haben?

Hagencord: Es ist tatsächlich der Esel, und ein Punkt ist, dass meine besten Freunde Esel haben und zwei Muttertiere, die seit dem letzten Sommer auch zwei Junge haben und ich somit die Gelegenheit habe, immer wieder mit diesen prachtvollen Persönlichkeiten in Kontakt zu treten, und auch der Esel beziehungsweise eine Eselin in einer für mich wichtigen Geschichte im Ersten Testament eine große Rolle spielt, sodass der Esel tatsächlich für mich im Moment das Tier ist.

Bürger: Welche Bibelstelle ist das?

Hagencord: Es ist im Buch Numeri oder viertes Buch Mose die Geschichte von Biliam und seiner Eselin, eine wunderbare Legende, die erzählt, wie Biliam, ein Prophet, sich auf den Weg macht, um das Volk Israel zu verfluchen. Es stellt sich ein Engel in den Weg, und dieser Engel wird tatsächlich vom Esel gesehen und nicht vom Propheten. Der Prophet schlägt seine Eselin, weil sie immer wieder ausweicht vor diesem Engel, und am Ende heißt es: "Der Herr öffnete der Eselin den Mund und sie sagt: Warum schlägst du mich, bin ich nicht zeitlebens dir ein treuer Esel gewesen? Und Biliam sagt: Du bist störrisch, wenn du jetzt noch mal widerspenstig gewesen wärest, hätte ich dich erschlagen". Und dann, heißt es, öffnet der Herr dem Biliam die Augen, er sieht den Engel und dieser sagt dann: Wenn du weitergeritten wärest, hätte ich dich erschlagen, aber die Eselin am Leben gelassen. Und dann kommt es nicht zum Fluch über das Volk Israel, sondern zu einem Segensspruch. Und von daher ist diese Geschichte für mich eine der kostbarsten im Ersten Testament.

Bürger: Die Tiere, in diesem Fall der Esel, als das weisere Wesen?

Hagencord: Ja, weise ist ein Wort, also Biliam hätte sich auf diesen Esel, auf diese Eselin verlassen können. Insofern, das ist auch eine Spur in dieser Geschichte, traut Israel den Tieren eine Weisheit zu. Der Clou, finde ich, ist allerdings Folgendes: Der Biliam, der Prophet, der ja – etwas flapsig gesagt – dafür bezahlt wird, dass er die Gegenwart Gottes entdeckt, ist blind für den Engel, aber die Eselin sieht ihn. Und Clou deswegen, weil dem Tier hier auch so etwas wie eine Gottunmittelbarkeit noch zugesprochen wird.

Das Tier, so sagt das auch Thomas von Aquin an einer Stelle mal, wird noch unmittelbar von Gott bewegt. Der Mensch kann sich gegen diese Bewegtheit entscheiden, hat die Freiheit, das Tier aber nicht. Es wird immer unmittelbar von Gott bewegt, und deswegen ist es für einen Esel dann schon fast selbstverständlich, auch einen Engel zu sehen.

Bürger: Adam und Eva wurden aus dem Paradies vertrieben, was ist aber mit den Tieren passiert, sind die dort geblieben?

Hagencord: Also die Bibel schweigt, sie redet nur von der Schlange, die muss auch raus. Und die Bibel sagt, sie sei einfach ein kluges oder das klügste Tier, über die anderen Mitgeschöpfe des Menschen gibt es keine Äußerungen, aber es ist also naheliegend anzunehmen, dass sie weiterhin dort sind. Und noch mal dieses Wort von Thomas von Aquin – die Tiere haben eine Gottunmittelbarkeit, die der Mensch verloren hat – ist wie eine Überschrift über dieses Thema. Die Tiere sind noch im Garten Eden, ja.

Bürger: Sie haben jetzt in Münster ein Institut für Theologische Zoologie gegründet, angesiedelt ist es an der Philosophisch-Technischen Hochschule. Was hat Sie persönlich dazu angetrieben? In einem Artikel war zu lesen, eine Sinnkrise.

Hagencord: Ja, also es sind verschiedene Spuren. Die eine Spur ist gelegt, als ich noch mal Biologie studieren konnte nach meiner Gemeindezeit. Ich habe vier Jahre als Kaplan gearbeitet und danach durfte ich noch mal auch auf Wunsch meines Bischofs Biologie und Philosophie studieren, und habe mich da vor allem auf die Verhaltensbiologie und auch die Evolutionsbiologie spezialisiert und war immer wieder auch sprachlos über das, was die modernen Wissenschaften sagen über Gefühlswelt, Kognition, Emotionalität, Kulturfähigkeit bei Tieren.

Wir sind im Darwin-Jahr – Darwin sagt, die Übergänge vom Tierreich zum Menschen hin sind fließend. Also das ist die eine Spur. Diese Entdeckung dieser faszinierenden Neuigkeiten und ein Schweigen eigentlich der Theologie über die Tiere, auch ein Nicht-Wahrhaben-Wollen, wie ich das manchmal entdecke, im Reden vom Menschen, diese Nähe zum Tier. Es wird oftmals eine Anthropologie mit dem Rücken zum Tier und zur Natur formuliert und nicht mit dem Gesicht zum Tier. Das ist die erste Spur.

Die zweite Spur entspringt im Grunde einer Empörung, denn viele Christen, Christinnen haben sich ja Thema Bewahrung der Schöpfung auf die Fahnen geschrieben, aber für viele endet das an der Fleischtheke. Für viele heißt Schöpfung offenbar Sonne, Mond und Sterne und im Moment auch das Klima, aber was da hinter der Fleischtheke liegt, was da gegessen wird, das spielt offenbar keine Rolle, und es wird oftmals problemlos auch Billigfleisch konsumiert, das halte ich für inakzeptabel.

Bürger: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem katholischen Priester und Biologen Rainer Hagencord, der in Münster ein Institut für theologische Zoologie gegründet hat. Herr Hagencord, Sie haben die Fleischtheke gerade genannt, essen Sie selbst Fleisch?

Hagencord: Ich esse ab und an gerne mal ein Stück Fleisch, ich kaufe das dann natürlich bei meinem Biometzger.

Bürger: Aber das ist ja ein Widerspruch.

Hagencord: Ich sehe darin keinen Widerspruch. Erstens bin ich, glaube ich, in der Tradition auch der biblischen Menschen, auch für Jesus war das Passahmahl mit dem Lamm eine Selbstverständlichkeit. Ich glaube, dass ich als Christ nicht zum Vegetarismus konvertieren muss, was allerdings notwendig ist, ist ein respektvoller Umgang mit Tieren und auch eine Ehrfurcht und eine Aufmerksamkeit, wenn ich dann das Fleisch kaufe. Und ich glaube schon, dass ich auch mit einer Dankbarkeit und Freude mich auch einem Stück Fleisch zuwenden darf.

Bürger: Dankbarkeit, da denkt man gleich an die Opfertiere.

Hagencord: Ja, da sprechen Sie ein wichtiges Feld an, denn die Tiere sind in der Bibel omnipräsent, kommen überall vor und zwar mit verschiedensten Zuordnungen. Wir sind ja gerade sehr steil eingestiegen, indem wir von ihrer Gottunmittelbarkeit gesprochen haben, die Tiere sind zudem gegenwärtig in einer agrarisch geprägten Kultur. Tatsächlich kann ein Israelit eine Israelitin nicht ohne Ochs, Esel, Schafe und so weiter auskommen.

Und der andere Punkt, den Sie ansprechen, das Tier repräsentiert auch vor Gott dessen Dankbarkeit. Das Tier wird geopfert, das Tier wird hingegeben, um so die Dankbarkeit des Menschen auszudrücken. Dieses Tieropfer wurde natürlich spätestens nach dem Auftritt Jesu von Nazareth dann überfällig.

Bürger: Würden Sie so weit gehen, Herr Hagencord, und sagen, Tiere haben eine Seele?

Hagencord: Also ein biblischer Autor könnte die Frage nicht verstehen, denn der Satz, Tiere haben eine Seele und der Mensch womöglich nicht oder der Mensch hat eine, ist fremd. Der Begriff Seele ist in der Bibel ein Begriff, der Mensch und Tier zukommt, und zwar sagt die Bibel, Mensch und Tier sind lebendige Seele, sie kommen beide aus der Schöpferhand Gottes und beiden kommt diese Geheimnishaftigkeit zu. Also, dass ein Tier oder ein Mensch eine Seele hat, diese Formulierung, kommt aus der griechischen Philosophie, wurde dann später natürlich durch Descartes und die anderen Denker aufgenommen.

Und manche sagen Seele auch in heutigen Diskursen und meinen damit so etwas wie Bewusstsein, Erinnerungsfähigkeit, Persönlichkeit. Und wenn ich da hinschaue als Biologe, dann muss ich deutlich sagen, dass natürlich Primaten, Delfine, Elefanten über solche auch Bewusstseinsfähigkeiten verfügen, also von daher beseelt sind, wenn man da überhaupt diesen Begriff einführen darf. Das sieht bei einer Qualle oder einem Lurch dann anders aus.

Bürger: Laufen Sie nicht Gefahr, in die Nähe von Bewegungen wie den Kreationisten gerückt zu werden, die die Schöpfungsgeschichte also wörtlich nehmen und die Theorie der Evolution ablehnen?

Hagencord: Also ich glaube nicht.

Bürger: Sie glauben nicht.

Hagencord: Na ja, weil ... Ob man mich in eine solche Nähe rückt, da kann ich ja erst mal nichts dafür. Ich sage das deswegen, weil ich mich bemühe, einerseits biblisch zu arbeiten, exegetische Kenntnisse, bibelkritische Methoden anzuwenden, um diese Texte auch wissenschaftlich einzuordnen und zu deuten.

Zweitens suche ich nach theologischen Argumentationsfiguren, die jetzt über die biblischen Geschichten hinausweisen, und bin einerseits bei Thomas von Aquin fündig geworden, den ich eben schon zitiert habe, andererseits bei Nikolaus von Kues, dem großen Cusaner, und damit liegen im Grunde zwei, wie ich finde, sehr stabile theologische Denkfiguren bereit, auf die ich auch eine theologisch fundierte Argumentation aufsetzen kann und dann Lichtjahre weg bin von einem platten Fundamentalismus.

Bürger: Der katholische Priester und Biologe Rainer Hagencord plädiert für mehr Ehrfurcht vor den Tieren. In Münster hat er das Institut für Theologische Zoologie gegründet. Herr Hagencord, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Hagencord: Gerne, Frau Bürger, danke auch!