Die Tücken der Ökobilanz
Regional soll die Küche sein, so fordern es Verbraucherschützer, Ernährungsberater und sogar kirchliche Organisationen. Denn regionale Produktion bedeutet kürzere Wege, und daraus folgt eine bessere Ökobilanz. Klingt logisch – aber Zweifel an dieser Logik sind angebracht.
Früher mussten die Kinder aufessen, damit am nächsten Tag die Sonne durchs Fenster schien, heute geht's nicht mehr ums Wetter, heute entscheidet bereits die Wahl des Nachtischs über das Klima der Welt. Und da gilt der Einkauf regionaler Produkte als ein Königsweg in eine bessere Zukunft. Verbraucherzentralen und Umweltorganisationen aber auch Behörden und religiöse Grüppchen reden der Kundschaft kräftig ins Gewissen.
Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Verbraucherschützer beklagen, dass die meisten als regional beworbenen Lebensmittel gar nicht aus der Region kommen. "Öko-Test" spricht gar von einem "großen Schwindel", die Verbraucherzentralen kritisieren vor allem die staatlichen Herkunftszeichen, die Regionalität nur vortäuschen würden. Dies nahm Bundesverbraucherministerin Aigner zum Anlass, ein "Regionalsiegel" anzukündigen. Wichtigstes Kriterium sind kurze Wege. Klingt gut!
Also wenn die Hessen Geflügel mästen, gilt das Hähnchen dort als regional – aber spart das wirklich weite Wege? Ist es tatsächlich ökologischer als brasilianische Importhähnchen? Bedenken Sie bitte: Um ein Kilo Huhn zu erzeugen braucht man 1,6 Kilo Futter. Da unsere Produktion an Futter nicht ausreicht, importieren wir aus Brasilien Futtermittel. Wäre es da wegen des geringeren Transportvolumens nicht ökologischer, statt Soja gleich die fertigen Hähnchenkeulen zu importieren?
Bayerns Bauern produzieren reichlich Milch – weil man im Voralpenland nun mal kein Weizen anbauen kann. Aus der vielen Milch machen die Bayern Käse und exportieren ihn für gutes Geld. Damit kaufen sie beispielsweise bei den Nordlichtern Fisch, damit die ihre Heringe nicht allein aufessen müssen – wegen der Regionalität. Ja es gibt sogar ein norddeutsches Herkunftssiegel für "mediterrane Heringe" – ich vermute mal, die Fische gingen vor Spitzbergen ins Netz. Dass Seefisch meistenteils irgendwo weit draußen auf hoher See gefangen wird und damit zu den weit gereisten Produkten überhaupt gehört, stört niemanden. Hauptsache regional, gefühlte Regionalität.
Dennoch hat die Überlegung, zumindest dann regional einzukaufen, wenn sich dieses anbietet, durchaus ihren Charme. Ist es wirklich nötig, ins milchüberschüssige Voralpenland noch extra Milchprodukte aus anderen Regionen zu karren? Doch Vorsicht: Wer hier mit Nein antwortet, der sollte konsequenterweise auch auf holländischen Gouda, französischen Camembert oder schweizer Emmentaler verzichten. Wer konsequent regional lebt, der greift statt zu griechischem Feta oder italienischem Mozzarella lieber zu deutschem Analogkäse aus einer regionalen "Analog-Molkerei".
Die gefühlte Ökobilanz hat rein gar nichts mit der realen gemein: An der Universität Gießen haben Experten ausgerechnet, dass nicht die Entfernung, sondern die Auslastung über die Ökobilanz entscheidet – und da schneiden regionale Anbieter mit ihren kleinen Mengen trotz kürzerer Wege schlechter ab als Großbetriebe und der internationale Handel. Regional vermarktetes Lammfleisch – das ist eines der Beispiele für die die Gießener Modellrechnungen durchgeführt haben – regional vermarktetes Lammfleisch schneidet deshalb unter Umständen schlechter ab als Importe aus Neuseeland. Die Ökobilanz ist ein Instrument, mit der die Ökoszene ihre Kinder frisst.
Regionale Kost bedeutet in erster Linie Butter statt Olivenöl, Bratkartoffeln mit Speck statt Spaghetti mit Tomatensoße, Leberwurstbemme mit Senf statt Rucola an Balsamico. Doch zum Glück sind wir nicht mehr auf eine regionale Lebensmittelversorgung angewiesen. Wer die Küchen ferner Länder kosten will, muss nicht unbedingt zur Grünen Woche nach Berlin fahren, der braucht auch nicht in den Flieger zu steigen, sondern findet recht schnell ein passendes Restaurant vor Ort.
Was jedoch schützenswert wäre, das sind verbindliche Rezepturen für regionale Spezialitäten. Damit wir vor lauter Begeisterung für die internationale Multikultiküche die eigene Esskultur nicht verlieren - und unsere regionalen Produkte auch weltweit verkaufen können. Mahlzeit!
Literatur:
Verbraucherzentrale Hessen: Klare Regeln für regionale Lebensmittel. Pressemitteilung 107/2010
Ökotest: Regionale Lebensmittel: Der Große Schwindel. Öko-Test 2001; September, S.14-30
Schilch E, Fleissner U: Comparison of regional energy turnover with global food. International Journal of Life Cycle Assessment 2005; 8: 252
Sim S et al: The relative importance of transport in determining an appropriate sustainability strategy for food sourcing. International Journal of Life Cycle Assessment 2007; 12: 422-431
Weik N: Trend: Regionale Produkte. Verbraucher Konkret 2011; H.4: 4-7
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Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Verbraucherschützer beklagen, dass die meisten als regional beworbenen Lebensmittel gar nicht aus der Region kommen. "Öko-Test" spricht gar von einem "großen Schwindel", die Verbraucherzentralen kritisieren vor allem die staatlichen Herkunftszeichen, die Regionalität nur vortäuschen würden. Dies nahm Bundesverbraucherministerin Aigner zum Anlass, ein "Regionalsiegel" anzukündigen. Wichtigstes Kriterium sind kurze Wege. Klingt gut!
Also wenn die Hessen Geflügel mästen, gilt das Hähnchen dort als regional – aber spart das wirklich weite Wege? Ist es tatsächlich ökologischer als brasilianische Importhähnchen? Bedenken Sie bitte: Um ein Kilo Huhn zu erzeugen braucht man 1,6 Kilo Futter. Da unsere Produktion an Futter nicht ausreicht, importieren wir aus Brasilien Futtermittel. Wäre es da wegen des geringeren Transportvolumens nicht ökologischer, statt Soja gleich die fertigen Hähnchenkeulen zu importieren?
Bayerns Bauern produzieren reichlich Milch – weil man im Voralpenland nun mal kein Weizen anbauen kann. Aus der vielen Milch machen die Bayern Käse und exportieren ihn für gutes Geld. Damit kaufen sie beispielsweise bei den Nordlichtern Fisch, damit die ihre Heringe nicht allein aufessen müssen – wegen der Regionalität. Ja es gibt sogar ein norddeutsches Herkunftssiegel für "mediterrane Heringe" – ich vermute mal, die Fische gingen vor Spitzbergen ins Netz. Dass Seefisch meistenteils irgendwo weit draußen auf hoher See gefangen wird und damit zu den weit gereisten Produkten überhaupt gehört, stört niemanden. Hauptsache regional, gefühlte Regionalität.
Dennoch hat die Überlegung, zumindest dann regional einzukaufen, wenn sich dieses anbietet, durchaus ihren Charme. Ist es wirklich nötig, ins milchüberschüssige Voralpenland noch extra Milchprodukte aus anderen Regionen zu karren? Doch Vorsicht: Wer hier mit Nein antwortet, der sollte konsequenterweise auch auf holländischen Gouda, französischen Camembert oder schweizer Emmentaler verzichten. Wer konsequent regional lebt, der greift statt zu griechischem Feta oder italienischem Mozzarella lieber zu deutschem Analogkäse aus einer regionalen "Analog-Molkerei".
Die gefühlte Ökobilanz hat rein gar nichts mit der realen gemein: An der Universität Gießen haben Experten ausgerechnet, dass nicht die Entfernung, sondern die Auslastung über die Ökobilanz entscheidet – und da schneiden regionale Anbieter mit ihren kleinen Mengen trotz kürzerer Wege schlechter ab als Großbetriebe und der internationale Handel. Regional vermarktetes Lammfleisch – das ist eines der Beispiele für die die Gießener Modellrechnungen durchgeführt haben – regional vermarktetes Lammfleisch schneidet deshalb unter Umständen schlechter ab als Importe aus Neuseeland. Die Ökobilanz ist ein Instrument, mit der die Ökoszene ihre Kinder frisst.
Regionale Kost bedeutet in erster Linie Butter statt Olivenöl, Bratkartoffeln mit Speck statt Spaghetti mit Tomatensoße, Leberwurstbemme mit Senf statt Rucola an Balsamico. Doch zum Glück sind wir nicht mehr auf eine regionale Lebensmittelversorgung angewiesen. Wer die Küchen ferner Länder kosten will, muss nicht unbedingt zur Grünen Woche nach Berlin fahren, der braucht auch nicht in den Flieger zu steigen, sondern findet recht schnell ein passendes Restaurant vor Ort.
Was jedoch schützenswert wäre, das sind verbindliche Rezepturen für regionale Spezialitäten. Damit wir vor lauter Begeisterung für die internationale Multikultiküche die eigene Esskultur nicht verlieren - und unsere regionalen Produkte auch weltweit verkaufen können. Mahlzeit!
Literatur:
Verbraucherzentrale Hessen: Klare Regeln für regionale Lebensmittel. Pressemitteilung 107/2010
Ökotest: Regionale Lebensmittel: Der Große Schwindel. Öko-Test 2001; September, S.14-30
Schilch E, Fleissner U: Comparison of regional energy turnover with global food. International Journal of Life Cycle Assessment 2005; 8: 252
Sim S et al: The relative importance of transport in determining an appropriate sustainability strategy for food sourcing. International Journal of Life Cycle Assessment 2007; 12: 422-431
Weik N: Trend: Regionale Produkte. Verbraucher Konkret 2011; H.4: 4-7
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