Die türkische Autorin Asli Erdogan

"Im Gefängnis gehört einem weder Raum noch Zeit"

Die türkische Journalistin Asli Erdogan kurz nach ihrer Haftentlassung.
Die türkische Journalistin Asli Erdogan kurz nach ihrer Haftentlassung. © imago / depo photos
Von Christian Buttkereit |
Gut drei Monate war die Schriftstellerin Asli Erdogan in der Türkei in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. Die 49-Jährige hat die Vorwürfe als absurd zurückgewiesen. Nun wartet sie auf ihren Prozess.
Wir treffen Asli Erdogan im siebten Stock eines modernen Verlagshauses. Sie begrüßt uns mit einem verhaltenen Lächeln, ein Verlagsmitarbeiter bringt Kaffee und Tee. Asli Erdogan zündet sich eine Zigarette an. Das Rauchen sei der einzige Luxus im Gefängnis gewesen – zumindest fast.

"Einmal sah ich einen Regenbogen"

"Im Gefängnis blickt man, wenn man aus dem Fenster schaut, auf die Wand und die vergitterten Fenster des gegenüberliegenden Trakts. Dazwischen ein kleiner Innenhof", beschreibt sie. "Schaut man nach oben, sieht man durch das Drahtdach des Innenhofs circa 50 Quadratmeter Himmel." Im Herbst könne man die Vögelschwärme beobachten. "Manchmal haben wir auch den Vollmond gesehen. Und einmal sah ich einen Regenbogen."
Kalt sei es im Frauengefängnis in Istanbul-Bakirköy gewesen, kaum wärmer als draußen. Die Kälte habe sie als das größte Problem empfunden, sagt die chronisch kranke Autorin. Und die Ungewissheit darüber, wann sie wieder frei kommt und ob überhaupt: Ein Mensch könne alles aushalten, meint sie, sofern er wisse, wann es anfängt und wann es aufhört. "Sogar Folter und Misshandlung kann man dann aushalten - wenn man beispielsweise weiß: In drei Monaten ist alles vorbei." - Aber keine Antwort zu wissen, auf die Frage, ob man schon morgen herauskommt, oder nie wieder: "Das ist schrecklich."

"In der Haftanstalt war mir sogar das Essen fremd"

Als Autorin zahlreicher Romane und Erzählungen pflegt sie die Schrift als stärkstes Ausdrucksmittel. Doch Asli Erdogan hat in gut hundert Tagen Haft nicht eine Seite geschrieben. Die Gründe für ihr Verstummen waren so banal wie wirksam: "Um schreiben zu können braucht man - wie Virgina Woolf schon sagte - ein eigenes kleines Zimmer." Im Gefängnis gehöre einem weder der Raum noch die Zeit. "Man ließt zum Beispiel ein Buch und boom... plötzlich kommt eine Aufseherin rein, oder man wird zum Anwaltsgespräch gerufen." Der Tag werde ständig unterbrochen. "Die Zeit gehört dir nicht, der Raum gehört dir nicht. Hinzu kommen die Umstände: eine Zehn-Quadratmeter-Zelle, für zwei Personen." An diese Umstände könne man sich zwar gewöhnen. "Aber, in der Haftanstalt war mir sogar das Essen fremd. Unter diesen Bedingungen hat meine Beziehung zu den Worten ein bisschen gelitten."
Vielleicht, sagt Asli Erdogan, werde sie das Trauma der Untersuchungshaft eines Tages literarisch aufarbeiten. Vielleicht aber auch nicht. Sicher scheint in ihrem Leben im Moment nur eines: Am 14. März wird der Prozess gegen sie fortgesetzt. Die Vorwürfe lauten: Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer terroristischen Terrororganisation, versuchter Umsturz der staatlichen Ordnung. Wer Asli Erdogan erlebt, traut ihr nichts von alledem zu. Trotzdem droht der studierten Physikerin lebenslange Haft. "Es kann durchaus zu einer Verurteilung kommen - vielleicht keine allzu große Haftstrafe", meint sie. "Ich kenne das System mittlerweile, mehr oder weniger kenne ich es. Aber so schnell wird das nicht sein. Der Prozess wird wahrscheinlich noch mindestens ein Jahr oder so dauern."

Wie im Fegefeuer geschrieben

Dabei wirkt Asli Erdogan schon heute müde und erschöpft. Die kalten Nächte im Gefängnis haben an ihrem Körper gezehrt. Und wie kommt ihre Seele im Raum zwischen Untersuchungshaft und Ungewissheit zurecht? - "Ein Journalist hat mich mal als Autorin im Fegefeuer bezeichnet. Das ist eigentlich ein typisches Merkmal meiner Literatur - meine Werke wirken wie im Fegefeuer geschrieben... Und die Grenzen zwischen beiden Seiten - nicht zwischen Himmel und Hölle, eher zwischen dem Nichts und der Zeit - sind klar und scharf gezogen. Eigentlich ist dieser Zustand also für mich nichts Neues."
Auch wenn der Zustand vertraut ist. Asli Erdogan würde ihn gerne wieder auf die Literatur beschränken. Aber ob das in der Türkei möglich ist? Wahrscheinlich werde sie am Ende doch das Land verlassen müssen, glaubt sie. "Und das wird nicht meine, sondern vielmehr die Entscheidung des Staates sein. Ich glaube nicht, dass dieses Land mich weiterhin hier leben lassen möchte." (lk)
Mehr zum Thema