"80 Prozent unserer Songs stehen auf dem Index"
Seit 20 Jahren gehören Baba Zula zu den wichtigsten Rockbands der Türkei. In Deutschland kennt man sie durch Fatih Akins "Crossing the Bridge". Weil ihr Jubiläumsalbum zum 20. Geburtstag in der Türkei nicht erscheinen durfte, veröffentlicht nun ein deutsches Label die Platte.
Murat Ertel: "Wir kommen von der türkischen 'Psychedelic Music' der 60er-Jahre. Trotzdem stehen bei uns nicht E-Gitarren oder Keyboards im Mittelpunkt, sondern eher traditionelle Instrumente: Die Saz und die Darbouka zum Beispiel, das ist die Bechertrommel, die wir genauso verwenden wie viele andere Schlaginstrumente aus der türkischen Folklore. Damit spielen wir aber nicht irgendwelche Volkslieder. Das überlassen wir den traditionellen Meistern. Die können das sowieso viel besser. Wir haben einfach über die Jahre unseren ganz eigenen Sound gefunden, den Oriental Dub, mit eigenen Stücken – und dadurch, dass wir aus Istanbul kommen, spielen natürlich auch westliche Einflüsse eine Rolle."
Olga Hochweis: Bei mir im Studio ist mein Kollege Carsten Beyer, der sich dieses Album für uns angehört hat und der auch mit Murat Ertel gesprochen, dem Sänger und Kopf der Band. Carsten, wenn eine türkische Band heutzutage ein Stück veröffentlicht, das "der freie Geist" heißt, dann wird man automatisch hellhörig. Sind sie das denn, Freie Geister?
Carsten Beyer: Ja, ich finde diese Bezeichnung passt sehr gut zu Baba Zula – und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen war diese Band schon immer musikalisch sehr frei. Wir haben ja gerade schon gehört, wie sie ihren Sound aus sehr unterschiedlichsten Komponenten entwickelt haben, aus dem Psychedelic Rock der 60er-Jahre, aus der türkischen Folklore und dem jamaikanischen Dubreggae. Mitte der 90er-Jahre, als Baba Zula anfingen, da gab es eine solche Musik in der Türkei noch gar nicht: Da stand vor allem gefühlvolle Schlagermusik hoch im Kurs oder Disco-Pop a la Tarkan.
Also, da haben sie ganz neue Wege eingeschlagen, aber freie Geister sind Baba Zula auch, was ihre Texte angeht: Sie sind zwar keine explizit politische Band, aber sie nehmen auch kein Blatt vor den Mund. In dem Song "Özgur Ruh", den wir gerade gehört haben, da geht es beispielsweise darum, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Zeiten die eigene Meinung zu bewahren und nicht der Masse hinterher zu rennen. Oder es gibt ein anderes Stück "Efkarli Yaprak", das besorgte Blatt, das hat Murat Ertel für all die Journalisten geschrieben, die in den letzten Jahren vom türkischen Regime verfolgt und zum Teil ja auch eingesperrt wurden.
Hochweis: Darf man denn solche Songs in der Türkei einfach so veröffentlichen?
Beyer: Nein, das darf man nicht. Tatsächlich sind in den letzten Jahren immer wieder Stücke von Baba Zula verboten worden, sehr viele sogar. Auch dieses Jubiläums-Album "Baba Zula XX" durfte in der Türkei nicht erscheinen, da hat man sich allerdings vor allem am Cover gestört. Vorne drauf ist nämlich eine nackte Frau, die ihre Brustwarzen mit zwei X-en überklebt. XX, das steht für 20, das steht aber auch als Protest gegen die Zensur. Ich habe vor kurzem mit Murat Ertel in Istanbul gesprochen und da hat er mir geschildert, wie ernst die Situation für die Musiker in der Türkei geworden ist.
Ertel: "In Ankara dürfen in den nächsten Monaten keine Protest-Veranstaltungen stattfinden, keine Versammlungen und keine Konzerte – und das Gleiche kann auch in Istanbul schnell passieren. Außerdem stehen 80 Prozent unserer Songs auf dem Index der staatlichen Medien. Auch im Privatradio gibt es schwarze Listen, welche Bands gespielt werden dürfen und welche nicht – und da sind wir leider immer ganz vorne mit dabei. Trotzdem geht es uns nicht so schlecht wie anderen Bands. Die Politrocker von Grup Yourum beispielsweise. Bei denen sitzen bereits viele Mitglieder im Gefängnis und die Anderen werden immer wieder von der Polizei schikaniert. Beamte durchsuchen den Probenraum der Band und nehmen Fingerabdrücke an den Instrumenten, um zu sehen, wer dort gespielt hat, oder machen sie gleich ganz kaputt. Also im Vergleich dazu haben wir es regelrecht einfach."
Hochweis: Das sagt Murat Ertel, Sänger und Sazspieler der Gruppe Baba Zula. Carsten Beyer, sie haben mit ihm gesprochen. Wie kam es denn überhaupt dazu, dass das neue Album erscheinen konnte, wenn es in der Türkei verboten ist?
Beyer: Da ist ein deutsches Label eingesprungen, glitterbeat, die haben in letzter Zeit schon ein paar andere türkische Musiker veröffentlicht, denn die alternative Szene vor allem in Istanbul ist sehr interessant und sehr lebendig, trotz aller Schikanen. Glitterbeat hatte dann auch die Idee, aus diesem Jubiläumsalbum gleich ein Doppel-Album zu machen. Das heißt, auf der einen CD sind die größten Hits von Baba Zula aus den letzten 20 Jahren drauf, zum Teil in Neuaufnahmen, zum Teil auch in Live-Versionen. Das ist gewissermaßen zum Kennenlernen für diejenigen, die die Band noch nicht kennen. Und die zweite CD, das ist ein reines Dub-Album, da haben Freund und Weggefährten der Band alte Baba Zula- Songs ge-remixed, da findet man dann solche Namen wie Mad Professor, Dirtmusic oder Dr. Das von der Asian Dub Foundation.
Hochweis: Ab morgen ist diese CD also – zumindest außerhalb der Türkei – zu kaufen und Baba Zula kommen pünktlich zur Veröffentlichung auch auf eine ausgedehnte Deutschlandtournee. Bringen sich die Musiker denn nicht in Gefahr, wenn sie so offen gegen die Interessen der Regierung in Ankara verstoßen?
Beyer: Tja, diese Frage habe ich mir auch gestellt. Ich war mir ehrlich gesagt zunächst auch gar nicht sicher, ob ich das überhaupt veröffentlichen soll, was Murat Ertel mir erzählt hat, um ihn selbst zu schützen. Aber er hat mir ausdrücklich gesagt, dass es für die Musiker in der Türkei ganz wichtig ist, dass sie Farbe bekennen, dass ihre Stimmen auch im Ausland gehört werden, wenn so fühlen sie sich am ehesten geschützt.
Ertel: "Ich mag Künstler, die nicht aufgeben, denn schließlich ist die Kunst eine Form des Überlebens. Wir brauchen sie, um unsere Wunden zu heilen. Wir wollen den Menschen mit unserer Musik Hoffnung machen und ihnen die Kraft geben, zu widerstehen. Dabei spielen auch die ausländischen Medien eine Rolle, denn es hilft uns, wenn andere über unser Schicksal Bescheid wissen. Bitte denken sie nicht, dass das nichts bringt! Wir haben viele Freunde in der ganzen Welt. Dadurch fühlen wir uns nicht so allein."