Yevgenia Belorusets: "Glückliche Fälle"
Matthes und Seitz Berlin, 2019
154 Seiten, 20 Euro
Kleine Alltagswelten inmitten des Krieges
05:02 Minuten
In Fotos und Kurzgeschichten hält die ukrainische Künstlerin Yevgenia Belorusets Alltägliches inmitten des Krieges fest. Persönliche kleine Welten, die der Krieg zu zerstören droht.
Berlin-Kreuzberg: Yevgenia Belorusets irrt durch Hinterhöfe aus Backstein. Sie trägt einen grauen Mantel, hat grüne Augen. Erste silbrige Strähnen schimmern durch ihr gelocktes Haar. Unter ihrem Arm trägt die Ukrainerin, einen großen Packen Bilder, hält sie fest.
Im Künstlerhaus Bethanien sind die meisten Wände noch leer. Es wird gebohrt, Videos werden installiert. In drei Tagen ist Eröffnung.
Im Künstlerhaus Bethanien sind die meisten Wände noch leer. Es wird gebohrt, Videos werden installiert. In drei Tagen ist Eröffnung.
Yevgenia Belorusets stellt hier ihre jüngste Fotoserie aus. In der Hauptrolle: eine ukrainische Romnia. Und in der Nebenrolle wie immer: der Krieg in der Ost-Ukraine. "Es ist typisch für mich, für meine Arbeit in letzter Zeit, weil: Der Krieg beunruhigt mich sehr. Der Krieg wird zu einem Punkt. Ich kann ihm nicht entkommen."
Fotografin, Journalistin, Schriftstellerin
Dabei wollte Yevgenia Belorusets ursprünglich nur die Geschichte der ukrainischen Roma und Sinti erzählen. Ihre jahrelange Unterdrückung, die auch ihre eigene Geschichte ist. Denn Belorusets Eltern waren Juden – und Dissidenten im sowjetischen Regime. "Das spüre ich eigentlich als eine persönliche Attacke und beginne nervös darüber nachzudenken, was ich eigentlich sagen kann, ob ich selber sprechen darf und wenn ja, dann wie."
Das Wie ist bei Belorusets Vieles. Begonnen hat die Ukrainerin mit der Fotografie. Danach schrieb sie für ukrainische Zeitungen und gerade ist ihr erstes Buch erschienen: "Glückliche Fälle". "Es sind Texte und Geschichten, die man in keiner Fotoreihe, in keiner rein dokumentarischen Form fassen kann."
Das Wie ist bei Belorusets Vieles. Begonnen hat die Ukrainerin mit der Fotografie. Danach schrieb sie für ukrainische Zeitungen und gerade ist ihr erstes Buch erschienen: "Glückliche Fälle". "Es sind Texte und Geschichten, die man in keiner Fotoreihe, in keiner rein dokumentarischen Form fassen kann."
Eine Kurzgeschichte darin beschreibt die Verhaftung einer jungen Frau in der Ostukraine. Es ist Juli 2014 in Slowjansk:
"Ich fahr nicht mit, schreit sie plötzlich, lauter als die Huptöne. Ich bleibe hier. Ich hab es mir anders überlegt. Plötzlich sprangen zwei Breitschultrige Männer aus einem Auto. Blitzartig standen sie neben ihr und schon eine Minute später war sie hinter einer geschlossenen Autotür verschwunden. Ich verbot es mir, irgendetwas zu begreifen oder zu denken."
Genau wie in ihrer Fotoserie spielt auch in ihrem Buch der Krieg nur die Nebenrolle. Er ist das Grundrauschen, das den Alltag durchsetzt. "Das Schreckliche am Krieg ist, dass der Krieg Realitäten von Menschen vernichtet. Kleine persönliche Welten, die aufgebaut werden, die zerfallen. Der Mensch bleibt vielleicht am Leben, er fängt ein neues Leben an. Aber seine eigene Welt, seine Umgebung, seine Freunde, seine Art zu sprechen – das alles verschwindet plötzlich."
Genau wie in ihrer Fotoserie spielt auch in ihrem Buch der Krieg nur die Nebenrolle. Er ist das Grundrauschen, das den Alltag durchsetzt. "Das Schreckliche am Krieg ist, dass der Krieg Realitäten von Menschen vernichtet. Kleine persönliche Welten, die aufgebaut werden, die zerfallen. Der Mensch bleibt vielleicht am Leben, er fängt ein neues Leben an. Aber seine eigene Welt, seine Umgebung, seine Freunde, seine Art zu sprechen – das alles verschwindet plötzlich."
Der Krieg - das war Vergangenheit
Als 2014 der Krieg in die Ukraine kommt, sitzt Yevgenia Belorusets zu Hause in Berlin-Mitte. Sie saugt die Nachrichten auf und kann es doch kaum fassen. "Ich bin aufgewachsen mit der Idee, dass ich persönlich den Krieg nie erleben werde, als etwas, das mit meiner Gesellschaft und Gemeinschaft zu tun hat. Krieg war immer Vergangenheit meiner Großoma, war immer der Zweite Weltkrieg."
Als Rechtsradikale vor dem Ausbruch des Krieges eine ihrer Ausstellungen stürmten und ihre Arbeiten zerstörten, zog Belorusets nach Berlin. "Man wird so reingezogen in die Realität – so stark, dass man nur auf einer der Seiten sein kann und nicht wirklich genug Distanz, innere Distanz haben kann, um wirklich mehr zu sehen und reden zu können. Dann verstand ich: Ich brauche eine Distanz, um weiterarbeiten zu können."
Als Rechtsradikale vor dem Ausbruch des Krieges eine ihrer Ausstellungen stürmten und ihre Arbeiten zerstörten, zog Belorusets nach Berlin. "Man wird so reingezogen in die Realität – so stark, dass man nur auf einer der Seiten sein kann und nicht wirklich genug Distanz, innere Distanz haben kann, um wirklich mehr zu sehen und reden zu können. Dann verstand ich: Ich brauche eine Distanz, um weiterarbeiten zu können."
Belorusets lebt heute in der Ukraine und in Berlin. Hier arbeitet sie, reflektiert, stellt aus. In der Ukraine sammelt die Künstlerin.
Immer sind es Geschichten vom Alltäglichen: Mal porträtiert sie die ukrainische Romnia, wie in ihrer jüngsten Fotoserie. Mal sind es Arbeiter im Bergwerk. Mal eine junge Frau, wie in der Kurzgeschichte in ihrem Buch. Sie alle spielen in der Ostukraine. Mal näher, mal etwas weiter weg von der Front.
"Der Krieg macht so viele in der ukrainischen Gesellschaft existierende Trauma oder Probleme noch sichtbarer – oder noch radikaler noch spürbarer."
Dabei würde Yevgenia Belorusets dem Krieg gerne entkommen in ihren Arbeiten. Ihm nicht zu viel Platz geben, ihn "überkommen", wie sie sagt. Doch der Krieg ist das Brennglas, unter dem Yevgenia Belorusets mit ihrer Kunst versucht festzuhalten, was im nächsten Moment schon vergangen sein könnte. Zerstört oder einfach nur verschwunden.