Die unbekannte Heimat
Der Held des Buches muss, um die Geschichte seiner Familie zu durchleuchten, sehr weit fahren: nach Laos. Entstanden ist ein Familienroman, der auch ein Nachwende-Roman ist. Ein weiteres Beispiel dafür, welche erstaunlichen Stoffe aus der DDR-Geschichte immer noch zu heben sind.
Muss einer erst nach Laos fahren, um aus möglichst großer Ferne die richtige Perspektive auf die DDR und die eigene Biografie zu gewinnen? Bei André Kubiczek ist das wohl der Fall, denn seine Mutter stammt von dort, wo er heute eine weitverzweigte, ihm kaum bekannte Verwandtschaft besitzt. Warum der Icherzähler seines autobiografischen Romans dorthin aufgebrochen ist, erschließt sich zunächst aber nicht.
Um endlich das Manuskript zu lesen, das die früh verstorbene Mutter ihm hinterließ, wäre die Reise nicht nötig gewesen, auch nicht, um E-Mails an alte Freunde und Bekannte zu verschicken und Geschichten aus der Kindheit und von der Militärzeit bei der NVA zu erinnern, deren Bezug zur Familiengeschichte erst nach und nach deutlich wird. Aber vielleicht kann der Erinnerungsprozess ja nur dort, in der Fremde, die zugleich die unbekannte Heimat ist, in Gang kommen.
Der Titel verrät es schon: "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" erzählt in vielen Rückblenden und Sprüngen quer durch die Zeiten, die Geschichte der Eltern und einer außerordentlichen Familie in der DDR. Es ist eine abenteuerliche Liebesgeschichte zwischen einem Arbeitersohn aus einem Harz-Städtchen und der Tochter des laotischen Außenministers, die 1961 in Moskau begann, wo die beiden sich als Studenten kennenlernten. Weil ihre Familie die Heirat mit einem Deutschen ablehnte, wurde sie kurzerhand entführt und begann in der kalten, wenig gastfreundlichen DDR ein neues Leben.
Zwei Söhne werden geboren, doch das Glück der jungen Familie währt nicht lange. Der jüngere Bruder überlebt einen Unfall nur mit geistigen Behinderungen und stirbt nach zahlreichen Operationen nach langer Leidenszeit. Bald erkrankt auch die Mutter an Krebs. Aber vielleicht - und das wäre ja seit Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T." ein bekanntes Motiv - erkrankt sie vielmehr an der Gesellschaft. Latentes Misstrauen und rassistische Vorbehalte der Nachbarn gehörten jedenfalls zu den ständigen Erfahrungen der deutsch-asiatischen Familie. Auch davon handelt dieser Roman.
Die eindrücklichsten Kapitel des Buches sind aber die, in denen Kubiczek von sich selbst erzählt: Von den Wochen bei den in ärmlichen Verhältnissen lebenden Großeltern in Thüringen, wo sich so etwas wie Glück einstellte, wenn er dabei half, die Kohle in den Keller zu schaufeln. Von der Armeezeit, die geprägt war von einem rothaarigen Zimmergenossen, genannt "Kupfer" - die interessanteste, zwiespältigste Figur. Von einer Reise nach Paris mit der Geliebten Katharina, bei der nicht nur die idealisierte Traumvorstellung der "Stadt der Liebe" abhandenkam, sondern auch die Liebe selbst.
Die Moskauer Liebesgeschichte der Eltern, die dem Sohn vom Vater in ein Aufnahmegerät diktiert wurde, bleibt dagegen seltsam entrückt, als habe der Autor sich nicht so recht getraut, sie sich zu eigen zu machen. Das gilt auch für die Laos-Reise, die Kubiczek erst ganz am Ende wieder aufnimmt, wohl eher aus Gründen erzählerischer Harmonie, denn aus innerer Notwendigkeit.
Manche Kapitel, wie etwa ein Abschnitt über Immobilienhaie in der Nachwendezeit und die sich verändernde Stadt Berlin sind mit viel Wut geschrieben, kommen aber nicht über die bekannten Klischees hinaus.
So wechseln Passagen von großer erzählerischer Kraft mit etwas langatmigen Abschweifungen, dichte Momentaufnahmen mit nur locker angeschlossenen Episoden. So sehr Kubiczek sich als Erzähler profiliert, fehlen seinem Roman eine überzeugende Form und eine entschlossene Durchführung.
Nach den Familienromanen von Eugen Ruge und Marion Brasch ist Kubiczeks Erinnerungsbuch aber dennoch ein weiteres Beispiel dafür, welche erstaunlichen Stoffe aus der DDR-Geschichte immer noch zu heben sind, wenn sie jenseits ideologischer Verengungen als Lebenswirklichkeit in den Blick gerät.
Besprochen von Jörg Magenau
André Kubiczek: Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn
Piper, München 2012
480 Seiten, 22,99 Euro
Links bei dradio.de:
Knochentrockener Realismus
André Kubiczek: "Kopf unter Wasser", Piper, München 2009, 240 Seiten
Um endlich das Manuskript zu lesen, das die früh verstorbene Mutter ihm hinterließ, wäre die Reise nicht nötig gewesen, auch nicht, um E-Mails an alte Freunde und Bekannte zu verschicken und Geschichten aus der Kindheit und von der Militärzeit bei der NVA zu erinnern, deren Bezug zur Familiengeschichte erst nach und nach deutlich wird. Aber vielleicht kann der Erinnerungsprozess ja nur dort, in der Fremde, die zugleich die unbekannte Heimat ist, in Gang kommen.
Der Titel verrät es schon: "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" erzählt in vielen Rückblenden und Sprüngen quer durch die Zeiten, die Geschichte der Eltern und einer außerordentlichen Familie in der DDR. Es ist eine abenteuerliche Liebesgeschichte zwischen einem Arbeitersohn aus einem Harz-Städtchen und der Tochter des laotischen Außenministers, die 1961 in Moskau begann, wo die beiden sich als Studenten kennenlernten. Weil ihre Familie die Heirat mit einem Deutschen ablehnte, wurde sie kurzerhand entführt und begann in der kalten, wenig gastfreundlichen DDR ein neues Leben.
Zwei Söhne werden geboren, doch das Glück der jungen Familie währt nicht lange. Der jüngere Bruder überlebt einen Unfall nur mit geistigen Behinderungen und stirbt nach zahlreichen Operationen nach langer Leidenszeit. Bald erkrankt auch die Mutter an Krebs. Aber vielleicht - und das wäre ja seit Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T." ein bekanntes Motiv - erkrankt sie vielmehr an der Gesellschaft. Latentes Misstrauen und rassistische Vorbehalte der Nachbarn gehörten jedenfalls zu den ständigen Erfahrungen der deutsch-asiatischen Familie. Auch davon handelt dieser Roman.
Die eindrücklichsten Kapitel des Buches sind aber die, in denen Kubiczek von sich selbst erzählt: Von den Wochen bei den in ärmlichen Verhältnissen lebenden Großeltern in Thüringen, wo sich so etwas wie Glück einstellte, wenn er dabei half, die Kohle in den Keller zu schaufeln. Von der Armeezeit, die geprägt war von einem rothaarigen Zimmergenossen, genannt "Kupfer" - die interessanteste, zwiespältigste Figur. Von einer Reise nach Paris mit der Geliebten Katharina, bei der nicht nur die idealisierte Traumvorstellung der "Stadt der Liebe" abhandenkam, sondern auch die Liebe selbst.
Die Moskauer Liebesgeschichte der Eltern, die dem Sohn vom Vater in ein Aufnahmegerät diktiert wurde, bleibt dagegen seltsam entrückt, als habe der Autor sich nicht so recht getraut, sie sich zu eigen zu machen. Das gilt auch für die Laos-Reise, die Kubiczek erst ganz am Ende wieder aufnimmt, wohl eher aus Gründen erzählerischer Harmonie, denn aus innerer Notwendigkeit.
Manche Kapitel, wie etwa ein Abschnitt über Immobilienhaie in der Nachwendezeit und die sich verändernde Stadt Berlin sind mit viel Wut geschrieben, kommen aber nicht über die bekannten Klischees hinaus.
So wechseln Passagen von großer erzählerischer Kraft mit etwas langatmigen Abschweifungen, dichte Momentaufnahmen mit nur locker angeschlossenen Episoden. So sehr Kubiczek sich als Erzähler profiliert, fehlen seinem Roman eine überzeugende Form und eine entschlossene Durchführung.
Nach den Familienromanen von Eugen Ruge und Marion Brasch ist Kubiczeks Erinnerungsbuch aber dennoch ein weiteres Beispiel dafür, welche erstaunlichen Stoffe aus der DDR-Geschichte immer noch zu heben sind, wenn sie jenseits ideologischer Verengungen als Lebenswirklichkeit in den Blick gerät.
Besprochen von Jörg Magenau
André Kubiczek: Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn
Piper, München 2012
480 Seiten, 22,99 Euro
Links bei dradio.de:
Knochentrockener Realismus
André Kubiczek: "Kopf unter Wasser", Piper, München 2009, 240 Seiten