Die unendliche Geschichte der heiligen Stadt
Bislang hat sich der Historiker und Autor Simon Sebag Montefiore vor allem mit Beschreibungen der russischen Geschichte einen Namen gemacht. Nun liefert er mit seinem neuesten Buch ein fulminant geschriebenes Stadtporträt von Jerusalem.
Simon Sebag Montefiore ist Autor einer Reihe historischer Bücher; viel Respekt hat er sich mit seiner Darstellung von Zarin Katharina der Großen und Fürst Potemkin - überhaupt mit Beschreibungen der russischen Geschichte - erworben. Trotzdem war es nicht überraschend, dass der englische Historiker, Jahrgang 1965, nun eine "Biografie" Jerusalems veröffentlicht, ja, dass er im Vorwort anmerkt, er habe den Eindruck, dass er sich sein "Leben lang darauf vorbereitet" habe. Montefiore stammt aus einer der angesehensten jüdischen Familien Londons. Einer seiner Vorfahren, Moses Montefiore, stiftete der Stadt Jerusalem die berühmte Windmühle. Alle Montefiores waren aktiv in die Geschicke der "Heiligen Stadt" verwickelt.
Diese Verbindung, die Montefiore klar, aber eher beiläufig benennt, macht den Historiker jedoch weder parteiisch noch unangenehm euphorisch. Im Gegenteil: Montefiore versucht, in seinem Werk allen Seiten der Stadtgeschichte gerecht zu werden. Dabei hilft ihm neben seiner unbestrittenen Sachkenntnis und der Fähigkeit, die Überfülle von Primär- und Sekundärquellen sinnvoll zu hierarchisieren und zu ordnen, auch seine stupende Fähigkeit zu erzählen. Das Buch ist, bei aller gedrängten Fülle des Materials, ein Lesegenuss.
In neun großen Kapiteln erzählt Montefiore die Geschichte Jerusalems von den davidischen Anfängen über Judentum, "Paganismus", Christentum und Islam, weiter zu den Mamelucken und Osmanen bis hin zum Imperialismus des 19. und dem Zionismus des 20. Jahrhunderts. Er verzichtet auf eine Fortführung nach 1967, weil dies, so meint der Autor ironisch, eine quasi-stündliche Aktualisierung nach sich ziehe. Gleichwohl hätte man sich von einem analytisch derart versierten Autor ein wenig mehr prognostische Entschiedenheit gewünscht: Wie könnte, wie sollte, wie darf die Geschichte Jerusalems im Weiteren gelesen werden?
In den vorliegenden Kapiteln allerdings gelingt Montefiore ein großes Kunststück: Er schildert die Geschichte Jerusalems (bescheiden als eine Geschichte von Familien, also Clans und Dynastien angekündigt) als eine Geschichte von politischen Notwendigkeiten. Er setzt Jerusalem, wo immer möglich, in einen größeren historischen Zusammenhang, schildert Geschichte als Religionsgeschichte – aber auch als Krimi der Stadtbaukunst und hinterlässt auf seinen Streifzügen am Wegesrand auch noch gescheite und originelle Miniaturen von historischen Figuren wie Ptolomäus II., der die Übersetzung der Bibel ins Griechische (die Septuaginta) veranlasste oder dem unglückseligen König Herodes dem Älteren, der, wie Montefiore sarkastisch anmerkt, ausgerechnet jenes eine Verbrechen nicht begangen habe, für das er berühmt wurde: den angeblichen Kindermord von Bethlehem.
Es gibt eine Fülle von Geschichtsbüchern über Israel und auch von Jerusalem. Wer Montefiores Buch liest, wird aber nicht nur begreifen, warum die "meist verarmte Provinzstadt im Bergland Judäas" zum "Zankapfel der Nationen" wurde, warum sie die Angewohnheit hat, "Eroberer wie Besucher zu enttäuschen und zu quälen". Er wird nicht nur begreifen, warum "alle Städte Fenster zu fremden Denkweisen" sind, Jerusalem aber "wie ein Spiegel" ist, der "das Innenleben preisgibt und zugleich die Außenwelt reflektiert" – so Montefiore in einem seiner vielen Apercus. Nein, die Leser dieser Biografie werden fortan vor allem noch viel dringender Politiker herbeiwünschen, die das Völker und Religionen vereinende Potential der Stadt wieder zum Leben erwecken. Solche Staatsmänner und Denker hat Simon Sebag Montefiore vor allem unter den Muslimen ausfindig gemacht – auch dies eine der vielen Überraschungen des Buches.
Besprochen von Gabriela Jaskulla
Simon Sebag Montefiore: Jerusalem. Die Biographie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
850 Seiten, 28 Euro
Diese Verbindung, die Montefiore klar, aber eher beiläufig benennt, macht den Historiker jedoch weder parteiisch noch unangenehm euphorisch. Im Gegenteil: Montefiore versucht, in seinem Werk allen Seiten der Stadtgeschichte gerecht zu werden. Dabei hilft ihm neben seiner unbestrittenen Sachkenntnis und der Fähigkeit, die Überfülle von Primär- und Sekundärquellen sinnvoll zu hierarchisieren und zu ordnen, auch seine stupende Fähigkeit zu erzählen. Das Buch ist, bei aller gedrängten Fülle des Materials, ein Lesegenuss.
In neun großen Kapiteln erzählt Montefiore die Geschichte Jerusalems von den davidischen Anfängen über Judentum, "Paganismus", Christentum und Islam, weiter zu den Mamelucken und Osmanen bis hin zum Imperialismus des 19. und dem Zionismus des 20. Jahrhunderts. Er verzichtet auf eine Fortführung nach 1967, weil dies, so meint der Autor ironisch, eine quasi-stündliche Aktualisierung nach sich ziehe. Gleichwohl hätte man sich von einem analytisch derart versierten Autor ein wenig mehr prognostische Entschiedenheit gewünscht: Wie könnte, wie sollte, wie darf die Geschichte Jerusalems im Weiteren gelesen werden?
In den vorliegenden Kapiteln allerdings gelingt Montefiore ein großes Kunststück: Er schildert die Geschichte Jerusalems (bescheiden als eine Geschichte von Familien, also Clans und Dynastien angekündigt) als eine Geschichte von politischen Notwendigkeiten. Er setzt Jerusalem, wo immer möglich, in einen größeren historischen Zusammenhang, schildert Geschichte als Religionsgeschichte – aber auch als Krimi der Stadtbaukunst und hinterlässt auf seinen Streifzügen am Wegesrand auch noch gescheite und originelle Miniaturen von historischen Figuren wie Ptolomäus II., der die Übersetzung der Bibel ins Griechische (die Septuaginta) veranlasste oder dem unglückseligen König Herodes dem Älteren, der, wie Montefiore sarkastisch anmerkt, ausgerechnet jenes eine Verbrechen nicht begangen habe, für das er berühmt wurde: den angeblichen Kindermord von Bethlehem.
Es gibt eine Fülle von Geschichtsbüchern über Israel und auch von Jerusalem. Wer Montefiores Buch liest, wird aber nicht nur begreifen, warum die "meist verarmte Provinzstadt im Bergland Judäas" zum "Zankapfel der Nationen" wurde, warum sie die Angewohnheit hat, "Eroberer wie Besucher zu enttäuschen und zu quälen". Er wird nicht nur begreifen, warum "alle Städte Fenster zu fremden Denkweisen" sind, Jerusalem aber "wie ein Spiegel" ist, der "das Innenleben preisgibt und zugleich die Außenwelt reflektiert" – so Montefiore in einem seiner vielen Apercus. Nein, die Leser dieser Biografie werden fortan vor allem noch viel dringender Politiker herbeiwünschen, die das Völker und Religionen vereinende Potential der Stadt wieder zum Leben erwecken. Solche Staatsmänner und Denker hat Simon Sebag Montefiore vor allem unter den Muslimen ausfindig gemacht – auch dies eine der vielen Überraschungen des Buches.
Besprochen von Gabriela Jaskulla
Simon Sebag Montefiore: Jerusalem. Die Biographie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
850 Seiten, 28 Euro