"Die Universitäten klagen ja schon immer"
Der Chef des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, ist überzeugt: An der mangelnden Schreibfähigkeit vieler Abiturienten sind neben den Hobbys auch Schulreformen Schuld. Dafür könnten die Schüler heute besser Fremdsprachen sprechen und Vorträge halten als früher.
Stephan Karkowsky: Deutschlands Abiturienten werden immer besser. In manchen Regionen verlässt jeder vierte die Schule mit einem Einser-Abi. Gleichzeitig taugt das Zeugnis immer weniger als Garant für jene Grundkenntnisse, die die Universitäten von den Erstsemestern erwarten. Wofür es die vielen Einsen gibt und was die Lehrer sagen zur Kritik der Unis, das besprechen wir mit Heinz-Peter Meidinger. Er vertritt 90.000 Lehrer im Deutschen Philologenverband. Herr Meidinger, guten Tag!
Heinz-Peter Meidinger: Guten Tag, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Medienkompetenz sehr gut, deutsche Sprache mangelhaft! Das klingt, als wären Ihre Abiturienten vor allem fit im Verschicken von SMS-Nachrichten, im Betreiben ihrer Facebook-Seiten und Youtube-Kanälen – was ja per se nichts Schlechtes sein muss, oder?
Meidinger: So ist es, ja. Man muss diese Kritik natürlich etwas relativieren, die Universitäten klagen ja schon immer, man kann sagen seit es Gymnasien gibt, über die Qualität der Schulabgänger. Das war übrigens auch vor 200 Jahren der Grund, warum das Abitur eingeführt worden ist, die schlechte Qualität oder angeblich schlechte Qualität der Studienanfänger. Aber natürlich ist auch etwas Wahres dran an dieser Kritik, dass im Bereich der Schreibfähigkeiten und auch der Lesekompetenz durchaus Defizite da sind.
Karkowsky: Wie kommt das denn, wo kommt das her?
Meidinger: Ja, also, ich würde zunächst mal gar nicht der Schule an erster Stelle die Schuld zuschieben, sondern es hat einfach auch zu tun mit einer ganz anderen Lebensgestaltung von Jugendlichen heute. Also, wenn ich mir überlege, dass zu meiner Zeit man die Fantasie ausgelebt hat, indem man Karl-May-Bücher gelesen hat, dann muss man sagen, an die Stelle sind insbesondere natürlich bei Jungs – das lässt sich das ja auch belegen in den PISA-Ergebnissen –, an Stelle des Lesens Computerspiele, Science-Fiction-Filme, die entsprechenden PC-Filme getreten. Und die Technik hat sozusagen das Lesen abgelöst.
Karkowsky: Aber Sie vergeben ja trotzdem gute Noten an den Gymnasien. Wo kommen die denn her, wenn die Abiturienten allesamt schlecht umgehen können mit ihrer Muttersprache? Oder anders gefragt: Wie kann jemand eine Eins bekommen im Abi-Zeugnis, der Grammatik, Rechtschreibung und Satzbau nicht ausreichend beherrscht?
Meidinger: Na gut, also, ich würde mal sagen, diejenigen, die eine Eins bekommen haben, werden jetzt nicht unbedingt diejenigen sein, die der Herr Wolf in seiner Studie als Problemfälle ausgemacht hat. Es gibt durchaus auch heute noch sehr, sehr gute Abiturientinnen und Abiturienten, die tatsächlich auch gute Kenntnisse mitbringen.
Aber wir haben umgekehrt auch eine Reihe von Schülerinnen und Schülern, das dokumentiert sich ja auch in teilweise steigenden Durchfallquoten beim Abitur, die Probleme haben. Die Probleme haben mit der deutschen Muttersprache, die Probleme auch haben in den Naturwissenschaften, das darf man ja nicht vergessen. Es gibt umgekehrt auch Klagen der Mathematikprofessoren über die Kenntnisse der Studienanfänger und da gibt es übrigens auch an zweiter Stelle Gründe, die in der Schule liegen.
Ich glaube, nicht die Kompetenz der Lehrer, die ist sicher da, sondern wir haben in den letzten 20 Jahren eine Reihe an Reformen in den Lehrplänen erlebt, die genau das, was jetzt sozusagen angegriffen wird, ursächlich verursacht haben. Nämlich ein Rückbau des Grammatikunterrichts, eine Hintansetzung von Rechtschreibfähigkeiten, Rechtschreibkenntnissen.
Wir haben an der Grundschule diese Reform gehabt, bereits vor zehn Jahren, Lesen durch Schreiben, wodurch man gesagt hat, es kommt gar nicht darauf an, wie richtig du schreibst in den ersten beiden Jahren, sondern Hauptsache, das Kind schreibt. Und Diktate sind völlig verpönt in manchen Bundesländern. Und das sind natürlich dann teilweise auch die Konsequenzen, die wir jetzt beobachten können.
Karkowsky: Können diese Dinge nicht wieder rückgängig gemacht werden?
Meidinger: Also, ich hoffe es. Also, ich bin wirklich keiner, der sagt, die Rechtschreibung ist sozusagen jetzt der Kernbereich des Deutschunterrichts und das muss im Mittelpunkt stehen, was ja auch mal war …
Karkowsky: … aber ohne geht’s auch nicht …
Meidinger: … aber ohne geht’s eben auch nicht. Das heißt, Lesefähigkeit setzt eben auch voraus, dass ich mit Sprache umgehen kann, dass ich selber Sprache anwenden kann, dass ich natürlich Sprache auch entschlüsseln kann.
Karkowsky: Sie hören Heinz-Peter Meidinger, er ist Chef des Deutschen Philologenverbandes. Herr Meidinger, wenn einer eine Studie macht, dann bestimmt ja das Design der Studie häufig auch das Ergebnis in erheblichem Maße mit.
Meidinger: Ja.
Karkowsky: Haben Sie den Eindruck, Ihre Uni-Kollegen vom Philosophischen Fakultätentag haben die richtigen Fragen gestellt?
Meidinger: Ja, also, sie haben teilweise den Finger in die Wunde gelegt, das ist richtig. Allerdings ein Pauschalurteil über sozusagen mangelnde Qualität von Abiturienten würde ich nicht so unterschreiben. Sondern es gibt bestimmte Bereiche, da sind Abiturienten heute zweifelsohne fitter als früher.
Da meine ich jetzt gar nicht so sehr die Medienkompetenz, die übrigens auch sehr wichtig ist, weil eben vieles heute über Medien vermittelt wird und über Medien dann auch, Medienkritik dann auch wichtig ist. Sondern ich meine beispielsweise Fremdsprachenkenntnisse. Also, ich bin mir ganz sicher, dass die heutigen Abiturienten insbesondere bei den modernen Fremdsprachen erheblich besser sind, auch was den mündlichen Sprachgebrauch betrifft. Das heißt, insgesamt relativiert sich das. Es gibt Bereiche, da gibt es Probleme, Schreibfähigkeit …
Karkowsky: Ja, da können wir mal ein Beispiel rausgreifen: Kritisiert wurde in dieser Studie ja, dass die Studenten kaum noch in der Lage seien, schlüssige Mitschriften aus Vorlesungen anzufertigen. Halten Sie das denn überhaupt für wichtig? Ich meine, die lassen doch heute vermutlich einfach ihre Smartphones alles aufzeichnen, oder?
Meidinger: Ich könnte natürlich auch böse zurückfragen, also, ich muss sagen, ob dann auch wirklich der rote Faden bei der Vorlesung da war … Also, die Schlüssigkeit möchte ich durchaus nach eigenen Erfahrungen auch bezweifeln, ob das in jeder Vorlesung der Fall war.
Aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass, man muss schon die Fähigkeit haben, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und dann auch aus einer Vorlesung bestimmte Kernsätze schriftlich zu fixieren und mitzunehmen. Auch wenn – das ist ja die Praxis – sich viele Studenten dann darauf verlassen, dass das Skript ja dann irgendwo käuflich zu erwerben ist oder das entsprechende Buch des Professors dann es möglich macht, dass man das alles noch mal nachliest.
Karkowsky: Haben Sie denn überhaupt den Eindruck, dass Unis und Schulen – also Gymnasien in diesem Fall oder alle anderen Schulen, an denen man Abitur machen kann – die gleiche Sprache sprechen? Die Unis erwarten ja offenbar, dass sie ihnen quasi fertige Erstsemester liefern, die auf alles vorbereitet sind, was sie in dieser ja doch sehr bunten Uni-Bildungslandschaft erwartet?
Meidinger: Also, diese Schnittstelle Abitur-Hochschule ist natürlich eine Schnittstelle, die immer schon mit Problemen behaftet war. Nichtsdestotrotz glaube ich, hoffe ich zumindest, dass wir noch eine gemeinsame Sprache sprechen. Ich erlebe das auch, wenn man sich zusammensetzt als Lehrkräfte mit Hochschullehrern … Wobei man auch immer sagen muss, das müssen Hochschullehrer sein, die dann auch sich mit den Studienanfängern beschäftigen.
Manche glauben ja, ohne dass sie selber die betreuen, dann merkt man schon, dass man zum Konsens immer kommt, was wollen wir denn vermitteln, was wollen wir an der Universität haben? Aber es wäre natürlich schön, wenn diese Kontakte noch viel enger werden. Wir von unserer Seite bemühen uns darum.
Karkowsky: Und es ist ja auch ein chronologischer Zeitrahmen, der dort abzuarbeiten gilt. Die Schulen sind halt immer eher dran als die Universitäten, das heißt, Sie kriegen auch immer Veränderungen früher mit als die Universitäten. Sind die einfach von gestern, dass sie sich nicht schnell genug einstellen auf das, was sich an den Schulen längst geändert hat?
Meidinger: Ich glaube, wir alle sind sozusagen immer unter dem Druck, uns der Wirklichkeit zu stellen. Und die Schulen selber haben zu reagieren auf die immer schwieriger werdenden Schüler und die entsprechende Heterogenität, die dann auch in den Klassenzimmern da ist. Und das kommt natürlich jetzt zeitversetzt auch an den Universitäten.
Ich meine, wenn Sie heute, wie ja jetzt festgestellt worden ist, fast 50 Prozent Studienberechtigte haben – ich glaube, 46 oder 49 ist jetzt die aktuelle Zahl –, dann können das natürlich auch nicht mehr alle sein, die die Voraussetzungen mitbringen, die vielleicht vor 25 Jahren dann 15 Prozent mitgebracht haben.
Karkowsky: Sie sind ja auch selbst Schulleiter und Deutschlehrer vor allen Dingen. Hat sich denn bei Ihnen so viel verändert im Unterricht, dass Sie sagen, die gehen heute mit anderen Kompetenzen aus meinem Unterricht als zu der Zeit, als ich angefangen habe?
Meidinger: Ja, es gibt also Dinge, die wir früher nicht gekonnt hätten. Also, sich hinzustellen vor eine größere Gruppe und dann tatsächlich auch eine Sache zu präsentieren, sich dann auch der Diskussion zu stellen, da waren wir damals dafür … in der Schule haben wir das nicht vermittelt bekommen. Auch in einer Fremdsprache sich dann wirklich aktiv auszudrücken, da sind die heutigen Abiturienten besser geworden. Was die Schreibfähigkeiten und die Lesefähigkeiten anbetrifft, da, würde ich eher sagen, haben wir heute Defizite.
Karkowsky: Nach Vorwürfen des Philosophischen Fakultätentages gegen eine schlechte Vorbereitung von Abiturienten auf den Uni-Alltag hörten Sie hier die Replik von Heinz-Peter Meidinger, dem Präsidenten des Deutschen Philologenverbandes. Herr Meidinger, herzlichen Dank!
Meidinger: Ich bedanke mich, Herr Karkowsy!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heinz-Peter Meidinger: Guten Tag, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Medienkompetenz sehr gut, deutsche Sprache mangelhaft! Das klingt, als wären Ihre Abiturienten vor allem fit im Verschicken von SMS-Nachrichten, im Betreiben ihrer Facebook-Seiten und Youtube-Kanälen – was ja per se nichts Schlechtes sein muss, oder?
Meidinger: So ist es, ja. Man muss diese Kritik natürlich etwas relativieren, die Universitäten klagen ja schon immer, man kann sagen seit es Gymnasien gibt, über die Qualität der Schulabgänger. Das war übrigens auch vor 200 Jahren der Grund, warum das Abitur eingeführt worden ist, die schlechte Qualität oder angeblich schlechte Qualität der Studienanfänger. Aber natürlich ist auch etwas Wahres dran an dieser Kritik, dass im Bereich der Schreibfähigkeiten und auch der Lesekompetenz durchaus Defizite da sind.
Karkowsky: Wie kommt das denn, wo kommt das her?
Meidinger: Ja, also, ich würde zunächst mal gar nicht der Schule an erster Stelle die Schuld zuschieben, sondern es hat einfach auch zu tun mit einer ganz anderen Lebensgestaltung von Jugendlichen heute. Also, wenn ich mir überlege, dass zu meiner Zeit man die Fantasie ausgelebt hat, indem man Karl-May-Bücher gelesen hat, dann muss man sagen, an die Stelle sind insbesondere natürlich bei Jungs – das lässt sich das ja auch belegen in den PISA-Ergebnissen –, an Stelle des Lesens Computerspiele, Science-Fiction-Filme, die entsprechenden PC-Filme getreten. Und die Technik hat sozusagen das Lesen abgelöst.
Karkowsky: Aber Sie vergeben ja trotzdem gute Noten an den Gymnasien. Wo kommen die denn her, wenn die Abiturienten allesamt schlecht umgehen können mit ihrer Muttersprache? Oder anders gefragt: Wie kann jemand eine Eins bekommen im Abi-Zeugnis, der Grammatik, Rechtschreibung und Satzbau nicht ausreichend beherrscht?
Meidinger: Na gut, also, ich würde mal sagen, diejenigen, die eine Eins bekommen haben, werden jetzt nicht unbedingt diejenigen sein, die der Herr Wolf in seiner Studie als Problemfälle ausgemacht hat. Es gibt durchaus auch heute noch sehr, sehr gute Abiturientinnen und Abiturienten, die tatsächlich auch gute Kenntnisse mitbringen.
Aber wir haben umgekehrt auch eine Reihe von Schülerinnen und Schülern, das dokumentiert sich ja auch in teilweise steigenden Durchfallquoten beim Abitur, die Probleme haben. Die Probleme haben mit der deutschen Muttersprache, die Probleme auch haben in den Naturwissenschaften, das darf man ja nicht vergessen. Es gibt umgekehrt auch Klagen der Mathematikprofessoren über die Kenntnisse der Studienanfänger und da gibt es übrigens auch an zweiter Stelle Gründe, die in der Schule liegen.
Ich glaube, nicht die Kompetenz der Lehrer, die ist sicher da, sondern wir haben in den letzten 20 Jahren eine Reihe an Reformen in den Lehrplänen erlebt, die genau das, was jetzt sozusagen angegriffen wird, ursächlich verursacht haben. Nämlich ein Rückbau des Grammatikunterrichts, eine Hintansetzung von Rechtschreibfähigkeiten, Rechtschreibkenntnissen.
Wir haben an der Grundschule diese Reform gehabt, bereits vor zehn Jahren, Lesen durch Schreiben, wodurch man gesagt hat, es kommt gar nicht darauf an, wie richtig du schreibst in den ersten beiden Jahren, sondern Hauptsache, das Kind schreibt. Und Diktate sind völlig verpönt in manchen Bundesländern. Und das sind natürlich dann teilweise auch die Konsequenzen, die wir jetzt beobachten können.
Karkowsky: Können diese Dinge nicht wieder rückgängig gemacht werden?
Meidinger: Also, ich hoffe es. Also, ich bin wirklich keiner, der sagt, die Rechtschreibung ist sozusagen jetzt der Kernbereich des Deutschunterrichts und das muss im Mittelpunkt stehen, was ja auch mal war …
Karkowsky: … aber ohne geht’s auch nicht …
Meidinger: … aber ohne geht’s eben auch nicht. Das heißt, Lesefähigkeit setzt eben auch voraus, dass ich mit Sprache umgehen kann, dass ich selber Sprache anwenden kann, dass ich natürlich Sprache auch entschlüsseln kann.
Karkowsky: Sie hören Heinz-Peter Meidinger, er ist Chef des Deutschen Philologenverbandes. Herr Meidinger, wenn einer eine Studie macht, dann bestimmt ja das Design der Studie häufig auch das Ergebnis in erheblichem Maße mit.
Meidinger: Ja.
Karkowsky: Haben Sie den Eindruck, Ihre Uni-Kollegen vom Philosophischen Fakultätentag haben die richtigen Fragen gestellt?
Meidinger: Ja, also, sie haben teilweise den Finger in die Wunde gelegt, das ist richtig. Allerdings ein Pauschalurteil über sozusagen mangelnde Qualität von Abiturienten würde ich nicht so unterschreiben. Sondern es gibt bestimmte Bereiche, da sind Abiturienten heute zweifelsohne fitter als früher.
Da meine ich jetzt gar nicht so sehr die Medienkompetenz, die übrigens auch sehr wichtig ist, weil eben vieles heute über Medien vermittelt wird und über Medien dann auch, Medienkritik dann auch wichtig ist. Sondern ich meine beispielsweise Fremdsprachenkenntnisse. Also, ich bin mir ganz sicher, dass die heutigen Abiturienten insbesondere bei den modernen Fremdsprachen erheblich besser sind, auch was den mündlichen Sprachgebrauch betrifft. Das heißt, insgesamt relativiert sich das. Es gibt Bereiche, da gibt es Probleme, Schreibfähigkeit …
Karkowsky: Ja, da können wir mal ein Beispiel rausgreifen: Kritisiert wurde in dieser Studie ja, dass die Studenten kaum noch in der Lage seien, schlüssige Mitschriften aus Vorlesungen anzufertigen. Halten Sie das denn überhaupt für wichtig? Ich meine, die lassen doch heute vermutlich einfach ihre Smartphones alles aufzeichnen, oder?
Meidinger: Ich könnte natürlich auch böse zurückfragen, also, ich muss sagen, ob dann auch wirklich der rote Faden bei der Vorlesung da war … Also, die Schlüssigkeit möchte ich durchaus nach eigenen Erfahrungen auch bezweifeln, ob das in jeder Vorlesung der Fall war.
Aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass, man muss schon die Fähigkeit haben, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und dann auch aus einer Vorlesung bestimmte Kernsätze schriftlich zu fixieren und mitzunehmen. Auch wenn – das ist ja die Praxis – sich viele Studenten dann darauf verlassen, dass das Skript ja dann irgendwo käuflich zu erwerben ist oder das entsprechende Buch des Professors dann es möglich macht, dass man das alles noch mal nachliest.
Karkowsky: Haben Sie denn überhaupt den Eindruck, dass Unis und Schulen – also Gymnasien in diesem Fall oder alle anderen Schulen, an denen man Abitur machen kann – die gleiche Sprache sprechen? Die Unis erwarten ja offenbar, dass sie ihnen quasi fertige Erstsemester liefern, die auf alles vorbereitet sind, was sie in dieser ja doch sehr bunten Uni-Bildungslandschaft erwartet?
Meidinger: Also, diese Schnittstelle Abitur-Hochschule ist natürlich eine Schnittstelle, die immer schon mit Problemen behaftet war. Nichtsdestotrotz glaube ich, hoffe ich zumindest, dass wir noch eine gemeinsame Sprache sprechen. Ich erlebe das auch, wenn man sich zusammensetzt als Lehrkräfte mit Hochschullehrern … Wobei man auch immer sagen muss, das müssen Hochschullehrer sein, die dann auch sich mit den Studienanfängern beschäftigen.
Manche glauben ja, ohne dass sie selber die betreuen, dann merkt man schon, dass man zum Konsens immer kommt, was wollen wir denn vermitteln, was wollen wir an der Universität haben? Aber es wäre natürlich schön, wenn diese Kontakte noch viel enger werden. Wir von unserer Seite bemühen uns darum.
Karkowsky: Und es ist ja auch ein chronologischer Zeitrahmen, der dort abzuarbeiten gilt. Die Schulen sind halt immer eher dran als die Universitäten, das heißt, Sie kriegen auch immer Veränderungen früher mit als die Universitäten. Sind die einfach von gestern, dass sie sich nicht schnell genug einstellen auf das, was sich an den Schulen längst geändert hat?
Meidinger: Ich glaube, wir alle sind sozusagen immer unter dem Druck, uns der Wirklichkeit zu stellen. Und die Schulen selber haben zu reagieren auf die immer schwieriger werdenden Schüler und die entsprechende Heterogenität, die dann auch in den Klassenzimmern da ist. Und das kommt natürlich jetzt zeitversetzt auch an den Universitäten.
Ich meine, wenn Sie heute, wie ja jetzt festgestellt worden ist, fast 50 Prozent Studienberechtigte haben – ich glaube, 46 oder 49 ist jetzt die aktuelle Zahl –, dann können das natürlich auch nicht mehr alle sein, die die Voraussetzungen mitbringen, die vielleicht vor 25 Jahren dann 15 Prozent mitgebracht haben.
Karkowsky: Sie sind ja auch selbst Schulleiter und Deutschlehrer vor allen Dingen. Hat sich denn bei Ihnen so viel verändert im Unterricht, dass Sie sagen, die gehen heute mit anderen Kompetenzen aus meinem Unterricht als zu der Zeit, als ich angefangen habe?
Meidinger: Ja, es gibt also Dinge, die wir früher nicht gekonnt hätten. Also, sich hinzustellen vor eine größere Gruppe und dann tatsächlich auch eine Sache zu präsentieren, sich dann auch der Diskussion zu stellen, da waren wir damals dafür … in der Schule haben wir das nicht vermittelt bekommen. Auch in einer Fremdsprache sich dann wirklich aktiv auszudrücken, da sind die heutigen Abiturienten besser geworden. Was die Schreibfähigkeiten und die Lesefähigkeiten anbetrifft, da, würde ich eher sagen, haben wir heute Defizite.
Karkowsky: Nach Vorwürfen des Philosophischen Fakultätentages gegen eine schlechte Vorbereitung von Abiturienten auf den Uni-Alltag hörten Sie hier die Replik von Heinz-Peter Meidinger, dem Präsidenten des Deutschen Philologenverbandes. Herr Meidinger, herzlichen Dank!
Meidinger: Ich bedanke mich, Herr Karkowsy!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.