Die Unmöglichkeit der Liebe

Rezensiert von Edelgard Abenstein |
In ihrem vierten Roman "Das gesegnete Kind" erzählt Linn Ullmann die Geschichte von drei Schwestern und einem scheinbar idyllischen Sommer vor 25 Jahren. Ganz und gar unsentimental, schonungslos entfaltet die norwegische Autorin dieses Drama um das Erwachsenwerden, um die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und um die Missachtung als einem teuflischen, zerstörerischen Gefühl.
Erika, Laura und Molly sind Halbschwestern. Sie haben verschiedene Mütter und denselben Vater, den sie gleichermaßen lieben wie fürchten. Isak, ein berühmter Arzt, Charmeur und Schürzenjäger, hat, so wird gemunkelt, neben seinen drei Töchtern noch so manches andere Kind in die Welt gesetzt hat.

Alljährlich verbringen die drei Mädchen ihre großen Ferien bei Isak auf der schwedischen Insel Hammersö. Auch in jenem Sommer, der für die älteste, Erika, das Ende der Kindheit bedeutet, ist alles wie in jedem Jahr. Sie streunen durch die Wälder, sie spielen Theater, buhlen um die Gunst der schönen Marion, der Anführerin der Mädchenclique, aber auch wie immer um die Liebe des Vaters. Und sie kreisen um Ragnar, den Außenseiter, der von allen verachtet und doch insgeheim bewundert wird, bis zu jenem tragischen Ereignis, das mit einem Schlag dem paradiesischen Frieden ein Ende setzt.

25 Jahre später kehren die drei Schwestern auf die Insel, die sie nie mehr betreten haben, zurück. Ihre winterliche Reise dorthin wird zu einer Reise durch die Vergangenheit, sie wird zu einer Begegnung mit der all die Jahre hindurch verdrängten Schuld, und sie eröffnet die Chance für einen neuen Blick auf ihr künftiges Leben.

Linn Ullmann erzählt diese Geschichte um Familiengeheimnisse in immer neuen Anläufen und wechselnden Perspektiven. Höchst anschaulich und dramaturgisch geschickt verflicht sie Episoden aus der Gegenwart mit solchen aus jenem vermeintlich idyllischen Sommer. Dabei gelingen ihr Szenen von großer Eindringlichkeit, wenn sie immer wieder aus der kindlichen Warte das unentzifferbare Leben der Erwachsenen schildert, wenn sie frühes Leid als unauslöschbare Kränkung enthüllt.

Hinreißend die Geschichten um die Rettungsaktion eines ausgesetzten Babys ebenso wie die für einen verirrten Vogel, ergreifend die Episode um das Spiel von Macht und Ohnmacht in einer Mädchenclique. Spannung erzeugt Linn Ullmann mit beiläufigen Anspielungen, und sie führt die Leser aus verschiedenen Blickwinkeln zum inneren Kern des Geschehens.

Ganz und gar unsentimental, schonungslos entfaltet sie dieses Drama um das Erwachsenwerden, um die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und um die Missachtung als einem teuflischen, zerstörerischen Gefühl. Die Lakonie ist ihr Markenzeichen, auch in ihrem vierten Roman. Ihren ersten schrieb die norwegische Literaturkritikerin vor neun Jahren.

"Die Lügnerin" handelt zwar vom Boxen, aber wie auch "Ein gesegnetes Kind" vor allem von einer schrulligen Familie. Eigentlich ist schon dieser Roman, wie auch ihre folgenden, ein Buch über die Unmöglichkeit der Liebe: kühl und doch voller Trauer, nüchtern und zärtlich zugleich. Regelmäßig standen ihre Romane auf den norwegischen Bestsellerlisten. Sie wurden mittlerweile in dreißig Sprachen übersetzt.

Kaum ein Rezensent ließ bislang unerwähnt, dass Linn Ullmann die Tochter der Schauspielerin Liv Ullmann und des schwedischen Meisterregisseurs Ingmar Bergman ist. Die Neigung ihres Vaters, in seelische Abgründe zu blicken, hat unübersehbar auf die Tochter abgefärbt. Doch das von ihr gewählte Verfahren, um diese auszuloten, ist grundsätzlich anders. Sie erzählt mit grimmig-lakonischem Witz.

Linn Ullman: Ein gesegnetes Kind
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger.
Droemer Verlag, München 2006
384 Seiten, 18 Euro