Die Unterschätzte
Sie gehört zu den Stillen im Kabinett Merkel und ist trotzdem nicht ohne Einfluss: Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, zählt zu den engen Vertrauten der Bundeskanzlerin. Schavan, 1955 in Neuss am Rhein geboren, war lange Jahre Kultusministerin von Baden-Württemberg und scheiterte knapp mit ihrer Kandidatur für die Nachfolge des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel. Die Reportage zeichnet das Bild einer Vollblutpolitikerin, die für ihre Sache rund um die Uhr kämpft.
Referent: "… wir haben verschiendene Regionalsender gehabt und wir haben eigentlich alle großen Printmedien gehabt zu diesem Thema ... und die Frage ist, welche weiteren Termine sich jetzt anbieten, um mal wieder mit der Hightech-Strategie in den Medien vertreten zu sein."
Schavan: "Also die Veranstaltung war ein sehr gutes Beispiel, wirklich die Botschaft zu vermitteln. Mir ist vor allem der Film aufgefallen über die Evolution des Lichtes, das sollte man sich auch für künftige Termine merken. Ich glaube, der nächste wichtige Termin ist jetzt die Regierungserklärung zum Thema am Donnerstag, da sollten wir besonders nochmal den Akzent legen auf das Potential, das da drin steckt."
Annette Schavan sitzt am gläsernen Besprechnungstisch in ihrem Ministerbüro. Sie trägt ein Wollsakko, Hemd und Hose. Zu ihrer Rechten ein Stapel Zeitungen, obenauf die "Frankfurter Allgemeine", daneben ein Glas Wasser. Die Morgenlage. Vor ihrem Referenten Michael Jaspers liegt die Terminmappe. Für jeden Tag ein DIN A 4 Zettel, einige Punkte sind gelb markiert. Referent Herbst sondiert die Presse. Annette Schavan will das Echo ihrer Poltik hören.
"Es ist jeden Morgen wichtig einfach zu wissen, was ist in der Presse los, was kommt in den nächsten Tagen an Terminen, was ist da vorzubereiten. Denn Politik hat immer beide Seiten, einmal Vernünftiges zu tun und einmal dafür zu sorgen, dass es vernünftig rüber kommt."
Auf dem Glastisch steht eine Silberschale mit einer vertrockneten Distelblüte. Neben der Tür hängt ein dunkles Kreuz.
"Das ist ein Bronzekreuz, das der in Berlin lebende Künstler Norbert Rademacher gemacht hat. Er hat es entworfen für die katholische Akademie hier in Berlin, da hängt es in allen Zimmern, in einem kleinen Format und in der Kapelle in einem sehr großen Format. Und als ich hier angefangen habe, hat man mir dieses Kreuz geschenkt."
Vor der Politik war Schavan lange Leiterin des katholischen Casanus-Werks. Auf dem Fußboden neben dem Schreibtisch steht ein gezeichnetes Potrait der Ministerin, Schüler der Haupt- und Realschule in Südbaden haben es ihr geschenkt, damals war Schavan noch Kultusministerin in Baden-Württemberg. Jetzt sitzt sie als Bundesministerin für Bildung und Forschung in Berlin Mitte. Die akademische Gemeinde hat aufgeatmet, ist zufrieden mit Schavan. Aber viel schlimmer als mit Edelgart Buhlmahn konnte es auch nicht werden, sagen Wissenschaftler. Durch die Fensterfront scheint die herbstliche Morgensonne. Das Büro ist nicht größer als es sein muss, um einen Schreibtisch und den Besprechnungstisch mit vier Stühlen aufzunehmen. Schavan verzichtet auf Insignien ministerialer Macht.
Dienstreise. Flug LH 292, von Berlin Tegel nach Stuttgart. Kein Jet der Flugbereitschaft, ein Linienflug. Schavan sitzt in der Business Class, liest die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", neben ihr zwei Mappen.
"Da habe ich jetzt die Akten für die Veranstaltungen der nächsten zwei Tage. Reden, die ich jetzt halten werde. Heute Nachmittag zur Verleihung des Max-Planck-Forschungspreises. Morgen früh werde ich die Festansprache der Max-Planck-Gesellschaft in der Paulskirche halten, werde zum Jubiläum 20 Jahre Wissenschaftspressekonferenz gehen, werde die Rede halten zur Verleihung eines besonderen Forschungspreises der Hertiestiftung, werde den Wissenschaftssommer in München eröffnen und so weiter, das sind jetzt zwei Tage voller Wissenschaftstermine. Und dann ist da noch die eine oder andere Akte drin, die ich mir jetzt mal ansehen will, weil es Dinge sind, über die ich mal ein bisschen nachdenken muss."
Im beigefarbenen Hosenanzug steht sie auf dem Rollfeld des Stuttgarter Flughafens, ihre Handtasche geschultert. Sie beobachtet, wie ihr schwarzer Rollkoffer mit rotem Namensschild aus dem Laderaum der Maschine geholt und erstmal auf den Gepäckwagen gestellt wird. Aber Schavan will ihn selber ziehen. In der linken Hand den Planer und die zwei Akten, über dem rechten ihren Kleidersack, steigt die Ministerin den Bus, der die Fluggäste zum Terminal fährt. Niemand scheint sie zu erkennen. 29 Grad, Sonnenschein.
In der Empfangshalle wartet Herr Landsrat, ein Herr vor der Pensionierung, im Anzug und mit zerzaustem Vollbart. Herr Landsrat war schon ihr Fahrer, als Schavan noch Kultusministerin im Ländle war.
Schlossplatz in Stuttgart. Vor dem baden-württembergischen Kultusministerium steht Schavans Dienstwagen, ein blauer 5er BMW. Zehn Jahre hat Annette Schavan hier gearbeitet, reformiert, eingeführt, einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Warten auf den Fahrer. Herr Landsrat ist unterwegs, ein Fax besorgen, dass Schavans Büro aus Berlin geschickt hat. Dann kommt her Landsrat geeilt, in der Hand das Fax.
"Ah, Herr Landsrat! Nichts zu entschuldigen! Dann haben wir das Fax und tun den Kleidersack in den Kofferraum, muss mich in Frankfurt umziehen."
Aus einem Fenster im dritten Stock des Bildungsministeriums winken zwei Frauen, ehemalige Mitarbeiter. Zehn Jahre war Schavan hier Kultusministerin. Sie winkt zurück.
"Hallo!" Hallo! Grüße Sie! …Danke jawohl! Oben schön schwitzig? Machen Sie hitzefrei! Schönen Tag, ciao!"
Schavan steigt ins Auto. Sie muss nach Frankfurt am Main. Um 17 Uhr verleiht sie im Messetrum den Max-Planck-Forschungspreis, 1,5 Millionen Euro für zwei Kunsthistoriker. Schavan liest das Fax: Ihr Referent Dr. Jaspers kann nicht nach Frankfurt kommen, sein Flug wurde abgesagt.
"Da haben wir aber Glück gehabt…Wenn ich ich geflogen wäre, wie geplant…haben sie gelesen? Also…"
Schavans persönlicher Referent Dr. Jaspers kann nicht nach Frankfurt kommen. Sein Flieger ist ausgefallen, steht auf dem Fax. Eigentlich sollte auch Schavan mit diesem Flugzeug kommen. Dann säße sie jetzt in Berlin fest.
"Dann telefoniere ich mal mit dem Büro …. Genau, wir müssen ein bisschen vorfahren und dann kann man einen U-Turn machen…"
Die Ministerin sitzt im Fond, angeschnallt, auf dem Schoß die Akten und ihr Termin-Planer.
"Ja, Schavan, hallo. Ich habe die Nachricht gehört. Wir versucht denn der Jaspers jetzt zu kommen? …. Ja, gut, so ist das halt. Jetzt haben wir ja Glück gehabt, sonst wären wir auch nicht gekommen, ne….ja…..ach….na ja gut, steckt man nicht drin. Dann geben sie mir bitte Frau Seiberst noch mal, tschüß…….ja? Sie kann noch mal durchrufen. Sie könne ihr aber schon sagen, für das Treffen mit den Wissenschaftsministern kann sie die Zeit 11.15 bis 13 Uhr nehmen. Mir sei bewusst, dass das nahe am Kabinett ist, aber ich gehe davon aus, dass das Kabinett pünktlich um 11 zu Ende ist. Notfalls gehe ich etwas früher. Danke, tschüß."
Im Grunde bleiben auf der Straße, dann kommen wir auf die Autobahn, das ist die Ausfallstraße.
Voraussichtliche Ankunft: 17.05, zeigt das Navigationssystem. Entfernung zum Ziel 201 Kilometer. Nächster Anruf. Diesmal bei ihrem Pressesprecher.
"Ja, Schavan hallo ... danke. Ich bin’s. Ich wollte nur hören ob es was Besonderes gibt, ob was über den Ticker läuft, ob die 'FTD' schon Zitate geschickt hat…Herr Landsrat, außer dem Fax, war da sonst noch was? 'Die Rede.' Die Rede, ne mehr habe ich nicht …. Ja, die Rede und die Nachricht, dass Jaspers nicht kann. Dann lies sie mir doch vor. Ist denn was Problematisches dabei? ... Hmmm…. hmm…"
(herunter blenden)
Schavan hat der Financial Times Deutschland ein Interview geben. In Deutschland ist es Sitte, dass Interviews autorisiert werden, der Interviewte also vor der Veröffentlichung noch mal gegenliest und Gesagtes verändern kann.
"… das ist der Auftakt für die Arbeit an Integrationskonzepten, an noch besseren Intergrationskonzepten…"
Der Beifahrersitz ist weit vorgeschoben, maximale Beinfreiheit. Zu Schavans Füßen ihre geöffnete Handtasche. Ein Handy, Stifte in verschiedenen Farben, Ministerstifte. Entfernung bis zum Ziel: 89 Kilometer. Voraussichtliche Ankunft: 16.55. Sind gut in der Zeit, sagt Schavan. Sie verstrahlt keine Aura ministerieller Wichtigkeit. Schavan wird oft unterschätzt. Das verbindet sie mit Angela Merkel. Beide kennen ein Leben ohne Macht, Annette Schavan kam erst mit 40 zur Politik. Elf Jahre Ministerin, da haben Kollegen längst eine harte Schale gebildet, die den Menschen schützt vor den täglichen Attacken. Auch Schavan hat sich verändert durch die Macht.
"Entschiedener und konsequenter, ja. Härter – das ist gegen mein Naturell. Wie Stark Politik einen verändert, hat damit zu tun, das man bei aller Anspannung und Arbeit auch noch was anderes bleibt: Literatur, Kunst, andere Debatten, also ein Gegengewicht gegenüber dem rein Poltischen. war mir immer wichtig."
"Kommen gut durch Herr Landsrath, oder? Sind nämlich an ein paar Stellen vorbei, wo es immer schwierig war. Dann kann ich mich natürlich in Ruhe umziehen."
"Ich lese jeden Morgen. Erst im Büro. Zu Hause lese ich anders, weil ich kurz nachdem ich vor zehn Jahren in die Politik kam, gemerkt habe, abends läuft da nichts mehr, dazu kommt man zu spät nach Hause und dann ist man dusselig, um noch was aufzunehmen. Aber da mir Literatur wichtig ist, da mir wichtig ist in meinen alten Fächern weiter zu lesen, da ich viele Anregungen aus dem Lesen nehme, habe ich die Literatur in den frühen Morgen verlegt. Das ist die Stunde, in der ich lese, was ich will und nicht, was auf meinem Schreibtisch liegt. Das ist ein Stück Freiheit und es bewahrt davor, eine Politikersprache zu entwickeln."
Das gelingt nicht immer, oft verfällt sie in den Politiker-Singsang. Die Bürger müssen spüren, dass Dinge entschieden werden, sonst droht Politikverdrossenheit, sagt Schavan - hört das Wort Gesundheitsreform und geht in die Defensive, sitzt steif und guckt nach draußen auf die Autobahn. Gesundheitsreform. Für viele das Dokument des Scheiterns überforderter Politiker. Die Duz-Kollegin von Angela Merkel und stellvertretende CDU-Vorsitzende verteidigt das großkoaltionäre Werk. Aber überzeugt ist sie nicht, das ist zu sehen, sie verkrampft, sucht nach Worten, die darauf hinauslaufen: Die Bürger erwarten zu viel, mehr ist nicht drin.
"Ich habe das also in vielen Gremien gehört, wir haben diskutiert, wir haben abgewogen. Es war sehr deutlich in den letzten Tagen: Es gibt eine überschaubare Anzahl an Handlungsoptionen, mehr gibt es nicht, wir sitzen nicht vor dem Reißbrett, wir fangen nicht am Punkt null an, wir haben zwei bis drei Handlungsoptionen. … Ich fand die öffentliche Bewertung in den ersten Tagen, nachdem die Eckpunkte veröffentlicht wurden, maßlos. Und frage dann schon manchmal: Was stellt sich denn die Öffentlichkeit vor, was an Handlungsspielräumen da ist? … Die einen sind fest davon überzeugt: Es geht nur, wenn Leistungen rausfliegen. Die anderen sind an der Decke, wenn sie nur darüber diskutieren sollen. Und Politik muss diese Widersprüchlichkeit aushalten und daraus gestalten. Wenn sie mich fragen: Finden sie das nicht frustrierend? Dann gibt es Tage, an denen einen diese Widerspüchlichkeiten natürlich auch Leid sind. Aber an allen anderen Tagen muss ich wissen, ich habe mich für Politk entschieden."
Annette Schavan hört zu, denkt nach.
"Ich bin davon überzeugt, damit gut klarzukommen, weil ich nicht in den vielen Äußerlichkeiten, die da auf einen zukommen, gebunden bin. Bin auch weiterhin selbstständig in praktischen Dingen des Alltags. Ich habe weiterhin ein Auto. Ich sitze im Wahlkreis selbst am Steuer. Ich glaube, dass ich die praktischen Dinge des Lebens nicht verlernt habe."
Dann meldet sich Schavans Referent Jaspers per Telefon, Fahrer Landsrat stellt die Freisprecheinrichtung laut.
Jaspers: "Ich bin noch in Berlin am Flughafen, weil mein Flug komplett ausgefallen ist."
Schavan: "Okay. Herr Jaspers, hören sie mich? Ist doch gut, dass ich über Stuttgart gegangen bin!"
Jaspers: "Meine Frage noch, ob Sie noch was brauchen für den Termin?"
Schavan: "Nein habe alles gesehen … wunderbar."
Frankfurt Main, Messeturm. Die Ministerin holt ihren Kleidersack aus dem Kofferraum, ein Page hängt ihn an einen Rollwagen. Annette Schavan eilt zur Rezeption und sagt: "Guten Tag, Schavan, mein Name." Die Ministerin bekommt Zimmer 836.
"836 mit einem schön Blick, einmal für Sie und einen angenehmen Aufenthalt."
"Danke!" (Geht zum Aufzug)
Annette Schavan eilt - die Handtasche mit einer Hand auf dem Rücken haltend - zum Lift, der Page mit dem Kleiderwagen hinterher. Schnell nach oben, sagt sie, duschen, umziehen.
Vor dem Fahrstuhl versammeln sich drei Personenschützer in dunklen Anzügen. Wer am Lift rumsteht, muss ihnen erklären, warum er am Lift rumsteht. Die Ministerin kommt jede Sekunde, sagen sie. Annette Schavan tritt aus dem Lift, verwandelt. Zum rosa Sakko trägt sie einen schwarzen Rock und weiße Strumpfhosen. Sie ist frisch geschminkt, frisiert und hat ihr breitestes Lächeln angeschaltet. Die Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft nehmen die Ministerin in ihre Mitte.
"… Max-Planck-Gesellschaft und da kommen auch schon die beiden Präsidenten…"
"Guten Tag! Ich bin nur hier, weil ich nicht so gekommen bin, wie ich sollte. Ich sollte von Berlin nach Frankfurt fliegen, da ist mein Referent drin. Ich wollte über Stuttgart…."
Auf dem Weg in den Festsaal. Ein Personenschützer vorne, zwei hinten. 2000 Menschen harren im Halbdunkel des Saals. Warten auf die Ministerin. Schavan nickt nach links, grüßt nach rechts, lächelt. Köpfe wenden sich ihr zu. Minister ziehen Menschen an, wie Honig die Bienen. Schavan fragt, wie die Preisträgerin heißt.
Schavan: "Die Professorin heißt wie?"
"Alina Payne."
Schavan: "Payne?"
"Mit ay, nicht schmerzhaft"
Ein Mann im Anzug tritt an Schavan heran.
"Wollte Ihnen nachher noch was ans Herz legen, aber da haben wir nachher noch Zeit zu."
"Da haben wir nachher noch Zeit zu, ja."
Einflüsterer, Menschen mit einem Anliegen. Da kommt schon der Nächste.
"Hätten Sie anschließen doch mal Zeit, ich würde anschließen noch mal mit Ihnen sprechen?"
"Ich bin noch ein bisschen hier, übernachte in Frankfurt, gerne."
Eine junge Frau in Jeans nähert sich schüchtern von hinten, wartet auf den richtigen Augenblick. Schavans Referent Jaspers hat sie geschickt.
"Tag Frau Ministerin, mein Name ist Albrecht vom BMBF, Referat 417. Herr Jaspers rief mich an und bat mich, Ihnen den Ablaufplan noch zu geben, wenn Sie den brauchen."
"Von heute Nachmittag?"
"Von heute Nachmittag, damit se wissen, wie das Programm abläuft."
"Ja, gut, hmmm, danke"
Dann steht die Preisträgerin vor ihr, eine Kunstwissenschaftlerin aus den USA. "Es ist mir eine Ehre, ihnen diesen Preis zu geben", sagt Schavan in holprigem Englisch.
"Das ist Frau Payne."
"It’s a pleasure to be here. I am very honored to be here."
"Is a pleasure form me to give you the price for excellence."
"It’s an amazing price, it came in a real perfect moment for me. But I hope …"
Alina Payne will noch was sagen, aber Schavan geht weiter. Die Preisträgerin bleibt mit ihrem halben Satz im Mund stehen und sieht aus, als hätte sie sich das anders vorgestellt. Schavan redet gerne frei, sagt sie.
"Habe es im Kopf, wo ich anfange, wo ich aufhöre, das dazwischen, das ergibt sich."
Banse:"'Sie sind jetzt wieder ganz Ministerin, merken sie das eigentlich, dass sie sich verwandeln zwischen solchen Terminen?"
"Das sind die verschiedenen Teile des einen Lebens. Wichtig ist, sie einfach gut zusammenzuhalten. Schönen guten Tag! Freue mich auch sehr, sie wieder zu sehen."
Musik und Film-Trailer: "Harvard, die Wirkungsstätte von Alina Payne. Ein zentrales Engagement ihrer Arbeit gilt der Reintegration der Architektur in die Kunstgeschichte und das lang verfemte Ornament."
"Bitte Frau Bundesministerin!" (Applaus)
Annette Schavan tritt ans Rednerpult, lächelt, legt einen Zettel vor sich ab und hält eine Rede, die im schlechtesten Sinn eine Politikerrede ist. Voller Floskeln und Gemeinplätze, so glatt, dass es nicht möglich ist, die Worte zu packen, Inhalte festzuhalten. Man fühlt sich leer hinterher, ausgelaugt.
"Sehr verehrte Frau Professorin Payne, lieber Herr Bredekamp. Als das Bundesministerium und ich als Stifter genannte wurde, ist mir eingefallen, in Wirklichkeit sind die 1,5 Millionen Euro die Gabe der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. (Applaus) Wir tragen nur Sorge, dass mit diesem Steuergeld richtige Zeichen gesetzt werden, Signale, Signale im Blick auf die Rolle und Bedeutung für Bürgerinnen und Bürger."
Zurück in Berlin. Die Ministerin hat Feierabend, na ja, fast wenigstens. Richtig privat ist die Party in der baden-württembergischen Landesvertretung nicht. Weit über 1000 Politiker, Journalisten, Unternehmer und Staatsdiener sind in die Landesvertretung gekommen, die größer ist als so manche Botschaft hier am Rand des Berliner Tiergartens. Es ist warm, Männer tragen ihr Jacket überm Arm, "noch ein Riesling, bitte”, sofort läuft Kondenswasser am Weinglas hinunter. Annette Schavan trägt ein helles Sakko, weiße Hosen, wirkt sommerlich. Sie kommt mit Pressepsrecher, ohne Bodyguards.
"Das ist üblich. Ich überlege mit meinem sogenannten Springerkommando, bei welcher Veranstaltung sind sie dabei, heute Nachmittag gab es zwei Veranstaltungen, wo sie dabei waren und jetzt heute Abend habe ich gesagt, brauchen wir nicht."
Auch eine Ministerin darf feiern, sagt sie.
"Ich trinke am liebsten einen Weißburgunder. Wollen Sie einen mittrinken? Oder haben sie die Nase voll?"
Annette Schavan geht in die Landesvertretung, schaut links, winkt rechts, begrüßt Bekannte. Porschechef Wedeking posiert mit Zigarre und Toni Marshall. Die Firma Olymp präsentiert im Foyer blaue Oberhemden wie im Kaufhaus.
Moderator: "Neben Günter Oettinger möchte ich auch unsere Bundesforschungsministerin Annnette Schavan begrüßen! (Applaus) Und vielen Dank, lieber Toni!"
Im Gewühl trifft Schavan auf Günter Oettinger. Oettinger ist das, was Schavan gerne geworden wäre: Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Als Erwin Teufel abtrat hat sie Oettinger herausgefordet. Die unverheiratete, kinderlose Rheinländerin gegen den Ur-Schaben Oettinger. Es war ein ungleicher Kampf mit harten Bandagen. Jetzt stehen Schavan und Oettinger nebeneinander. Er legt ihr die Hand auf die Schulter, beide lachen, klatschen, wippen im Takt und singen mit Toni Marshall "Hey Baby!”. Die Ministerin hebt ihr Weinglas. Wohlsein. "Wir werden keine Freunde”, sagt Schavan, "aber das muss auch nicht sein.” Auch Oettinger hat das Duell nicht vergessen.
"Nein, vergessen wäre falsch, das war für uns eine prägende Zeit, da ging es hart zur Sache, da gab es eine Mitgliederbefragung zum ersten Mal in der CDU, damals habe wir uns danach getroffen und wir haben fair gekämpft, deswegen bleibt da nichts."'"
""Die Frau Schavan ist eine blitzgescheite Frau, kann unheimlich schnell auffassen, kompetent, schlagfertig und trotzdem kann sie trennen zwischen der Arbeit und einer erlaunigen Unterhaltung. Ich habe mit ihr mal um ein Amt kandidiert, das war hart aber fair, das liegt hinter uns, sie hat heute eine große Aufgabe in Berlin. Baden-Württemberg ist ein tolles Forschungsland, deswegen wollen wir das Wohlwollen der Ministerin, sie ist Baden-Württembergin, Wahl-Baden-Württembergerin, ich mag sie. Sie tut der CDU Deutschlands gut, die hat ihr Geschäft von der Piecke auf gelernt."
Schavan: "Wein oder Bier? Ich habe die Flasche gerettet …" (lacht)
Annette Schavan hat ihren Platz gefunden, am Biertisch im Innenhof der Landesvertretung, umringt von Herren, die ihr gleich Weißwein einschenken.
"Das ist der frühere Staatsminister Dr. Palmer, das ist mein Nachfolger als Abgeordneter, Herbert, das ist der Bürgermeister aus dem Sall-Kreis, das ist der frühere Landtagsvizepräsident von Baden-Württemberg…"
Ein ehemaliger Mitarbeiter Schavans sagt: "Sie hat sich in Berlin verändert, ist ruhiger geworden, nicht mehr so rührig. Ihr fehlt der Kontakt zu Basis." Dann kommt Horst Schurr dazu, der Präsident der Handwerkskammer Ulm.
"Ich kenne die Frau Schavan schon sehr lange, sie hat viel übrig für das Handwerk, ich bin wirklich dankbar, dass wir sie haben."
Und vor lauter Dankbarkeit geht der Handwerkskammerpräsident zur Bundesforschungsministerin, nimmt sie in den Arm und knutscht Schavan auf die Wange. Die Ministerin strahlt.
"Das ist ein großer Handwerkspräsident!"
BANSE: "Der darf Sie auch mal auf die Wange knutschen?"
"Natürlich. Das ist die Mitte von Baden-Württemberg."
Schavan: "Also die Veranstaltung war ein sehr gutes Beispiel, wirklich die Botschaft zu vermitteln. Mir ist vor allem der Film aufgefallen über die Evolution des Lichtes, das sollte man sich auch für künftige Termine merken. Ich glaube, der nächste wichtige Termin ist jetzt die Regierungserklärung zum Thema am Donnerstag, da sollten wir besonders nochmal den Akzent legen auf das Potential, das da drin steckt."
Annette Schavan sitzt am gläsernen Besprechnungstisch in ihrem Ministerbüro. Sie trägt ein Wollsakko, Hemd und Hose. Zu ihrer Rechten ein Stapel Zeitungen, obenauf die "Frankfurter Allgemeine", daneben ein Glas Wasser. Die Morgenlage. Vor ihrem Referenten Michael Jaspers liegt die Terminmappe. Für jeden Tag ein DIN A 4 Zettel, einige Punkte sind gelb markiert. Referent Herbst sondiert die Presse. Annette Schavan will das Echo ihrer Poltik hören.
"Es ist jeden Morgen wichtig einfach zu wissen, was ist in der Presse los, was kommt in den nächsten Tagen an Terminen, was ist da vorzubereiten. Denn Politik hat immer beide Seiten, einmal Vernünftiges zu tun und einmal dafür zu sorgen, dass es vernünftig rüber kommt."
Auf dem Glastisch steht eine Silberschale mit einer vertrockneten Distelblüte. Neben der Tür hängt ein dunkles Kreuz.
"Das ist ein Bronzekreuz, das der in Berlin lebende Künstler Norbert Rademacher gemacht hat. Er hat es entworfen für die katholische Akademie hier in Berlin, da hängt es in allen Zimmern, in einem kleinen Format und in der Kapelle in einem sehr großen Format. Und als ich hier angefangen habe, hat man mir dieses Kreuz geschenkt."
Vor der Politik war Schavan lange Leiterin des katholischen Casanus-Werks. Auf dem Fußboden neben dem Schreibtisch steht ein gezeichnetes Potrait der Ministerin, Schüler der Haupt- und Realschule in Südbaden haben es ihr geschenkt, damals war Schavan noch Kultusministerin in Baden-Württemberg. Jetzt sitzt sie als Bundesministerin für Bildung und Forschung in Berlin Mitte. Die akademische Gemeinde hat aufgeatmet, ist zufrieden mit Schavan. Aber viel schlimmer als mit Edelgart Buhlmahn konnte es auch nicht werden, sagen Wissenschaftler. Durch die Fensterfront scheint die herbstliche Morgensonne. Das Büro ist nicht größer als es sein muss, um einen Schreibtisch und den Besprechnungstisch mit vier Stühlen aufzunehmen. Schavan verzichtet auf Insignien ministerialer Macht.
Dienstreise. Flug LH 292, von Berlin Tegel nach Stuttgart. Kein Jet der Flugbereitschaft, ein Linienflug. Schavan sitzt in der Business Class, liest die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", neben ihr zwei Mappen.
"Da habe ich jetzt die Akten für die Veranstaltungen der nächsten zwei Tage. Reden, die ich jetzt halten werde. Heute Nachmittag zur Verleihung des Max-Planck-Forschungspreises. Morgen früh werde ich die Festansprache der Max-Planck-Gesellschaft in der Paulskirche halten, werde zum Jubiläum 20 Jahre Wissenschaftspressekonferenz gehen, werde die Rede halten zur Verleihung eines besonderen Forschungspreises der Hertiestiftung, werde den Wissenschaftssommer in München eröffnen und so weiter, das sind jetzt zwei Tage voller Wissenschaftstermine. Und dann ist da noch die eine oder andere Akte drin, die ich mir jetzt mal ansehen will, weil es Dinge sind, über die ich mal ein bisschen nachdenken muss."
Im beigefarbenen Hosenanzug steht sie auf dem Rollfeld des Stuttgarter Flughafens, ihre Handtasche geschultert. Sie beobachtet, wie ihr schwarzer Rollkoffer mit rotem Namensschild aus dem Laderaum der Maschine geholt und erstmal auf den Gepäckwagen gestellt wird. Aber Schavan will ihn selber ziehen. In der linken Hand den Planer und die zwei Akten, über dem rechten ihren Kleidersack, steigt die Ministerin den Bus, der die Fluggäste zum Terminal fährt. Niemand scheint sie zu erkennen. 29 Grad, Sonnenschein.
In der Empfangshalle wartet Herr Landsrat, ein Herr vor der Pensionierung, im Anzug und mit zerzaustem Vollbart. Herr Landsrat war schon ihr Fahrer, als Schavan noch Kultusministerin im Ländle war.
Schlossplatz in Stuttgart. Vor dem baden-württembergischen Kultusministerium steht Schavans Dienstwagen, ein blauer 5er BMW. Zehn Jahre hat Annette Schavan hier gearbeitet, reformiert, eingeführt, einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Warten auf den Fahrer. Herr Landsrat ist unterwegs, ein Fax besorgen, dass Schavans Büro aus Berlin geschickt hat. Dann kommt her Landsrat geeilt, in der Hand das Fax.
"Ah, Herr Landsrat! Nichts zu entschuldigen! Dann haben wir das Fax und tun den Kleidersack in den Kofferraum, muss mich in Frankfurt umziehen."
Aus einem Fenster im dritten Stock des Bildungsministeriums winken zwei Frauen, ehemalige Mitarbeiter. Zehn Jahre war Schavan hier Kultusministerin. Sie winkt zurück.
"Hallo!" Hallo! Grüße Sie! …Danke jawohl! Oben schön schwitzig? Machen Sie hitzefrei! Schönen Tag, ciao!"
Schavan steigt ins Auto. Sie muss nach Frankfurt am Main. Um 17 Uhr verleiht sie im Messetrum den Max-Planck-Forschungspreis, 1,5 Millionen Euro für zwei Kunsthistoriker. Schavan liest das Fax: Ihr Referent Dr. Jaspers kann nicht nach Frankfurt kommen, sein Flug wurde abgesagt.
"Da haben wir aber Glück gehabt…Wenn ich ich geflogen wäre, wie geplant…haben sie gelesen? Also…"
Schavans persönlicher Referent Dr. Jaspers kann nicht nach Frankfurt kommen. Sein Flieger ist ausgefallen, steht auf dem Fax. Eigentlich sollte auch Schavan mit diesem Flugzeug kommen. Dann säße sie jetzt in Berlin fest.
"Dann telefoniere ich mal mit dem Büro …. Genau, wir müssen ein bisschen vorfahren und dann kann man einen U-Turn machen…"
Die Ministerin sitzt im Fond, angeschnallt, auf dem Schoß die Akten und ihr Termin-Planer.
"Ja, Schavan, hallo. Ich habe die Nachricht gehört. Wir versucht denn der Jaspers jetzt zu kommen? …. Ja, gut, so ist das halt. Jetzt haben wir ja Glück gehabt, sonst wären wir auch nicht gekommen, ne….ja…..ach….na ja gut, steckt man nicht drin. Dann geben sie mir bitte Frau Seiberst noch mal, tschüß…….ja? Sie kann noch mal durchrufen. Sie könne ihr aber schon sagen, für das Treffen mit den Wissenschaftsministern kann sie die Zeit 11.15 bis 13 Uhr nehmen. Mir sei bewusst, dass das nahe am Kabinett ist, aber ich gehe davon aus, dass das Kabinett pünktlich um 11 zu Ende ist. Notfalls gehe ich etwas früher. Danke, tschüß."
Im Grunde bleiben auf der Straße, dann kommen wir auf die Autobahn, das ist die Ausfallstraße.
Voraussichtliche Ankunft: 17.05, zeigt das Navigationssystem. Entfernung zum Ziel 201 Kilometer. Nächster Anruf. Diesmal bei ihrem Pressesprecher.
"Ja, Schavan hallo ... danke. Ich bin’s. Ich wollte nur hören ob es was Besonderes gibt, ob was über den Ticker läuft, ob die 'FTD' schon Zitate geschickt hat…Herr Landsrat, außer dem Fax, war da sonst noch was? 'Die Rede.' Die Rede, ne mehr habe ich nicht …. Ja, die Rede und die Nachricht, dass Jaspers nicht kann. Dann lies sie mir doch vor. Ist denn was Problematisches dabei? ... Hmmm…. hmm…"
(herunter blenden)
Schavan hat der Financial Times Deutschland ein Interview geben. In Deutschland ist es Sitte, dass Interviews autorisiert werden, der Interviewte also vor der Veröffentlichung noch mal gegenliest und Gesagtes verändern kann.
"… das ist der Auftakt für die Arbeit an Integrationskonzepten, an noch besseren Intergrationskonzepten…"
Der Beifahrersitz ist weit vorgeschoben, maximale Beinfreiheit. Zu Schavans Füßen ihre geöffnete Handtasche. Ein Handy, Stifte in verschiedenen Farben, Ministerstifte. Entfernung bis zum Ziel: 89 Kilometer. Voraussichtliche Ankunft: 16.55. Sind gut in der Zeit, sagt Schavan. Sie verstrahlt keine Aura ministerieller Wichtigkeit. Schavan wird oft unterschätzt. Das verbindet sie mit Angela Merkel. Beide kennen ein Leben ohne Macht, Annette Schavan kam erst mit 40 zur Politik. Elf Jahre Ministerin, da haben Kollegen längst eine harte Schale gebildet, die den Menschen schützt vor den täglichen Attacken. Auch Schavan hat sich verändert durch die Macht.
"Entschiedener und konsequenter, ja. Härter – das ist gegen mein Naturell. Wie Stark Politik einen verändert, hat damit zu tun, das man bei aller Anspannung und Arbeit auch noch was anderes bleibt: Literatur, Kunst, andere Debatten, also ein Gegengewicht gegenüber dem rein Poltischen. war mir immer wichtig."
"Kommen gut durch Herr Landsrath, oder? Sind nämlich an ein paar Stellen vorbei, wo es immer schwierig war. Dann kann ich mich natürlich in Ruhe umziehen."
"Ich lese jeden Morgen. Erst im Büro. Zu Hause lese ich anders, weil ich kurz nachdem ich vor zehn Jahren in die Politik kam, gemerkt habe, abends läuft da nichts mehr, dazu kommt man zu spät nach Hause und dann ist man dusselig, um noch was aufzunehmen. Aber da mir Literatur wichtig ist, da mir wichtig ist in meinen alten Fächern weiter zu lesen, da ich viele Anregungen aus dem Lesen nehme, habe ich die Literatur in den frühen Morgen verlegt. Das ist die Stunde, in der ich lese, was ich will und nicht, was auf meinem Schreibtisch liegt. Das ist ein Stück Freiheit und es bewahrt davor, eine Politikersprache zu entwickeln."
Das gelingt nicht immer, oft verfällt sie in den Politiker-Singsang. Die Bürger müssen spüren, dass Dinge entschieden werden, sonst droht Politikverdrossenheit, sagt Schavan - hört das Wort Gesundheitsreform und geht in die Defensive, sitzt steif und guckt nach draußen auf die Autobahn. Gesundheitsreform. Für viele das Dokument des Scheiterns überforderter Politiker. Die Duz-Kollegin von Angela Merkel und stellvertretende CDU-Vorsitzende verteidigt das großkoaltionäre Werk. Aber überzeugt ist sie nicht, das ist zu sehen, sie verkrampft, sucht nach Worten, die darauf hinauslaufen: Die Bürger erwarten zu viel, mehr ist nicht drin.
"Ich habe das also in vielen Gremien gehört, wir haben diskutiert, wir haben abgewogen. Es war sehr deutlich in den letzten Tagen: Es gibt eine überschaubare Anzahl an Handlungsoptionen, mehr gibt es nicht, wir sitzen nicht vor dem Reißbrett, wir fangen nicht am Punkt null an, wir haben zwei bis drei Handlungsoptionen. … Ich fand die öffentliche Bewertung in den ersten Tagen, nachdem die Eckpunkte veröffentlicht wurden, maßlos. Und frage dann schon manchmal: Was stellt sich denn die Öffentlichkeit vor, was an Handlungsspielräumen da ist? … Die einen sind fest davon überzeugt: Es geht nur, wenn Leistungen rausfliegen. Die anderen sind an der Decke, wenn sie nur darüber diskutieren sollen. Und Politik muss diese Widersprüchlichkeit aushalten und daraus gestalten. Wenn sie mich fragen: Finden sie das nicht frustrierend? Dann gibt es Tage, an denen einen diese Widerspüchlichkeiten natürlich auch Leid sind. Aber an allen anderen Tagen muss ich wissen, ich habe mich für Politk entschieden."
Annette Schavan hört zu, denkt nach.
"Ich bin davon überzeugt, damit gut klarzukommen, weil ich nicht in den vielen Äußerlichkeiten, die da auf einen zukommen, gebunden bin. Bin auch weiterhin selbstständig in praktischen Dingen des Alltags. Ich habe weiterhin ein Auto. Ich sitze im Wahlkreis selbst am Steuer. Ich glaube, dass ich die praktischen Dinge des Lebens nicht verlernt habe."
Dann meldet sich Schavans Referent Jaspers per Telefon, Fahrer Landsrat stellt die Freisprecheinrichtung laut.
Jaspers: "Ich bin noch in Berlin am Flughafen, weil mein Flug komplett ausgefallen ist."
Schavan: "Okay. Herr Jaspers, hören sie mich? Ist doch gut, dass ich über Stuttgart gegangen bin!"
Jaspers: "Meine Frage noch, ob Sie noch was brauchen für den Termin?"
Schavan: "Nein habe alles gesehen … wunderbar."
Frankfurt Main, Messeturm. Die Ministerin holt ihren Kleidersack aus dem Kofferraum, ein Page hängt ihn an einen Rollwagen. Annette Schavan eilt zur Rezeption und sagt: "Guten Tag, Schavan, mein Name." Die Ministerin bekommt Zimmer 836.
"836 mit einem schön Blick, einmal für Sie und einen angenehmen Aufenthalt."
"Danke!" (Geht zum Aufzug)
Annette Schavan eilt - die Handtasche mit einer Hand auf dem Rücken haltend - zum Lift, der Page mit dem Kleiderwagen hinterher. Schnell nach oben, sagt sie, duschen, umziehen.
Vor dem Fahrstuhl versammeln sich drei Personenschützer in dunklen Anzügen. Wer am Lift rumsteht, muss ihnen erklären, warum er am Lift rumsteht. Die Ministerin kommt jede Sekunde, sagen sie. Annette Schavan tritt aus dem Lift, verwandelt. Zum rosa Sakko trägt sie einen schwarzen Rock und weiße Strumpfhosen. Sie ist frisch geschminkt, frisiert und hat ihr breitestes Lächeln angeschaltet. Die Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft nehmen die Ministerin in ihre Mitte.
"… Max-Planck-Gesellschaft und da kommen auch schon die beiden Präsidenten…"
"Guten Tag! Ich bin nur hier, weil ich nicht so gekommen bin, wie ich sollte. Ich sollte von Berlin nach Frankfurt fliegen, da ist mein Referent drin. Ich wollte über Stuttgart…."
Auf dem Weg in den Festsaal. Ein Personenschützer vorne, zwei hinten. 2000 Menschen harren im Halbdunkel des Saals. Warten auf die Ministerin. Schavan nickt nach links, grüßt nach rechts, lächelt. Köpfe wenden sich ihr zu. Minister ziehen Menschen an, wie Honig die Bienen. Schavan fragt, wie die Preisträgerin heißt.
Schavan: "Die Professorin heißt wie?"
"Alina Payne."
Schavan: "Payne?"
"Mit ay, nicht schmerzhaft"
Ein Mann im Anzug tritt an Schavan heran.
"Wollte Ihnen nachher noch was ans Herz legen, aber da haben wir nachher noch Zeit zu."
"Da haben wir nachher noch Zeit zu, ja."
Einflüsterer, Menschen mit einem Anliegen. Da kommt schon der Nächste.
"Hätten Sie anschließen doch mal Zeit, ich würde anschließen noch mal mit Ihnen sprechen?"
"Ich bin noch ein bisschen hier, übernachte in Frankfurt, gerne."
Eine junge Frau in Jeans nähert sich schüchtern von hinten, wartet auf den richtigen Augenblick. Schavans Referent Jaspers hat sie geschickt.
"Tag Frau Ministerin, mein Name ist Albrecht vom BMBF, Referat 417. Herr Jaspers rief mich an und bat mich, Ihnen den Ablaufplan noch zu geben, wenn Sie den brauchen."
"Von heute Nachmittag?"
"Von heute Nachmittag, damit se wissen, wie das Programm abläuft."
"Ja, gut, hmmm, danke"
Dann steht die Preisträgerin vor ihr, eine Kunstwissenschaftlerin aus den USA. "Es ist mir eine Ehre, ihnen diesen Preis zu geben", sagt Schavan in holprigem Englisch.
"Das ist Frau Payne."
"It’s a pleasure to be here. I am very honored to be here."
"Is a pleasure form me to give you the price for excellence."
"It’s an amazing price, it came in a real perfect moment for me. But I hope …"
Alina Payne will noch was sagen, aber Schavan geht weiter. Die Preisträgerin bleibt mit ihrem halben Satz im Mund stehen und sieht aus, als hätte sie sich das anders vorgestellt. Schavan redet gerne frei, sagt sie.
"Habe es im Kopf, wo ich anfange, wo ich aufhöre, das dazwischen, das ergibt sich."
Banse:"'Sie sind jetzt wieder ganz Ministerin, merken sie das eigentlich, dass sie sich verwandeln zwischen solchen Terminen?"
"Das sind die verschiedenen Teile des einen Lebens. Wichtig ist, sie einfach gut zusammenzuhalten. Schönen guten Tag! Freue mich auch sehr, sie wieder zu sehen."
Musik und Film-Trailer: "Harvard, die Wirkungsstätte von Alina Payne. Ein zentrales Engagement ihrer Arbeit gilt der Reintegration der Architektur in die Kunstgeschichte und das lang verfemte Ornament."
"Bitte Frau Bundesministerin!" (Applaus)
Annette Schavan tritt ans Rednerpult, lächelt, legt einen Zettel vor sich ab und hält eine Rede, die im schlechtesten Sinn eine Politikerrede ist. Voller Floskeln und Gemeinplätze, so glatt, dass es nicht möglich ist, die Worte zu packen, Inhalte festzuhalten. Man fühlt sich leer hinterher, ausgelaugt.
"Sehr verehrte Frau Professorin Payne, lieber Herr Bredekamp. Als das Bundesministerium und ich als Stifter genannte wurde, ist mir eingefallen, in Wirklichkeit sind die 1,5 Millionen Euro die Gabe der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. (Applaus) Wir tragen nur Sorge, dass mit diesem Steuergeld richtige Zeichen gesetzt werden, Signale, Signale im Blick auf die Rolle und Bedeutung für Bürgerinnen und Bürger."
Zurück in Berlin. Die Ministerin hat Feierabend, na ja, fast wenigstens. Richtig privat ist die Party in der baden-württembergischen Landesvertretung nicht. Weit über 1000 Politiker, Journalisten, Unternehmer und Staatsdiener sind in die Landesvertretung gekommen, die größer ist als so manche Botschaft hier am Rand des Berliner Tiergartens. Es ist warm, Männer tragen ihr Jacket überm Arm, "noch ein Riesling, bitte”, sofort läuft Kondenswasser am Weinglas hinunter. Annette Schavan trägt ein helles Sakko, weiße Hosen, wirkt sommerlich. Sie kommt mit Pressepsrecher, ohne Bodyguards.
"Das ist üblich. Ich überlege mit meinem sogenannten Springerkommando, bei welcher Veranstaltung sind sie dabei, heute Nachmittag gab es zwei Veranstaltungen, wo sie dabei waren und jetzt heute Abend habe ich gesagt, brauchen wir nicht."
Auch eine Ministerin darf feiern, sagt sie.
"Ich trinke am liebsten einen Weißburgunder. Wollen Sie einen mittrinken? Oder haben sie die Nase voll?"
Annette Schavan geht in die Landesvertretung, schaut links, winkt rechts, begrüßt Bekannte. Porschechef Wedeking posiert mit Zigarre und Toni Marshall. Die Firma Olymp präsentiert im Foyer blaue Oberhemden wie im Kaufhaus.
Moderator: "Neben Günter Oettinger möchte ich auch unsere Bundesforschungsministerin Annnette Schavan begrüßen! (Applaus) Und vielen Dank, lieber Toni!"
Im Gewühl trifft Schavan auf Günter Oettinger. Oettinger ist das, was Schavan gerne geworden wäre: Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Als Erwin Teufel abtrat hat sie Oettinger herausgefordet. Die unverheiratete, kinderlose Rheinländerin gegen den Ur-Schaben Oettinger. Es war ein ungleicher Kampf mit harten Bandagen. Jetzt stehen Schavan und Oettinger nebeneinander. Er legt ihr die Hand auf die Schulter, beide lachen, klatschen, wippen im Takt und singen mit Toni Marshall "Hey Baby!”. Die Ministerin hebt ihr Weinglas. Wohlsein. "Wir werden keine Freunde”, sagt Schavan, "aber das muss auch nicht sein.” Auch Oettinger hat das Duell nicht vergessen.
"Nein, vergessen wäre falsch, das war für uns eine prägende Zeit, da ging es hart zur Sache, da gab es eine Mitgliederbefragung zum ersten Mal in der CDU, damals habe wir uns danach getroffen und wir haben fair gekämpft, deswegen bleibt da nichts."'"
""Die Frau Schavan ist eine blitzgescheite Frau, kann unheimlich schnell auffassen, kompetent, schlagfertig und trotzdem kann sie trennen zwischen der Arbeit und einer erlaunigen Unterhaltung. Ich habe mit ihr mal um ein Amt kandidiert, das war hart aber fair, das liegt hinter uns, sie hat heute eine große Aufgabe in Berlin. Baden-Württemberg ist ein tolles Forschungsland, deswegen wollen wir das Wohlwollen der Ministerin, sie ist Baden-Württembergin, Wahl-Baden-Württembergerin, ich mag sie. Sie tut der CDU Deutschlands gut, die hat ihr Geschäft von der Piecke auf gelernt."
Schavan: "Wein oder Bier? Ich habe die Flasche gerettet …" (lacht)
Annette Schavan hat ihren Platz gefunden, am Biertisch im Innenhof der Landesvertretung, umringt von Herren, die ihr gleich Weißwein einschenken.
"Das ist der frühere Staatsminister Dr. Palmer, das ist mein Nachfolger als Abgeordneter, Herbert, das ist der Bürgermeister aus dem Sall-Kreis, das ist der frühere Landtagsvizepräsident von Baden-Württemberg…"
Ein ehemaliger Mitarbeiter Schavans sagt: "Sie hat sich in Berlin verändert, ist ruhiger geworden, nicht mehr so rührig. Ihr fehlt der Kontakt zu Basis." Dann kommt Horst Schurr dazu, der Präsident der Handwerkskammer Ulm.
"Ich kenne die Frau Schavan schon sehr lange, sie hat viel übrig für das Handwerk, ich bin wirklich dankbar, dass wir sie haben."
Und vor lauter Dankbarkeit geht der Handwerkskammerpräsident zur Bundesforschungsministerin, nimmt sie in den Arm und knutscht Schavan auf die Wange. Die Ministerin strahlt.
"Das ist ein großer Handwerkspräsident!"
BANSE: "Der darf Sie auch mal auf die Wange knutschen?"
"Natürlich. Das ist die Mitte von Baden-Württemberg."