Die US-Gesellschaft vor dem Untergang
In seinem aktuellen Sachbuch verortet der Journalist und Autor George Packer die USA inmitten einer Identitätskrise. Er befürchtet, dass sich die amerikanische Gesellschaft von dem löst, was sie zusammengehalten hat: dem Glauben an die gemeinsame Zukunft.
Glaubt man den amerikanischen Sachbuch-Bestsellerlisten, dann befinden die USA sich in einer ausgedehnten Identitätskrise. Das Unbehagen über die Zukunft Amerikas, die Sorge, dass der amerikanische Traum von kommenden Generationen nicht mehr verwirklicht werden kann, sind wiederkehrende Themen der politischen Literatur der jüngsten Zeit.
George Packer meint ein "Unwinding" zu beobachten: So wie sich ein Seil von der Spule abwickele, so löse sich die amerikanische Gesellschaft aus dem, was sie zusammengehalten habe.
"Das Problem war im Grunde folgendes: Die Amerikaner, die Erfinder des modernen Fließbands, des Wolkenkratzers, des Flugzeugs und des integrierten Schaltkreises, glaubten nicht mehr an die Zukunft ..."
... lässt Packer eine seiner Hauptfiguren, den kalifornischen IT-Milliardär Peter Thiel, sagen. Dem Südstaatler Dean Price folgt der Autor in dessen Heimatstadt in North Carolina, um den Untergang nostalgisch zu bebildern:
"Das Schuhgeschäft hatte zugemacht, die Rollläden vor der Apotheke waren heruntergelassen, die Restaurants waren geschlossen. Nur ein paar Leute waren überhaupt auf den Bürgersteigen. Die Männer, denen diese Geschäfte gehörten, waren die Stützen dieser Gesellschaft. Sie trainierten Jungen und Mädchen in Baseball-Mannschaften, sie saßen im Stadtrat. Jetzt sind sie fort, mit schweren Folgen für das Gemeinwesen."
Den Beginn dieses gesellschaftlichen Zerfalls datiert Packer auf das Jahr 1978, als Vandalismus die Zentren amerikanischer Städte veröden ließ, wirtschaftliche Stagnation und Inflation die Amerikaner verunsicherten und Newt Gingrich erstmals ins Repräsentantenhaus gewählt wurde.
George Packer meint ein "Unwinding" zu beobachten: So wie sich ein Seil von der Spule abwickele, so löse sich die amerikanische Gesellschaft aus dem, was sie zusammengehalten habe.
"Das Problem war im Grunde folgendes: Die Amerikaner, die Erfinder des modernen Fließbands, des Wolkenkratzers, des Flugzeugs und des integrierten Schaltkreises, glaubten nicht mehr an die Zukunft ..."
... lässt Packer eine seiner Hauptfiguren, den kalifornischen IT-Milliardär Peter Thiel, sagen. Dem Südstaatler Dean Price folgt der Autor in dessen Heimatstadt in North Carolina, um den Untergang nostalgisch zu bebildern:
"Das Schuhgeschäft hatte zugemacht, die Rollläden vor der Apotheke waren heruntergelassen, die Restaurants waren geschlossen. Nur ein paar Leute waren überhaupt auf den Bürgersteigen. Die Männer, denen diese Geschäfte gehörten, waren die Stützen dieser Gesellschaft. Sie trainierten Jungen und Mädchen in Baseball-Mannschaften, sie saßen im Stadtrat. Jetzt sind sie fort, mit schweren Folgen für das Gemeinwesen."
Den Beginn dieses gesellschaftlichen Zerfalls datiert Packer auf das Jahr 1978, als Vandalismus die Zentren amerikanischer Städte veröden ließ, wirtschaftliche Stagnation und Inflation die Amerikaner verunsicherten und Newt Gingrich erstmals ins Repräsentantenhaus gewählt wurde.
Der gesellschaftliche Zerfall beginnt laut Packer schon 1978
Systematisch brachte der republikanische Politiker das parlamentarische System in Verruf, indem er den Stil grundlegend veränderte, wie amerikanische Volksvertreter miteinander umgehen. Er war nicht etwa nur streitfreudig, sondern kompromisslos, unversöhnlich, verbohrt. Seine Initiativen zielten darauf ab, verbrannte Erde zu hinterlassen. So treffend wie George Packer hat das noch keiner beschrieben:
"Er gab ihnen Senfgas und sie setzten es gegen jeden denkbaren Feind ein, auch gegen ihn selbst."
Der einstige republikanische Mehrheitsführer Gingrich ist einer von einem Dutzend Vertretern der amerikanischen Elite, die Packer in eindringlichen, unsentimentalen Kurzporträts darstellt.
Der anstrengungslose Wechsel des Bankiers Robert Rubin zwischen Wall Street und White House zeigt den geschlossenen Kreislauf der Macht; die Medienzarin Oprah Winfrey stellt Packer als ausbeuterische Zynikerin dar; der Unternehmer Sam Walton steht für eine skrupellose Unternehmerschicht, die sich von jeglicher sozialer Verantwortung freispricht.
Packers Sympathie gilt dagegen einer demokratischen Senatorin, die für strengere Finanzmarktregulierungen kämpft und einer Restaurantbesitzerin, die den Trend zur Rückbesinnung auf gute Ernährung einleitete.
Viel ausführlicher jedoch illustriert George Packer das unbeständige, gespaltene Amerika der Gegenwart durch seine Hauptfiguren. Neben dem IT-Milliardär Peter Thiel und dem vielfach scheiternden Unternehmer Dean Price sind das die Fabrikarbeiterin Tammy Thomas, eine alleinerziehende Schwarze aus Ohio, und der Jurist Jeff Connaughton, dem als Berater des heutigen demokratischen Vizepräsidenten Joe Biden der Idealismus abhanden kam.
"Er gab ihnen Senfgas und sie setzten es gegen jeden denkbaren Feind ein, auch gegen ihn selbst."
Der einstige republikanische Mehrheitsführer Gingrich ist einer von einem Dutzend Vertretern der amerikanischen Elite, die Packer in eindringlichen, unsentimentalen Kurzporträts darstellt.
Der anstrengungslose Wechsel des Bankiers Robert Rubin zwischen Wall Street und White House zeigt den geschlossenen Kreislauf der Macht; die Medienzarin Oprah Winfrey stellt Packer als ausbeuterische Zynikerin dar; der Unternehmer Sam Walton steht für eine skrupellose Unternehmerschicht, die sich von jeglicher sozialer Verantwortung freispricht.
Packers Sympathie gilt dagegen einer demokratischen Senatorin, die für strengere Finanzmarktregulierungen kämpft und einer Restaurantbesitzerin, die den Trend zur Rückbesinnung auf gute Ernährung einleitete.
Viel ausführlicher jedoch illustriert George Packer das unbeständige, gespaltene Amerika der Gegenwart durch seine Hauptfiguren. Neben dem IT-Milliardär Peter Thiel und dem vielfach scheiternden Unternehmer Dean Price sind das die Fabrikarbeiterin Tammy Thomas, eine alleinerziehende Schwarze aus Ohio, und der Jurist Jeff Connaughton, dem als Berater des heutigen demokratischen Vizepräsidenten Joe Biden der Idealismus abhanden kam.
Menschen aus allen sozialen Schichten kommen zu Wort
Wie Packer ihre Geschichten zu einer Erzählung verwebt, zeugt von der literarischen Versiertheit des Journalisten, der auch als Romanschriftsteller und Bühnenautor in Erscheinung getreten ist. Seine Stärke liegt in seiner Fähigkeit, ganz unterschiedliche Menschen aus allen sozialen Schichten beredt zu Wort kommen zu lassen.
Allerdings: In seinem Bemühen, seine Hauptfiguren möglichst anschaulich, ja manchmal langatmig zu zeichnen, widerlegt er die eigene These vom Niedergang des amerikanischen Traums: Gerade die am stärksten benachteiligten Protagonisten lassen sich nicht unterkriegen und können in schönster amerikanischer Tradition auf die Solidarität und tatkräftige Hilfe anderer zählen.
Auch eine eindeutige Erklärung für das von ihm konstatierte Auseinanderdriften sozialer Gruppen bleibt George Packer schuldig. Er legt nahe, dass Amerikas Establishment versagt habe, sich nicht für die Mehrheit der Bürger des Landes interessiere. Doch die Selbstbedienungsmentalität der Mächtigen ist nicht neu. Sie belegt weder Gehälterstagnation noch Rezession.
Auch an diesem Punkt scheint er sich seiner These nicht sicher zu sein, dass die US-Gesellschaft dabei sei auseinanderzubrechen. Gerade so, als könnten selbst Zerfall und Not dem amerikanischen Traum nichts anhaben, preist er geradezu hymnisch die vielen Facetten der persönlichen Freiheit. Er ist ambivalent und sieht im Niedergang die Chance.
"Das Auseinanderdriften bringt Freiheit, mehr als die Welt je zuvor gewährt hat, und für mehr Menschen als je zuvor - Freiheit zu gehen, Freiheit zurückzukehren, Freiheit die eigene Geschichte zu ändern, sich selbst ein Bild zu machen, sich anstellen zu lassen, gefeuert zu werden, sich zu berauschen, zu heiraten, scheiden zu lassen, pleite zu gehen, neu anzufangen, ein Unternehmen zu gründen, alles zu haben, bis an die Grenze zu gehen, die Ruinen hinter sich zu lassen, über alle Maßen erfolgreich zu sein und damit anzugeben, abgrundtief zu versagen und es nochmal zu versuchen."
George Packers "The Unwinding" ist ein widersprüchliches und zugleich fesselndes Buch, nicht zuletzt, weil es genau die Qualitäten demokratischer Großzügigkeit und Aufrichtigkeit herausarbeitet, die angeblich in Amerika untergegangen sein sollen.
George Packer: The Unwinding. An Inner History of the New America
Verlag Farrar, Strauss & Giroux, New York 2013
448 Seiten, 27 US-Dollar
Allerdings: In seinem Bemühen, seine Hauptfiguren möglichst anschaulich, ja manchmal langatmig zu zeichnen, widerlegt er die eigene These vom Niedergang des amerikanischen Traums: Gerade die am stärksten benachteiligten Protagonisten lassen sich nicht unterkriegen und können in schönster amerikanischer Tradition auf die Solidarität und tatkräftige Hilfe anderer zählen.
Auch eine eindeutige Erklärung für das von ihm konstatierte Auseinanderdriften sozialer Gruppen bleibt George Packer schuldig. Er legt nahe, dass Amerikas Establishment versagt habe, sich nicht für die Mehrheit der Bürger des Landes interessiere. Doch die Selbstbedienungsmentalität der Mächtigen ist nicht neu. Sie belegt weder Gehälterstagnation noch Rezession.
Auch an diesem Punkt scheint er sich seiner These nicht sicher zu sein, dass die US-Gesellschaft dabei sei auseinanderzubrechen. Gerade so, als könnten selbst Zerfall und Not dem amerikanischen Traum nichts anhaben, preist er geradezu hymnisch die vielen Facetten der persönlichen Freiheit. Er ist ambivalent und sieht im Niedergang die Chance.
"Das Auseinanderdriften bringt Freiheit, mehr als die Welt je zuvor gewährt hat, und für mehr Menschen als je zuvor - Freiheit zu gehen, Freiheit zurückzukehren, Freiheit die eigene Geschichte zu ändern, sich selbst ein Bild zu machen, sich anstellen zu lassen, gefeuert zu werden, sich zu berauschen, zu heiraten, scheiden zu lassen, pleite zu gehen, neu anzufangen, ein Unternehmen zu gründen, alles zu haben, bis an die Grenze zu gehen, die Ruinen hinter sich zu lassen, über alle Maßen erfolgreich zu sein und damit anzugeben, abgrundtief zu versagen und es nochmal zu versuchen."
George Packers "The Unwinding" ist ein widersprüchliches und zugleich fesselndes Buch, nicht zuletzt, weil es genau die Qualitäten demokratischer Großzügigkeit und Aufrichtigkeit herausarbeitet, die angeblich in Amerika untergegangen sein sollen.
George Packer: The Unwinding. An Inner History of the New America
Verlag Farrar, Strauss & Giroux, New York 2013
448 Seiten, 27 US-Dollar