"Die USA haben hier einen ganz schweren Stand"
Die USA haben in Ägypten kein großes Ansehen - zu lange haben sie mit dem Regime von Hosni Mubarak sympathisiert, sagt Ronald Meinardus vom Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Daher löst auch die Tötung von Osama bin Laden keinen Jubel aus.
Dieter Kassel: Erleichterung, Genugtuung, teilweise pure Freude auf den Straßen. So hat ein großer Teil der Bevölkerung in den USA auf die Tötung von Osama bin Laden reagiert, westliche Regierungen haben Washington gratuliert, das war alles relativ einheitlich. Aber wie reagieren eigentlich die Menschen in den arabischen Staaten, wie reagieren sie zum Beispiel in Ägypten, wie hat sich dort vielleicht auch durch die jüngsten radikalen politischen Umwälzungen die Einstellung gegenüber den USA verändert? Das wollen wir jetzt mit Ronald Meinardus besprechen, er leitet das Regionalbüro Kairo der Friedrich-Naumann-Stiftung, schönen guten Morgen!
Ronald Meinardus: Schönen guten Morgen!
Kassel: Wie zunächst einmal haben denn die Medien in Ägypten über die Tötung Osama bin Ladens durch das US-Spezialkommando berichtet?
Meinardus: Also natürlich war dieses Thema auch in den ägyptischen staatlichen und privaten Medien gestern das Thema Nummer eins, aber ich muss feststellen, dass dieser Hype, um es mal so zu formulieren, der in den deutschen, vor allen Dingen aber in den amerikanischen Medien unübersehbar war, hier nicht stattgefunden hat. Das Thema ist ganz offenbar weniger der Hit in der arabischen Welt als im Westen, und ganz auffällig etwa ist, dass es kaum offizielle Verlautbarungen seitens etwa der Regierung gibt, die kann man an einer Hand abzählen. Symptomatisch vielleicht eine Äußerung des neuen ägyptischen Außenministers El Arabi, der zu dem ganzen Vorgang keinen Kommentar geben wollte, der gesagt hat, ganz pauschal, Ägypten lehne politisch motivierte Gewalt ab, aber zu der Tötung von Osama bin Laden kein offizielles Statement gemacht hat. Das ist schon ganz symptomatisch. Natürlich, in den sozialen Medien ist das ein ganz großes Thema, anfänglich hieß es, das sei gar keine richtige Nachricht, sondern eine Zeitungsente, wie man sagen könnte, Osama bin Laden sei noch am Leben, dann hat sich aber diese Information dann verstetigt und verstärkt und am Ende des Tages gab es auch viele Menschen im Cyberspace, die gesagt haben, Osama bin Laden sei ein Held, andere sagten, es ist gut, dass er tot ist. Also ein durchaus gemischtes und durchwachsenes Echo.
Kassel: Wie sieht man denn in Ägypten die USA? Hat sich die Einstellung sowohl der Politik, also neu jetzt, aber auch der Menschen auf der Straße eigentlich in den letzten Wochen, durch die großen Veränderungen in Ägypten gegenüber Amerika verändert?
Meinardus: Nein, auffällig ist – und das ist ein zweites Thema, das natürlich einen Zusammenhang hat mit der Tötung von Osama bin Laden, auffällig ist, dass die USA hier einen ganz schweren Stand haben, dass die Popularität der Amerikaner gar nicht sehr ausgeprägt ist im Gegensatz etwa zu der Popularität der Europäer und auch der Bundesdeutschen. Die Sympathiewerte auch der USA nach der Regierungsübernahme von Barack Obama sind nur kurzfristig in die Höhe gegangen, und nach aktuellen Umfragen sind nur etwa 20 Prozent der Ägypter positiv gegenüber den Amerikanern eingestellt. Und erstaunlich ist, dass dieser Wert über die letzten zwei bis drei Jahre auch stabil geblieben ist. Ganz erstaunlich ist auch, dass der Einsatz der Amerikaner hier zumindest rhetorisch für die Demokratiebewegung in der arabischen Welt in Ägypten allemal nicht honoriert wird, es gibt ein sehr tief sitzendes Misstrauen gegenüber der westlichen Führungsmacht, und das reflektiert sich dann halt in dieser aktuellen Umfrage, die vor einigen Tagen von einem führenden amerikanischen Meinungsforschungsinstitut veröffentlicht worden ist.
Kassel: Wie erklären Sie sich das? Ist man in Ägypten vielleicht auch ein bisschen enttäuscht, was die Rolle der USA bei den politischen Umwälzungen der letzten Wochen angeht?
Meinardus: Ja sicherlich. Es gibt ja den ganz tief sitzenden Vorwurf, dass hier mit zwei unterschiedlichen Messlatten ans Werk gegangen wird. Einerseits die Rhetorik für die Demokratie, gleichzeitig dann die Unterstützung undemokratischer Herrschaften. Es wird den Amerikanern nicht verziehen, dass sie über viele Jahre, über Jahrzehnte, muss man ja sagen, Herrn Mubarak unterstützt haben und bis zuletzt die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton gesagt hat, Mubarak und das Regime seien stabil. Gleichzeitig wird genau beobachtet, wie die Amerikaner in Bezug auf Bahrain sich verhalten, wird genau beobachtet, dass sie nach wie vor zu Saudi-Arabien – alles andere als eine Hochburg der Demokratie – Beziehungen unterhalten, und sicherlich die größte Hypothek der US-amerikanischen Nahostpolitik, sicherlich auch die größte Hypothek der US-amerikanischen Beziehungen zur islamischen Welt insgesamt, ist die sehr einseitige hier aus Sicht der arabischen Welt Parteinahme für den Staat Israel. So lange diese Perzeption anhält, wird es sehr schwierig sein, dass die Sympathiewerte der USA in der arabischen Welt, man kann auch sagen, insgesamt in der muslimischen Welt, sich deutlich verbessern.
Kassel: Wie blickt man denn von Ägypten aus auf Libyen? Der Einsatz dort, ursprünglich ja sogar von den USA geleitet, inzwischen eine NATO-Operation, wie beurteilt man denn das?
Meinardus: Ja erstaunlicherweise auch da fast eine No-comment-Außenpolitik. Das ist erstaunlich, dass sich die neue ägyptische Regierung zu vielen Dingen in der Welt äußert, aber offizielle Verlautbarungen zu der Situation in Libyen und auch zu dem jüngsten Bombenangriff in Tripolis mit dem angeblichen Tod auch eines Familienmitgliedes dort sucht man vergeblich. Die ägyptische Regierung hält sich dort diplomatisch zurück, und wenn man dann fragt, woran das liegt, dann heißt es, ja wir müssen unsere etwa eine Million ägyptischer Gastarbeiter schützen. Diese Menschen werden hier gewissermaßen als Geiseln betrachtet und insofern ist die ägyptische Regierung dort sehr zurückhaltend. Auf der anderen Seite – und das spielt in einem neuen, demokratisch orientierten Ägypten natürlich eine Rolle: Volkes Stimme ist gegen Gaddafi, Volkes Stimme ist sicherlich für die Rebellen, und insofern wird sich zeigen, wie sich das in den nächsten Wochen und Monaten ausspielt.
Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Ronald Meinardus, er leitet das Regionalbüro für die Mittelmeerregion der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Sitz in Kairo. Lassen Sie uns noch einmal auf Osama bin Laden, auf Al Kaida zurückkommen. In dieser Umfrage, die Sie schon erwähnt haben von dem amerikanischen Meinungsforschungsinstitut, wurden ganz viele Fragen gestellt, unter anderem auch die danach, wie die ägyptische Bevölkerung eine Beteiligung religiöser Parteien an der Regierung sieht, wie groß überhaupt der Einfluss der Religion sein soll in der Politik. Das ist für Westler immer so ungewöhnlich, wenn da auch in gebildeten Kreisen hohe Zustimmungswerte kommen, die kamen aber auch bei dieser Umfrage. In dem Zusammenhang, wie wird denn eine Organisation wie Al Kaida überhaupt gesehen in Ägypten, ist das eindeutig für die Mehrheit eine reine Terrororganisation oder ist das Verhältnis ambivalent?
Meinardus: Ja dort auch gerade zu dieser Frage hat es interessanterweise jetzt am 2. Mai, also gestern, in den USA eine Veröffentlichung gegeben einer aktuellen Umfrage, wonach etwa ein Fünftel der ägyptischen Bevölkerung ein positives Bild haben von Al Kaida und von Osama bin Laden. Das sind Daten, die Anfang 2011 erhoben worden sind, repräsentativ und insofern durchaus seriös. Wenn man das über die Zeitspanne der letzten zehn Jahre sich anguckt, muss man sagen, das ist ein deutlicher Einbruch in der gesamten arabischen Welt, so verraten diese Untersuchungen sehr, sehr interessante Untersuchungen, ist das Ansehen der Al Kaida und Osama bin Ladens in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Während es vor zehn oder vor acht Jahren etwa bei 50 bis zum Teil 70 und 80 Prozent lag, die Sympathie für Osama bin Laden, ist jetzt die Sympathiequote etwa bei 20 bis 25 Prozent. Und das hat deutliche Erklärungen, zum einen sicherlich die Perspektivlosigkeit und die Einsicht der Menschen, dass der Terror keine sinnvolle und auch zielrichtende, handlungsleitende Politik sein kann, vor allen Dingen auch der hohe Blutzoll, den diese Terroraktionen gerade auch in der muslimischen Bevölkerung hatten. Und schließlich – und das ist das Aktuelle und das ist das ganz Wichtige –, hier in Ägypten und in Tunesien hat vor wenigen Wochen eine Revolution stattgefunden, ein politischer Paradigmenwechsel, und viele Menschen sagen sich hier, das, was Osama bin Laden und die Kaida über viele Jahre mit Bombenterror herbeiführen wollten, nämlich den Sturz der autoritären Regime, hat die ägyptische Jugend vor allen Dingen, die revolutionäre Bewegung in wenigen Tagen mit einer völlig friedlichen Kampagne bewerkstelligt. Und insofern hat das auch zu einer sehr starken Delegitimierung der terroristischen Gewalt geführt.
Kassel: Hat man vielleicht umgekehrt sogar Angst vor Gewalt? Es hat ja in den touristischen Zentren in Ägypten in den vergangenen Jahren durchaus auch Anschläge gegeben …
Meinardus: Ja, aber interessant ist, dass, obwohl in den letzten Wochen hier eine gewisse Anomie eingetreten ist, eine Auflösung der staatlichen Sicherheitsorgane im Zuge der Revolution, hat es keine politisch motivierten Gewaltanwendungen gegen Menschen gegeben. Es hat zwei terroristische Attacken gegeben gegen die Gasleitung nach Israel, das ist ein sehr unbeliebtes Projekt hier, der Verkauf von ägyptischem Gas unter Weltmarktpreisen an den Staat Israel, dort ist die Pipeline zweimal in die Luft gesprengt worden. Aber man hätte ja annehmen können, dass im Zuge der Auflösung der staatlichen Sicherheitsorgane hier, und mehr oder weniger des Verschwindens der Polizei, hier Al Kaida und andere Terrororganisationen große Unruhe anrichten. Das ist aber wirklich bemerkenswerterweise, und man muss auch sagen erfreulicherweise, nicht passiert, und die Zukunft wird zeigen, wie das weitergeht. Die ägyptische Regierung hat gestern gesagt und hat deutlich gemacht, dass die Sicherheitsvorkehrungen jetzt, nach der Tötung von Osama bin Laden, erhöht werden würden, aber bis zur Stunde gibt es dort keine Indizien, dass es hier also auch irgendwelche Vergeltungsmaßnahmen gibt. Und ich muss auch sagen, dass das hier bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ganz schlecht ankommen würde. Der Schlachtruf der Revolution vom 25. Januar, wie sie hier heißt, ist "Salma" auf Arabisch, das heißt friedlich, und die Demonstranten haben immer deutlich gemacht, dass sie auch gegenüber der mit großer Gewalt operierenden staatlichen Behörde friedlich vorgehen würden. Und das würde hier ganz wenig Verständnis auslösen, wenn jetzt hier Terroranschläge gegen Menschen oder gegen westliche Interessen stattfänden und das Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten brächten.
Kassel: Der Leiter des Kairoer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, Ronald Meinardus, über die Reaktionen auf die Tötung Osama bin Ladens in Ägypten und der arabischen Welt. Herr Meinardus, ich danke Ihnen sehr!
Meinardus: Ich danke auch, Wiederhören!
Ronald Meinardus: Schönen guten Morgen!
Kassel: Wie zunächst einmal haben denn die Medien in Ägypten über die Tötung Osama bin Ladens durch das US-Spezialkommando berichtet?
Meinardus: Also natürlich war dieses Thema auch in den ägyptischen staatlichen und privaten Medien gestern das Thema Nummer eins, aber ich muss feststellen, dass dieser Hype, um es mal so zu formulieren, der in den deutschen, vor allen Dingen aber in den amerikanischen Medien unübersehbar war, hier nicht stattgefunden hat. Das Thema ist ganz offenbar weniger der Hit in der arabischen Welt als im Westen, und ganz auffällig etwa ist, dass es kaum offizielle Verlautbarungen seitens etwa der Regierung gibt, die kann man an einer Hand abzählen. Symptomatisch vielleicht eine Äußerung des neuen ägyptischen Außenministers El Arabi, der zu dem ganzen Vorgang keinen Kommentar geben wollte, der gesagt hat, ganz pauschal, Ägypten lehne politisch motivierte Gewalt ab, aber zu der Tötung von Osama bin Laden kein offizielles Statement gemacht hat. Das ist schon ganz symptomatisch. Natürlich, in den sozialen Medien ist das ein ganz großes Thema, anfänglich hieß es, das sei gar keine richtige Nachricht, sondern eine Zeitungsente, wie man sagen könnte, Osama bin Laden sei noch am Leben, dann hat sich aber diese Information dann verstetigt und verstärkt und am Ende des Tages gab es auch viele Menschen im Cyberspace, die gesagt haben, Osama bin Laden sei ein Held, andere sagten, es ist gut, dass er tot ist. Also ein durchaus gemischtes und durchwachsenes Echo.
Kassel: Wie sieht man denn in Ägypten die USA? Hat sich die Einstellung sowohl der Politik, also neu jetzt, aber auch der Menschen auf der Straße eigentlich in den letzten Wochen, durch die großen Veränderungen in Ägypten gegenüber Amerika verändert?
Meinardus: Nein, auffällig ist – und das ist ein zweites Thema, das natürlich einen Zusammenhang hat mit der Tötung von Osama bin Laden, auffällig ist, dass die USA hier einen ganz schweren Stand haben, dass die Popularität der Amerikaner gar nicht sehr ausgeprägt ist im Gegensatz etwa zu der Popularität der Europäer und auch der Bundesdeutschen. Die Sympathiewerte auch der USA nach der Regierungsübernahme von Barack Obama sind nur kurzfristig in die Höhe gegangen, und nach aktuellen Umfragen sind nur etwa 20 Prozent der Ägypter positiv gegenüber den Amerikanern eingestellt. Und erstaunlich ist, dass dieser Wert über die letzten zwei bis drei Jahre auch stabil geblieben ist. Ganz erstaunlich ist auch, dass der Einsatz der Amerikaner hier zumindest rhetorisch für die Demokratiebewegung in der arabischen Welt in Ägypten allemal nicht honoriert wird, es gibt ein sehr tief sitzendes Misstrauen gegenüber der westlichen Führungsmacht, und das reflektiert sich dann halt in dieser aktuellen Umfrage, die vor einigen Tagen von einem führenden amerikanischen Meinungsforschungsinstitut veröffentlicht worden ist.
Kassel: Wie erklären Sie sich das? Ist man in Ägypten vielleicht auch ein bisschen enttäuscht, was die Rolle der USA bei den politischen Umwälzungen der letzten Wochen angeht?
Meinardus: Ja sicherlich. Es gibt ja den ganz tief sitzenden Vorwurf, dass hier mit zwei unterschiedlichen Messlatten ans Werk gegangen wird. Einerseits die Rhetorik für die Demokratie, gleichzeitig dann die Unterstützung undemokratischer Herrschaften. Es wird den Amerikanern nicht verziehen, dass sie über viele Jahre, über Jahrzehnte, muss man ja sagen, Herrn Mubarak unterstützt haben und bis zuletzt die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton gesagt hat, Mubarak und das Regime seien stabil. Gleichzeitig wird genau beobachtet, wie die Amerikaner in Bezug auf Bahrain sich verhalten, wird genau beobachtet, dass sie nach wie vor zu Saudi-Arabien – alles andere als eine Hochburg der Demokratie – Beziehungen unterhalten, und sicherlich die größte Hypothek der US-amerikanischen Nahostpolitik, sicherlich auch die größte Hypothek der US-amerikanischen Beziehungen zur islamischen Welt insgesamt, ist die sehr einseitige hier aus Sicht der arabischen Welt Parteinahme für den Staat Israel. So lange diese Perzeption anhält, wird es sehr schwierig sein, dass die Sympathiewerte der USA in der arabischen Welt, man kann auch sagen, insgesamt in der muslimischen Welt, sich deutlich verbessern.
Kassel: Wie blickt man denn von Ägypten aus auf Libyen? Der Einsatz dort, ursprünglich ja sogar von den USA geleitet, inzwischen eine NATO-Operation, wie beurteilt man denn das?
Meinardus: Ja erstaunlicherweise auch da fast eine No-comment-Außenpolitik. Das ist erstaunlich, dass sich die neue ägyptische Regierung zu vielen Dingen in der Welt äußert, aber offizielle Verlautbarungen zu der Situation in Libyen und auch zu dem jüngsten Bombenangriff in Tripolis mit dem angeblichen Tod auch eines Familienmitgliedes dort sucht man vergeblich. Die ägyptische Regierung hält sich dort diplomatisch zurück, und wenn man dann fragt, woran das liegt, dann heißt es, ja wir müssen unsere etwa eine Million ägyptischer Gastarbeiter schützen. Diese Menschen werden hier gewissermaßen als Geiseln betrachtet und insofern ist die ägyptische Regierung dort sehr zurückhaltend. Auf der anderen Seite – und das spielt in einem neuen, demokratisch orientierten Ägypten natürlich eine Rolle: Volkes Stimme ist gegen Gaddafi, Volkes Stimme ist sicherlich für die Rebellen, und insofern wird sich zeigen, wie sich das in den nächsten Wochen und Monaten ausspielt.
Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Ronald Meinardus, er leitet das Regionalbüro für die Mittelmeerregion der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Sitz in Kairo. Lassen Sie uns noch einmal auf Osama bin Laden, auf Al Kaida zurückkommen. In dieser Umfrage, die Sie schon erwähnt haben von dem amerikanischen Meinungsforschungsinstitut, wurden ganz viele Fragen gestellt, unter anderem auch die danach, wie die ägyptische Bevölkerung eine Beteiligung religiöser Parteien an der Regierung sieht, wie groß überhaupt der Einfluss der Religion sein soll in der Politik. Das ist für Westler immer so ungewöhnlich, wenn da auch in gebildeten Kreisen hohe Zustimmungswerte kommen, die kamen aber auch bei dieser Umfrage. In dem Zusammenhang, wie wird denn eine Organisation wie Al Kaida überhaupt gesehen in Ägypten, ist das eindeutig für die Mehrheit eine reine Terrororganisation oder ist das Verhältnis ambivalent?
Meinardus: Ja dort auch gerade zu dieser Frage hat es interessanterweise jetzt am 2. Mai, also gestern, in den USA eine Veröffentlichung gegeben einer aktuellen Umfrage, wonach etwa ein Fünftel der ägyptischen Bevölkerung ein positives Bild haben von Al Kaida und von Osama bin Laden. Das sind Daten, die Anfang 2011 erhoben worden sind, repräsentativ und insofern durchaus seriös. Wenn man das über die Zeitspanne der letzten zehn Jahre sich anguckt, muss man sagen, das ist ein deutlicher Einbruch in der gesamten arabischen Welt, so verraten diese Untersuchungen sehr, sehr interessante Untersuchungen, ist das Ansehen der Al Kaida und Osama bin Ladens in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Während es vor zehn oder vor acht Jahren etwa bei 50 bis zum Teil 70 und 80 Prozent lag, die Sympathie für Osama bin Laden, ist jetzt die Sympathiequote etwa bei 20 bis 25 Prozent. Und das hat deutliche Erklärungen, zum einen sicherlich die Perspektivlosigkeit und die Einsicht der Menschen, dass der Terror keine sinnvolle und auch zielrichtende, handlungsleitende Politik sein kann, vor allen Dingen auch der hohe Blutzoll, den diese Terroraktionen gerade auch in der muslimischen Bevölkerung hatten. Und schließlich – und das ist das Aktuelle und das ist das ganz Wichtige –, hier in Ägypten und in Tunesien hat vor wenigen Wochen eine Revolution stattgefunden, ein politischer Paradigmenwechsel, und viele Menschen sagen sich hier, das, was Osama bin Laden und die Kaida über viele Jahre mit Bombenterror herbeiführen wollten, nämlich den Sturz der autoritären Regime, hat die ägyptische Jugend vor allen Dingen, die revolutionäre Bewegung in wenigen Tagen mit einer völlig friedlichen Kampagne bewerkstelligt. Und insofern hat das auch zu einer sehr starken Delegitimierung der terroristischen Gewalt geführt.
Kassel: Hat man vielleicht umgekehrt sogar Angst vor Gewalt? Es hat ja in den touristischen Zentren in Ägypten in den vergangenen Jahren durchaus auch Anschläge gegeben …
Meinardus: Ja, aber interessant ist, dass, obwohl in den letzten Wochen hier eine gewisse Anomie eingetreten ist, eine Auflösung der staatlichen Sicherheitsorgane im Zuge der Revolution, hat es keine politisch motivierten Gewaltanwendungen gegen Menschen gegeben. Es hat zwei terroristische Attacken gegeben gegen die Gasleitung nach Israel, das ist ein sehr unbeliebtes Projekt hier, der Verkauf von ägyptischem Gas unter Weltmarktpreisen an den Staat Israel, dort ist die Pipeline zweimal in die Luft gesprengt worden. Aber man hätte ja annehmen können, dass im Zuge der Auflösung der staatlichen Sicherheitsorgane hier, und mehr oder weniger des Verschwindens der Polizei, hier Al Kaida und andere Terrororganisationen große Unruhe anrichten. Das ist aber wirklich bemerkenswerterweise, und man muss auch sagen erfreulicherweise, nicht passiert, und die Zukunft wird zeigen, wie das weitergeht. Die ägyptische Regierung hat gestern gesagt und hat deutlich gemacht, dass die Sicherheitsvorkehrungen jetzt, nach der Tötung von Osama bin Laden, erhöht werden würden, aber bis zur Stunde gibt es dort keine Indizien, dass es hier also auch irgendwelche Vergeltungsmaßnahmen gibt. Und ich muss auch sagen, dass das hier bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ganz schlecht ankommen würde. Der Schlachtruf der Revolution vom 25. Januar, wie sie hier heißt, ist "Salma" auf Arabisch, das heißt friedlich, und die Demonstranten haben immer deutlich gemacht, dass sie auch gegenüber der mit großer Gewalt operierenden staatlichen Behörde friedlich vorgehen würden. Und das würde hier ganz wenig Verständnis auslösen, wenn jetzt hier Terroranschläge gegen Menschen oder gegen westliche Interessen stattfänden und das Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten brächten.
Kassel: Der Leiter des Kairoer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, Ronald Meinardus, über die Reaktionen auf die Tötung Osama bin Ladens in Ägypten und der arabischen Welt. Herr Meinardus, ich danke Ihnen sehr!
Meinardus: Ich danke auch, Wiederhören!