Eine wankelmütige Schutzmacht
23:26 Minuten
Für die Ukraine ist eine enge Zusammenarbeit mit den USA existenziell. Die Amerikaner reagieren aber eher zurückhaltend – nicht erst seit Trump. Schon bei der Annexion der Krim 2014 fehlte ein klares Signal aus Washington.
Eine Hotellobby in Kiew. Es ist nach Mitternacht und acht Journalisten aus unterschiedlichen europäischen Ländern stehen müde vor dem Fahrstuhl. Gerade sind sie aus Mariupol im Osten der Ukraine zurückgekehrt. Sie sind mehrere Stunden in einem Minibus gefahren, dann weitere acht Stunden mit dem Zug. Die Ukraine ist groß, knapp 800 Kilometer haben sie zurückgelegt. Ihre Recherche wird unter anderem von der US-Botschaft in Kiew finanziert. Andrei Kovalenko regelt die Verteilung der Zimmer. Der Ukrainer hat die Reise organisiert.
"Das ist Geld der amerikanischen Steuerzahler. Die Finanzierung kommt aus der Presseabteilung der US-Botschaft in der Ukraine. Für zwei Jahre haben sie uns mit einem Budget von 190.000 Dollar ausgestattet. Das sind 16 Pressereisen beziehungsweise 80 Journalisten."
Das Image der Ukraine verbessern
Bisher haben vor allem Journalisten teilgenommen, deren Medienhäuser sonst nicht aus der Ukraine berichten und die sich keine Reporter leisten.
"Die US-Botschaft sieht es als ihre Aufgabe, das Image der Ukraine zu verbessern. Wir hatten über sieben Monate einen Testlauf mit 41 Leuten und sieben Pressereisen. Das war super erfolgreich, denn wir haben mehr als 80 Publikationen bekommen. Nicht alle waren positiv, aber die Bevölkerung Europas und anderer Länder hat mehr über die Ukraine erfahren, und zwar aus erster Hand. Von diesen 41 Journalisten waren einige schon vorher in der Ukraine. Für sie ist es ganz normal, hier zu arbeiten. Für alle anderen ist es ein Schock."
Schockierend ist für sie vor Allem die Realität des Krieges im Osten des Landes. Kovalenko ist froh, dass die Finanzierung erst einmal gesichert ist. Andere in der Ukraine machen sich Sorgen, aus gutem Grund.
Denn US-Präsident Donald Trump scheint in seinem ukrainischen Amtskollegen einen willigen Helfer für seinen heimischen Wahlkampf zu sehen. In einem Telefonat hatte er den frisch ins Amt gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck gesetzt, Ermittlungen gegen den Sohn von Joe Biden in Gang zu setzen. Biden, ehemaliger Vizepräsident der USA, ist ein möglicher Gegenkandidat Trumps bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2020.
Wolodymy Selenskyj hatte daraufhin versichert, sich zu kümmern. Trump betonte, wie gut die USA zur Ukraine gewesen seien, besser als die Europäer. Dem folgte eine kleine Lästerei über Bundeskanzlerin Merkel und den französischen Präsidenten Macron. Trump zu widersprechen, hätte den Interessen der Ukraine geschadet, also stimmte Selenskyj zu. Denn es ging um 400 Millionen US-Dollar Unterstützung, die Trump offensichtlich kurz vor dem Telefongespräch blockiert hatte. Angeblich ist das Geld mittlerweile in der Ukraine angekommen.
Unruhe bei Ansprechpartnern in den USA
Hat die Diskussion über Trumps Versuch, Selenskyj zu instrumentalisieren, Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den US-Behörden? Andrei Kovalenko, der Reiseleiter, hat schon Unruhe bei seinen amerikanischen Ansprechpartnern festgestellt: "Die Mitarbeiter der Botschaft machen sich Sorgen. Sie haben Probleme mit den Budgets, müssen die Pläne ändern, so etwas. Wir haben jedenfalls noch keinerlei Probleme." Die US-Botschaft ist nicht zu einem Interview bereit. Warum, bleibt offen.
New York im September: Die UN-Vollversammlung tagt. Am Rande treffen sich Präsident Trump und Präsident Selenskyj. Anschließend gibt es eine kurze Pressekonferenz. Hinter ihnen abwechselnd ukrainische und US-amerikanische Flaggen. Die Optik täuscht. Denn hier treffen sich mitnichten zwei gleichberechtigte Partner.
"Ich hoffe wirklich, dass Sie und Präsident Putin sich zusammensetzen und Ihr Problem lösen können. Das wäre ein großer Fortschritt."
Selenskyjs versucht, Haltung zu zeigen. Er hatte schon länger um einen Termin bei Trump gebeten. Das kurze Treffen am Rande der UN-Vollversammlung scheint das einzige zu sein, was Trump ihm gewährt.
Dauerthema in den USA: Trump und Selenskyj
Washington: Unweit vom Weißen Haus stehen Passanten an einem Eiswagen Schlange. Viele von ihnen tragen Anzug, arbeiten in Behörden und Denkfabriken. Das Telefonat zwischen Trump und Selenskyj ist hier Dauerthema. Denn die Demokraten haben es zum Anlass genommen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump auf den Weg zu bringen. Um die Nöte der Ukraine, ein Land im Krieg, geht es hier nicht.
Etwas außerhalb des Zentrums liegt die Katholische Universität von Amerika. Herrschaftliche Gebäude, verstreut über einen weitläufigen, hügeligen Campus. In einem Eckzimmer, eingeklemmt zwischen Schreibtisch und Regalen, sitzt der Historiker und Analyst Michael Kimmage. Er war einer der Berater von Außenministerin Clinton und betont das alltägliche Chaos in der Politik der Trump-Administration:
"Ich glaube nicht, dass die Regierung Trump eine Strategie für die Ukraine hat. Die Ukraine ist ein Problem. Denn sie könnte ein Hindernis für bessere amerikanisch-russische Beziehungen sein."
Bis Trump Präsident wurde, war es Konsens zwischen den amerikanischen Parteien, die Ukraine im Bemühen um Demokratie und bei der Verteidigung gegen Russland zu unterstützen.
"Trump hat gesagt, dass es vielleicht lohne, die russische Annexion der Krim zu akzeptieren. Möglicherweise ist das keine große Sache oder könnte sich lohnen. Ich denke, Trump hat angedeutet, dass auf der Krim viele ethnische Russen leben."
Anerkennung der Krim-Annexion – GAU für die Ukraine
Eine Anerkennung der Krim als Teil Russlands wäre ein GAU für die schwache Ukraine und für das Völkerrecht. In der Ukraine fürchtet man genau das. Oleksij Makeiev, Politischer Direktor im Außenministerium der Ukraine, macht sich große Sorgen, dass die Zeit für die russische Regierung arbeitet und die Beziehungen sich normalisieren, ohne dass sich für die Ukraine etwas ändert.
"Was auch immer Russland macht, unsere Partner werden nachlässiger und nachlässiger. In diesem Falle kann ich kaum was kontern. Leider. Trotzdem werde ich dafür kämpfen, dass die Sanktionen bleiben. Und es ist auch im Interesse von allen europäischen Ländern."
Zurück in Washington: Die Georgetown University liegt im Zentrum der Stadt. Angela Stent ist Direktorin des Zentrums für Russland und Osteuropäische Studien und Professorin für Regierungs- und Außenpolitik. Auch sie hat schon Regierungen beraten. Und auch sie sieht die US-Amerikanische Ukrainepolitik mit Sorge.
"Ich glaube, dass Trump während des Wahlkampfes Dinge gesagt hat, die er nicht wirklich verstanden hat. Zum Beispiel hat er nicht verstanden, warum die Krim nicht zu Russland gehört. Also sagte er Sachen, die die Ukrainer nervös gemacht haben. Und dann ist da noch Trumps Faszination für Putin. Er hat ihn nie kritisiert. Stattdessen sagte er, Putin sei ein toller Kerl."
Aus genau diesem Grund hatte die Ukraine bei der Präsidentenwahl 2016 auf Trumps Konkurrentin Hillary Clinton gesetzt. Und Trump ist nachtragend, bemerkt Michael Kimmage von der Katholischen Universität in Washington. "Trump war überzeugt, dass die Ukraine bei den Wahlen 2016 gegen seine persönlichen Interessen gehandelt hat. Da geht es auch um Rache." Dabei haben die USA jede Menge Geld investiert, zum Beispiel in Mariupol.
Es ist Ende Oktober, der Wind ist kalt, jedoch noch nicht eisig. Die Luft ist frisch. Das ist in Mariupol, jener Industriestadt im Osten der Ukraine am Asowschen Meer, alles andere als selbstverständlich. Denn die Stadt mit ihren mehr als 400.000 Einwohnern ist abhängig von zwei Stahlwerken und einem Maschinenbaukombinat.
Es gibt Tage, an denen die Stadt in eine schweflige Abgaswolke getaucht ist. Die Abraumhalden der Fabriken reichen bis ans Ufer des Asowschen Meeres. Das Wasser ist grau, schaumig und erinnert an flüssigen Staub.
Mariupol hat durch westliche Investitionen überlebt
Im nahezu leeren Trockendock der Werft stehen die Journalisten und warten auf den Chef der Werft. Auf dem Programm steht später eine nagelneue Herzklinik. Andrei Kovalenko legt Wert darauf, positive Eindrücke zu vermitteln.
"Ich war vor dem Konflikt das erste Mal in Mariupol, 2012. Damals war das hier eine vergessene Industriestadt. Als ich dann 2014 nach Mariupol kam, standen Freiwilligenbataillone an den Blockposten. Wir haben in einem Hotel übernachtet mit dem Bataillon Svjataja Marija (Heilige Marija). Als ich all das von innen gesehen habe, war das wirklich ein Schock für mich. Nach dem militärischen Konflikt hat Mariupol sich wirklich verändert. Wir sind den vielen europäischen und amerikanischen Partnern sehr dankbar, denn sie waren es, die in diese Stadt investiert haben."
Doch der Aufschwung, gerade erst begonnen, ist bedroht. Seit mehr als einem Jahr blockiert Russland die Einfahrt ins Asowsche Meer. Mariupol ist dadurch vom Welthandel abgeschnitten. Und in der Werft werden statt großer Frachtschiffe nur noch kleine Boote repariert.
Oleh Turskyi, der Chef der Werft, kommt mit dem Auto, steigt aus, zieht sich seinen Schal hoch und macht die Jacke zu. "Es ist eine große Krise. Ein Ende des Krieges kann die Lage verbessern. Das ist die einzige Chance: Frieden und eine wiederbelebte Wirtschaft."
Doch davon kann keine Rede sein. Eher von einer andauernden Bedrohung. Im Hafen von Mariupol liegen an diesem Vormittag nur drei Schiffe. Die Ladekräne stehen still. Sie sind fast trotzig in blau-gelb gestrichen, den Nationalfarben der Ukraine.
Russische Bedrohung scheint real
Russland hat im Schwarzen Meer leichtes Spiel. Denn nach der Annexion der Krim 2014 hat die Nato der russischen Armee das Seegebiet kampflos überlassen. Andrej Klimenko vom Ukrainischen Thinktank Black Sea News spricht von gefährlichem Versagen. Mangelnde Präsenz wirke quasi als Einladung.
"Wenn es kein NATO-Schiff im Schwarzen Meer gibt, ist das ein Einfallstor für eine Aggression Putins gegen die Ukraine von See aus."
Die Bedrohung scheint real. Gut informierten Quellen zufolge hat Russland auf seiner Seite des Meeres Truppen für eine Invasion gesammelt. Die Ukraine wäre hilflos. Es fehlt ein Symbol wie 2008. Als Georgien und Russland einen kurzen Krieg gegeneinander führten, verlegten die USA zumindest einen US-Zerstörer in einen georgischen Hafen.
Im fernen Washington warnt der Historiker und Analyst Michael Kimmage: "Es gibt diese Schwäche und Unsicherheit bei Trump. Wenn Russland einen militärischen Zug machen wollte, dann wäre jetzt ein guter Moment dafür." Dabei haben die Menschen in der Ukraine nicht mal die vergangene Eskalation verarbeitet.
Eine Schule am Rand von Slowiansk, nicht weit von der Front entfernt. Rundherum Ruinen. Slowiansk war kurzfristig von russisch gelenkten Kämpfern besetzt, konnte freikämpft werden. Nahe der Schule fand 2014 die Schlacht um Slowiansk statt.
Als die Journalisten einen Klassenraum betreten, stehen die Kinder auf. Myroslava Horuzha, die stellvertretende Direktorin, erzählt, dass die Schule komplett zerstört war. Die Pseudoseparatisten hätten die Fenster eingeschlagen, Bücher und Möbel verbrannt. "Wenn unser Direktor sich daran erinnert, kommen ihm die Tränen. Dabei ist er ein erwachsener Mann. Ohne Tränen kann er nicht darüber sprechen."
Traumatisiert sind auch die Kinder. Anfangs seien viele zusammengebrochen, wenn es nur an der Tür geklopft habe, erzählt Horuza. Sie wurde selbst aus einem Dorf bei Luhansk vertrieben und war seit fünf Jahren nicht mehr zu Hause. Beim Wiederaufbau der Schule sei ein wenig Glück dabei gewesen, sagt sie.
"Natürlich waren wir damals ratlos, wussten nicht, wohin, wussten nicht, an wen wir uns wenden konnten, was wir machen sollten. Aber manchmal helfen einfach die Umstände. Es ist einfach wichtig, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein - und die richtigen Leute zu treffen. Unser Direktor wurde auf dem Zentralen Platz von Slowjansk Andrej Pyschnyj vorgestellt, das ist der Leiter der Oschat-Bank."
USA weiterhin ein Partner der Ukraine
Die Oschat Bank ist vergleichbar mit den Sparkassen in Deutschland und hat den Wiederaufbau der Schule mitfinanziert. Bereits im August 2014, pünktlich zum Anfang des neuen Schuljahres, war die Schule wieder einsatzbereit. Es seien auch japanische Gelder geflossen, erläutert der örtliche Chef vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen Rustam Pulatov:
"Wir arbeiten auf der Basis kleinerer Projekte. Jeder Geber hat sein Projekt, und in unserem Programm sind dann alle vereint. Ein Projekt, das von der US-Botschaft finanziert wurde, ist gerade vorbei. Dafür hat im Frühjahr die Kanadische Botschaft beschlossen, einzusteigen. Nun sind die Kanadier einer der Geber. Wenn die US-Botschaft andere Projekte in unserem Programm findet, die sie unterstützen will, dann kommt sie wieder zu uns. Wie dem auch sei, ich weiß als Bürger der Ukraine, dass die Regierung der USA in allen Bereichen sehr breit aufgestellt ist. 73 Projekte wurden in der Ukraine von US-AID unterstützt. Da geht es um Korruptionsbekämpfung, Entwicklung und so weiter innerhalb des UN-Programms zum Wiederaufbau und zur Aufarbeitung. Da waren die USA ein Geber und ich nehme an, dass sie auch wieder dabei sein werden."
Das Parlament in Kiew: Es ist Abend, und die Abgeordnete Yevgeniya Kravchuk von Selenskyjs Regierungspartei kommt abgehetzt aus einer Ausschusssitzung, um sich den Fragen der Journalisten zu stellen.
"Wir sehen die Vereinigten Staaten als unsere Partner. Da gibt es unterschiedliche Arten der Hilfe, zum Beispiel militärische, aber auch Investitionen. Wir müssen jedoch mehr spüren, dass die USA ein Partner ist, der versteht, in welcher Situation die Ukraine ist."
Kravchuk hat nach einem Journalismusstudium in Kiew an einem von den USA finanzierten Programm in den Staaten teilgenommen und bei Think Tanks gearbeitet. Konkreten Fragen zu den Beziehungen mit den USA weicht sie aus.
"Sehen Sie, als Herr Selenskyj in den USA war, da hatte er nicht genug Zeit, denn es war ein kurzer Besuch. Ich glaube, dass unsere gemeinsame Arbeit nicht beendet ist. Wir werden demnächst den Botschafter in den USA auswechseln, das wird der Arbeit zuträglich sein."