Die verborgenen Sünden der Seele
In den letzten Wochen ist viel über sexuellen Machtmissbrauch in Ordensschulen gesprochen worden, aber nur wenig über den religiösen Machtgebrauch, der den Missbrauch überhaupt erst ermöglicht und seine Vertuschung erzwingt.
Christliche Orden sind fundamentalistische Organisationen mit jahrhundertealter Tradition. Kampferprobt haben sie sich durch sehr verschiedene Zeiten gerettet. Sie sind wie die katholische Kirche insgesamt nicht auf die menschliche Gegenwart ausgerichtet, sondern auf die göttliche Ewigkeit. Deshalb bedeutet der Sturmwind der öffentlichen Empörung für diese Institutionen nur ein Säuseln, das über kurz oder lang vorübergeht.
Im Unterschied zu den einzelnen Mitgliedern dieser Institution gibt es für die Institution selbst nur eine wirkliche Bedrohung: die Abschaffung. Aber der Jesuitenorden hat selbst seine Aufhebung von 1773 bis 1814 überlebt.
Der Jesuitenorden ist nicht nur kampf-, sondern auch machterprobt. Dass Probleme nicht nach außen getragen, sondern möglichst hinter verschlossenen Türen gehalten werden sollen, ist nicht bloß ein Versäumnis, das sich korrigieren ließe, sondern hat mit dem innersten Machtverständnis dieser Organisation zu tun.
Ich zitiere aus den Exerzitien des Ignatius von Loyola: "Um das echte Gespür zu erlangen, das wir in der dienenden Kirche haben sollen", wie Loyola sagt, empfiehlt er als erste Regel:
"Jegliches Urteilen zurücksetzend, müssen wir den Geist bereit und willig halten, um in allem der wahren Braut Christi unseres Herrn zu gehorchen, die da ist unsere heilige Mutter, die hierarchische Kirche."
Die zehnte Regel bekräftigt das:
"Wir müssen jeweils mehr bereit sein, sowohl die Anordnungen und Weisungen wie auch die Gewohnheiten unserer Vorgesetzten zu billigen und zu loben; denn wenn auch einige nicht lobenswert sind oder waren, so würde doch, spräche man dagegen, sei es in öffentlichen Predigten oder in Äußerungen vor dem gewöhnlichen Volk, dies eher Murren und Ärgernis als Nutzen bewirken."
Manche mögen das auf den besonderen Fanatismus eines Ordens zurückführen, der schließlich zur Rekrutierung von Glaubenskriegern im Kampf gegen die Reformation gegründet wurde.
Aber Unterordnung und Abschottung nach außen gehören zum Wesen der Ordensbewegung, seit es überhaupt Orden gibt. Ich zitiere aus dem Quelltext aller Ordensregeln, der Regel des Benedikt von Nursia:
"Handelt es sich um eine verborgene Sünde der Seele, eröffne er sich nur dem Abt, der es versteht, eigene und fremde Wunden zu heilen, ohne sie aufzudecken und bekannt zu machen."
Manche mögen einwenden, dass man diesen historischen Text nicht mit der gegenwärtigen Wirklichkeit verwechseln soll. Aber der aktuell gängigen Ausgabe ist ein Kommentar von Georg Holzherr beigegeben, bis 2001 Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln. Dieser Kommentar bekräftigt die Tendenz der Textstelle und bringt sie unter Berufung auf einen anderen Kirchengelehrten sexuell auf den Punkt:
"Basilius will, dass 'unkeusche oder unanständige' Dinge nur denen bekannt werden, die 'zu heilen und zu bessern' verstehen, wie man auch körperliche Leiden nur von Ärzten behandeln lässt, 'die allgemein als sehr erfahren gelten.'"
Basilius, dessen Autorität hier in die Waagschale geworfen wird, starb im Jahr 379. Das Problem mit dem Körper, mit dem Sex und mit der "Unanständigkeit" beschäftigt die Kirche, seit es die Kirche gibt.
Religiöse Orden sind keine netten Privatvereine, sondern Institutionen religiöser Macht. Und bevor man seine Kinder solchen Institutionen anheimgibt, sollte man vorher die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis nehmen. Wer also seine Kinder zu den Jesuiten schickt, sollte vorher die Schriften des Ignatius lesen. Und wer seine Kinder den Benediktinern anvertraut, sollte sich selbst zuvor mit der Benediktsregel vertraut machen. Vielleicht gewinnt man dann ein anderes Bild von der "Eliteerziehung", die an solchen Schulen geboten wird.
Bruno Preisendörfer lebt als Schriftsteller, Publizist und Herausgeber von www.fackelkopf.de in Berlin. Zuletzt erschienen das Sachbuch "Das Bildungsprivileg" und der Roman "Manneswehen".
Im Unterschied zu den einzelnen Mitgliedern dieser Institution gibt es für die Institution selbst nur eine wirkliche Bedrohung: die Abschaffung. Aber der Jesuitenorden hat selbst seine Aufhebung von 1773 bis 1814 überlebt.
Der Jesuitenorden ist nicht nur kampf-, sondern auch machterprobt. Dass Probleme nicht nach außen getragen, sondern möglichst hinter verschlossenen Türen gehalten werden sollen, ist nicht bloß ein Versäumnis, das sich korrigieren ließe, sondern hat mit dem innersten Machtverständnis dieser Organisation zu tun.
Ich zitiere aus den Exerzitien des Ignatius von Loyola: "Um das echte Gespür zu erlangen, das wir in der dienenden Kirche haben sollen", wie Loyola sagt, empfiehlt er als erste Regel:
"Jegliches Urteilen zurücksetzend, müssen wir den Geist bereit und willig halten, um in allem der wahren Braut Christi unseres Herrn zu gehorchen, die da ist unsere heilige Mutter, die hierarchische Kirche."
Die zehnte Regel bekräftigt das:
"Wir müssen jeweils mehr bereit sein, sowohl die Anordnungen und Weisungen wie auch die Gewohnheiten unserer Vorgesetzten zu billigen und zu loben; denn wenn auch einige nicht lobenswert sind oder waren, so würde doch, spräche man dagegen, sei es in öffentlichen Predigten oder in Äußerungen vor dem gewöhnlichen Volk, dies eher Murren und Ärgernis als Nutzen bewirken."
Manche mögen das auf den besonderen Fanatismus eines Ordens zurückführen, der schließlich zur Rekrutierung von Glaubenskriegern im Kampf gegen die Reformation gegründet wurde.
Aber Unterordnung und Abschottung nach außen gehören zum Wesen der Ordensbewegung, seit es überhaupt Orden gibt. Ich zitiere aus dem Quelltext aller Ordensregeln, der Regel des Benedikt von Nursia:
"Handelt es sich um eine verborgene Sünde der Seele, eröffne er sich nur dem Abt, der es versteht, eigene und fremde Wunden zu heilen, ohne sie aufzudecken und bekannt zu machen."
Manche mögen einwenden, dass man diesen historischen Text nicht mit der gegenwärtigen Wirklichkeit verwechseln soll. Aber der aktuell gängigen Ausgabe ist ein Kommentar von Georg Holzherr beigegeben, bis 2001 Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln. Dieser Kommentar bekräftigt die Tendenz der Textstelle und bringt sie unter Berufung auf einen anderen Kirchengelehrten sexuell auf den Punkt:
"Basilius will, dass 'unkeusche oder unanständige' Dinge nur denen bekannt werden, die 'zu heilen und zu bessern' verstehen, wie man auch körperliche Leiden nur von Ärzten behandeln lässt, 'die allgemein als sehr erfahren gelten.'"
Basilius, dessen Autorität hier in die Waagschale geworfen wird, starb im Jahr 379. Das Problem mit dem Körper, mit dem Sex und mit der "Unanständigkeit" beschäftigt die Kirche, seit es die Kirche gibt.
Religiöse Orden sind keine netten Privatvereine, sondern Institutionen religiöser Macht. Und bevor man seine Kinder solchen Institutionen anheimgibt, sollte man vorher die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis nehmen. Wer also seine Kinder zu den Jesuiten schickt, sollte vorher die Schriften des Ignatius lesen. Und wer seine Kinder den Benediktinern anvertraut, sollte sich selbst zuvor mit der Benediktsregel vertraut machen. Vielleicht gewinnt man dann ein anderes Bild von der "Eliteerziehung", die an solchen Schulen geboten wird.
Bruno Preisendörfer lebt als Schriftsteller, Publizist und Herausgeber von www.fackelkopf.de in Berlin. Zuletzt erschienen das Sachbuch "Das Bildungsprivileg" und der Roman "Manneswehen".