Die verschleppte Reform
Unter den vielen Fragen, die die Bundesregierung unerledigt vor sich her schiebt, steht die Neuordnung der Bundeswehr obenan. Die zugespitzte der Lage in Afghanistan, wo eben nicht nur Krankenhäuser errichtet oder Brunnen gebohrt werden, sondern Krieg herrscht, wird früher oder später ein Ende der Verzögerung erzwingen; hoffentlich früher als später.
Entschieden werden muss dabei über mehr als über einen Rückzug ohne Gesichtsverlust; es geht um die Zukunft der Bundeswehr als Ganzes, die Alternative zwischen einer Armee von Wehrpflichtigen und einer Streitmacht von Berufssoldaten. Dieser Teil der Debatte ist bisher nur mit Schlagworten bestritten worden; was sich unter dem Druck der Lage aber wohl nicht länger durchhalten lässt.
Die Entscheidung zwischen Wehrpflichtigen- und Berufsarmee ist überfällig, seit mehr als zehn Jahren. Damals kam eine der vielen Kommissionen, die immer dann gebildet werden, wenn die Regierung Zeit gewinnen will, zu der Erkenntnis, dass für die Wehrpflicht mit vorgeschobenen Argumenten geworben wird. In Wahrheit gehe es längst nicht mehr um den Schutz der Landesgrenzen, nicht einmal mehr um die Verteidigung der Freiheit, sondern darum, billigen Nachwuchs für die Betreuungs- und Pflegeindustrie zu gewinnen. Tatsächlich würde der Betrieb in den zahlreichen Alten- und Pflegeheimen zusammenbrechen, wenn die Zivildienstleistenden ausblieben. Es sind denn auch die Sozialverbände, die sich am lautesten einer Abkehr von der allgemeinen Dienstpflicht widersetzen.
"Allgemeine Dienstpflicht" ist allerdings ein Euphemismus, denn allgemein ist diese Pflicht ja gerade nicht. Dienen muss nur, wer männlich ist und als tauglich gemustert wurde; wer bei der Musterung durchfiel oder das Glück hat, eine Frau zu sein, braucht weder in der einen noch in der anderen Form, weder als Soldat noch als Altenhelfer anzutreten. Während eine immer kleinere Zahl von jungen Männern auf dem Kasernenhof das Strammstehen oder in den Altenheimen das Essenaustragen üben muss, darf sich die Mehrheit ihrer Altergenossen ein schönes Leben machen. Dieser massive Verstoss gegen den Grundsatz der Belastungsgerechtigkeit hat die Wehrpflicht in Misskredit gebracht; insoweit auch zu recht.
Der Verstoss ist umso ärgerlicher, je schwerer das Grundrecht wiegt, das da beschränkt oder angetastet wird; und da unterliegt die Wehrpflicht nun einmal dem denkbar höchsten Anspruch. Schliesslich verlangt sie von einem jungen Mann nicht nur, auf einen Gutteil seiner Freiheit zu verzichten, sondern im Ernstfall auch sein Leben hinzugeben. Zur Verteidigung von Land und Leuten mag das angehen; aber auch, um dem Mangel an Betreuungspersonal abzuhelfen und alten Leuten einen angenehmen Lebensabend zu bereiten? Darüber hätte am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, und ob das auch den Betreuungszweck gelten lässt, ist mehr als fraglich.
Wie immer man zu diesen Fragen stehen mag: dass sie nicht offen gestellt und beantwortet, sondern verklebt und verkleistert und mit vielen Ausflüchten und Halbwahrheiten garniert werden, ist ein Skandal, der sich durch Zuwarten nur verschlimmert. Wieder einmal wird eine wichtige Debatte verschleppt oder vermieden; was Wunder, dass die Jugend aufmerksam wird und reagiert, indem sie den Dienst an der Waffe immer häufiger verweigert. Die Politik wird unglaubwürdig; denn dass die deutsche Freiheit am Hindukusch oder sonstwo verteidigt wird, war ja schon immer eine Auskunft, die ziemlich kurze Beine hatte.
Es ist Zeit, sich ehrlich zu machen. Dass der Stil, in dem die immer noch "allgemein" genannte Dienstpflicht praktiziert wird, den Grundsätzen der Gerechtigkeit widerspricht, liegt auf der Hand. Dass eine sechs Monate währende Ausbildung im Umgang mit der Waffe einen jungen Mann dazu befähigen sollte, einen wirksamen Beitrag zur Landesverteidigung zu leisten, ist unglaubwürdig. Dass die Wünsche der Betreuungsindustrie ausreichen, zum Wohle der Alten eine Dienstpflicht für die Jungen zu begründen, setzt ein Verfassungsverständnis voraus, das vor Gericht nicht durchkäme. Und so spricht alles dafür, dass die Bundesrepublik dem Vorbild ihrer westlichen Nachbarn folgt und die Bundeswehr beizeiten in eine Berufsarmee verwandelt.
Konrad Adam, Journalist und Autor, wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG", arbeitete dann für die "WELT" und für die "FAZ". Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern", "Die Republik dankt ab" sowie "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen". Zuletzt erschien: "Die alten Griechen".
Die Entscheidung zwischen Wehrpflichtigen- und Berufsarmee ist überfällig, seit mehr als zehn Jahren. Damals kam eine der vielen Kommissionen, die immer dann gebildet werden, wenn die Regierung Zeit gewinnen will, zu der Erkenntnis, dass für die Wehrpflicht mit vorgeschobenen Argumenten geworben wird. In Wahrheit gehe es längst nicht mehr um den Schutz der Landesgrenzen, nicht einmal mehr um die Verteidigung der Freiheit, sondern darum, billigen Nachwuchs für die Betreuungs- und Pflegeindustrie zu gewinnen. Tatsächlich würde der Betrieb in den zahlreichen Alten- und Pflegeheimen zusammenbrechen, wenn die Zivildienstleistenden ausblieben. Es sind denn auch die Sozialverbände, die sich am lautesten einer Abkehr von der allgemeinen Dienstpflicht widersetzen.
"Allgemeine Dienstpflicht" ist allerdings ein Euphemismus, denn allgemein ist diese Pflicht ja gerade nicht. Dienen muss nur, wer männlich ist und als tauglich gemustert wurde; wer bei der Musterung durchfiel oder das Glück hat, eine Frau zu sein, braucht weder in der einen noch in der anderen Form, weder als Soldat noch als Altenhelfer anzutreten. Während eine immer kleinere Zahl von jungen Männern auf dem Kasernenhof das Strammstehen oder in den Altenheimen das Essenaustragen üben muss, darf sich die Mehrheit ihrer Altergenossen ein schönes Leben machen. Dieser massive Verstoss gegen den Grundsatz der Belastungsgerechtigkeit hat die Wehrpflicht in Misskredit gebracht; insoweit auch zu recht.
Der Verstoss ist umso ärgerlicher, je schwerer das Grundrecht wiegt, das da beschränkt oder angetastet wird; und da unterliegt die Wehrpflicht nun einmal dem denkbar höchsten Anspruch. Schliesslich verlangt sie von einem jungen Mann nicht nur, auf einen Gutteil seiner Freiheit zu verzichten, sondern im Ernstfall auch sein Leben hinzugeben. Zur Verteidigung von Land und Leuten mag das angehen; aber auch, um dem Mangel an Betreuungspersonal abzuhelfen und alten Leuten einen angenehmen Lebensabend zu bereiten? Darüber hätte am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, und ob das auch den Betreuungszweck gelten lässt, ist mehr als fraglich.
Wie immer man zu diesen Fragen stehen mag: dass sie nicht offen gestellt und beantwortet, sondern verklebt und verkleistert und mit vielen Ausflüchten und Halbwahrheiten garniert werden, ist ein Skandal, der sich durch Zuwarten nur verschlimmert. Wieder einmal wird eine wichtige Debatte verschleppt oder vermieden; was Wunder, dass die Jugend aufmerksam wird und reagiert, indem sie den Dienst an der Waffe immer häufiger verweigert. Die Politik wird unglaubwürdig; denn dass die deutsche Freiheit am Hindukusch oder sonstwo verteidigt wird, war ja schon immer eine Auskunft, die ziemlich kurze Beine hatte.
Es ist Zeit, sich ehrlich zu machen. Dass der Stil, in dem die immer noch "allgemein" genannte Dienstpflicht praktiziert wird, den Grundsätzen der Gerechtigkeit widerspricht, liegt auf der Hand. Dass eine sechs Monate währende Ausbildung im Umgang mit der Waffe einen jungen Mann dazu befähigen sollte, einen wirksamen Beitrag zur Landesverteidigung zu leisten, ist unglaubwürdig. Dass die Wünsche der Betreuungsindustrie ausreichen, zum Wohle der Alten eine Dienstpflicht für die Jungen zu begründen, setzt ein Verfassungsverständnis voraus, das vor Gericht nicht durchkäme. Und so spricht alles dafür, dass die Bundesrepublik dem Vorbild ihrer westlichen Nachbarn folgt und die Bundeswehr beizeiten in eine Berufsarmee verwandelt.
Konrad Adam, Journalist und Autor, wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG", arbeitete dann für die "WELT" und für die "FAZ". Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern", "Die Republik dankt ab" sowie "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen". Zuletzt erschien: "Die alten Griechen".