Töne vom Funkerberg
41:24 Minuten
Vor 100 Jahren wurde auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen bei Berlin Rundfunkgeschichte geschrieben. Am 22.12.1920 gingen von hier aus zum ersten Mal Worte und Töne in den Äther - die Geburtsstunde des Radios.
Techniker der Deutschen Reichspost sendeten zum ersten Mal ein Programm mit Sprache und Musik an eine Handvoll Menschen. Die Geburtsstunde des Radios hatte geschlagen. Im Museum für Sende- und Funktechnik in Königs Wusterhausen wird diese Geschichte lebendig gehalten.
Rainer Suckow ist der Vorsitzende des Fördervereins Sender Königs Wusterhausen e.V., der mit der Stadt Königs Wusterhausen das dortige Sende- und Funktechnikmuseum betreibt.
"Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde Deutschland ja entmilitarisiert und die ehemalige Militärsendestelle Königs Wusterhausen wurde der Deutschen Reichspost zugeordnet. Hans Bredow hat im Prinzip die Reichspostbeamten hier vor Ort animiert dazu: Fangt doch mal an, Sprache und Musik zu übertragen."
Ein Wald aus Masten
Das Telefon gab es zu dieser Zeit schon seit fünfzig Jahren, aber Nachrichten auch drahtlos zu übermitteln, diese Entwicklung steckte noch in den Kinderschuhen. Und sie brauchte Platz. Rainer Suckow steht vor dem Hauptgebäude des heutigen Funktechnikmuseums, am Rande einer Wiese, die mehrere Fußballfelder groß ist und auf der Funkmasten stehen – so würde sie ein Laie bezeichnen.
"Wir sehen einen so genannten Stahlgittermast, also ein langgestrecktes Gebilde in die Luft. Der ist 210 Meter hoch, rot-weiß gestrichen und er ist der älteste Antennenträger in Deutschland. Es gibt nichts, was antennenbezogen älter ist als dieser Mast. Wobei man wissen muss: Die Masten waren bei uns nicht die Antennen, sondern die Antennen waren die Drähte, die daran hängen. Dieser ist der letzte von sechs Masten, die auf diesem Gelände standen.
Im Mittelpunkt war der so genannte Mittelturm, das war ein 243 m hoher, frei stehender Turm, und zwischen diesem Mittelturm und den sechs anderen Masten waren ganz verschiedene Antennen abgespannt, weil: Man braucht für verschiedene Frequenzen und für verschiedene Übertragungsrichtungen unterschiedliche Antennen."
Eine Antenne zeigt das Museum heute noch, richtig unspektakulär sieht sie aus, wie eine schief aufgehängte Wäscheleine. Eine Antenne im Kleinformat. Um nun endlich die Geschichte der allerersten Rundfunksendung zu erzählen, müsse man eigentlich im Ersten Weltkrieg anfangen, sagt Rainer Suckow. Als der Funkingenieur Hans Bredow den Auftrag bekam, an der Front Röhrensender und -empfänger zu testen.
Erste Sendeexperimente
"Innerhalb dieser Versuchsreihe hat er 1917 erstmalig mit diesem relativ kleinen Röhrensender Sprache und Musik übertragen. Das heißt, er hat von seiner Stabsstelle aus Geschichten vorgelesen und ein Soldat hat Mundharmonika gespielt. Und Hans Bredow hat später berichtet, welche Begeisterung er erlebte, als er später zu den Soldaten kam, die da in den Schützengräben eingebuddelt waren und das gehört hatten."
Musik eröffnet Unterhaltungssparte
Hans Bredow begriff, dass die Übertragung von Nachrichten nicht nur zu militärischen und wirtschaftlichen Zwecken eine großartige Erfindung war. Die Ausbreitung von Wort und Musik konnte auch einen Unterhaltungswert besitzen!
"Ab Beginn 1920 haben sie herumexperimentiert. Die Versuche haben im Frühjahr 1920 etwa angefangen und gipfelten in dem sogenannten historischen Weihnachtskonzert vom 22. Dezember – die erste Radiosendung, wie wir sie heute kennen."
"Ab Beginn 1920 haben sie herumexperimentiert. Die Versuche haben im Frühjahr 1920 etwa angefangen und gipfelten in dem sogenannten historischen Weihnachtskonzert vom 22. Dezember – die erste Radiosendung, wie wir sie heute kennen."
Kein Erinnerungsstück von der ersten Sendung
Es gibt nicht einmal ein Foto von diesem Moment aus der Anfangszeit des Rundfunks. Verbrieft ist nur, dass das erste Stück von den Postbeamten selbst gespielt wurde. Eine Klarinette, eine Geige, ein Harmonium kamen zum Einsatz – aber wer gespielt hat und wie viele Menschen im Raum waren, das ist nicht herauszufinden.
Der Telegraphendirektor Erich Schwarzkopf muss dabei gewesen sein, denn er experimentierte auch in seiner Wohnung schon mit einer Telefon-Sprechkapsel und telefonischer Übertragung von Musik.
"Es gibt wohl einen Zeitungsartikel, der den Anfang genau beschreibt, dass eben 'Stille Nacht, heilige Nacht' gespielt wurde und das Ende. Wir wissen aber nicht genau, was alles dazwischen gespielt wurde und wie lange es ging. Wenn jemand da einen Tipp hat, wenn jemand einen historischen Empfangsbericht liefern kann, original, eigentlich suchen wir seit Jahren danach.
Und wir fragen uns immer: Warum haben die Jungs von dieser original ersten Situation eigentlich kein Bild gemacht? Der Schwarzkopf war ja bekennender Fotograf, – warum haben die kein Bild gemacht? Und wir glauben, dass denen nicht bewusst war, welche historische Stunde die da eigentlich hatten."
Historisches erlebbar machen
In einem der Kellerräume des damals hochmodernen und bombensicheren Telegraphengebäudes auf dem Funkerberg Königs Wusterhausen muss diese erste Sendung entstanden sein. Heute hat der "Förderverein Sender Königs Wusterhausen" dort jedenfalls einen Versuchsaufbau installiert, mit dem Besuchern gezeigt wird, warum der Rundfunk eigentlich Rundfunk heißt.
Vom Knallfunken zum Lichtbogensender
Gern führen Rainer Suckow und der Techniker Maik Schilling, genannt Lichtbogen-Maik, den Besuchern vor, wie man elektromagnetische Wellen erzeugen kann. Der Physiker Heinrich Hertz erzeugte sie 1886 zum ersten Mal künstlich. Man kannte bereits Mitte der 1880er Jahre den Schwingkreis, einen Stromkreis mit einer elektromagnetischen Spule und einem Kondensator.
Um die elektrischen Schwingungen zu verstärken, hatte Heinrich Hertz die Idee, den Schwingkreis zu öffnen. Das elektrische Feld eines offenen Schwingkreises wird in einem viel größeren Raumgebiet gespeichert, als in einem geschlossenen Schwingkreis. Diesen sogenannten Hertz-Versuch hat der Verein Funkerberg in Königs Wusterhausen für seine Ausstellung nachgebaut.
Mit Hilfe von Funken, nicht kleinen wie im Experiment des Vereins Sender Königs Wusterhausen, sondern mit großen so genannten Knallfunkensendern und langen Antennen experimentierten die ersten Nachrichtenfunker zu Beginn des 20. Jahrhunderts, um Nachrichten zu übertragen.
Übertragung in Echtzeit
Eine Revolution war dann der "tönende Sender" – konnten doch Nachrichten auf einmal in tausende Kilometer Entfernung übertragen werden, in Echtzeit. Sprache und Musik konnte man mit dem ersten "tönenden Sender" aber noch nicht übertragen. Dafür musste man den Funken gewissermaßen verstetigen. Stolz präsentiert Rainer Suckow das Highlight des Vereins Funkerberg.
Vereinsleistung
In dreijähriger Arbeit haben die Techniker des Vereins das Original des Senders nachgebaut, mit dem die Postbeamten von Königs-Wusterhausen hier auf Sendung gegangen sind. Einen Lichtbogensender.
Erst 1926 wurde auf der Funkausstellung in Berlin das erste für die Massenproduktion geplante Röhrenradio vorgestellt. Zuvor waren analoge Empfangsgeräte für einen Großteil der Bevölkerung unerschwinglich.
Vom Postsender zur Unterhaltungswelle
"Das Abhören der Welle damals war verboten, weil die Übertragung der Post für Wetter- und Wirtschaftsnachrichten und so weiter vorbehalten war. So haben die Sendungen aus Königs Wusterhausen zuallererst einmal die sogenannten Reichspostempfangsstellen gehört. Also diejenigen, die tagsüber Börsennachrichten, Wetternachrichten, Telegramme empfangen haben.
Dann gab es im europäischen Ausland zahlreiche Stationen, die darüber berichtet haben, denn Rundfunk kennt keine Grenzen, denn damals war eine Übertragung nicht 'schmalbandig', das heißt, man konnte, wenn man etwas übertragen hat, davon ausgehen, dass es hörbar war. Ungefähr eineinhalbtausend Kilometer. So gibt es eben Empfangsberichte aus England, wo der Hörende schrieb, die Sprache sei so klar verständlich gewesen, als habe sich die Person im Nebenraum befunden."
"Oder aus Russland, wo man bemerkte, besonders gut sei der Hahn zu hören gewesen. Da frage ich mich bis heute, ob damit nicht vielleicht eine Sängerin oder Schallplatte gemeint war. Dann Schiffsfunker, die haben mit großer Wahrscheinlichkeit gehört, weil die eben auf SOS und Wetterwarnungen gehört haben. Und Zaungäste."
Steigende Hörerzahlen
Rainer Suckow: "Als Folge des Ersten Weltkrieges waren ja tausende Funker ausgebildet und wussten, wie das funktioniert. Denn Empfänger waren ja ganz einfach zu bauen. Man brauchte eine lange Strippe, einen Quarzkristall, eine Spule, einen Kopfhörer – und schon konnte man hören. Man musste halt nur die lange Antenne gut verstecken – durchaus auch als Wäscheleine oder wie auch immer getarnt.
Es gab Berichte, dass auch die Freileitung Strom, also die Lichtleitung, als Antenne benutzt wurde – da gab es auch böse Unfälle. Man kann davon ausgehen, dass auch Schwarzhörer gehört haben – aber von denen liegen natürlich keine Empfangsberichte vor."
Ein Sender für Sonntagskonzerte
Anfangs konnten die Techniker in Königs Wusterhausen nur abends und am Wochenende Sprach- und Musikprogramme übertragen, denn sie benutzten ja die Sender, die dem offiziellen Funkverkehr der Post vorbehalten waren. Die unterhaltenden Übertragungen wurden immer beliebter, und so wurde der sogenannte "Konzertsender" eingerichtet.
"Der wurde extra für die Sonntagskonzerte gebaut. Ich würde sagen, es müsste 1922 gewesen sein, als der Sender wirklich regelmäßig in Betrieb ging. Vorher hatte man zwei Sachen erfolgreich gemacht, nämlich im März 1921 die erste Opernübertragung aus Berlin, quasi mit Mikrofon und Telefonleitungen zum Sender Königs Wusterhausen geleitet und hier abgesendet."
"Das war ein absoluter Meilenstein", so Rainer Suckow weiter, "weil zum ersten Mal die Trennung zwischen Programm und Sender erfolgte. ... Und das zweite, was man machen konnte, war, die Frequenzen zu erhöhen. Man hat neue Wellenlängen benutzt und dadurch war es besser möglich, zu allen Zeiten zu senden, was am Anfang ein bisschen schwierig war."
Mit der Droschke zum Funkerberg
Die Übertragung von Puccinis "Madame Butterfly" aus der Staatsoper Berlin über den Lichtbogensender in Königs Wusterhausen war der Startschuss für einen Boom. Rundfunkübertragungen zu hören war der letzte Schrei, im Rundfunk aufzutreten wurde es auch! Musikerinnen und Musiker reisten mit der Bahn aus Berlin an und fuhren mit der Kutsche auf den Funkerberg, um live ins Mikrofon zu singen oder zu spielen.
Der Funkerberg wurde nach dem zweiten Weltkrieg Funkzentrale der DDR, mit Botschaftsfunk, diversen Lang- und Mittelwellensendern, die zum Beispiel "Die Stimme der DDR" übertrugen. Im Zuge der Wiedervereinigung übernahm die Deutsche Telekom das Gelände, und der Förderverein "Sender Königs Wusterhausen" durfte das Museum für Sende- und Funktechnikgeschichte aufbauen.
Besucherliebling ist der 1.000-PS-Dieselmotor, der seit 1950 die Stromversorgung der Großsendeanlage Königs Wusterhausen sicherte. Jeden vierten Sonntag im Monat wird er gestartet und lockt besonders viele Besucher auf den Funkerberg.