Die Verwandlung - eine Verschandelung
Robert Gernhardt war auf seinen Reisen vor allem der traurige Tourist. Er haderte mit den Veränderungen. Dabei gleichen viele Notizen des Schriftstellers den Aufzeichnungen eines trauernden Zoologen und machen sein Tagebuch zu "Gernhardts Tierleben".
Diese Aufzeichnungen sind entstanden zwischen 1978 und 2005; darüber hinaus beziehen sie sich auch auf frühere Reisen seit den 50er-Jahren. Gernhardts Reiseleben erstreckt sich also über jenes halbe Jahrhundert, in dem Landschaften, Küsten, Orte ihr Gesicht stärker änderten als je zuvor - durch den Massentourismus. Die Verwandlung der Welt ist für Gernhardt meist eine Verschandelung. "Da wird etwas kaputtgemacht, unwiederbringlich, und ich kann sagen, ich war dabei und begehre doch nicht schuld zu sein."
Statt trauriger Tropen - der traurige Tourist. Der sensible Reisende hadert unaufhörlich: Da hatte er 1958 einen wunderschönen griechischen Strand entdeckt - und zehn Jahre später wurde "die reizlose Kusine vom Reisebüro dorthin geschickt". In die Klagemelodie mischt sich der Unterton narzisstischer Kränkung: Man will seine idealen Orte eben nicht mit dem Pauschal-Pöbel teilen. Der Individualreisende sucht die besondere Aura eines Ortes (die mit seinem vermehrten Auftreten auch schon zu verschwinden droht), das Unverfälschte, Ursprüngliche. Die "Stimmungs- und Wallungswerte", die hier den Ausschlag geben, sind allerdings selbst oft schon standardisiert und klischeehaft (etwa: die kulinarisch ergiebige Hafenkneipe, netzeflickende Fischer auf der Mole). In Indonesien kann Gernhardt deshalb keine Fotos mehr knipsen; gerade bei der Vermeidung der gängigen touristischen Motive ärgert ihn nun das exquisite "Umspielen" der Norm: "Schaudernd erkennt der Verächter das Verächtliche seiner Bildeinfälle."
Mit "tourismuskritischem Grummeln" bewegt er sich durch die Welt. Im Reichenrevier der Costa Smeralda: Fake-Achitektur, Fake-Urbanistik, künstliche Paradiese, ein Disneyland. Und Barcelona ist "würdig" nur im Regen, wenn all die Schnell-Zeichner, Gaukler, Statuen-Darsteller und Gaffer verschwunden sind. Genervt ist er von New York, der Wichtigtuer-Stadt: "Ein Glück, dass es den Tod gibt, / Hier ist der Tod vonnöten: / Allein der Tod kann dieser Stadt / Ihr großes Maul verlöten."
Teile des Buches könnte man als "Gernhardts Tierleben" bezeichnen. Er unternimmt eine Safari in Botswana, begleitet auf dem Amazonas einen Alligator-Fänger; Schauer rieseln ihm über den Rücken angesichts der Warane in Komodo. In der kanadischen Wildnis muss er feststellen, dass sich vielerorts nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere an den Tourismus angepasst haben. Entlang der Straßen durch die Wildnis lauern sie auf Fütterung und strecken "in südeuropäischer Bettlermanier" die Köpfe ins Autofenster. Hirsche an der Tankstelle - so weit ist es gekommen, als wüssten die Tiere, dass sie beim Kanada-Tourismus ein Verkaufsargument sind. Gernhardt aber möchte Tiere sehen, die sich nicht auf ihn beziehen, um ihm einen Begriff von "einer Möglichkeit der Existenz außerhalb meiner Nöte und Werte" zu geben.
Interessant sind die Aufzeichnungen als teils wehmütige, teils satirische Reflexion des touristischen In-der-Welt-Seins, dieser merkwürdigen transitorischen Existenzform. Der Reiz besteht im genauen Blick des Zeichners (der Band enthält auch zahlreiche Zeichnungen) und in der anekdotischen Aufmerksamkeit des Erzählers und Satirikers. Geboten wird kein Reiseführerwissen, sondern persönliche Eindrücke und Empfindlichkeiten, gekennzeichnet vom grundlegenden Spannungsverhältnis zwischen dem Ich und der Fremde. Und das ist eine ziemlich aufreibende Beziehung.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Robert Gernhardt: Hinter der Kurve. Reisen 1978-2005
Herausgegegen von Kristina Maidt-Zinke, S. Fischer 2012, 302 Seiten, 19,99 Euro
Links auf dradio.de:
Diagnose mit befreienden Witz - Robert Gernhardt: "Toscana Mia"
Beliebte Comedy - Gernhardt & Knorr: "Hörrohr klar zum Gefecht", 3 CDs
Statt trauriger Tropen - der traurige Tourist. Der sensible Reisende hadert unaufhörlich: Da hatte er 1958 einen wunderschönen griechischen Strand entdeckt - und zehn Jahre später wurde "die reizlose Kusine vom Reisebüro dorthin geschickt". In die Klagemelodie mischt sich der Unterton narzisstischer Kränkung: Man will seine idealen Orte eben nicht mit dem Pauschal-Pöbel teilen. Der Individualreisende sucht die besondere Aura eines Ortes (die mit seinem vermehrten Auftreten auch schon zu verschwinden droht), das Unverfälschte, Ursprüngliche. Die "Stimmungs- und Wallungswerte", die hier den Ausschlag geben, sind allerdings selbst oft schon standardisiert und klischeehaft (etwa: die kulinarisch ergiebige Hafenkneipe, netzeflickende Fischer auf der Mole). In Indonesien kann Gernhardt deshalb keine Fotos mehr knipsen; gerade bei der Vermeidung der gängigen touristischen Motive ärgert ihn nun das exquisite "Umspielen" der Norm: "Schaudernd erkennt der Verächter das Verächtliche seiner Bildeinfälle."
Mit "tourismuskritischem Grummeln" bewegt er sich durch die Welt. Im Reichenrevier der Costa Smeralda: Fake-Achitektur, Fake-Urbanistik, künstliche Paradiese, ein Disneyland. Und Barcelona ist "würdig" nur im Regen, wenn all die Schnell-Zeichner, Gaukler, Statuen-Darsteller und Gaffer verschwunden sind. Genervt ist er von New York, der Wichtigtuer-Stadt: "Ein Glück, dass es den Tod gibt, / Hier ist der Tod vonnöten: / Allein der Tod kann dieser Stadt / Ihr großes Maul verlöten."
Teile des Buches könnte man als "Gernhardts Tierleben" bezeichnen. Er unternimmt eine Safari in Botswana, begleitet auf dem Amazonas einen Alligator-Fänger; Schauer rieseln ihm über den Rücken angesichts der Warane in Komodo. In der kanadischen Wildnis muss er feststellen, dass sich vielerorts nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere an den Tourismus angepasst haben. Entlang der Straßen durch die Wildnis lauern sie auf Fütterung und strecken "in südeuropäischer Bettlermanier" die Köpfe ins Autofenster. Hirsche an der Tankstelle - so weit ist es gekommen, als wüssten die Tiere, dass sie beim Kanada-Tourismus ein Verkaufsargument sind. Gernhardt aber möchte Tiere sehen, die sich nicht auf ihn beziehen, um ihm einen Begriff von "einer Möglichkeit der Existenz außerhalb meiner Nöte und Werte" zu geben.
Interessant sind die Aufzeichnungen als teils wehmütige, teils satirische Reflexion des touristischen In-der-Welt-Seins, dieser merkwürdigen transitorischen Existenzform. Der Reiz besteht im genauen Blick des Zeichners (der Band enthält auch zahlreiche Zeichnungen) und in der anekdotischen Aufmerksamkeit des Erzählers und Satirikers. Geboten wird kein Reiseführerwissen, sondern persönliche Eindrücke und Empfindlichkeiten, gekennzeichnet vom grundlegenden Spannungsverhältnis zwischen dem Ich und der Fremde. Und das ist eine ziemlich aufreibende Beziehung.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Robert Gernhardt: Hinter der Kurve. Reisen 1978-2005
Herausgegegen von Kristina Maidt-Zinke, S. Fischer 2012, 302 Seiten, 19,99 Euro
Links auf dradio.de:
Diagnose mit befreienden Witz - Robert Gernhardt: "Toscana Mia"
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