Die vielen Gottesbilder des Mittelalters
Das "Buch der 24 Philosophen" ist ein Philosophie-Klassiker des Mittelalters. Bisher war es nur auf Latein zu lesen. Der Historiker Kurt Flasch hat den Text jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt.
"Gott ist die unendliche Kugel: ihr Mittelpunkt ist überall, ihr Umfang ist nirgends",
sagt Meister Eckhart 1294 in Paris. Während einer Osterpredigt.
"Aus dem Satz folgt, dass Gott an jedem Punkt des Weltalls ebenso gegenwärtig ist wie in einem Stück Brot auf dem Altar. Macht diese Definition nicht die gesamte kirchliche Heilsvermittlung überflüssig?"
fragt sich Kurt Flasch. Die mittelalterliche Amtskirche hatte sich das auch gefragt – und die Gefahr erkannt. Der Dominikaner Meister Eckhart wurde wegen Häresie verurteilt.
Sich Gott nicht als Vater im Himmel, sondern als eine geistige Kugel zu denken - eine unbegrenzte wohlgemerkt, die man sich nicht vorstellen, sondern eben nur denken kann - diesen Vorschlag hatte Meister Eckhart einer Schrift entnommen, die im Mittelalter weit verbreitet war: dem "Buch der 24 Philosophen".
"Stammt es aus der arabischen Welt? Kommt es auf dem Weg über die Araber aus dem alten Griechenland? Jedenfalls las man im lateinischen Westen seit etwa 1200 die vierundzwanzig Gottesdefinitionen in lateinischer Sprache."
Wo ist dieser Text entstanden? Wer hat ihn geschrieben? Gab es mehrere Autoren? Die Hypothesen sind Legion, Kurt Flasch möchte sie nicht vermehren, er interessiert sich nur für den Inhalt des Werkes.
Den hat er nun erstmals vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt und – als ein kenntnisreicher Philosophiehistoriker – auch kommentiert. Mit der Absicht, das Wesen jeder einzelnen Gottesbestimmung klar zu erfassen, um deren Gemeinsamkeiten und (vor allem) ihre Unterschiede auszumachen.
Am Ende des Buches hat der Leser gelernt: Das Gottesbild des Mittelalters gibt es nicht, im Mittelalter gab es viele Gottesbilder. Neben denen der Bibel und des Koran kursierten zahlreiche Ideen über das Göttliche, die aus der griechisch-römischen Antike überkommen waren, und nur ein paar davon gehen mit dem biblischen Schöpfungsmythos konform:
"Gott ist der Eine, der eine einheitliche Welt erzeugt und diese auf sich zurück bezieht",
lautet die erste Antwort auf die Frage: "Was ist Gott?" Die zweite hat Meister Eckhart in seiner Osterpredigt 1294 zitiert. Gott als unendliche, geistige Kugel zu denken - das galt der katholischen Kirche immer als häresieverdächtig. Dieser Gedanke hat die Kosmologie der Neuzeit begründet. Er ist die Ur-Idee des Pantheismus. Aber auch eines Atheismus, der nichts anderes tut, als das Wort "Gott" durch das Wort "Kosmos" zu ersetzen.
Flasch vermeidet es aber, die ersten beiden - berühmt gewordenen - Gottesdefinitionen besonders herauszuheben. Ihm geht es ums Ganze, sprich: um 24 verschiedene Ideen über die Natur des Göttlichen.
"Gott ist die Liebe, die sich umso mehr verbirgt, je mehr wir sie haben. In dem Maße, in dem Du Dich mit ihm vereinst, wirst Du erhoben. Und ER entrückt ins Erhabene",
aus der Gottes-These Nummer acht, hier geht es um die mystische Vereinigung Gottes mit seinen Geschöpfen. Mystisches Gedankengut war im Christentum lange ein verborgener Strom, weil immer häresieverdächtig. Erst im 20. Jahrhundert konnte ein katholischer Theologe wie Karl Rahner ganz offiziell verkünden: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein. Oder er wird nicht sein."
"Gott ist das, was der Geist nur im Nichtwissen weiß."
Auch diese 23. These über das Wesen Gottes klingt keineswegs mittelalterlich sondern hochmodern, nach Negativer Theologie à la Karl Jaspers oder Jacques Derrida.
"Vereinigung mit Gott ist Aufstieg ins Nicht-Wissen",
heißt es in dieser These weiter. Hier wird Gott als ein Über-Sein gedacht, das der Mensch mit vernünftigem Denken allein nicht erreicht. Gott ist immer der Wunder–Volle. Sein Handeln lässt sich nicht berechnen, man kann sich ihm nur anvertrauen, in Liebe. Solche und ähnliche Gedanken findet man ursprünglich bei Platon und später bei Augustinus. Heute liest man sie oft bei Papst Benedikt XVI.
Das Buch der 24 Philosophen zeigt: Ein himmlischer Übervater, der irdischen Sündern mit Höllenfeuer droht, war im Mittelalter bei Weitem nicht die einzige Antwort auf die Frage "Was ist Gott?"
Dieses schmale Bändchen liest man nicht so eben mal nebenbei, es will studiert werden. Und wem die Begriffe der antiken Philosophie (besonders der Metaphysik) nicht geläufig sind, wird sie nachschlagen müssen. Sonst bleibt manches unverständlich. Aber die Mühe wird reichlich belohnt. Denn so ziemlich alles, was seit der Antike bis heute über das Wesen Gottes gedacht worden ist, scheint hier im Kern formuliert, auf knapp 130 Seiten. Ein "Kompaktkurs" in Sachen Rationale Theologie, neuerdings zu haben nicht nur in Latein, sondern in gut verständlichem Deutsch. Kurt Flasch sei Dank!
Was ist Gott? Das Buch der 24 Philosophen
Herausgegeben und übersetzt von Kurt Flasch
C.H. Beck Verlag, München2011
128 Seiten, 11,95 Euro
sagt Meister Eckhart 1294 in Paris. Während einer Osterpredigt.
"Aus dem Satz folgt, dass Gott an jedem Punkt des Weltalls ebenso gegenwärtig ist wie in einem Stück Brot auf dem Altar. Macht diese Definition nicht die gesamte kirchliche Heilsvermittlung überflüssig?"
fragt sich Kurt Flasch. Die mittelalterliche Amtskirche hatte sich das auch gefragt – und die Gefahr erkannt. Der Dominikaner Meister Eckhart wurde wegen Häresie verurteilt.
Sich Gott nicht als Vater im Himmel, sondern als eine geistige Kugel zu denken - eine unbegrenzte wohlgemerkt, die man sich nicht vorstellen, sondern eben nur denken kann - diesen Vorschlag hatte Meister Eckhart einer Schrift entnommen, die im Mittelalter weit verbreitet war: dem "Buch der 24 Philosophen".
"Stammt es aus der arabischen Welt? Kommt es auf dem Weg über die Araber aus dem alten Griechenland? Jedenfalls las man im lateinischen Westen seit etwa 1200 die vierundzwanzig Gottesdefinitionen in lateinischer Sprache."
Wo ist dieser Text entstanden? Wer hat ihn geschrieben? Gab es mehrere Autoren? Die Hypothesen sind Legion, Kurt Flasch möchte sie nicht vermehren, er interessiert sich nur für den Inhalt des Werkes.
Den hat er nun erstmals vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt und – als ein kenntnisreicher Philosophiehistoriker – auch kommentiert. Mit der Absicht, das Wesen jeder einzelnen Gottesbestimmung klar zu erfassen, um deren Gemeinsamkeiten und (vor allem) ihre Unterschiede auszumachen.
Am Ende des Buches hat der Leser gelernt: Das Gottesbild des Mittelalters gibt es nicht, im Mittelalter gab es viele Gottesbilder. Neben denen der Bibel und des Koran kursierten zahlreiche Ideen über das Göttliche, die aus der griechisch-römischen Antike überkommen waren, und nur ein paar davon gehen mit dem biblischen Schöpfungsmythos konform:
"Gott ist der Eine, der eine einheitliche Welt erzeugt und diese auf sich zurück bezieht",
lautet die erste Antwort auf die Frage: "Was ist Gott?" Die zweite hat Meister Eckhart in seiner Osterpredigt 1294 zitiert. Gott als unendliche, geistige Kugel zu denken - das galt der katholischen Kirche immer als häresieverdächtig. Dieser Gedanke hat die Kosmologie der Neuzeit begründet. Er ist die Ur-Idee des Pantheismus. Aber auch eines Atheismus, der nichts anderes tut, als das Wort "Gott" durch das Wort "Kosmos" zu ersetzen.
Flasch vermeidet es aber, die ersten beiden - berühmt gewordenen - Gottesdefinitionen besonders herauszuheben. Ihm geht es ums Ganze, sprich: um 24 verschiedene Ideen über die Natur des Göttlichen.
"Gott ist die Liebe, die sich umso mehr verbirgt, je mehr wir sie haben. In dem Maße, in dem Du Dich mit ihm vereinst, wirst Du erhoben. Und ER entrückt ins Erhabene",
aus der Gottes-These Nummer acht, hier geht es um die mystische Vereinigung Gottes mit seinen Geschöpfen. Mystisches Gedankengut war im Christentum lange ein verborgener Strom, weil immer häresieverdächtig. Erst im 20. Jahrhundert konnte ein katholischer Theologe wie Karl Rahner ganz offiziell verkünden: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein. Oder er wird nicht sein."
"Gott ist das, was der Geist nur im Nichtwissen weiß."
Auch diese 23. These über das Wesen Gottes klingt keineswegs mittelalterlich sondern hochmodern, nach Negativer Theologie à la Karl Jaspers oder Jacques Derrida.
"Vereinigung mit Gott ist Aufstieg ins Nicht-Wissen",
heißt es in dieser These weiter. Hier wird Gott als ein Über-Sein gedacht, das der Mensch mit vernünftigem Denken allein nicht erreicht. Gott ist immer der Wunder–Volle. Sein Handeln lässt sich nicht berechnen, man kann sich ihm nur anvertrauen, in Liebe. Solche und ähnliche Gedanken findet man ursprünglich bei Platon und später bei Augustinus. Heute liest man sie oft bei Papst Benedikt XVI.
Das Buch der 24 Philosophen zeigt: Ein himmlischer Übervater, der irdischen Sündern mit Höllenfeuer droht, war im Mittelalter bei Weitem nicht die einzige Antwort auf die Frage "Was ist Gott?"
Dieses schmale Bändchen liest man nicht so eben mal nebenbei, es will studiert werden. Und wem die Begriffe der antiken Philosophie (besonders der Metaphysik) nicht geläufig sind, wird sie nachschlagen müssen. Sonst bleibt manches unverständlich. Aber die Mühe wird reichlich belohnt. Denn so ziemlich alles, was seit der Antike bis heute über das Wesen Gottes gedacht worden ist, scheint hier im Kern formuliert, auf knapp 130 Seiten. Ein "Kompaktkurs" in Sachen Rationale Theologie, neuerdings zu haben nicht nur in Latein, sondern in gut verständlichem Deutsch. Kurt Flasch sei Dank!
Was ist Gott? Das Buch der 24 Philosophen
Herausgegeben und übersetzt von Kurt Flasch
C.H. Beck Verlag, München2011
128 Seiten, 11,95 Euro