"Die Vielfalt ist in den Schulen selbst"
In Berlin gibt es neben den Gymnasien seit einem Jahr nur noch die Sekundarschulen, die aus der Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen entstanden sind. Daniela Strezinski, stellvertretende Leiterin einer solchen Sekundarschule, hat mit dem gemeinsamen Lernen positive Erfahrungen gemacht.
Dieter Kassel: Bundesbildungsministerin Annette Schavan ist im Moment unterwegs, um ihre eigene Partei davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, die Hauptschule abzuschaffen und erklärt das natürlich gelegentlich so, als sei es eine revolutionäre Idee. Das ist es nicht unbedingt, denn in Berlin gibt es schon seit über einem Jahr keine Hauptschulen mehr. Hauptschulen und Realschulen wurden zusammengelegt zu den sogenannten Sekundarschulen – meistens auch genau so, eine Hauptschule und eine Realschule gingen zusammen, aber nicht immer. Insgesamt fünfzehn ehemalige Hauptschulen in Berlin mussten das ohne Zusammenlegung aus eigener Kraft schaffen. Und eine, der das wohl besonders gut gelungen ist, das ist die Heinz-Brandt-Schule im nördlichen Stadtteil Weißensee. Aus der einstigen Problemschule wurde so eine Art Vorzeigeobjekt, inzwischen – ganz aktuell – ausgezeichnet mit dem Preis der Akademie im Rahmen des deutschen Schulpreises und so beliebt, dass es inzwischen gar nicht mehr möglich ist, alle Schüler anzunehmen, die da hingehen wollen. Wie dieser Wandel stattgefunden hat und warum er so erfolgreich verlaufen ist, darüber wollen wir jetzt mit der stellvertretenden Leiterin der Heinz-Brandt-Schule reden, Daniela Strezinski. Schönen guten Tag!
Daniela Strezinski: Guten Tag!
Kassel: Eine CDU-Frage, und dann verspreche ich, dass ich Sie mit Politik in Ruhe lasse, aber ich würde gerne den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier zitieren. der sagt nämlich – Zitat: "Eine Partei, die ihr Selbstverständnis vom christlichen Menschenbild herleitet, muss für die Vielfalt von Bildungsangeboten stehen und kann nicht alle Kinder in eine Schulform stecken." Was antworten Sie ihm?
Strezinski: Ich denke, dass die Vielfalt in den Schulen selbst ist und dass man deswegen nicht unbedingt sortieren muss.
Kassel: Was haben Sie denn gedacht vor weit über einem Jahr, als die Politik in Berlin beschlossen hat, nur noch Gymnasien und Sekundarschulen? Sie waren damals auch an der Brandt-Schule, der damaligen Hauptschule.
Strezinski: Ja.
Kassel: Waren Sie von dem Gedanken von Anfang an begeistert?
Strezinski: Ja, also, unsere Schule ist eine Hauptschule gewesen, und wir haben seit vielen, vielen Jahren schon gesagt, Hauptschule gehört abgeschafft. Ich kann auch gerne erklären, warum.
Kassel: Ja, bitte!
Strezinski: Ich denke, dass ein Schulsystem, was sich eine Schulform leistet, die als – Tatsache – Restschule genutzt wird, nicht gut funktionieren kann.
Kassel: Nun haben ja einige Menschen, auch in Berlin, Angst gehabt vor dieser Entwicklung, weil sie gedacht haben: Dann haben wir aber nur noch ein zweigliedriges Schulsystem, das besteht aus Gymnasium auf der einen Seite und riesigen Restschulen auf der anderen Seite.
Strezinski: Ich glaube, wenn man sich – Tatsache – auf die Fahnen schreibt, Kinder individuell zu fördern, dann muss es nicht dazu führen, dass es überall Restschulen gibt, sondern dann sind Kinder zusammen, lernen gemeinsam und lernen auch voneinander. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das sehr viel mehr bringen kann, als die Kinder auszusortieren und einigen den Stempel aufzudrücken: Du schaffst sowieso nichts.
Kassel: Ich habe so das Klischee bemüht und von einer Problemschule geredet vor der Umwandlung. Sie haben nicht allzu entsetzt geguckt. Dem entnehme ich: So ganz falsch ist das nicht. Warum war denn die Heinz-Brandt-Hauptschule vor dem Wechsel eine problematische Schule?
Strezinski: Weil sie eine Hauptschule war. Also, ich glaube, dass wir als Hauptschule auch schon den Ruf hatten, eine gute Schule zu sein, dass wir uns sehr engagiert haben, gerade dahingehend, dass die Kinder nach der Schule an tatsächliche Ausbildungen gekommen sind. Wir haben dort ein ganz großes Konzept aufgestellt, sind gut vernetzt mit auch außerschulischen Partnern, mit Betrieben und so weiter. Aber wir waren eine Hauptschule, und das heißt, die Kinder kommen raus und werden auch so wahrgenommen.
Kassel: Aber wenn Sie das sagen, wir waren halt eine Hauptschule, dann hätte es ja eigentlich auch gereicht, einfach draußen ein anderes Schild dran zu machen und dran zu schreiben: Sekundarschule. Sie haben doch sehr viel mehr als das gemacht.
Strezinski: Ja, das stimmt. Wir haben unser Konzept vollständig umgestellt, wir haben uns vorher viele Gedanken gemacht, was muss sich ändern, und haben uns überlegt, für uns macht es Sinn, gebundene Ganztagsschule zu werden. Das setzt voraus, dass man – Tatsache – den Unterricht umstellt. Es geht nicht, dass man also sagt: Okay, bis 14 Uhr haben wir Unterricht, und danach kommen dann Arbeitsgemeinschaften oder so, sondern es bedeutet Rhythmisierung, es bedeutet, ich habe in den Alltag integriert Zeiten, die keine unterrichtlichen Zeiten sind und unterrichtliche Zeiten, und ich muss mir natürlich auch überlegen, wenn ich Kinder habe, die gymnasiale Voraussetzungen haben, Realschulvoraussetzungen, Hauptschulvoraussetzungen, will ich die dann trennen innerhalb der Schule oder will ich sie alle zusammen lassen und überlege mir ein Konzept, was das möglich macht.
Kassel: Mir ist ein Geheimdokument – wir können das sehr praktisch jetzt machen – ein Geheimdokument zugespielt worden mehr oder weniger, Wikileaks … nein, das stimmt nicht! Sie haben es mir selber zur Verfügung gestellt: Den Stundenplan der Klasse 7.1, und da muss ich sagen, dass ich das Meiste nicht verstehe. Ich überlege, wahrscheinlich heißt Sp Sport. Das stimmt gerade noch so, ansonsten stehen aber auf diesem Stundenplan Dinge wie WPU1, WPU2, TZU und TF. Da steht – was vielleicht noch interessanter ist – nirgendwo Englisch, Geografie, Physik, Deutsch. Heißt das, diese Art von Unterricht – morgens zwei Stunden Mathe, am späten Vormittag zwei Stunden Englisch und nachmittags Kunst –, das machen Sie gar nicht mehr?
Strezinski: Ganz so ist es nicht. Also, wir haben die sogenannten Lernbüros, da verbergen sich die Fächer Mathe, Deutsch und Englisch dahinter. Die Kinder werden dort aber auf sehr selbstständige Art und Weise unterrichtet, beziehungsweise sie unterrichten sich zum Teil auch selbst. Sie bekommen von uns Einführungen in bestimmte Themenfelder und arbeiten dann selbstständig in ihrem Tempo auf ihrer Niveaustufe und schließen dann ab, wenn sie fertig sind mit der Aufgabe. Der Lehrer ist da zur Unterstützung, der kann gefragt werden, es können aber auch die anderen Kinder gefragt werden. Das ist aber trotzdem noch Mathe, Deutsch und Englisch.
Kassel: Es klingt ein bisschen so, also hätten Sie da an einer staatlichen Schule, die ihre Schule ja immer noch ist, doch viel von den Reformschulen übernommen. Ein bisschen klingt es nach Waldorf, Montessori und Jena-Plan.
Strezinski: Wir haben uns – Tatsache – vorher viele Schulen angesehen, unter anderem Winterhude in Hamburg, Max Brauer, wir haben uns auch hier in Berlin die Evangelische Gemeinschaftsschule angeguckt. Und unser Kollegium hat dann gesagt, was das Kollegium will, und hat das eigene Konzept daraus gestrickt. Und da sind natürlich die Lernbüros aus Winterhude oder auch aus der Gemeinschaftsschule zu uns gekommen.
Kassel: Wenn Sie sagen, das Kollegium hat gesagt, was es will, waren da auch Kolleginnen und Kollegen dabei, die gesagt haben, das will ich nicht, die vielleicht sogar gegangen sind?
Strezinski: Ja, das ist richtig. Wir haben zum Sommer, also zum Ende des vergangenen Schuljahres drei Kollegen gehabt, die gegangen sind.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag über die erstaunlichen Erfolge der Heinz-Brandt-Schule in Berlin, die eine Hauptschule war und jetzt eine Sekundarschule ist, wir reden mit Daniela Strezinski. Sie ist die stellvertretende Leiterin dieser Schule und unterrichtet da natürlich auch. Nun haben wir schon gesagt, da gibt es Vieles, was Reformschulen ähnelt oder wo Sie zumindest Ideen der Reformschulen aufgenommen haben. Und wenn Reformschulen gut funktionieren, was sie nicht selten tun, dann kommt oft der Vorwurf: Na ja, das ist auch nicht so schwierig, denn wer schickt seine Kinder schon auf eine Waldorf-Schule? Das muss man erst mal wissen, dafür muss man sich interessieren. Das sind halt eben die Gutbürgerlichen, die sonst auch auf dem Gymnasium wahrscheinlich zurechtkämen. Sie haben ja immer noch die gleichen Schüler, die sie vorher hatten, wenn die nicht abgegangen sind zwischenzeitlich. Das heißt, diese Konzepte haben auch funktioniert, um Gewalt, um Unruhe, Vandalismus und Ähnliches einzudämmen?
Strezinski: Dazu muss ich zuerst sagen: Unruhe gibt es, glaube ich, überall da, wo Kinder sind oder Jugendliche, Gewalt und Vandalismus waren schon vorher bei uns viele Jahre kein großes Problem mehr. Also, natürlich kam immer mal vor, dass jemand Graffiti irgendwo drangeschmiert hat oder so, aber in dem Sinne Vandalismus, wie man sich das so im Thema Hauptschule vorstellt, das gab es bei uns nicht mehr. Das ist das Erste, und das Zweite ist: Die Hauptschulklassen gibt es noch, in diesem Schuljahr noch Jahrgang neun und zehn, und die Kinder, die jetzt gekommen sind – seit dem vergangenen Schuljahr, siebente Klasse, dieses Schuljahr dazugekommen –, sind das natürlich nicht nur Hauptschüler. Wir haben ungefähr ein Drittel klassisch empfohlener Hauptschüler und zwei Drittel Realschüler und einige darunter auch Gymnasiasten.
Kassel: Das heißt aber doch, dass das, was die Befürworter eines zwei- oder vielleicht sogar eingliedrigen Schulsystems immer sagen, hat sich bei Ihnen schon auch als tatsächlicher Vorteil herausgestellt, nämlich, dass auch die Hauptschüler sich wohler fühlen, weil sie nicht mehr alleine sind. Und nicht das Gegenteil, wie manche vermuten.
Strezinski: Nein, ganz genau. Ich habe den Eindruck, dass es den Schülern, auch denen, die eine Hauptschulempfehlung hatten, die Schwierigkeiten haben, etwas zu lernen oder sich zu konzentrieren, dass es denen so viel, viel besser geht.
Kassel: Was Sie gemacht haben und zum Teil ja – soweit es in der Kürze der Zeit geht – schon beschrieben haben, halten Sie das für ein Modell, das eigentlich für jede Schule in ganz Deutschland, die bisher eine Hauptschule war – da grinst sie jetzt, große Frage! –, stellen Sie sich vor – das gibt es ja gar nicht, dieses Amt –, Sie wären Bundesschulministerin, würden Sie sagen, so wie wir das in Berlin-Weißensee gemacht haben, könnte man das überall machen, oder ist das auch etwas, was spezifisch zugeschnitten war auf Ihre Schule?
Strezinski: Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn man sozusagen von Senatsseite oder von Ministeriumsseite jeder einzelnen Schule sagt: Ihr müsst das so machen. Ich glaube, das ist Grundvoraussetzungen gibt, die wichtig sind. Ich halte viel davon, dass man Kinder gemeinsam unterrichtet, möglichst lange. Ich glaube aber, dass immer das einzelne Kollegium auch – Tatsache – die Rahmenbedingungen dann ausgestalten muss.
Kassel: Das heißt, Grundregeln, die möglichst viel Freiheiten lassen für die Umsetzung.
Strezinski: Ja, das denke ich schon.
Kassel: Wir sind jetzt in Berlin, und vielleicht, wenn die CDU sich durchringt – ist ja alles immer noch föderal und jedes Bundesland kann es verhindern –, aber vielleicht irgendwann in ganz Deutschland bei einem zweigliedrigen Schulsystem. Wären Sie mittelfristig für ein eingliedriges? Also auch Abschaffung der Gymnasien?
Strezinski: Ich weiß nicht, ob man es unbedingt Gymnasien nennen müsste. Ich denke, dass es gut wäre, wenn Kinder lange zusammen lernen, vielleicht bis zur achten, vielleicht auch bis zur zehnten Klasse. Und es gibt ja andere Länder, wie zum Beispiel Schweden, da nennen sich alle Schulen dann irgendwann Gymnasien, haben aber verschiedene Ausrichtungen. Und ich denke, dass es einfach ganz gut wäre, wenn man guckt, wer will in Richtung Studium gehen, wer will in Richtung Ausbildung gehen, und vielleicht da noch mal ganz neu denkt.
Kassel: Ich kann Sie nicht gehen lassen, ohne dass wir ein bisschen Verwirrung aufklären: Wir machen nicht jeden Begriff, aber Tüff – T-Ü-F-F –, was bei Ihnen auf dem Stundenplan steht. Was heißt das?
Strezinski: Trainieren, üben, fördern und fordern. Das sind bei uns die sogenannten Schülerarbeitsstunden – ich hatte ja schon gesagt, wir sind gebundene Ganztagsschule, und die Schüler haben in dem Sinne keine klassischen Hausaufgaben mehr, sondern Zeiten, in denen sie in der Schule lernen und selbstständig noch mal etwas aufarbeiten können. Und das verbirgt sich dort hinter diesen Begriff.
Kassel: So, jetzt muss niemand mehr googeln. Die anderen Sachen, die ich erwähnt habe, muss aber jeder googeln, wir wollen den Leuten auch Aufgaben lassen. Ich danke Ihnen sehr! Daniela Strezinski war das. Sie ist die stellvertretende Leiterin der Heinz-Brandt-Schule in Berlin, die mal eine ganz normale, vielleicht sogar zeitweise nicht gerade berühmte Hauptschule war, und die jetzt eine Sekundarschule ist, die sogar im Rahmen des deutschen Schulpreises ausgezeichnet wurde mit dem Preis der Akademie. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie bei uns waren und wünsche Ihnen mit dieser Schule ganz viel Erfolg.
Strezinski: Vielen Dank und auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Daniela Strezinski: Guten Tag!
Kassel: Eine CDU-Frage, und dann verspreche ich, dass ich Sie mit Politik in Ruhe lasse, aber ich würde gerne den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier zitieren. der sagt nämlich – Zitat: "Eine Partei, die ihr Selbstverständnis vom christlichen Menschenbild herleitet, muss für die Vielfalt von Bildungsangeboten stehen und kann nicht alle Kinder in eine Schulform stecken." Was antworten Sie ihm?
Strezinski: Ich denke, dass die Vielfalt in den Schulen selbst ist und dass man deswegen nicht unbedingt sortieren muss.
Kassel: Was haben Sie denn gedacht vor weit über einem Jahr, als die Politik in Berlin beschlossen hat, nur noch Gymnasien und Sekundarschulen? Sie waren damals auch an der Brandt-Schule, der damaligen Hauptschule.
Strezinski: Ja.
Kassel: Waren Sie von dem Gedanken von Anfang an begeistert?
Strezinski: Ja, also, unsere Schule ist eine Hauptschule gewesen, und wir haben seit vielen, vielen Jahren schon gesagt, Hauptschule gehört abgeschafft. Ich kann auch gerne erklären, warum.
Kassel: Ja, bitte!
Strezinski: Ich denke, dass ein Schulsystem, was sich eine Schulform leistet, die als – Tatsache – Restschule genutzt wird, nicht gut funktionieren kann.
Kassel: Nun haben ja einige Menschen, auch in Berlin, Angst gehabt vor dieser Entwicklung, weil sie gedacht haben: Dann haben wir aber nur noch ein zweigliedriges Schulsystem, das besteht aus Gymnasium auf der einen Seite und riesigen Restschulen auf der anderen Seite.
Strezinski: Ich glaube, wenn man sich – Tatsache – auf die Fahnen schreibt, Kinder individuell zu fördern, dann muss es nicht dazu führen, dass es überall Restschulen gibt, sondern dann sind Kinder zusammen, lernen gemeinsam und lernen auch voneinander. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das sehr viel mehr bringen kann, als die Kinder auszusortieren und einigen den Stempel aufzudrücken: Du schaffst sowieso nichts.
Kassel: Ich habe so das Klischee bemüht und von einer Problemschule geredet vor der Umwandlung. Sie haben nicht allzu entsetzt geguckt. Dem entnehme ich: So ganz falsch ist das nicht. Warum war denn die Heinz-Brandt-Hauptschule vor dem Wechsel eine problematische Schule?
Strezinski: Weil sie eine Hauptschule war. Also, ich glaube, dass wir als Hauptschule auch schon den Ruf hatten, eine gute Schule zu sein, dass wir uns sehr engagiert haben, gerade dahingehend, dass die Kinder nach der Schule an tatsächliche Ausbildungen gekommen sind. Wir haben dort ein ganz großes Konzept aufgestellt, sind gut vernetzt mit auch außerschulischen Partnern, mit Betrieben und so weiter. Aber wir waren eine Hauptschule, und das heißt, die Kinder kommen raus und werden auch so wahrgenommen.
Kassel: Aber wenn Sie das sagen, wir waren halt eine Hauptschule, dann hätte es ja eigentlich auch gereicht, einfach draußen ein anderes Schild dran zu machen und dran zu schreiben: Sekundarschule. Sie haben doch sehr viel mehr als das gemacht.
Strezinski: Ja, das stimmt. Wir haben unser Konzept vollständig umgestellt, wir haben uns vorher viele Gedanken gemacht, was muss sich ändern, und haben uns überlegt, für uns macht es Sinn, gebundene Ganztagsschule zu werden. Das setzt voraus, dass man – Tatsache – den Unterricht umstellt. Es geht nicht, dass man also sagt: Okay, bis 14 Uhr haben wir Unterricht, und danach kommen dann Arbeitsgemeinschaften oder so, sondern es bedeutet Rhythmisierung, es bedeutet, ich habe in den Alltag integriert Zeiten, die keine unterrichtlichen Zeiten sind und unterrichtliche Zeiten, und ich muss mir natürlich auch überlegen, wenn ich Kinder habe, die gymnasiale Voraussetzungen haben, Realschulvoraussetzungen, Hauptschulvoraussetzungen, will ich die dann trennen innerhalb der Schule oder will ich sie alle zusammen lassen und überlege mir ein Konzept, was das möglich macht.
Kassel: Mir ist ein Geheimdokument – wir können das sehr praktisch jetzt machen – ein Geheimdokument zugespielt worden mehr oder weniger, Wikileaks … nein, das stimmt nicht! Sie haben es mir selber zur Verfügung gestellt: Den Stundenplan der Klasse 7.1, und da muss ich sagen, dass ich das Meiste nicht verstehe. Ich überlege, wahrscheinlich heißt Sp Sport. Das stimmt gerade noch so, ansonsten stehen aber auf diesem Stundenplan Dinge wie WPU1, WPU2, TZU und TF. Da steht – was vielleicht noch interessanter ist – nirgendwo Englisch, Geografie, Physik, Deutsch. Heißt das, diese Art von Unterricht – morgens zwei Stunden Mathe, am späten Vormittag zwei Stunden Englisch und nachmittags Kunst –, das machen Sie gar nicht mehr?
Strezinski: Ganz so ist es nicht. Also, wir haben die sogenannten Lernbüros, da verbergen sich die Fächer Mathe, Deutsch und Englisch dahinter. Die Kinder werden dort aber auf sehr selbstständige Art und Weise unterrichtet, beziehungsweise sie unterrichten sich zum Teil auch selbst. Sie bekommen von uns Einführungen in bestimmte Themenfelder und arbeiten dann selbstständig in ihrem Tempo auf ihrer Niveaustufe und schließen dann ab, wenn sie fertig sind mit der Aufgabe. Der Lehrer ist da zur Unterstützung, der kann gefragt werden, es können aber auch die anderen Kinder gefragt werden. Das ist aber trotzdem noch Mathe, Deutsch und Englisch.
Kassel: Es klingt ein bisschen so, also hätten Sie da an einer staatlichen Schule, die ihre Schule ja immer noch ist, doch viel von den Reformschulen übernommen. Ein bisschen klingt es nach Waldorf, Montessori und Jena-Plan.
Strezinski: Wir haben uns – Tatsache – vorher viele Schulen angesehen, unter anderem Winterhude in Hamburg, Max Brauer, wir haben uns auch hier in Berlin die Evangelische Gemeinschaftsschule angeguckt. Und unser Kollegium hat dann gesagt, was das Kollegium will, und hat das eigene Konzept daraus gestrickt. Und da sind natürlich die Lernbüros aus Winterhude oder auch aus der Gemeinschaftsschule zu uns gekommen.
Kassel: Wenn Sie sagen, das Kollegium hat gesagt, was es will, waren da auch Kolleginnen und Kollegen dabei, die gesagt haben, das will ich nicht, die vielleicht sogar gegangen sind?
Strezinski: Ja, das ist richtig. Wir haben zum Sommer, also zum Ende des vergangenen Schuljahres drei Kollegen gehabt, die gegangen sind.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag über die erstaunlichen Erfolge der Heinz-Brandt-Schule in Berlin, die eine Hauptschule war und jetzt eine Sekundarschule ist, wir reden mit Daniela Strezinski. Sie ist die stellvertretende Leiterin dieser Schule und unterrichtet da natürlich auch. Nun haben wir schon gesagt, da gibt es Vieles, was Reformschulen ähnelt oder wo Sie zumindest Ideen der Reformschulen aufgenommen haben. Und wenn Reformschulen gut funktionieren, was sie nicht selten tun, dann kommt oft der Vorwurf: Na ja, das ist auch nicht so schwierig, denn wer schickt seine Kinder schon auf eine Waldorf-Schule? Das muss man erst mal wissen, dafür muss man sich interessieren. Das sind halt eben die Gutbürgerlichen, die sonst auch auf dem Gymnasium wahrscheinlich zurechtkämen. Sie haben ja immer noch die gleichen Schüler, die sie vorher hatten, wenn die nicht abgegangen sind zwischenzeitlich. Das heißt, diese Konzepte haben auch funktioniert, um Gewalt, um Unruhe, Vandalismus und Ähnliches einzudämmen?
Strezinski: Dazu muss ich zuerst sagen: Unruhe gibt es, glaube ich, überall da, wo Kinder sind oder Jugendliche, Gewalt und Vandalismus waren schon vorher bei uns viele Jahre kein großes Problem mehr. Also, natürlich kam immer mal vor, dass jemand Graffiti irgendwo drangeschmiert hat oder so, aber in dem Sinne Vandalismus, wie man sich das so im Thema Hauptschule vorstellt, das gab es bei uns nicht mehr. Das ist das Erste, und das Zweite ist: Die Hauptschulklassen gibt es noch, in diesem Schuljahr noch Jahrgang neun und zehn, und die Kinder, die jetzt gekommen sind – seit dem vergangenen Schuljahr, siebente Klasse, dieses Schuljahr dazugekommen –, sind das natürlich nicht nur Hauptschüler. Wir haben ungefähr ein Drittel klassisch empfohlener Hauptschüler und zwei Drittel Realschüler und einige darunter auch Gymnasiasten.
Kassel: Das heißt aber doch, dass das, was die Befürworter eines zwei- oder vielleicht sogar eingliedrigen Schulsystems immer sagen, hat sich bei Ihnen schon auch als tatsächlicher Vorteil herausgestellt, nämlich, dass auch die Hauptschüler sich wohler fühlen, weil sie nicht mehr alleine sind. Und nicht das Gegenteil, wie manche vermuten.
Strezinski: Nein, ganz genau. Ich habe den Eindruck, dass es den Schülern, auch denen, die eine Hauptschulempfehlung hatten, die Schwierigkeiten haben, etwas zu lernen oder sich zu konzentrieren, dass es denen so viel, viel besser geht.
Kassel: Was Sie gemacht haben und zum Teil ja – soweit es in der Kürze der Zeit geht – schon beschrieben haben, halten Sie das für ein Modell, das eigentlich für jede Schule in ganz Deutschland, die bisher eine Hauptschule war – da grinst sie jetzt, große Frage! –, stellen Sie sich vor – das gibt es ja gar nicht, dieses Amt –, Sie wären Bundesschulministerin, würden Sie sagen, so wie wir das in Berlin-Weißensee gemacht haben, könnte man das überall machen, oder ist das auch etwas, was spezifisch zugeschnitten war auf Ihre Schule?
Strezinski: Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn man sozusagen von Senatsseite oder von Ministeriumsseite jeder einzelnen Schule sagt: Ihr müsst das so machen. Ich glaube, das ist Grundvoraussetzungen gibt, die wichtig sind. Ich halte viel davon, dass man Kinder gemeinsam unterrichtet, möglichst lange. Ich glaube aber, dass immer das einzelne Kollegium auch – Tatsache – die Rahmenbedingungen dann ausgestalten muss.
Kassel: Das heißt, Grundregeln, die möglichst viel Freiheiten lassen für die Umsetzung.
Strezinski: Ja, das denke ich schon.
Kassel: Wir sind jetzt in Berlin, und vielleicht, wenn die CDU sich durchringt – ist ja alles immer noch föderal und jedes Bundesland kann es verhindern –, aber vielleicht irgendwann in ganz Deutschland bei einem zweigliedrigen Schulsystem. Wären Sie mittelfristig für ein eingliedriges? Also auch Abschaffung der Gymnasien?
Strezinski: Ich weiß nicht, ob man es unbedingt Gymnasien nennen müsste. Ich denke, dass es gut wäre, wenn Kinder lange zusammen lernen, vielleicht bis zur achten, vielleicht auch bis zur zehnten Klasse. Und es gibt ja andere Länder, wie zum Beispiel Schweden, da nennen sich alle Schulen dann irgendwann Gymnasien, haben aber verschiedene Ausrichtungen. Und ich denke, dass es einfach ganz gut wäre, wenn man guckt, wer will in Richtung Studium gehen, wer will in Richtung Ausbildung gehen, und vielleicht da noch mal ganz neu denkt.
Kassel: Ich kann Sie nicht gehen lassen, ohne dass wir ein bisschen Verwirrung aufklären: Wir machen nicht jeden Begriff, aber Tüff – T-Ü-F-F –, was bei Ihnen auf dem Stundenplan steht. Was heißt das?
Strezinski: Trainieren, üben, fördern und fordern. Das sind bei uns die sogenannten Schülerarbeitsstunden – ich hatte ja schon gesagt, wir sind gebundene Ganztagsschule, und die Schüler haben in dem Sinne keine klassischen Hausaufgaben mehr, sondern Zeiten, in denen sie in der Schule lernen und selbstständig noch mal etwas aufarbeiten können. Und das verbirgt sich dort hinter diesen Begriff.
Kassel: So, jetzt muss niemand mehr googeln. Die anderen Sachen, die ich erwähnt habe, muss aber jeder googeln, wir wollen den Leuten auch Aufgaben lassen. Ich danke Ihnen sehr! Daniela Strezinski war das. Sie ist die stellvertretende Leiterin der Heinz-Brandt-Schule in Berlin, die mal eine ganz normale, vielleicht sogar zeitweise nicht gerade berühmte Hauptschule war, und die jetzt eine Sekundarschule ist, die sogar im Rahmen des deutschen Schulpreises ausgezeichnet wurde mit dem Preis der Akademie. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie bei uns waren und wünsche Ihnen mit dieser Schule ganz viel Erfolg.
Strezinski: Vielen Dank und auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.