Die VIPs von Berlin

Mit hohem Unterhaltungswert, glaubwürdig und schonungslos porträtiert Kulturjournalistin Johanna Adorján ihr eigenes Umfeld: die Kreativen in Berlin. Arroganz und Unsicherheit sind das Markenzeichen dieser "500 besten Freunde" – darunter Filmregisseure, Galeristen oder Models.
Der vielleicht schönste Satz dieses Erzählbands von Johanna Adorján findet sich gleich auf der ersten Seite, zu Beginn der kürzesten Geschichte: "Wir saßen damals oft im Borchardt." Und dann, die Zukunft vorwegnehmend, die Bedeutung des Berlin-Mitte-Pop-Medien-und-Politik-Restaurants in das richtige Verhältnis setzend, vielleicht auch die Bedeutung dieser Geschichten, zumindest die der sie bestimmenden Figuren, der nächste Satz: "Ein paar Jahrzehnte später waren wir tot, aber wir saßen oft im Borchardt damals und hielten das alles für sehr wichtig."

Es folgt die Schilderung der Begegnung zweier Freundinnen, die sich auf einer doch eher distanzierten Ebene zugetan sind. Das passt zunächst einmal zum Ambiente und zum Personal - Filmregisseur, Modemacher, Galeristen, Models, Geschäftsmänner. Den wahren Grund für die Distanz erfährt man dann am Ende, kurz, knapp und trocken: "Erst später erfuhr ich, dass Eva an diesem Abend schon wusste, dass ich sie seit Monaten mit ihrem Mann betrog."

Viele dieser Geschichten arbeiten auf ein dergestalt knackiges, auf eine Schlusspointe hinauslaufendes Ende hin, das macht sie mitunter ein bisschen vorhersehbar. Doch Johanna Adorján ist letztlich mehr daran gelegen, eine sehr kleine, sehr spezielle Gesellschaftsschicht zu porträtieren, diese in ihrer Wichtigkeit und Bedeutung darzustellen, die vor allem eine eingebildete ist: jene von Berlin-Mitte, von dort lebenden und arbeitenden Medienleuten, Schauspielerinnen und Filmemachern, Praktikantinnen und Models, Schriftstellern und ihren Lektoren.

Adorján kennt sich aus in dieser Szene, sie arbeitet als Feuilletonredakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", die ihren Sitz in der Mittelstraße in Mitte hat. Man kann davon ausgehen, dass sie das Borchardt oder das King Size, das Grill Royal, das Adlon oder die Mitte-Galerien nicht nur zu Recherchezwecken besucht hat. Deshalb wohnt ihren Erzählungen eine große Glaubwürdigkeit inne.

Viele von Adorjáns Figuren charakterisiert eine Mischung aus Blasiertheit, Berechnung und Unsicherheit, oft bewegen sie sich an der Grenze zur Lächerlichkeit: sei es der große Journalist, der dann doch einen sicher geglaubten Preis nicht bekommt, sei es die Praktikantin, die auf einem Liza-Minelli-Konzert von einer anderen Praktikantin ausgestochen wird, sei es der Lektor, der seinem Erfolgsautoren beibringen muss, dass dessen neues Buch missraten ist, sich dann aber von diesem mit einem Geschenk - einem 300 Euro teuren Füller - um den Finger wickeln lässt.

Sympathieträger sind sie allesamt nicht gerade, diese "500 besten Freunde" von Adorján, die hier immer wieder mal als Haupt- oder Nebenfiguren auftreten. Und manchmal fragt man sich, warum die Feuilletonistin Adorján so schonungslos-unzärtlich mit ihnen umgeht, warum sie sie so vorführt? Vielleicht liegt es an der einmal von einer ihrer Figuren diagnostizierten "Feuilleton-Depression": ein Überdruss an der tagtäglichen, aber immer wiederkehrenden Kulturweltswichtigkeit, die sich irgendwann in "Müdigkeit, Mattheit und einem Gefühl innerer Leere niederschlug". Als Antidot eignen sich diese Geschichten nur begrenzt, ihr Unterhaltungswert aber ist hoch.

Rezensiert von Gerrit Bartels


Johanna Adorján: Meine 500 besten Freunde. Stories.
Luchterhand Verlag, München 2013
250 Seiten, 18, 99 Euro