Die Wannseekonferenz als Comic

Schreibtischtäter beim Frühstücken

12:07 Minuten
Düsteres Aquarellbild mehrerer Männer, die um einen runden Tisch sitzen.
"Wannsee": Geschichte als Graphic Novel. © Knesebeck Verlag / Fabrice Le Hénanff
Alexander Braun im Gespräch mit Timo Grampes |
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Das Frühstück in einem Haus am Wannsee, bei dem 15 ranghohe Nazis den industriellen Massenmord an den Juden beschlossen, dauerte weniger als anderthalb Stunden. Ein Comic zeichnet das historische Ereignis nun nach.
Es ist ein kalter Wintertag im Januar 1942. In der großen Villa am Wannsee bullern die Heizungen, der Teppich mieft, Rauch liegt in der Luft, Gläser werden poliert: Wer den Comic "Wannsee" liest, hat fast das Gefühl, mit an jenem Konferenztisch zu sitzen, an dem der Holocaust beschlossen wurde.
Auf Basis des 15-seitigen Protokolls des SS-Manns Adolf Eichmann hat der französische Comiczeichner Le Hénanff das Treffen rekonstruiert. Er fängt die Atmosphäre fotorealistisch ein, manchmal farblich verfremdet, in Rosa oder in Grün. Durch die zahlreichen Details und den bürokratischen Duktus der Gespräche am Tisch entfalte die Erzählung ihre ganz Wucht, sagt der Kunsthistoriker und Comic-Experte Alexander Braun: "Es sind diese kleinen Mosaikteilchen, die die Brisanz und das Obszöne an dieser Situation auf den Punkt bringen."
Die Philosophin Hannah Arendt hat das Zusammenfallen von Bürokratie und Vernichtungswillen in der Figur von Adolf Eichmann die "Banalität des Bösen" genannt. Diese "Banalität des Bösen" zeige der Comic, sagt Braun.

Die Perspektive der Opfer fehlt

Nur vereinzelt verlässt der Comic die Perspektive der Täter und zeigt die Konsequenzen der Wannseekonferenz. Auf einer Doppelseite sieht man anonyme Opfer eines Massakers. Für Alexander Braun sind solche Motive schon viel zu häufig gezeigt worden, um noch berühren zu können: Es sei unglaublich schwierig, Empathie für eine anonyme Menschenmasse zu fühlen, sagt er - und verweist dabei auch auf die Bilder von anonymen Flüchtlingen, die heute in den Medien kursieren. Solange man deren persönliche Geschichten nicht kenne, ließen die Bilder den Betrachter kalt.
Es sei jedoch kein Problem, dass diese personifizierten Geschichten in dem Comic "Wannsee" fehlten, so Braun. Der Comic zeige, wie 15 Menschen jenseits von Affekten bei einem Arbeitsfrühstück die systematische Vernichtung von Menschen beschlossen - "das müssen wir zeigen, auch wenn nur Täter im Bild sind, um diese Mechanik zu verstehen", sagt Braun.
(sed)

Fabrice Le Hénanff: "Wannsee"
Aus dem Französischen von Thomas Laugstien
Knesebeck Verlag, 2019
88 Seiten, 24 Euro

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