Die Welt der Waren
Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich hat mit "Alles nur Konsum" eine detaillierte Interpretation der Warenwelt vorgelegt. Darin vergleicht er die Wirkungen, die Produkte haben, mit denen von Kunstwerken: ein relevantes und unterhaltsames Buch zum Thema Konsumkultur.
Vor einigen Jahren veröffentlichte der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich mit "Haben wollen" ein Buch, das man haben wollte, weil es zu den klügsten Denkanstrengungen zum Thema Konsumkultur gehört. Jetzt führt er seine Warenästhetik fort, und man kann sich wiederum freuen über detailversessene Interpretationen von Duschgel-Verpackungen und Wasserflaschen.
Zunächst aber klärt Ullrich die Fronten. Da sind zum einen der Funktionalismus und formale Minimalismus als die hehren Prinzipien modernen Designs in der Nachfolge von Bauhaus und Werkbund. Gute Form hatte hier allein den Zweck des Gegenstands zu betonen, der Perfektionierung des Gebrauchswerts zu dienen. Alles, was darüber hinausging, wurde abgelehnt. Zum anderen ist da die meist linke Konsumkritik, die prinzipiell Manipulation in der Verheißung der bunten Warenwelt wittert und den Konsument als fremdbestimmt versteht.
Mit diesen beiden Denkschulen, so Ullrich, lasse sich die moderne Konsumkultur mit ihren vielfältigen Fiktionalisierungen und Erlebnisdimensionen jedoch nicht angemessen verstehen. Er vergleicht die Wirkungen, die viele Produkte haben, mit denen von Kunstwerken, Filmen, Fernsehserien, Romanen: Sie bieten Unterbrechungen und Überhöhungen des Alltags, helfen bei der Modellierung eigener Erfahrung, dienen als emotionale Verstärker.
Der Begriff der warenästhetischen Erziehung ist doppeldeutig. Zum einen soll sie den Menschen zum souveränen Umgang mit den Verlockungen der Konsumkultur führen. Zum anderen bedeutet sie aber auch die Erziehung der Kunden durch die Waren. Produkte erfüllen heute die Funktionen von Benimm-Ratgebern und Verhaltenslenkern, sie bieten ökologische Pädagogik und liefern Codes für das soziale Leben.
Um diese Codes zu verstehen, ist viel situative Intelligenz erforderlich. Zwar nehmen uns die komplexen Produkte - das Smartphone, der Kaffeevollautomat - an die Hand. Aber es entsteht auch eine neue Form von Stress: "Man muss oft mehr bieten, als man eigentlich will, nur, um nicht als Versager dazustehen, der von seinen eigenen Dingen vorgeführt wird." Und wer erst einmal damit begonnen hat, Situationen des eigenen Lebens zu choreografieren, gerät bald in eine endlose Konsumspirale.
Der Konsument wird in der Warenwelt mit einem "Gespinst an positiven Gefühlen" umgeben. Die Kehrseite dieser Inszenierung ist ziemlich düster: Man wird adressiert als jemand, der ausgepowert ist und deshalb dringend der Regeneration und Energiezufuhr bedarf. Die Produktwelt verstärkt unterschwellig die Erschöpfungsängste.
Im Kapitel "Gewissenswohlstand" beschäftigt Ullrich sich mit der Ethisierung von Waren etwa durch Bio- und "Fairtrade"-Produkte. Die neuen "Konsumbürger", die sich vom Discounterproletariat abgrenzen, sieht er in die Position des früheren Bildungsbürgertums einrücken: statt Moralisierung von Kennerschaft und Hochkultur nun die Moralisierung der Märkte. Spätestens hier wird klar: "Alles nur Konsum" ist ein hoch relevantes, einsichtsvolles und dabei sehr unterhaltsames Buch. Man sieht die Welt der Waren danach mit anderen Augen.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Wolfgang Ullrich: Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung
Wagenbach, Berlin 2013
208 Seiten, 11,90 Euro
Links auf dradio.de:
Der Konsum und seine Verächter
Thomas Hecken: "Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter"
Zunächst aber klärt Ullrich die Fronten. Da sind zum einen der Funktionalismus und formale Minimalismus als die hehren Prinzipien modernen Designs in der Nachfolge von Bauhaus und Werkbund. Gute Form hatte hier allein den Zweck des Gegenstands zu betonen, der Perfektionierung des Gebrauchswerts zu dienen. Alles, was darüber hinausging, wurde abgelehnt. Zum anderen ist da die meist linke Konsumkritik, die prinzipiell Manipulation in der Verheißung der bunten Warenwelt wittert und den Konsument als fremdbestimmt versteht.
Mit diesen beiden Denkschulen, so Ullrich, lasse sich die moderne Konsumkultur mit ihren vielfältigen Fiktionalisierungen und Erlebnisdimensionen jedoch nicht angemessen verstehen. Er vergleicht die Wirkungen, die viele Produkte haben, mit denen von Kunstwerken, Filmen, Fernsehserien, Romanen: Sie bieten Unterbrechungen und Überhöhungen des Alltags, helfen bei der Modellierung eigener Erfahrung, dienen als emotionale Verstärker.
Der Begriff der warenästhetischen Erziehung ist doppeldeutig. Zum einen soll sie den Menschen zum souveränen Umgang mit den Verlockungen der Konsumkultur führen. Zum anderen bedeutet sie aber auch die Erziehung der Kunden durch die Waren. Produkte erfüllen heute die Funktionen von Benimm-Ratgebern und Verhaltenslenkern, sie bieten ökologische Pädagogik und liefern Codes für das soziale Leben.
Um diese Codes zu verstehen, ist viel situative Intelligenz erforderlich. Zwar nehmen uns die komplexen Produkte - das Smartphone, der Kaffeevollautomat - an die Hand. Aber es entsteht auch eine neue Form von Stress: "Man muss oft mehr bieten, als man eigentlich will, nur, um nicht als Versager dazustehen, der von seinen eigenen Dingen vorgeführt wird." Und wer erst einmal damit begonnen hat, Situationen des eigenen Lebens zu choreografieren, gerät bald in eine endlose Konsumspirale.
Der Konsument wird in der Warenwelt mit einem "Gespinst an positiven Gefühlen" umgeben. Die Kehrseite dieser Inszenierung ist ziemlich düster: Man wird adressiert als jemand, der ausgepowert ist und deshalb dringend der Regeneration und Energiezufuhr bedarf. Die Produktwelt verstärkt unterschwellig die Erschöpfungsängste.
Im Kapitel "Gewissenswohlstand" beschäftigt Ullrich sich mit der Ethisierung von Waren etwa durch Bio- und "Fairtrade"-Produkte. Die neuen "Konsumbürger", die sich vom Discounterproletariat abgrenzen, sieht er in die Position des früheren Bildungsbürgertums einrücken: statt Moralisierung von Kennerschaft und Hochkultur nun die Moralisierung der Märkte. Spätestens hier wird klar: "Alles nur Konsum" ist ein hoch relevantes, einsichtsvolles und dabei sehr unterhaltsames Buch. Man sieht die Welt der Waren danach mit anderen Augen.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Wolfgang Ullrich: Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung
Wagenbach, Berlin 2013
208 Seiten, 11,90 Euro
Links auf dradio.de:
Der Konsum und seine Verächter
Thomas Hecken: "Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter"