Die Welt geht unter! Wer geht mit?
Die Apokalypse ist ein Faszinosum, das viele Menschen umtreibt. Weltuntergangsvorstellungen finden sich in verschiedenen Religionen - vom Christentum bis zum Buddhismus, aber auch in der Literatur, Malerei und sogar der Rap-Musik.
A.K. Nagel: "Die ursprüngliche Bedeutung von Apokalypsis heißt Offenbarung (einfach nur). Das ist ganz interessant, weil heute ja damit stärker das, was offenbart wird, nämlich die Katastrophe, der Weltuntergang, verbunden wird."
Bernd U. Schipper: "Wenn man heutzutage fragt, und wir haben auch mal eine Umfrage gemacht vor einigen Jahren zum Begriff Apokalypse, dann wird damit verbunden Weltuntergang, Untergangsszenarien. Und nicht eine Art goldenes Zeitalter."
Klaus Vondung: "In den letzten Jahrzehnten hat sich eigentlich im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert, wenn man von Apokalypse spricht, meint man immer nur Untergang. Ursprünglich ist die Apokalypse eine Erlösungsvision."
Drei Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen kommen zu demselben Ergebnis: Das Verständnis von Apokalypse als "Katastrophe" oder gar "Weltuntergang", wie es in den verschiedenen Schlagzeilen der Tages- und Wochenzeitungen und Internetseiten interpretiert wird, ist nur die halbe Wahrheit.
"Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie durch seinen Engel gesandt und seinem Knecht Johannes kundgetan, der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von Jesus Christus, alles, was er gesehen hat. Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe."
So lauten die ersten drei Verse der "Offenbarung des Johannes", dem letzten Buch des Neuen Testaments. Das erste Wort des griechischen Urtextes lautet "Apokalypsis", was soviel wie Enthüllung oder Offenbarung bedeutet. Von ihm hat die Apokalypse ihren Namen.
Alexander K. Nagel: "Also, die Apokalypse ist natürlich ein dualistisches Weltmuster. Es ist der kosmische Kampf zwischen Gut und Böse."
Unter Apokalypsen versteht man in erster Linie eine Gattung religiöser Literatur, die meistens die Form eines Visionsberichtes hat. Diese Texte zeichnen sich durch eine bestimmte Dramaturgie und ein bestimmtes Bildinventar aus. Dazu gehören: Der Kampf zwischen Gut und Böse, die Zerstörung einer alten, verdorbenen Welt, kosmische und Naturkatastrophen sowie die Erlösung einer kleinen Gruppe Rechtgläubiger in einem göttlichen irdischen Reich. Beschrieben wird all dies in einer stark metaphorischen Sprache. So werden zum Beispiel Personen oder Völker häufig als Tiere dargestellt.
"Und die Heuschrecken sahen aus wie Rosse, die zum Krieg gerüstet sind, und auf ihren Köpfen war etwas wie goldene Kronen, und ihr Antlitz glich der Menschen Antlitz; und sie hatten Haar wie Frauenhaar und Zähne wie Löwenzähne und hatten Panzer wie eiserne Panzer"."
"Apokalyptik" ist ein akademischer Begriff und bezeichnet die zugehörige Denkform, die sich in Apokalypsen manifestiert. "Apokalyptisches Reden" nennt man die Verwendung von einzelnen Bildern oder dramaturgischen Details der Apokalypse.
In der "Offenbarung des Johannes" empfängt ein Mann eine göttliche Vision vom Untergang der alten, moralisch durch und durch korrupten Welt. Nur 144.000 gläubige Christen werden ihn überleben – 12.000 aus zwölf Gemeinden. Diese leben nach dem Untergang gemeinsam mit Jesus Christus und Gott in einer Art Paradies, die "das neue Jerusalem" genannt wird. Entstanden ist der Text vermutlich im 9. Jahrzehnt nach Christus. Als Autor gilt heute nicht mehr wie früher angenommen der Apostel Johannes, sondern eine Person, die man in Ermangelung anderer Angaben "Johannes von Patmos" nennt.
""Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus."
Zur Zeit der Niederschrift befindet sich der Autor in der Verbannung auf der griechischen Insel. Er bezeichnet sich als "Mitgenosse an der Bedrängnis". Lange wurde vermutet, dass die Apokalypse mit ihrer Prophezeiung eines nahen göttlichen Reiches eine Trostschrift für die christlichen Gemeinden in Kleinasien war. Man ging davon aus, dass diese unter der Herrschaft des römischen Kaisers Domitian 81 bis 96 nach Christus starken Repressalien ausgesetzt waren.
Der Bibelwissenschaftler Bernd. U. Schipper weist darauf hin, dass neuere Forschungen eine andere Deutung nahelegen. Demzufolge habe die Christenverfolgung in einem weit geringeren Ausmaß stattgefunden als bislang angenommen. Schipper kommt zu dem Schluss, dass die Offenbarung nicht so sehr trösten, als vielmehr eine Entscheidungssituation beschwören sollte. Tatsächlich mussten sich die Christen damals entscheiden zwischen dem in Anlehnung an altorientalische Königsideologie als Gott zu verehrenden römischen Kaiser und dem christlichen Gott. Die Offenbarung des Johannes könne man daher auch als eine Ermahnung verstehen. Dies ist eine der Kernthesen des im September 2008 im Campus-Verlag erschienenen und von Schipper mitherausgegebenen Buches "Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik."
Bernd U. Schipper: "Die These unseres Buches ist die, dass sich das eigentlich durchzieht. Dass man also Apokalypse, apokalyptisches Bildinventar so etwas verstehen kann wie eine Art hermeneutischen Schlüssel, wie eine Art Brille, die man aufsetzt. Und durch diese Brille sieht man dann klarer – in dem Sinne, dass man bestimmte Situationen einordnen kann."
Betrachtet man die Johannes-Offenbarung als Entscheidungshilfe, so wird klar, dass er neben der Vertröstung der Gläubigen auf eine bald eintreffende Erlösung auch ein politisches Anliegen verfolgt. Tatsächlich sind solche Motive neben Erlösungsbotschaften in fast allen apokalyptischen Texten zu finden. So auch in den frühesten proto-apokalyptischen Schriften.
Bernd U. Schipper: "Ein Beispiel ist ein altägyptischer Text, der gut 4000 Jahre alt ist, die sogenannte Prophezeiung des Neferti, in dem apokalyptische Motive begegnen, aber wir noch keine Apokalypse in dem Sinne haben, dass es nun auch eine Zukunftsansage wäre, sondern ein Text, der aus der Retrospektive heraus geschrieben wurde, in dem zugleich aber auch ein Strukturmerkmal solch apokalyptischer Rede deutlich wird: Es geht nämlich darum, bestimmte Krisen in der Gesellschaft, bestimmte Phasen eines gesellschaftlichen Umbruchs zu interpretieren und gleichzeitig in eine bestimmte Richtung zu lenken."
In der Prophezeiung geht es darum, dass ein neuer König die Ordnung wiederherstellt. Zuvor wird der Zustand der Welt im Text als derart aussichtslos beschrieben, dass sie eigentlich vom Sonnengott Re neu erschaffen werden müsste. Das in späteren apokalyptischen Texten auftauchende Motiv der chaotischen, verdorbenen Welt, die durch einen gottgleichen Eingriff neu geordnet wird, ist hier bereits vorhanden.
Bei dem hier beschriebenen "Chaos" handelte es sich historisch gesehen um eine Zeit ohne König. Diese brachte Ägypten jedoch nicht an den Rand des Abgrunds, sondern zeitigte eine Periode sozialen Wandels. Die Zentralgewalt büßte ihre Macht zugunsten lokaler Eliten ein. Hier wurde also mit Hilfe einer Prophezeiung versucht, einen alten Machtanspruch neu zu legitimieren, bzw. diesen wiederherzustellen.
Für die Entstehung der Apokalyptik, also einer apokalyptischen Geisteshaltung, lässt sich ein klar bestimmtes historisches Ereignis ausmachen: Die Eroberung und Zerstörung Jerusalems und die Gefangennahme des Volkes Israel durch die Babylonier unter Nebukadnezar dem 2. im Jahr 586 vor Christus.
Bernd U. Schipper: "Diese Eroberung war ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte Israels und gleichzeitig auch im kulturellen Gedächtnis des antiken Israel, von dem dann auch die Bibel erzählt, insofern, dass man sich fragte: Wie konnte es eigentlich dazu kommen? In einem religiösen Weltbild, in dem sozusagen auch die Politik, auch das Handeln des Staates, in dem Fall das Handeln des Königs, rückgebunden ist an die jeweilige Gottheit, war natürlich die Frage: Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Eine Lösung war die, zu sagen: Die Gottheit ist sozusagen in ihrem Handeln konstant geblieben, aber der König hat Fehler gemacht. Das war ein, man müsste fast sagen "turning point" in der Geschichte im Denken des alten Israel, der dann hingeführt hat zu diesem apokalyptischen Denken, wie es uns dann aber in der bekannten Form eigentlich erst 200, 300 Jahre nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar den Zweiten begegnet."
Konkreten Niederschlag fand dieses Denken im Buch Daniel, das Teil des alten Testaments wurde. Die Kapitel sieben bis elf gelten heute als die früheste, voll ausgeformte Apokalypse. Wie die Prophezeiung des Neferti wurde auch dieser Text aus der Retrospektive verfasst und rückdatiert.
Florian Werner: "Also, zum Beispiel das Buch Daniel, das wurde eben im 2. Jahrhundert vor Christus geschrieben, also zu einer Zeit, wo Jerusalem von den griechischen Seleukiden besetzt war, also in einer Situation der Unterdrückung, der Bedrängung, der kulturellen. Es gibt aber vor im Text, dass es schon ungefähr 400 Jahre früher, also während der Babylonischen Gefangenschaft geschrieben worden sei."
Der Schriftsteller Florian Werner hat sich im Zuge seiner Dissertation mit dem Thema der Apokalypse beschäftigt. Das babylonische Exil war zur Entstehungszeit des Buches Daniel noch fest im kollektiven Bewusstsein des jüdischen Volkes verankert. Als Anlass für die Abfassung des Daniel-Buchs wird allgemein die Besetzung Jerusalems durch die griechischen Seleukiden gesehen. Antiochos IV Epiphanes hatte Jerusalem erobert, wo er am 6. Dezember des Jahres 167 vor Christus im neu errichteten Tempel einen Altar für den olympischen Gott Zeus errichten ließ. Darüber hinaus zwang er das jüdische Volk zum Verzehr von Schweinefleisch und verbot das Feiern des Sabbats. Der Botschaft des Buches – sich für Glaubenstreue und gegen Fremdherrschaft zu entscheiden und "auszuhalten" – wird durch diese "Historisierung" zusätzliches Gewicht verliehen.
Florian Werner: "Gleichzeitig bringt das natürlich auch den Vorteil mit sich, dass man gewisse Sachen, die man natürlich schon wusste, 400 Jahre später als Prophezeiung verkaufe konnte. Dass also sozusagen etwas, was man zur Zeit des babylonischen Exils noch nicht wusste, dass es eben auch wieder zu einer Befreiung kommen würde, das konnte man dann eben quasi als Prophetie dann… verkaufen, böse gesagt."
Das Buch Daniel war der Beginn der Apokalypse als Textgattung. Seitdem tauchten im Judentum und später im Christentum immer wieder solche prophetischen Untergangsvisionen auf.
Bernd U. Schipper: "Man kann bereits bei dem Daniel-Buch sehen, dass ältere Sprache aus anderen Texten – in dem Fall des Alten Testaments – aufgegriffen wird. Aber man sieht dann eigentlich deutlich in der Offenbarung des Johannes, dass bestimmte Themen der Daniel-Apokalypse aufgegriffen werden, dass sozusagen der Verfasser der Offenbarung des Johannes aus dieser alttestamentlichen Tradition schöpft und das Ganze nun zuspitzt auf eine bestimmte historische Situation, die man heutzutage eher als eine ‚Entscheidungssituation’ zwischen dem römischen Kaiserkult auf der einen Seite und dem christlichen, dem neugeschaffenen christlichen Kult auf der anderen Seite bestimmen würde."
Die apokalyptischen Texte bauen aufeinander auf – sowohl in ihrer Argumentationsstruktur als auch in den verwendeten Bildern. In beiden Texten kommt es zum Kampf zwischen Gut und Böse, in beiden wird das Böse durch ein wildes Tier repräsentiert (das in der Johannes-Offenbarung die Nummer 666 trägt, was allgemein als eine Anspielung auf den römischen Kaiser Nero interpretiert wird). In beiden Texten kommt es zum Endgericht, in dem Gott die Menschen nach ihren - in einem Buch aufgezeichneten - Taten richtet.
"Und ich sah die Toten, Groß und Klein, stehen vor dem Thron, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch wurde aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken."
Die Johannes-Offenbarung nimmt aus zwei Gründen eine Sonderstellung ein: Zum einen ist sie aufgrund des Verbreitungsgrades der Bibel die heute weltweit bekannteste Apokalypse. Zum anderen enthält sie aufgrund ihrer Länge auch die detaillierteste Darstellung der verdorbenen Welt – hier symbolisiert durch die Hure Babylon – und des Endkampfes von Gut und Böse auf dem Feld Harmageddon. Und genau diese fast schon an "Detailversessenheit" grenzende Darstellung ist ein Grund, warum die Offenbarung des Johannes bis heute nachwirkt.
Bernd U. Schipper: "Und da ist es die Offenbarung des Johannes als ein Text, über den eigentlich heutzutage die Gelehrten streiten, weil er diese eigenartige Bildwelt hat, als ein Text, der fasziniert, der auch befremdet, der, ja, einen Reiz hat, und gleichzeitig aber auch die Möglichkeit bietet, auch immer wieder auf bestimmte historische Situationen angewendet zu werden. Also ein Zeichen der nahenden Apokalypse ist der Auftritt des Antichristen. Und allein wenn man das durch die Jahrhunderte hinweg betrachtet, wer wen als Antichristen bezeichnet hat – Luther hat das Papsttum als Antichristen bezeichnet, umgekehrt wurde er als Antichrist bezeichnet. Also man hat sozusagen immer wieder versucht – gerade auch in der mittelalterlichen Tradition war das sehr prominent – bestimmte historische Ereignisse zu deuten von der Apokalypse her."
In den Jahrhunderten nach seiner Kanonisierung entwickelte der Text eine Art Eigenleben. Vor allem in der darstellenden Kunst stand die Apokalypse hoch im Kurs. Die um das Jahr 1000 entstandene Bamberger Apokalypse, der 700 Quadratmeter große Teppichzyklus der Apokalypse im französischen Angers aus dem 14. Jahrhundert, Dürers Holzschnitte aus dem späten 15. Jahrhundert – seit jeher hat die Apokalypse fasziniert und inspiriert. Eines ist dabei besonders auffällig:
Klaus Vondung: "In aller Regel nehmen die Beschreibungen des Kampfs gegen den bösen Feind, dessen Vernichtung, des Untergangs der alten, verdorbenen Welt, sehr viel mehr Raum ein, sind sehr viel farbiger, sehr viel bilderreicher, als die Beschreibung des Zustands der Erlösung."
Der Literaturwissenschaftler Klaus Vondung, Verfasser der Buches "Die Apokalypse in Deutschland" erklärt diesen Fokus so:
Klaus Vondung: "Also die Zielvorstellung der Apokalypse ist Erlösung und zwar dauerhafte, ewige Vollkommenheit. Und das bedeutet ja: Freiheit von allem, was zur Unvollkommenheit gehört. Und das ist vor allen Dingen Sterblichkeit, also der Tod ist überwunden, Krankheiten sind überwunden, man lebt in Fülle, in ewiger Fülle… ja, da kann ich nur zurückfragen: Können Sie sich einen Zustand der Vollkommenheit und der vollkommenen und ewigen Fülle vorstellen, dass es Ihnen da nicht irgendwann langweilig wird?"
"Also unter den Bedingungen unserer menschlichen Existenz, die begrenzt ist durch den Tod und die beeinträchtigt ist durch alle möglichen Unvollkommenheiten körperlicher bis hin zu moralischer Art, können wir uns eigentlich einen Zustand ewiger, unwandelbarer Vollkommenheit nicht vorstellen, ohne dass es uns aus der Perspektive unserer endlichen Existenz langweilig erscheinen würde."
Betrachtet man die Geschichte der Apokalypse, so ergibt sich irgendwann zwangsläufig die Frage, ob die Apokalypse eine Art anthropologische Konstante ist. Wenn ja, dann müsste sie ja auch an anderen Stellen auftauchen. Wie sieht es also aus mit dem apokalyptischen Erbe anderer Weltreligionen?
Nach den Selbstmordanschlägen vom 11. September 2001 halten viele Menschen den Islam für die apokalyptische Religion schlechthin. Betrachtet man den Koran, findet sich darin allerdings keine ausgeprägte Apokalypse, auch apokalyptisches Gedankengut ist nur ansatzweise vorhanden. Zwar hat der Koran einiges an Bildinventar aus den jüdischen und christlichen Apokalypsen übernommen – so zum Beispiel die Trompeten, die zum jüngsten Gericht rufen, die Vorstellung des Antichristen oder die Völker Gog und Magog, die an der Seite des Teufels kämpfen. Aber einen dem Buch Daniel oder der Offenbarung des Johannes entsprechenden Text gibt es hier nicht. Der Islamwissenschaftler Josef van Ess schreibt dazu:
"Der Koran verkündet keine Apokalypse; er macht Aussagen über die Eschatologie. Das ist nicht dasselbe. Eine Apokalypse beschreibt das katastrophale Ende der Welt; in der Eschatologie geht es vor allem um Gott als den Richter."
Sebastian Günther: "In jüngster Zeit sind diese Endzeit-Paradiesvorstellungen ja vor allem durch die Extremisten und die sogenannten ‚Selbstmordtäter’ in die Schlagzeiten der Presse gelangt. Dabei handelt es sich um Personen, die sich selbst als Märtyrer verstehen, und die durch den Opfertod im Namen des Glaubens, wie sie ihn nennen, den direkten Eingang ins Paradies erwarten."
Der Arabist und Islamwissenschaftler Sebastian Günther von der Universität Göttingen. Die Selbstmordattentäter scheinen also nicht von einer apokalyptischen, kollektiven Endzeiterwartung im Hier und Jetzt motiviert zu sein, die sie mit herbeibringen wollen, sondern vielmehr von dem individuellen Versprechen einer Erlösung im Paradies. Tatsache ist, dass es auch im Einflussbereich des Islam Apokalypsen gegeben hat – so zum Beispiel zur Zeit der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert.
Sebastian Günther: "Es ist natürlich richtig, dass apokalyptische Vorstellungen auch in der islamischen Geschichte immer wieder dann eine besondere Rolle gespielt haben, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse besonders hart waren. Oder etwa, wenn eine Dynastie durch eine andere ersetzt wurde. Als die Dynastie der Abbassiden im Jahre 750 in Bagdad an die Macht drängte und die Ommayaden in Damaskus verdrängt wurden, machten sich die Abbassiden apokalyptische Stimmungen zunutze."
Eine Aussage, die sehr der Absicht hinter der Prophezeiung des Neferti aus dem alten Ägypten ähnelt, und die uns in ähnlicher Form auch später noch begegnen wird. In politisch und sozial schwierigen Zeiten hatten und haben Apokalypsen verstärkt Zulauf – fast überall auf der Welt.
Das Thema der Apokalypse im Islam scheint ein heißes Eisen zu sein. Viele Islamwissenschaftler scheuen das Thema – vielleicht auch, um den interreligiösen Dialog nicht zu gefährden. Nimmt man die Quellen zusammen, so scheint der Islam wesentlich weniger apokalyptisch gefärbt zu sein, als die meisten Menschen dies vermuten bzw. dies von den Medien in verkürzten Darstellungen und unter der ständigen Verwendung des Begriffes Apokalypse nahegelegt bekommen.
Viel verwunderlicher als die Abwesenheit apokalyptischer Schriften im Koran dürfte für viele Menschen das Vorhandensein apokalyptischer Vorstellungen in einer anderen Weltreligion sein: Dem Buddhismus.
Der Buddhismus basiert auf einem zyklischen Weltbild. Das zumindest legt die Vorstellung vom Kreislauf der Wiedergeburten nahe. Eine Endzeit, die durch eine letzte Schlacht zwischen Gut und Böse entschieden wird, scheint da zunächst widersinnig. Und dennoch gibt es solche Vorstellungen auch im Buddhismus, wie der Religionswissenschaftler Michael von Brück erklärt:
Michael von Brück: "Zyklisch bedeutet ja nicht, dass es nicht innerhalb eines Zyklus einen, ich will mal sagen ‚Geschichtspfeil’ gäbe, der tatsächlich – und das ist nun wieder den meisten buddhistischen und hinduistischen Kosmologien gemeinsam – der nun also tatsächlich zu einem Ende dieser Welt, entweder in einer Endschlacht oder in einer durch die Natur, letztlich natürlich durch die Gottheiten, Shiva etwa, verursachten großen Weltkatastrophe, einem Weltenbrand, endet. Aber wie gesagt: dann fängt’s wieder von vorne an."
Als der Buddhismus im 2. nachchristlichen Jahrhundert nach China kam, vermischte er sich auf dem Weg dorthin mit anderen Religionsströmungen. Eine davon war der Manichäismus.
Michael von Brück: "Der Manichäismus ist eine persische Religion, der Perser Mani lebte im 3. Jahrhundert, die sehr stark apokalyptisch orientiert ist. Die reden also von zwei Substanzen der Welt, dem Lichten und dem Dunklen, und drei Zeitaltern, nämlich dem reinen Zeitalter, wo das Göttliche und das Dunkle völlig getrennt sind, dann der Vermischung, das ist unsere gegenwärtige Zeit und – und das ist dann das apokalyptische – der Trennung beider, wo also das Licht von der Dunkelheit wieder geschieden wird. Solche Vorstellungen gehen auf altpersische Vorstellungen zurück, sie waren schon bei der Entstehung des Christentums als verschiedene gnostische Strömungen bekannt. Und dieser Mani in Persien wuchs einerseits in einem juden-christlichen Umfeld auf; andererseits natürlich auf dem ganzen Hintergrund der persischen, zoroastrischen Religion."
Der Mänichäismus war damals eine bedeutende Religion, in China war er zeitweise sogar Staatsreligion.
Michael von Brück: "Dieser Hintergrund, dieser apokalyptische Hintergrund, der sich aus persischen und dann aber auch jüdisch-christlichen Traditionen speist, kam dann im Laufe der Jahrhunderte in den Buddhismus."
Und selbst nach anderthalb Jahrtausenden Existenz war der Buddhismus nicht vor der Entwicklung apokalyptischer Züge gefeit.
Michael von Brück: "Wir haben in Tibet natürlich die Entwicklung des Kalchakra-Tantras, des Kalchakra-Systems, und des Shambala-Mythos. Auch hier haben wir es mit einer relativ späten Entwicklung zu tun, also etwa 9., 10. Jahrhundert, da ist der Buddhismus etwa 1500 Jahre alt, das ist eine Spätentwicklung. Auch diese tantrischen Traditionen beruhen auf einem Dualismus: Das Gute siegt in einer Endschlacht, in einer Apokalypse, die nun mit historischen Erfahrungen durchmischt wurde, nämlich den historischen Erfahrungen der Eroberungen durch den Islam."
Seit dem 8. Jahrhundert erlebten die Bewohner Zentralasiens Überfälle islamischer Armeen. Dabei wurde auch das größte Buddhistische Zentrum Nalanda zerstört – ein Trauma in der Geschichte des Buddhismus, das unter anderem in dieser apokalyptischen Vorstellung seinen Niederschlag findet.
Michael von Brück: "Diese muslimische Invasion und Zerstörung des Buddhismus löste dann bei Buddhisten, bei denen, die die Kalackra-Tradition geschaffen haben, apokalyptische Vorstellungen aus. Und das hat sich dann durch die Geschichte hindurchgezogen, hat sich dann mit dem berühmten Shambala-Mythos verknüpft, so dass man glaubte: Am Ende der Welt wird ein Diktator die ganze Welt erobern, außer dem reinen Land Shambala. Der König dieses reinen Landes Shambala (…) wird eine große Armee aufstellen, und dann dieses Böse besiegen."
Auch die Apokalypse im Shambala-Mythos wurde später als Instrument der Legitimation geschichtlicher Ereignisse verwendet.
Michael von Brück: "Im Tibet des 19. Jahrhunderts hat man diesen Mythos dann bemüht, um den Kampf Russlands gegen England in Zentralasien zu legitimieren und vorherzusagen. Und in den 20er-Jahren hat der Befreiungskampf der Mongolen von diesem Mythos gezehrt, also man hat diesen Kampf als Endkampf stilisiert und damit legitimiert. Er hat also in der tatsächlichen Geschichte immer wieder eine Rolle gespielt und hat eindeutige apokalyptische Hintergründe."
Einen Dualismus zwischen Gut und Böse, der sich meistens in einem ewigen Kampf äußere, finde sich fast über all, stellt von Brück fest – ob im Altbabylonischen, im Altgriechischen, in der indischen Tradition, etc.. Aber der historisch einmalige Endkampf zwischen Gut und Böse sei ein Erbe des Judentums, das sich im Christentum und dann im Islam fortgeschrieben habe. Die Wurzel des apokalyptischen Denkens vermutet von Brück im Kontakt der jüdischen Welt mit dem persischen Dualismus.
Doch welche Rolle spielt die Apokalypse in unserer heutigen, säkularisierten Welt noch? Ist es nur das Schlagwort der Apokalypse als Weltzerstörung, das überlebt hat? Oder haben auch die Pragmatik und die Bilder der Johannes-Apokalypse noch immer Einfluss auf unser heutiges Leben? Einen entscheidenden Einschnitt in der Rezeption der Apokalypse bringt die einsetzende Aufklärung.
Bernd U. Schipper: "Mit der Aufklärung hat es eigentlich einen bestimmten Paradigmenwechsel gegeben in dem Sinne, dass nun die Zukunft realisierbar wird. Also Lessing mit seiner Schrift ‚Erziehung des Menschengeschlechts’ sagt im Grunde: Der Mensch ist nun nicht mehr ein ‚sündhaftes Wesen’ – Luther konnte noch ganz dramatisch formulieren: Der Mensch ist wie eine Art Reittier, es wird entweder von Christus oder vom Teufel geritten. Also der Mensch hat keinen freien Willen, er ist sozusagen nicht positiv bestimmt. Die Aufklärung sagt: Der Mensch ist positiv bestimmt, Kant sagt: Die Aufklärung ist sozusagen der Auszug des Menschen aus seiner eigenen Unmündigkeit. Und damit nun verbunden die Vorstellung: Du kannst es, du schaffst es. Du bist in der Lage, das Beste aus Deinem Leben zu machen. Und dann der Gedanke: Eigentlich ist das Paradies, das ‚goldene Zeitalter’ realisierbar."
Und zwar im Hier und Jetzt. Von 1650 bis 1850 spielte die Apokalypse kaum eine Rolle. Dazu der Soziologe Ansgar Weymann, Mitherausgeber des Buches "Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik":
Ansgar Weymann: "Wenn wir mal die Jahrhunderte zurückgucken, was so die herrschenden Strömungen sind, dann haben wir Utopien, prächtige Gemälde wunderbarer zukünftiger irdischer Gesellschaften bei Bacon, Morus, Campanella und vielen anderen. Wir haben dann Vorstellungen des unendlichen Fortschritts in der Politik, seit Machiavelli, um Namen zu nennen, im Recht Hume oder Locke, in der Ökonomie Adam Smith, in der Wissenschaft die Aufklärung Kant und Hegel. So, und mit den Fürsten und dem beginnenden modernen Staat haben alle diese Wissenschaften dann dazu geführt, dass beratende Politik dann auch zur Verbesserung der irdischen Verhältnisse führen sollte. Nehmen Sie Goethe, der am Ende des ‚Faust’ dann sich damit beschäftigt, Land einzudeichen und die Erde zu verbessern. Das ist eine ganz typische Vorstellung, die nicht apokalyptisch ist, sondern die positiv ist – und die herrscht vor."
Klaus Vondung: "Man könnte durchaus sagen, dass das 18. Jahrhundert, soweit Aufklärungspositionen im Blick sind, apokalypsefrei ist."
Bernd U. Schipper: "Und jetzt kommt meines Erachtens der entscheidende Punkt: dass man an bestimmten Stellen feststellt, im Laufe der Geschichte: Es funktioniert nicht."
Zunächst verbessert sich das Leben der Menschen durch Entwicklungen auf fast allen Gebieten sehr rasch und sehr stark. Mit der industriellen Revolution werden aber auch die Kosten dieser Wohlstandssteigerung sichtbar: Ein großer Teil der Bevölkerung verelendet. Die Fortschrittserwartung kippt um in apokalyptische Wahrnehmung. Besonders präsent sehen einige Wissenschaftler diese Entwicklung bei Karl Marx. Alexander K. Nagel von der Ruhruniversität Bochum ist neben Weymann und Schipper der dritte Mitherausgeber des bereits erwähnten Buches zur Apokalypse.
A.K. Nagel: "Und Karl Marx ist auch deswegen besonders interessant, weil eben bei ihm relativ früh behauptet worden ist, seine Theorie sei im Grunde die Fortführung klassisch christlicher Eschatologie, also die Lehre von den letzten Dingen. Seine Vorstellung von der Revolution stünde, so ist schon in der Zwischenkriegszeit argumentiert worden, von Blumenberg und Ernst Bloch, stünde in der Tradition der apokalyptischen und eschatologischen Geschichtsdeutung des Christentums."
"Die Diktatur des Proletariats wird kommen, aber sie ist nur ein Durchgangsstadium in ein ewiges goldenes Zeitalter der Menschheit."
Marx kommt aus einem jüdisch-christlichen Hintergrund, sein Vater stammte aus einer Rabbinerfamilie, konvertierte aber später zum Protestantismus. Klaus Vondung will Marx’ Hauptwerk "Das Kapital" nicht in toto als Apokalypse sehen, stellt aber fest, dass die Rahmenbedingungen des Werkes durchaus apokalyptisch waren.
Klaus Vondung: "Zunächst einmal gibt es einen, wie man sagen könnte, apokalyptischen Impuls. Das ist – ja, die Indignation über die verdorbenen gesellschaftlichen Verhältnisse und die entsprechenden wirtschaftlichen Verhältnisse, die Ausbeutung des Proletariats, der Verlust an Menschlichkeit, die die Angehörigen dieser Klasse haben, [die Indignation], die Empörung darüber, das ist der Impuls, der zur apokalyptischen Vision führt, dass – und das heißt dann eben Weltrevolution – durch einen grandiosen Umsturz, durch eine völlige Umkehrung der Verhältnisse, ein Reich der Freiheit, die klassenlose Gesellschaft geschaffen werden kann."
Wie die antiken Apokalyptiker vor ihm diagnostiziert auch Marx die gesellschaftlichen Verhältnisse als so korrupt, dass eine totale Umkehr erfolgen muss. Ob sich der vehemente Religionskritiker Marx absichtlich die Pragmatik und das Bildinventar der klassischen Apokalypsen in sein Werk hat einfließen lassen, weil er um ihre Wirkungsmacht wusste, lässt sich aus der Retrospektive nicht mehr beantworten. Wenn er über den Kapitalismus spricht, erinnert das nicht selten an die Beschreibung der Hure Babylon aus der Johannes-Offenbarung.
"Wenn das Geld, nach Augier, ‚mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt’, so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend." ("Das Kapital", Band 1, 7. Abschnitt)
Im Zuge der Aufklärung werden die Apokalypsen immer stärker säkularisiert, das heißt, sie spielen sich ganz im Diesseits und ohne göttliches Zutun ab. Allerdings: die Grenzen zwischen religiös und säkular waren im Fall der Apokalypse von jeher fließend. Laut Klaus Vondung haben auch die Daniel- und die Johannes-Apokalypse einen säkularen, einen politischen Kern.
Klaus Vondung: "In der Daniel-Apokalypse wird das ganz wörtlich so gesagt, nicht, also Gott wird nun seinen Getreuen die Herrschaft geben über alle Völker. In der Johannes-Apokalypse spielt das nicht eine so große Rolle, aber immerhin, im sogenannten 1000-jährigen Reich, das ja vor der endgültigen Erlösung im neuen Jerusalem aufgerichtet werden soll, werden die wieder auferstandenen Märtyrer zusammen mit Christus regieren. Ja nun, was heißt das, das heißt politische Herrschaft ausüben. Und umgekehrt, das, was ich jetzt säkulare Apokalypsen genannt habe in der Moderne, da ist der Glaube daran, dass in unmittelbar bevorstehender Zeit – das ist ja ein Charakteristikum der Apokalypse, die sogenannte ‚Naherwartung’, dass das alles bald passieren wird – ist der Glaube oft überhaupt nicht wirklich gerechtfertigt durch das, was in der konkreten äußeren Wirklichkeit besteht. Also kann man da im Grunde genommen auch nur von einer Art religiösem Glauben sprechen."
Bis in die Zeit zwischen den Weltkriegen gab es vollständige säkulare Apokalypsen – vor allem bei sozialistischen und kommunistischen Autoren. Und dann platzt die Bombe.
Klaus Vondung: "Eigentlich wäre schon mit der Atombombe überhaupt – und einige Schriftsteller, einige Philosophen wie Günter Anders haben das auch so gesehen – der Punkt dagewesen, wo man gesagt hätte, also ein irdisches Paradies werden wir nicht bewerkstelligen können. Wir können zwar die Erde zerstören, aber gerade weil wir sie zerstören können, können wir kein irdisches Paradies bauen."
So wie 586 vor Christus ein wichtiger Punkt in der Entstehung der Apokalypse ist – wir erinnern uns: Die Zerstörung Jerusalems und die Gefangennahme des Volkes Israel durch die Babylonier – so ist auch 1945 ein wichtiges Datum: Von hier ab wird die säkulare Apokalypse immer stärker um ihr Heilsversprechen beschnitten. Klaus Vondung spricht in diesem Zusammenhang von einer "kupierten Apokalypse". Die Erlösung bleibt aus, das himmlische Jerusalem findet nicht mehr statt. Was bleibt, sind Angstphantasien vom Weltuntergang. Hier liegt ein Hauptgrund für unser heutiges "verkürztes" Verständnis der Apokalypse.
Aber es gibt auch in der Gegenwart noch Bereiche, in der die klassische Apokalypse inklusive Endschlacht, Gottesgericht und Erlösung noch verkündet wird. Zum Beispiel im Rap.
Mit diesem im ersten Moment frappierenden Zusammenhang von 2000 Jahre altem religiösem Gedankengut und moderner Popkultur hat sich der Schriftsteller Florian Werner befasst. Er schrieb ein Buch mit dem vielsagenden Titel "Rapocalypse".
Florian Werner: "Also ich hatte schon vor viele Jahren mal ein Oberseminar gemacht zu verschiedenen apokalyptischen Texten, das war glaube ich 1999 schon, also kurz vor der Jahrtausendwende, wo das ja auch so ein bisschen in der Luft lag und plötzlich alle Menschen von dem Millennium sprachen."
"… und da las ich eigentlich eher so apokalyptische oder eben millennialistische Schriften aus dem 17. Jahrhundert, also von verschiedenen amerikanischen Theologen, von allen möglichen Puritanern. Und da wurde mir eben klar, dass es in den USA schon von Anfang an eigentlich ein sehr, sehr starkes Thema war, dieses endzeitliche Denken. Zur selben Zeit hörte ich eben auch sehr viel Populärmusik, eben auch HipHop und Reggae und Dub und merkte eines Tages beim Herumstehen im Plattenladen, dass diese Bildhaftigkeiten, die da auftauchen, dass die fast identisch sind mit denen, die irgendwie 400 Jahre zuvor schon von irgendwelchen puritanischen Geistlichen verwendet wurden in ihren Predigten und wollte dem eben mal nachgehen, was es da für Zusammenhänge geben könnte."
Was Werner herausfand, war zunächst einmal der Grund, warum gerade in den USA bis heute apokalyptisches Reden immer noch eine starke Tradition hat.
Florian Werner: "Also schon die ersten Siedler, die Anfang des 17. Jahrhunderts in die neue Welt reisten, definierten ja ihren Vorstoß immer wieder als Aufbruch ins neue Jerusalem oder eben als göttliche Mission in das gelobte Land, man wollte eine Stadt auf dem Hügel errichten, also auch so ein biblisches Bild, und dem Antichristen, der damals eben die Church of England war, die anglikanische Kirche oder auch eben der Papst, dem wollte man möglichst entfliehen. Und man kann das eben sehr schön sehen in sehr vielen Predigten und Texten aus dem 17., frühen 18. Jahrhundert, dass das immer weitergereicht wurde, dieses Bild."
Doch wie kam die Apokalypse in den Rap? Der Anfang dieser Entwicklung liegt in der allmählichen Christianisierung der afrikanischen Sklaven vor allem durch die Methodisten und Baptisten im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Die apokalyptischen Texte der Bibel übten dabei eine ganz besondere Faszination auf die Sklaven aus:
Florian Werner: "Also schon in den allerersten Spiritual-Sammlungen, die dann Anfang des 19. Jahrhunderts auftauchten – die allerdings damals von Weißen aufgeschrieben wurden, aber sich eben bemühten, das zu dokumentieren, was die Sklaven sangen, machen apokalyptische Lieder mindestens ein Drittel der Texte aus."
Wie so oft kommt auch hier wieder die Apokalypse als Flucht- und Einigungspunkt einer unterdrückten Gruppe zum Tragen. Die ihrer Heimat beraubten Sklaven fühlten sich in ihrer Diaspora dem jüdischen Volk zur Zeit des babylonischen Exils nahe.
Liedtext: "When Israel was in Egypt’s land / Let My people go / Oppressed so hard they could not stand / Let My people go / Go down, Moses / Way down in Egypt’s land / Tell old Pharaoh /To let my people go."
Übersetzung: ""Als Israel in Ägypten war / lass es ziehn mein Volk / von harter Hand geknechtet war / lass es ziehn mein Volk / Geh hin, Moses / geh ins Ägypterland / Sag dem alten Pharao: / lass es ziehn mein Volk!"
Für die Sklaven Nordamerikas war die Vorstellung, die sie unterdrückende Welt könne zu einem baldigen Ende kommen, ein Silberstreif am Horizont. Für sie war vor allem der Gedanke einer kollektiven Erlösung und des innerweltlichen Wandels, auf den man durch göttliches Eingreifen hoffen darf, wichtig – und nicht etwa die Erlösung nach dem Tode.
Florian Werner: "Und als dann eben 1865 die Emanzipation der Sklaven verkündet wird, wird das eben auch von schwarzen Predigern ganz klar in der Sprache der Apokalypse immer wieder besungen oder besprochen, also eben als großer Tag der Offenbarung, der Erlösung, der Sieg des Lichts über die Mächte der Finsternis und so weiter."
Dieser christliche Predigerduktus im Zusammenspiel mit der "oral tradition", der mündlichen Tradierung bestimmter Textformen bei den überwiegend analphabetischen Ex-Sklaven, hat bis auf den heutigen Tag Spuren im Kulturschaffen der Afroamerikaner hinterlassen. Dieser Duktus und das mit ihm verbundene Bildinventar der Apokalypse finden sich auch noch bei den Rappern heutiger Tage.
Ein Beispiel: 1989 veröffentlichte die HipHop-Band Public Enemy ihr drittes Album "Fear of A Black Planet". Auf dem Cover sieht man einen schwarzen, in seinem Inneren glühenden Planeten, der auf die Erde zurast. Eine kosmische Katastrophe, wie sie auch in der Offenbarung des Johannes ihren Platz haben könnte, scheint sich hier anzubahnen. Die Botschaft von Public Enemy ist aber eine ganz andere:
Liedtext: "I'm just a rhyme sayer / Skins protected 'gainst the ozone layers / Breakdown 2001 / Might be best to be Black / Or just Brown / Countdown.”"
Übersetzung: ""Ich bin nur ein Typ, der sich in Reimen ausdrückt / meine Haut ist gegen das Problem mit der Ozonschicht geschützt / Der Zusammenbruch kommt in 2001 / Vielleicht ist es am besten, schwarze Haut zu haben / oder auch nur braun. / Countdown."
Chuck D., wichtigstes Sprachrohr von Public Enemy, beschwört hier die Klimakatastrophe vordergründig als Apokalypse für die weißen Rassisten, letztlich aber für eine ganze Bevölkerungsgruppe. Die hellhäutigen Menschen werden vom Hautkrebs dahingerafft und die weißen Rassisten werden sich noch wünschen, ihre Töchter würden sich schwarze Männer suchen.
Florian Werner: "Auf sehr merkwürdige Weise werden da eigentlich so ökologische Katastrophenszenarien verknüpft mit rassistischen apokalyptischen Ängsten und das Ganze wird dann noch mal auf ein ganz klares Datum fixiert, nämlich das Jahr 2000 oder 2001, also die große Zeitenwende, das Millennium."
"Und gerade diese zentralen Begriffe, die ja auch sehr vereinfachend sind, und die jeder so füllen kann, wie er möchte, wie eben ‚die Bösen’, die ‚sündhafte Stadt Babylon’, ‚das System’, die tauchen doch immer wieder auf, die tauchen auch bis heute auf, dann bei den Söhnen Mannheims oder bei Xavier Naidoo, der auch eben vom ‚Babylon System’ plötzlich predigt oder… ‚singt’."
"Armageddon kommt oder ist in vollem Gange / macht euch große Sorgen, denn jetzt sind wir in der Zange / ich bange um mein Leben, denn ich höre von dem Beben / und nur für 144.000 wird es Rettung geben." (Söhne Mannheims: "Armageddon")
Über Naidoo und Co. dringt die Apokalypse bis ins Kinderzimmer. Die popkulturelle Ausformung der Apokalypse wurde in den USA nicht zuletzt von der Politik wesentlich verstärkt, wie Florian Werner erklärt:
"Da gibt es einige wirklich erstaunliche Zitate von Ronald Reagan, wo er ganz klar sagt: Im Buch Hesekiel ist die Rede irgendwie von Feuer, Pech und Schwefel, das über die Feinde Gottes herabregnen wird – das ist bestimmt eine Metapher für Atombomben. Und dann ist ja die Rede von Gog und Magog, den Mächten des Bösen – damit ist bestimmt die Sowjetunion, eben das ‚evil empire’ gemeint. Das heißt, auch in der amerikanischen Regierung gab es zu der Zeit so eine ganz literalistische Lesart der Apokalypse."
Die Ölkrise, der verlorene Krieg in Vietnam, das Erstarken Russlands als Atommacht – in den 70er-Jahren erlebt die Weltmacht USA eine Krise des Selbstwertgefühls. Diese pessimistische Stimmung brachte der Evangelist Hal Lindsey mit seinem Buch "The Late Great Planet Earth" auf den Punkt. Das Buch propagierte eine Lesart des Buches Hesekiel, eines frühen alttestamentarischen apokalyptischen Visionsberichts als Vorhersage eines Nuklearkrieges. Lindseys Botschaft war eine klassische apokalyptische: Die aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Situation ist so schlecht, dass die Welt zu Ende gehen muss. Ronald Reagan hatte das Buch gelesen und es wiederholt erwähnt. 1980 sagte Reagan in einem Interview mit dem Fernsehprediger Jim Bakker:
"Wir könnten diejenige Generation sein, die Armageddon erlebt."
In den USA gibt es bis heute noch immer eine große Anzahl an Religionsgemeinschaften, die an die Apokalypse glauben – vor allem im extrem bibeltreuen evangelikalen Milieu. Die wahrscheinlich prominenteste Apokalypse-gläubige Religionsgemeinschaft sind die Zeugen Jehovas. Zwischen 1874 und 1975 bereiteten sich ihre Anhänger mindestens zehnmal auf den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang vor. Warum bleiben so viele Menschen bis heute im festen Glauben an die Apokalypse – auch wenn bis heute noch keine der Voraussagen eingetreten ist? Der Moralpsychologe Horst Heidbrink zitiert die Studie des amerikanischen Psychologen Leon Festinger:
"In der Mitte der 50er-Jahre haben amerikanische Psychologen eine Gruppe von Menschen beobachtet, die an eine apokalyptische Vision glaubten. Im Mittelpunkt dieser Gruppe stand eine Frau, die angeblich religiöse Botschaften von Engeln erhielt. [Die Gruppe bestand übrigens durchaus aus gebildeten Menschen.] Eine der Botschaften enthielt nun die Mitteilung, dass an einem bestimmten Tag eine große Springflut den größten Teil des Landes überfluten würde."
Errettet werden sollten nur die Mitglieder der Gruppe – und zwar durch UFOs. Die Anhänger gaben Beruf und Besitz auf. Aber am geweissagten Tag stellten sich weder die UFOs noch die Springflut ein. Tags darauf erklärte die Frau, Gott habe ihr in einer neuen Botschaft mitgeteilt, dass er die Apokalypse aufgehalten habe – und zwar wegen der Gruppe und deren Ausstrahlung.
Horst Heidbrink: "Dieselben Leute, die vor dieser ausgebliebenen Flut alle Publizität gescheut hatten, riefen nun plötzlich alle Zeitungen an und gaben tagelang Interviews. Festinger erklärte das Verhalten mit der damals von ihm entwickelten Theorie der ‚kognitiven Dissonanz’. Diese Dissonanz bezog sich in der Gruppe auf die Erwartung und natürlich auf die Enttäuschung dieser Erwartung. Jeder einzelne wäre vermutlich für sich zu dem Schluss gekommen, dass er einer Falschmeldung aufgesessen war. Je mehr Leute allerdings der göttlichen Botschaft vertrauen würden, also dass die Gruppe selbst die Welt gerettet hätte, desto geringer würden die eigenen Zweifel werden."
Mit anderen Worten: Indem wir andere überzeugen, reduzieren wir unsere eigenen Zweifel. Horst Heidbrink bringt aber noch eine andere Interpretation des Glaubens an die Apokalypse ins Spiel:
"Also im Anschluss eigentlich daran ist man heute auch der Meinung, dass viele Menschen so etwas haben wie einen Glauben an eine gerechte Welt. Hiermit ist gemeint, dass wir es gerne hätten, dass die Menschen das bekommen, was sie verdient haben. Wenn die Bösen belohnt und die Guten bestraft werden, dann erzeugt dies bei uns Ärger oder zumindest Unbehagen, das ist dann auch so eine Form von kognitiver Dissonanz, die wir eigentlich versuchen zu reduzieren. Wobei dann diese apokalyptischen Visionen eigentlich so etwas wie die finale Realisierung der gerechten Welt darstellen, da werden die Bösen ja nun wirklich vernichtet, und die Guten werden mit dem Paradies belohnt."
Die Apokalypse ist und bleibt ein Faszinosum, das viele Menschen umtreibt, eben weil es an grundsätzliche Züge des Menschseins rührt. Die Apokalypse kann ein Instrument zur drastischen Vereinfachung einer zunehmend komplexeren Welt sein. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz nennt in einem Essay in der Zeitschrift Chrismon vom November 2008 noch einen weiteren Grund für ihre Anziehungskraft:
"Zugleich wirkt in der apokalyptischen Drohung aber auch die Verheißung, die eigene Existenz mit der Welt zu synchronisieren."
Was bedeutet: Das Entscheidende geschieht in der eigenen Lebenszeit. Man könnte die Apokalypse also auch als Auswirkung einer narzisstischen Kränkung betrachten. Das menschliche Leben ist endlich – warum sollte dann nicht auch der Lauf der Welt endlich sein?
Und nicht zuletzt ist die Apokalypse aufgrund ihrer tiefen Verwurzelung in vielen Kulturen und Traditionen und ihrer Geschichte auch eine Diskursmacht, der wir uns nur schwer entziehen können.
A.K. Nagel: "Was wir, glaube ich, sein sollten, ist wachsam sein, wachsam gegenüber der Kontinuität apokalyptischer Deutungsmuster da, wo wir sie nicht erwarten. Und wo sie uns vielleicht zu voreiligen Schlüssen bringen können, wo wir keine voreiligen Schlüsse fällen sollten. Und es kommt auch gar nicht darauf an, dass man es konspirativ so wendet, dass man sagt: Die Politiker bedienen sich – vielleicht sogar intentional – apokalyptischer Redeformen, um uns sozusagen Entscheidungen abzuringen oder die von uns zu erschleichen. Vielleicht ist das eher so nolens volens, ganz unwillkürlich gibt es eine Kontinuität rhetorischer Figuren, die zum Beispiel auf eine kategoriale Entscheidung hinzwingen, wo vielleicht gar keine kategoriale Entscheidung gut oder böse, A oder B, sondern vielleicht ein Kompromiss, ein Aushandlungsprozess für alle günstiger gewesen wäre."
Florian Werner: "Wenn das in anderen Zeiten oder in anderen Kontexten und Kulturen auftaucht, ist es ja sehr leicht, sich zu distanzieren und zu sagen: Leute, seht doch mal den größeren Zusammenhang. Aber wenn man sich dann eben wirklich die drohende Klimakatastrophe anschaut und dafür vielleicht ein gewisses ökologisch sensibilisiertes Gespür hat, dann kann auch ich selber mich nicht ganz davon freimachen, dass ich denke: Mein Gott, kann das weitergehen? Also, ich hoffe es natürlich, aber… vielleicht werden wir in 50 Jahren genauso drüber lächeln über die Ängste, die wir heute hatten vor der Klimakatastrophe oder vor dem Finanzkollaps und dem Zusammenbruch aller Banksysteme, wie wir heute vielleicht die Millerites belächeln, die im 19. Jahrhunderts das Ende der Welt befürchteten oder die Wiedertäufer im 14., 15. Jahrhundert."
Klaus Vondung: "Wir können nicht ungeschehen machen, dass 2000 Jahre lang es immer wieder apokalyptische Visionen gegeben hat in dieser und jener Form und das wird es vermutlich auch weiterhin geben."
Bernd U. Schipper: "Wenn man heutzutage fragt, und wir haben auch mal eine Umfrage gemacht vor einigen Jahren zum Begriff Apokalypse, dann wird damit verbunden Weltuntergang, Untergangsszenarien. Und nicht eine Art goldenes Zeitalter."
Klaus Vondung: "In den letzten Jahrzehnten hat sich eigentlich im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert, wenn man von Apokalypse spricht, meint man immer nur Untergang. Ursprünglich ist die Apokalypse eine Erlösungsvision."
Drei Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen kommen zu demselben Ergebnis: Das Verständnis von Apokalypse als "Katastrophe" oder gar "Weltuntergang", wie es in den verschiedenen Schlagzeilen der Tages- und Wochenzeitungen und Internetseiten interpretiert wird, ist nur die halbe Wahrheit.
"Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie durch seinen Engel gesandt und seinem Knecht Johannes kundgetan, der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von Jesus Christus, alles, was er gesehen hat. Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe."
So lauten die ersten drei Verse der "Offenbarung des Johannes", dem letzten Buch des Neuen Testaments. Das erste Wort des griechischen Urtextes lautet "Apokalypsis", was soviel wie Enthüllung oder Offenbarung bedeutet. Von ihm hat die Apokalypse ihren Namen.
Alexander K. Nagel: "Also, die Apokalypse ist natürlich ein dualistisches Weltmuster. Es ist der kosmische Kampf zwischen Gut und Böse."
Unter Apokalypsen versteht man in erster Linie eine Gattung religiöser Literatur, die meistens die Form eines Visionsberichtes hat. Diese Texte zeichnen sich durch eine bestimmte Dramaturgie und ein bestimmtes Bildinventar aus. Dazu gehören: Der Kampf zwischen Gut und Böse, die Zerstörung einer alten, verdorbenen Welt, kosmische und Naturkatastrophen sowie die Erlösung einer kleinen Gruppe Rechtgläubiger in einem göttlichen irdischen Reich. Beschrieben wird all dies in einer stark metaphorischen Sprache. So werden zum Beispiel Personen oder Völker häufig als Tiere dargestellt.
"Und die Heuschrecken sahen aus wie Rosse, die zum Krieg gerüstet sind, und auf ihren Köpfen war etwas wie goldene Kronen, und ihr Antlitz glich der Menschen Antlitz; und sie hatten Haar wie Frauenhaar und Zähne wie Löwenzähne und hatten Panzer wie eiserne Panzer"."
"Apokalyptik" ist ein akademischer Begriff und bezeichnet die zugehörige Denkform, die sich in Apokalypsen manifestiert. "Apokalyptisches Reden" nennt man die Verwendung von einzelnen Bildern oder dramaturgischen Details der Apokalypse.
In der "Offenbarung des Johannes" empfängt ein Mann eine göttliche Vision vom Untergang der alten, moralisch durch und durch korrupten Welt. Nur 144.000 gläubige Christen werden ihn überleben – 12.000 aus zwölf Gemeinden. Diese leben nach dem Untergang gemeinsam mit Jesus Christus und Gott in einer Art Paradies, die "das neue Jerusalem" genannt wird. Entstanden ist der Text vermutlich im 9. Jahrzehnt nach Christus. Als Autor gilt heute nicht mehr wie früher angenommen der Apostel Johannes, sondern eine Person, die man in Ermangelung anderer Angaben "Johannes von Patmos" nennt.
""Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus."
Zur Zeit der Niederschrift befindet sich der Autor in der Verbannung auf der griechischen Insel. Er bezeichnet sich als "Mitgenosse an der Bedrängnis". Lange wurde vermutet, dass die Apokalypse mit ihrer Prophezeiung eines nahen göttlichen Reiches eine Trostschrift für die christlichen Gemeinden in Kleinasien war. Man ging davon aus, dass diese unter der Herrschaft des römischen Kaisers Domitian 81 bis 96 nach Christus starken Repressalien ausgesetzt waren.
Der Bibelwissenschaftler Bernd. U. Schipper weist darauf hin, dass neuere Forschungen eine andere Deutung nahelegen. Demzufolge habe die Christenverfolgung in einem weit geringeren Ausmaß stattgefunden als bislang angenommen. Schipper kommt zu dem Schluss, dass die Offenbarung nicht so sehr trösten, als vielmehr eine Entscheidungssituation beschwören sollte. Tatsächlich mussten sich die Christen damals entscheiden zwischen dem in Anlehnung an altorientalische Königsideologie als Gott zu verehrenden römischen Kaiser und dem christlichen Gott. Die Offenbarung des Johannes könne man daher auch als eine Ermahnung verstehen. Dies ist eine der Kernthesen des im September 2008 im Campus-Verlag erschienenen und von Schipper mitherausgegebenen Buches "Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik."
Bernd U. Schipper: "Die These unseres Buches ist die, dass sich das eigentlich durchzieht. Dass man also Apokalypse, apokalyptisches Bildinventar so etwas verstehen kann wie eine Art hermeneutischen Schlüssel, wie eine Art Brille, die man aufsetzt. Und durch diese Brille sieht man dann klarer – in dem Sinne, dass man bestimmte Situationen einordnen kann."
Betrachtet man die Johannes-Offenbarung als Entscheidungshilfe, so wird klar, dass er neben der Vertröstung der Gläubigen auf eine bald eintreffende Erlösung auch ein politisches Anliegen verfolgt. Tatsächlich sind solche Motive neben Erlösungsbotschaften in fast allen apokalyptischen Texten zu finden. So auch in den frühesten proto-apokalyptischen Schriften.
Bernd U. Schipper: "Ein Beispiel ist ein altägyptischer Text, der gut 4000 Jahre alt ist, die sogenannte Prophezeiung des Neferti, in dem apokalyptische Motive begegnen, aber wir noch keine Apokalypse in dem Sinne haben, dass es nun auch eine Zukunftsansage wäre, sondern ein Text, der aus der Retrospektive heraus geschrieben wurde, in dem zugleich aber auch ein Strukturmerkmal solch apokalyptischer Rede deutlich wird: Es geht nämlich darum, bestimmte Krisen in der Gesellschaft, bestimmte Phasen eines gesellschaftlichen Umbruchs zu interpretieren und gleichzeitig in eine bestimmte Richtung zu lenken."
In der Prophezeiung geht es darum, dass ein neuer König die Ordnung wiederherstellt. Zuvor wird der Zustand der Welt im Text als derart aussichtslos beschrieben, dass sie eigentlich vom Sonnengott Re neu erschaffen werden müsste. Das in späteren apokalyptischen Texten auftauchende Motiv der chaotischen, verdorbenen Welt, die durch einen gottgleichen Eingriff neu geordnet wird, ist hier bereits vorhanden.
Bei dem hier beschriebenen "Chaos" handelte es sich historisch gesehen um eine Zeit ohne König. Diese brachte Ägypten jedoch nicht an den Rand des Abgrunds, sondern zeitigte eine Periode sozialen Wandels. Die Zentralgewalt büßte ihre Macht zugunsten lokaler Eliten ein. Hier wurde also mit Hilfe einer Prophezeiung versucht, einen alten Machtanspruch neu zu legitimieren, bzw. diesen wiederherzustellen.
Für die Entstehung der Apokalyptik, also einer apokalyptischen Geisteshaltung, lässt sich ein klar bestimmtes historisches Ereignis ausmachen: Die Eroberung und Zerstörung Jerusalems und die Gefangennahme des Volkes Israel durch die Babylonier unter Nebukadnezar dem 2. im Jahr 586 vor Christus.
Bernd U. Schipper: "Diese Eroberung war ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte Israels und gleichzeitig auch im kulturellen Gedächtnis des antiken Israel, von dem dann auch die Bibel erzählt, insofern, dass man sich fragte: Wie konnte es eigentlich dazu kommen? In einem religiösen Weltbild, in dem sozusagen auch die Politik, auch das Handeln des Staates, in dem Fall das Handeln des Königs, rückgebunden ist an die jeweilige Gottheit, war natürlich die Frage: Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Eine Lösung war die, zu sagen: Die Gottheit ist sozusagen in ihrem Handeln konstant geblieben, aber der König hat Fehler gemacht. Das war ein, man müsste fast sagen "turning point" in der Geschichte im Denken des alten Israel, der dann hingeführt hat zu diesem apokalyptischen Denken, wie es uns dann aber in der bekannten Form eigentlich erst 200, 300 Jahre nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar den Zweiten begegnet."
Konkreten Niederschlag fand dieses Denken im Buch Daniel, das Teil des alten Testaments wurde. Die Kapitel sieben bis elf gelten heute als die früheste, voll ausgeformte Apokalypse. Wie die Prophezeiung des Neferti wurde auch dieser Text aus der Retrospektive verfasst und rückdatiert.
Florian Werner: "Also, zum Beispiel das Buch Daniel, das wurde eben im 2. Jahrhundert vor Christus geschrieben, also zu einer Zeit, wo Jerusalem von den griechischen Seleukiden besetzt war, also in einer Situation der Unterdrückung, der Bedrängung, der kulturellen. Es gibt aber vor im Text, dass es schon ungefähr 400 Jahre früher, also während der Babylonischen Gefangenschaft geschrieben worden sei."
Der Schriftsteller Florian Werner hat sich im Zuge seiner Dissertation mit dem Thema der Apokalypse beschäftigt. Das babylonische Exil war zur Entstehungszeit des Buches Daniel noch fest im kollektiven Bewusstsein des jüdischen Volkes verankert. Als Anlass für die Abfassung des Daniel-Buchs wird allgemein die Besetzung Jerusalems durch die griechischen Seleukiden gesehen. Antiochos IV Epiphanes hatte Jerusalem erobert, wo er am 6. Dezember des Jahres 167 vor Christus im neu errichteten Tempel einen Altar für den olympischen Gott Zeus errichten ließ. Darüber hinaus zwang er das jüdische Volk zum Verzehr von Schweinefleisch und verbot das Feiern des Sabbats. Der Botschaft des Buches – sich für Glaubenstreue und gegen Fremdherrschaft zu entscheiden und "auszuhalten" – wird durch diese "Historisierung" zusätzliches Gewicht verliehen.
Florian Werner: "Gleichzeitig bringt das natürlich auch den Vorteil mit sich, dass man gewisse Sachen, die man natürlich schon wusste, 400 Jahre später als Prophezeiung verkaufe konnte. Dass also sozusagen etwas, was man zur Zeit des babylonischen Exils noch nicht wusste, dass es eben auch wieder zu einer Befreiung kommen würde, das konnte man dann eben quasi als Prophetie dann… verkaufen, böse gesagt."
Das Buch Daniel war der Beginn der Apokalypse als Textgattung. Seitdem tauchten im Judentum und später im Christentum immer wieder solche prophetischen Untergangsvisionen auf.
Bernd U. Schipper: "Man kann bereits bei dem Daniel-Buch sehen, dass ältere Sprache aus anderen Texten – in dem Fall des Alten Testaments – aufgegriffen wird. Aber man sieht dann eigentlich deutlich in der Offenbarung des Johannes, dass bestimmte Themen der Daniel-Apokalypse aufgegriffen werden, dass sozusagen der Verfasser der Offenbarung des Johannes aus dieser alttestamentlichen Tradition schöpft und das Ganze nun zuspitzt auf eine bestimmte historische Situation, die man heutzutage eher als eine ‚Entscheidungssituation’ zwischen dem römischen Kaiserkult auf der einen Seite und dem christlichen, dem neugeschaffenen christlichen Kult auf der anderen Seite bestimmen würde."
Die apokalyptischen Texte bauen aufeinander auf – sowohl in ihrer Argumentationsstruktur als auch in den verwendeten Bildern. In beiden Texten kommt es zum Kampf zwischen Gut und Böse, in beiden wird das Böse durch ein wildes Tier repräsentiert (das in der Johannes-Offenbarung die Nummer 666 trägt, was allgemein als eine Anspielung auf den römischen Kaiser Nero interpretiert wird). In beiden Texten kommt es zum Endgericht, in dem Gott die Menschen nach ihren - in einem Buch aufgezeichneten - Taten richtet.
"Und ich sah die Toten, Groß und Klein, stehen vor dem Thron, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch wurde aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken."
Die Johannes-Offenbarung nimmt aus zwei Gründen eine Sonderstellung ein: Zum einen ist sie aufgrund des Verbreitungsgrades der Bibel die heute weltweit bekannteste Apokalypse. Zum anderen enthält sie aufgrund ihrer Länge auch die detaillierteste Darstellung der verdorbenen Welt – hier symbolisiert durch die Hure Babylon – und des Endkampfes von Gut und Böse auf dem Feld Harmageddon. Und genau diese fast schon an "Detailversessenheit" grenzende Darstellung ist ein Grund, warum die Offenbarung des Johannes bis heute nachwirkt.
Bernd U. Schipper: "Und da ist es die Offenbarung des Johannes als ein Text, über den eigentlich heutzutage die Gelehrten streiten, weil er diese eigenartige Bildwelt hat, als ein Text, der fasziniert, der auch befremdet, der, ja, einen Reiz hat, und gleichzeitig aber auch die Möglichkeit bietet, auch immer wieder auf bestimmte historische Situationen angewendet zu werden. Also ein Zeichen der nahenden Apokalypse ist der Auftritt des Antichristen. Und allein wenn man das durch die Jahrhunderte hinweg betrachtet, wer wen als Antichristen bezeichnet hat – Luther hat das Papsttum als Antichristen bezeichnet, umgekehrt wurde er als Antichrist bezeichnet. Also man hat sozusagen immer wieder versucht – gerade auch in der mittelalterlichen Tradition war das sehr prominent – bestimmte historische Ereignisse zu deuten von der Apokalypse her."
In den Jahrhunderten nach seiner Kanonisierung entwickelte der Text eine Art Eigenleben. Vor allem in der darstellenden Kunst stand die Apokalypse hoch im Kurs. Die um das Jahr 1000 entstandene Bamberger Apokalypse, der 700 Quadratmeter große Teppichzyklus der Apokalypse im französischen Angers aus dem 14. Jahrhundert, Dürers Holzschnitte aus dem späten 15. Jahrhundert – seit jeher hat die Apokalypse fasziniert und inspiriert. Eines ist dabei besonders auffällig:
Klaus Vondung: "In aller Regel nehmen die Beschreibungen des Kampfs gegen den bösen Feind, dessen Vernichtung, des Untergangs der alten, verdorbenen Welt, sehr viel mehr Raum ein, sind sehr viel farbiger, sehr viel bilderreicher, als die Beschreibung des Zustands der Erlösung."
Der Literaturwissenschaftler Klaus Vondung, Verfasser der Buches "Die Apokalypse in Deutschland" erklärt diesen Fokus so:
Klaus Vondung: "Also die Zielvorstellung der Apokalypse ist Erlösung und zwar dauerhafte, ewige Vollkommenheit. Und das bedeutet ja: Freiheit von allem, was zur Unvollkommenheit gehört. Und das ist vor allen Dingen Sterblichkeit, also der Tod ist überwunden, Krankheiten sind überwunden, man lebt in Fülle, in ewiger Fülle… ja, da kann ich nur zurückfragen: Können Sie sich einen Zustand der Vollkommenheit und der vollkommenen und ewigen Fülle vorstellen, dass es Ihnen da nicht irgendwann langweilig wird?"
"Also unter den Bedingungen unserer menschlichen Existenz, die begrenzt ist durch den Tod und die beeinträchtigt ist durch alle möglichen Unvollkommenheiten körperlicher bis hin zu moralischer Art, können wir uns eigentlich einen Zustand ewiger, unwandelbarer Vollkommenheit nicht vorstellen, ohne dass es uns aus der Perspektive unserer endlichen Existenz langweilig erscheinen würde."
Betrachtet man die Geschichte der Apokalypse, so ergibt sich irgendwann zwangsläufig die Frage, ob die Apokalypse eine Art anthropologische Konstante ist. Wenn ja, dann müsste sie ja auch an anderen Stellen auftauchen. Wie sieht es also aus mit dem apokalyptischen Erbe anderer Weltreligionen?
Nach den Selbstmordanschlägen vom 11. September 2001 halten viele Menschen den Islam für die apokalyptische Religion schlechthin. Betrachtet man den Koran, findet sich darin allerdings keine ausgeprägte Apokalypse, auch apokalyptisches Gedankengut ist nur ansatzweise vorhanden. Zwar hat der Koran einiges an Bildinventar aus den jüdischen und christlichen Apokalypsen übernommen – so zum Beispiel die Trompeten, die zum jüngsten Gericht rufen, die Vorstellung des Antichristen oder die Völker Gog und Magog, die an der Seite des Teufels kämpfen. Aber einen dem Buch Daniel oder der Offenbarung des Johannes entsprechenden Text gibt es hier nicht. Der Islamwissenschaftler Josef van Ess schreibt dazu:
"Der Koran verkündet keine Apokalypse; er macht Aussagen über die Eschatologie. Das ist nicht dasselbe. Eine Apokalypse beschreibt das katastrophale Ende der Welt; in der Eschatologie geht es vor allem um Gott als den Richter."
Sebastian Günther: "In jüngster Zeit sind diese Endzeit-Paradiesvorstellungen ja vor allem durch die Extremisten und die sogenannten ‚Selbstmordtäter’ in die Schlagzeiten der Presse gelangt. Dabei handelt es sich um Personen, die sich selbst als Märtyrer verstehen, und die durch den Opfertod im Namen des Glaubens, wie sie ihn nennen, den direkten Eingang ins Paradies erwarten."
Der Arabist und Islamwissenschaftler Sebastian Günther von der Universität Göttingen. Die Selbstmordattentäter scheinen also nicht von einer apokalyptischen, kollektiven Endzeiterwartung im Hier und Jetzt motiviert zu sein, die sie mit herbeibringen wollen, sondern vielmehr von dem individuellen Versprechen einer Erlösung im Paradies. Tatsache ist, dass es auch im Einflussbereich des Islam Apokalypsen gegeben hat – so zum Beispiel zur Zeit der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert.
Sebastian Günther: "Es ist natürlich richtig, dass apokalyptische Vorstellungen auch in der islamischen Geschichte immer wieder dann eine besondere Rolle gespielt haben, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse besonders hart waren. Oder etwa, wenn eine Dynastie durch eine andere ersetzt wurde. Als die Dynastie der Abbassiden im Jahre 750 in Bagdad an die Macht drängte und die Ommayaden in Damaskus verdrängt wurden, machten sich die Abbassiden apokalyptische Stimmungen zunutze."
Eine Aussage, die sehr der Absicht hinter der Prophezeiung des Neferti aus dem alten Ägypten ähnelt, und die uns in ähnlicher Form auch später noch begegnen wird. In politisch und sozial schwierigen Zeiten hatten und haben Apokalypsen verstärkt Zulauf – fast überall auf der Welt.
Das Thema der Apokalypse im Islam scheint ein heißes Eisen zu sein. Viele Islamwissenschaftler scheuen das Thema – vielleicht auch, um den interreligiösen Dialog nicht zu gefährden. Nimmt man die Quellen zusammen, so scheint der Islam wesentlich weniger apokalyptisch gefärbt zu sein, als die meisten Menschen dies vermuten bzw. dies von den Medien in verkürzten Darstellungen und unter der ständigen Verwendung des Begriffes Apokalypse nahegelegt bekommen.
Viel verwunderlicher als die Abwesenheit apokalyptischer Schriften im Koran dürfte für viele Menschen das Vorhandensein apokalyptischer Vorstellungen in einer anderen Weltreligion sein: Dem Buddhismus.
Der Buddhismus basiert auf einem zyklischen Weltbild. Das zumindest legt die Vorstellung vom Kreislauf der Wiedergeburten nahe. Eine Endzeit, die durch eine letzte Schlacht zwischen Gut und Böse entschieden wird, scheint da zunächst widersinnig. Und dennoch gibt es solche Vorstellungen auch im Buddhismus, wie der Religionswissenschaftler Michael von Brück erklärt:
Michael von Brück: "Zyklisch bedeutet ja nicht, dass es nicht innerhalb eines Zyklus einen, ich will mal sagen ‚Geschichtspfeil’ gäbe, der tatsächlich – und das ist nun wieder den meisten buddhistischen und hinduistischen Kosmologien gemeinsam – der nun also tatsächlich zu einem Ende dieser Welt, entweder in einer Endschlacht oder in einer durch die Natur, letztlich natürlich durch die Gottheiten, Shiva etwa, verursachten großen Weltkatastrophe, einem Weltenbrand, endet. Aber wie gesagt: dann fängt’s wieder von vorne an."
Als der Buddhismus im 2. nachchristlichen Jahrhundert nach China kam, vermischte er sich auf dem Weg dorthin mit anderen Religionsströmungen. Eine davon war der Manichäismus.
Michael von Brück: "Der Manichäismus ist eine persische Religion, der Perser Mani lebte im 3. Jahrhundert, die sehr stark apokalyptisch orientiert ist. Die reden also von zwei Substanzen der Welt, dem Lichten und dem Dunklen, und drei Zeitaltern, nämlich dem reinen Zeitalter, wo das Göttliche und das Dunkle völlig getrennt sind, dann der Vermischung, das ist unsere gegenwärtige Zeit und – und das ist dann das apokalyptische – der Trennung beider, wo also das Licht von der Dunkelheit wieder geschieden wird. Solche Vorstellungen gehen auf altpersische Vorstellungen zurück, sie waren schon bei der Entstehung des Christentums als verschiedene gnostische Strömungen bekannt. Und dieser Mani in Persien wuchs einerseits in einem juden-christlichen Umfeld auf; andererseits natürlich auf dem ganzen Hintergrund der persischen, zoroastrischen Religion."
Der Mänichäismus war damals eine bedeutende Religion, in China war er zeitweise sogar Staatsreligion.
Michael von Brück: "Dieser Hintergrund, dieser apokalyptische Hintergrund, der sich aus persischen und dann aber auch jüdisch-christlichen Traditionen speist, kam dann im Laufe der Jahrhunderte in den Buddhismus."
Und selbst nach anderthalb Jahrtausenden Existenz war der Buddhismus nicht vor der Entwicklung apokalyptischer Züge gefeit.
Michael von Brück: "Wir haben in Tibet natürlich die Entwicklung des Kalchakra-Tantras, des Kalchakra-Systems, und des Shambala-Mythos. Auch hier haben wir es mit einer relativ späten Entwicklung zu tun, also etwa 9., 10. Jahrhundert, da ist der Buddhismus etwa 1500 Jahre alt, das ist eine Spätentwicklung. Auch diese tantrischen Traditionen beruhen auf einem Dualismus: Das Gute siegt in einer Endschlacht, in einer Apokalypse, die nun mit historischen Erfahrungen durchmischt wurde, nämlich den historischen Erfahrungen der Eroberungen durch den Islam."
Seit dem 8. Jahrhundert erlebten die Bewohner Zentralasiens Überfälle islamischer Armeen. Dabei wurde auch das größte Buddhistische Zentrum Nalanda zerstört – ein Trauma in der Geschichte des Buddhismus, das unter anderem in dieser apokalyptischen Vorstellung seinen Niederschlag findet.
Michael von Brück: "Diese muslimische Invasion und Zerstörung des Buddhismus löste dann bei Buddhisten, bei denen, die die Kalackra-Tradition geschaffen haben, apokalyptische Vorstellungen aus. Und das hat sich dann durch die Geschichte hindurchgezogen, hat sich dann mit dem berühmten Shambala-Mythos verknüpft, so dass man glaubte: Am Ende der Welt wird ein Diktator die ganze Welt erobern, außer dem reinen Land Shambala. Der König dieses reinen Landes Shambala (…) wird eine große Armee aufstellen, und dann dieses Böse besiegen."
Auch die Apokalypse im Shambala-Mythos wurde später als Instrument der Legitimation geschichtlicher Ereignisse verwendet.
Michael von Brück: "Im Tibet des 19. Jahrhunderts hat man diesen Mythos dann bemüht, um den Kampf Russlands gegen England in Zentralasien zu legitimieren und vorherzusagen. Und in den 20er-Jahren hat der Befreiungskampf der Mongolen von diesem Mythos gezehrt, also man hat diesen Kampf als Endkampf stilisiert und damit legitimiert. Er hat also in der tatsächlichen Geschichte immer wieder eine Rolle gespielt und hat eindeutige apokalyptische Hintergründe."
Einen Dualismus zwischen Gut und Böse, der sich meistens in einem ewigen Kampf äußere, finde sich fast über all, stellt von Brück fest – ob im Altbabylonischen, im Altgriechischen, in der indischen Tradition, etc.. Aber der historisch einmalige Endkampf zwischen Gut und Böse sei ein Erbe des Judentums, das sich im Christentum und dann im Islam fortgeschrieben habe. Die Wurzel des apokalyptischen Denkens vermutet von Brück im Kontakt der jüdischen Welt mit dem persischen Dualismus.
Doch welche Rolle spielt die Apokalypse in unserer heutigen, säkularisierten Welt noch? Ist es nur das Schlagwort der Apokalypse als Weltzerstörung, das überlebt hat? Oder haben auch die Pragmatik und die Bilder der Johannes-Apokalypse noch immer Einfluss auf unser heutiges Leben? Einen entscheidenden Einschnitt in der Rezeption der Apokalypse bringt die einsetzende Aufklärung.
Bernd U. Schipper: "Mit der Aufklärung hat es eigentlich einen bestimmten Paradigmenwechsel gegeben in dem Sinne, dass nun die Zukunft realisierbar wird. Also Lessing mit seiner Schrift ‚Erziehung des Menschengeschlechts’ sagt im Grunde: Der Mensch ist nun nicht mehr ein ‚sündhaftes Wesen’ – Luther konnte noch ganz dramatisch formulieren: Der Mensch ist wie eine Art Reittier, es wird entweder von Christus oder vom Teufel geritten. Also der Mensch hat keinen freien Willen, er ist sozusagen nicht positiv bestimmt. Die Aufklärung sagt: Der Mensch ist positiv bestimmt, Kant sagt: Die Aufklärung ist sozusagen der Auszug des Menschen aus seiner eigenen Unmündigkeit. Und damit nun verbunden die Vorstellung: Du kannst es, du schaffst es. Du bist in der Lage, das Beste aus Deinem Leben zu machen. Und dann der Gedanke: Eigentlich ist das Paradies, das ‚goldene Zeitalter’ realisierbar."
Und zwar im Hier und Jetzt. Von 1650 bis 1850 spielte die Apokalypse kaum eine Rolle. Dazu der Soziologe Ansgar Weymann, Mitherausgeber des Buches "Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik":
Ansgar Weymann: "Wenn wir mal die Jahrhunderte zurückgucken, was so die herrschenden Strömungen sind, dann haben wir Utopien, prächtige Gemälde wunderbarer zukünftiger irdischer Gesellschaften bei Bacon, Morus, Campanella und vielen anderen. Wir haben dann Vorstellungen des unendlichen Fortschritts in der Politik, seit Machiavelli, um Namen zu nennen, im Recht Hume oder Locke, in der Ökonomie Adam Smith, in der Wissenschaft die Aufklärung Kant und Hegel. So, und mit den Fürsten und dem beginnenden modernen Staat haben alle diese Wissenschaften dann dazu geführt, dass beratende Politik dann auch zur Verbesserung der irdischen Verhältnisse führen sollte. Nehmen Sie Goethe, der am Ende des ‚Faust’ dann sich damit beschäftigt, Land einzudeichen und die Erde zu verbessern. Das ist eine ganz typische Vorstellung, die nicht apokalyptisch ist, sondern die positiv ist – und die herrscht vor."
Klaus Vondung: "Man könnte durchaus sagen, dass das 18. Jahrhundert, soweit Aufklärungspositionen im Blick sind, apokalypsefrei ist."
Bernd U. Schipper: "Und jetzt kommt meines Erachtens der entscheidende Punkt: dass man an bestimmten Stellen feststellt, im Laufe der Geschichte: Es funktioniert nicht."
Zunächst verbessert sich das Leben der Menschen durch Entwicklungen auf fast allen Gebieten sehr rasch und sehr stark. Mit der industriellen Revolution werden aber auch die Kosten dieser Wohlstandssteigerung sichtbar: Ein großer Teil der Bevölkerung verelendet. Die Fortschrittserwartung kippt um in apokalyptische Wahrnehmung. Besonders präsent sehen einige Wissenschaftler diese Entwicklung bei Karl Marx. Alexander K. Nagel von der Ruhruniversität Bochum ist neben Weymann und Schipper der dritte Mitherausgeber des bereits erwähnten Buches zur Apokalypse.
A.K. Nagel: "Und Karl Marx ist auch deswegen besonders interessant, weil eben bei ihm relativ früh behauptet worden ist, seine Theorie sei im Grunde die Fortführung klassisch christlicher Eschatologie, also die Lehre von den letzten Dingen. Seine Vorstellung von der Revolution stünde, so ist schon in der Zwischenkriegszeit argumentiert worden, von Blumenberg und Ernst Bloch, stünde in der Tradition der apokalyptischen und eschatologischen Geschichtsdeutung des Christentums."
"Die Diktatur des Proletariats wird kommen, aber sie ist nur ein Durchgangsstadium in ein ewiges goldenes Zeitalter der Menschheit."
Marx kommt aus einem jüdisch-christlichen Hintergrund, sein Vater stammte aus einer Rabbinerfamilie, konvertierte aber später zum Protestantismus. Klaus Vondung will Marx’ Hauptwerk "Das Kapital" nicht in toto als Apokalypse sehen, stellt aber fest, dass die Rahmenbedingungen des Werkes durchaus apokalyptisch waren.
Klaus Vondung: "Zunächst einmal gibt es einen, wie man sagen könnte, apokalyptischen Impuls. Das ist – ja, die Indignation über die verdorbenen gesellschaftlichen Verhältnisse und die entsprechenden wirtschaftlichen Verhältnisse, die Ausbeutung des Proletariats, der Verlust an Menschlichkeit, die die Angehörigen dieser Klasse haben, [die Indignation], die Empörung darüber, das ist der Impuls, der zur apokalyptischen Vision führt, dass – und das heißt dann eben Weltrevolution – durch einen grandiosen Umsturz, durch eine völlige Umkehrung der Verhältnisse, ein Reich der Freiheit, die klassenlose Gesellschaft geschaffen werden kann."
Wie die antiken Apokalyptiker vor ihm diagnostiziert auch Marx die gesellschaftlichen Verhältnisse als so korrupt, dass eine totale Umkehr erfolgen muss. Ob sich der vehemente Religionskritiker Marx absichtlich die Pragmatik und das Bildinventar der klassischen Apokalypsen in sein Werk hat einfließen lassen, weil er um ihre Wirkungsmacht wusste, lässt sich aus der Retrospektive nicht mehr beantworten. Wenn er über den Kapitalismus spricht, erinnert das nicht selten an die Beschreibung der Hure Babylon aus der Johannes-Offenbarung.
"Wenn das Geld, nach Augier, ‚mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt’, so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend." ("Das Kapital", Band 1, 7. Abschnitt)
Im Zuge der Aufklärung werden die Apokalypsen immer stärker säkularisiert, das heißt, sie spielen sich ganz im Diesseits und ohne göttliches Zutun ab. Allerdings: die Grenzen zwischen religiös und säkular waren im Fall der Apokalypse von jeher fließend. Laut Klaus Vondung haben auch die Daniel- und die Johannes-Apokalypse einen säkularen, einen politischen Kern.
Klaus Vondung: "In der Daniel-Apokalypse wird das ganz wörtlich so gesagt, nicht, also Gott wird nun seinen Getreuen die Herrschaft geben über alle Völker. In der Johannes-Apokalypse spielt das nicht eine so große Rolle, aber immerhin, im sogenannten 1000-jährigen Reich, das ja vor der endgültigen Erlösung im neuen Jerusalem aufgerichtet werden soll, werden die wieder auferstandenen Märtyrer zusammen mit Christus regieren. Ja nun, was heißt das, das heißt politische Herrschaft ausüben. Und umgekehrt, das, was ich jetzt säkulare Apokalypsen genannt habe in der Moderne, da ist der Glaube daran, dass in unmittelbar bevorstehender Zeit – das ist ja ein Charakteristikum der Apokalypse, die sogenannte ‚Naherwartung’, dass das alles bald passieren wird – ist der Glaube oft überhaupt nicht wirklich gerechtfertigt durch das, was in der konkreten äußeren Wirklichkeit besteht. Also kann man da im Grunde genommen auch nur von einer Art religiösem Glauben sprechen."
Bis in die Zeit zwischen den Weltkriegen gab es vollständige säkulare Apokalypsen – vor allem bei sozialistischen und kommunistischen Autoren. Und dann platzt die Bombe.
Klaus Vondung: "Eigentlich wäre schon mit der Atombombe überhaupt – und einige Schriftsteller, einige Philosophen wie Günter Anders haben das auch so gesehen – der Punkt dagewesen, wo man gesagt hätte, also ein irdisches Paradies werden wir nicht bewerkstelligen können. Wir können zwar die Erde zerstören, aber gerade weil wir sie zerstören können, können wir kein irdisches Paradies bauen."
So wie 586 vor Christus ein wichtiger Punkt in der Entstehung der Apokalypse ist – wir erinnern uns: Die Zerstörung Jerusalems und die Gefangennahme des Volkes Israel durch die Babylonier – so ist auch 1945 ein wichtiges Datum: Von hier ab wird die säkulare Apokalypse immer stärker um ihr Heilsversprechen beschnitten. Klaus Vondung spricht in diesem Zusammenhang von einer "kupierten Apokalypse". Die Erlösung bleibt aus, das himmlische Jerusalem findet nicht mehr statt. Was bleibt, sind Angstphantasien vom Weltuntergang. Hier liegt ein Hauptgrund für unser heutiges "verkürztes" Verständnis der Apokalypse.
Aber es gibt auch in der Gegenwart noch Bereiche, in der die klassische Apokalypse inklusive Endschlacht, Gottesgericht und Erlösung noch verkündet wird. Zum Beispiel im Rap.
Mit diesem im ersten Moment frappierenden Zusammenhang von 2000 Jahre altem religiösem Gedankengut und moderner Popkultur hat sich der Schriftsteller Florian Werner befasst. Er schrieb ein Buch mit dem vielsagenden Titel "Rapocalypse".
Florian Werner: "Also ich hatte schon vor viele Jahren mal ein Oberseminar gemacht zu verschiedenen apokalyptischen Texten, das war glaube ich 1999 schon, also kurz vor der Jahrtausendwende, wo das ja auch so ein bisschen in der Luft lag und plötzlich alle Menschen von dem Millennium sprachen."
"… und da las ich eigentlich eher so apokalyptische oder eben millennialistische Schriften aus dem 17. Jahrhundert, also von verschiedenen amerikanischen Theologen, von allen möglichen Puritanern. Und da wurde mir eben klar, dass es in den USA schon von Anfang an eigentlich ein sehr, sehr starkes Thema war, dieses endzeitliche Denken. Zur selben Zeit hörte ich eben auch sehr viel Populärmusik, eben auch HipHop und Reggae und Dub und merkte eines Tages beim Herumstehen im Plattenladen, dass diese Bildhaftigkeiten, die da auftauchen, dass die fast identisch sind mit denen, die irgendwie 400 Jahre zuvor schon von irgendwelchen puritanischen Geistlichen verwendet wurden in ihren Predigten und wollte dem eben mal nachgehen, was es da für Zusammenhänge geben könnte."
Was Werner herausfand, war zunächst einmal der Grund, warum gerade in den USA bis heute apokalyptisches Reden immer noch eine starke Tradition hat.
Florian Werner: "Also schon die ersten Siedler, die Anfang des 17. Jahrhunderts in die neue Welt reisten, definierten ja ihren Vorstoß immer wieder als Aufbruch ins neue Jerusalem oder eben als göttliche Mission in das gelobte Land, man wollte eine Stadt auf dem Hügel errichten, also auch so ein biblisches Bild, und dem Antichristen, der damals eben die Church of England war, die anglikanische Kirche oder auch eben der Papst, dem wollte man möglichst entfliehen. Und man kann das eben sehr schön sehen in sehr vielen Predigten und Texten aus dem 17., frühen 18. Jahrhundert, dass das immer weitergereicht wurde, dieses Bild."
Doch wie kam die Apokalypse in den Rap? Der Anfang dieser Entwicklung liegt in der allmählichen Christianisierung der afrikanischen Sklaven vor allem durch die Methodisten und Baptisten im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Die apokalyptischen Texte der Bibel übten dabei eine ganz besondere Faszination auf die Sklaven aus:
Florian Werner: "Also schon in den allerersten Spiritual-Sammlungen, die dann Anfang des 19. Jahrhunderts auftauchten – die allerdings damals von Weißen aufgeschrieben wurden, aber sich eben bemühten, das zu dokumentieren, was die Sklaven sangen, machen apokalyptische Lieder mindestens ein Drittel der Texte aus."
Wie so oft kommt auch hier wieder die Apokalypse als Flucht- und Einigungspunkt einer unterdrückten Gruppe zum Tragen. Die ihrer Heimat beraubten Sklaven fühlten sich in ihrer Diaspora dem jüdischen Volk zur Zeit des babylonischen Exils nahe.
Liedtext: "When Israel was in Egypt’s land / Let My people go / Oppressed so hard they could not stand / Let My people go / Go down, Moses / Way down in Egypt’s land / Tell old Pharaoh /To let my people go."
Übersetzung: ""Als Israel in Ägypten war / lass es ziehn mein Volk / von harter Hand geknechtet war / lass es ziehn mein Volk / Geh hin, Moses / geh ins Ägypterland / Sag dem alten Pharao: / lass es ziehn mein Volk!"
Für die Sklaven Nordamerikas war die Vorstellung, die sie unterdrückende Welt könne zu einem baldigen Ende kommen, ein Silberstreif am Horizont. Für sie war vor allem der Gedanke einer kollektiven Erlösung und des innerweltlichen Wandels, auf den man durch göttliches Eingreifen hoffen darf, wichtig – und nicht etwa die Erlösung nach dem Tode.
Florian Werner: "Und als dann eben 1865 die Emanzipation der Sklaven verkündet wird, wird das eben auch von schwarzen Predigern ganz klar in der Sprache der Apokalypse immer wieder besungen oder besprochen, also eben als großer Tag der Offenbarung, der Erlösung, der Sieg des Lichts über die Mächte der Finsternis und so weiter."
Dieser christliche Predigerduktus im Zusammenspiel mit der "oral tradition", der mündlichen Tradierung bestimmter Textformen bei den überwiegend analphabetischen Ex-Sklaven, hat bis auf den heutigen Tag Spuren im Kulturschaffen der Afroamerikaner hinterlassen. Dieser Duktus und das mit ihm verbundene Bildinventar der Apokalypse finden sich auch noch bei den Rappern heutiger Tage.
Ein Beispiel: 1989 veröffentlichte die HipHop-Band Public Enemy ihr drittes Album "Fear of A Black Planet". Auf dem Cover sieht man einen schwarzen, in seinem Inneren glühenden Planeten, der auf die Erde zurast. Eine kosmische Katastrophe, wie sie auch in der Offenbarung des Johannes ihren Platz haben könnte, scheint sich hier anzubahnen. Die Botschaft von Public Enemy ist aber eine ganz andere:
Liedtext: "I'm just a rhyme sayer / Skins protected 'gainst the ozone layers / Breakdown 2001 / Might be best to be Black / Or just Brown / Countdown.”"
Übersetzung: ""Ich bin nur ein Typ, der sich in Reimen ausdrückt / meine Haut ist gegen das Problem mit der Ozonschicht geschützt / Der Zusammenbruch kommt in 2001 / Vielleicht ist es am besten, schwarze Haut zu haben / oder auch nur braun. / Countdown."
Chuck D., wichtigstes Sprachrohr von Public Enemy, beschwört hier die Klimakatastrophe vordergründig als Apokalypse für die weißen Rassisten, letztlich aber für eine ganze Bevölkerungsgruppe. Die hellhäutigen Menschen werden vom Hautkrebs dahingerafft und die weißen Rassisten werden sich noch wünschen, ihre Töchter würden sich schwarze Männer suchen.
Florian Werner: "Auf sehr merkwürdige Weise werden da eigentlich so ökologische Katastrophenszenarien verknüpft mit rassistischen apokalyptischen Ängsten und das Ganze wird dann noch mal auf ein ganz klares Datum fixiert, nämlich das Jahr 2000 oder 2001, also die große Zeitenwende, das Millennium."
"Und gerade diese zentralen Begriffe, die ja auch sehr vereinfachend sind, und die jeder so füllen kann, wie er möchte, wie eben ‚die Bösen’, die ‚sündhafte Stadt Babylon’, ‚das System’, die tauchen doch immer wieder auf, die tauchen auch bis heute auf, dann bei den Söhnen Mannheims oder bei Xavier Naidoo, der auch eben vom ‚Babylon System’ plötzlich predigt oder… ‚singt’."
"Armageddon kommt oder ist in vollem Gange / macht euch große Sorgen, denn jetzt sind wir in der Zange / ich bange um mein Leben, denn ich höre von dem Beben / und nur für 144.000 wird es Rettung geben." (Söhne Mannheims: "Armageddon")
Über Naidoo und Co. dringt die Apokalypse bis ins Kinderzimmer. Die popkulturelle Ausformung der Apokalypse wurde in den USA nicht zuletzt von der Politik wesentlich verstärkt, wie Florian Werner erklärt:
"Da gibt es einige wirklich erstaunliche Zitate von Ronald Reagan, wo er ganz klar sagt: Im Buch Hesekiel ist die Rede irgendwie von Feuer, Pech und Schwefel, das über die Feinde Gottes herabregnen wird – das ist bestimmt eine Metapher für Atombomben. Und dann ist ja die Rede von Gog und Magog, den Mächten des Bösen – damit ist bestimmt die Sowjetunion, eben das ‚evil empire’ gemeint. Das heißt, auch in der amerikanischen Regierung gab es zu der Zeit so eine ganz literalistische Lesart der Apokalypse."
Die Ölkrise, der verlorene Krieg in Vietnam, das Erstarken Russlands als Atommacht – in den 70er-Jahren erlebt die Weltmacht USA eine Krise des Selbstwertgefühls. Diese pessimistische Stimmung brachte der Evangelist Hal Lindsey mit seinem Buch "The Late Great Planet Earth" auf den Punkt. Das Buch propagierte eine Lesart des Buches Hesekiel, eines frühen alttestamentarischen apokalyptischen Visionsberichts als Vorhersage eines Nuklearkrieges. Lindseys Botschaft war eine klassische apokalyptische: Die aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Situation ist so schlecht, dass die Welt zu Ende gehen muss. Ronald Reagan hatte das Buch gelesen und es wiederholt erwähnt. 1980 sagte Reagan in einem Interview mit dem Fernsehprediger Jim Bakker:
"Wir könnten diejenige Generation sein, die Armageddon erlebt."
In den USA gibt es bis heute noch immer eine große Anzahl an Religionsgemeinschaften, die an die Apokalypse glauben – vor allem im extrem bibeltreuen evangelikalen Milieu. Die wahrscheinlich prominenteste Apokalypse-gläubige Religionsgemeinschaft sind die Zeugen Jehovas. Zwischen 1874 und 1975 bereiteten sich ihre Anhänger mindestens zehnmal auf den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang vor. Warum bleiben so viele Menschen bis heute im festen Glauben an die Apokalypse – auch wenn bis heute noch keine der Voraussagen eingetreten ist? Der Moralpsychologe Horst Heidbrink zitiert die Studie des amerikanischen Psychologen Leon Festinger:
"In der Mitte der 50er-Jahre haben amerikanische Psychologen eine Gruppe von Menschen beobachtet, die an eine apokalyptische Vision glaubten. Im Mittelpunkt dieser Gruppe stand eine Frau, die angeblich religiöse Botschaften von Engeln erhielt. [Die Gruppe bestand übrigens durchaus aus gebildeten Menschen.] Eine der Botschaften enthielt nun die Mitteilung, dass an einem bestimmten Tag eine große Springflut den größten Teil des Landes überfluten würde."
Errettet werden sollten nur die Mitglieder der Gruppe – und zwar durch UFOs. Die Anhänger gaben Beruf und Besitz auf. Aber am geweissagten Tag stellten sich weder die UFOs noch die Springflut ein. Tags darauf erklärte die Frau, Gott habe ihr in einer neuen Botschaft mitgeteilt, dass er die Apokalypse aufgehalten habe – und zwar wegen der Gruppe und deren Ausstrahlung.
Horst Heidbrink: "Dieselben Leute, die vor dieser ausgebliebenen Flut alle Publizität gescheut hatten, riefen nun plötzlich alle Zeitungen an und gaben tagelang Interviews. Festinger erklärte das Verhalten mit der damals von ihm entwickelten Theorie der ‚kognitiven Dissonanz’. Diese Dissonanz bezog sich in der Gruppe auf die Erwartung und natürlich auf die Enttäuschung dieser Erwartung. Jeder einzelne wäre vermutlich für sich zu dem Schluss gekommen, dass er einer Falschmeldung aufgesessen war. Je mehr Leute allerdings der göttlichen Botschaft vertrauen würden, also dass die Gruppe selbst die Welt gerettet hätte, desto geringer würden die eigenen Zweifel werden."
Mit anderen Worten: Indem wir andere überzeugen, reduzieren wir unsere eigenen Zweifel. Horst Heidbrink bringt aber noch eine andere Interpretation des Glaubens an die Apokalypse ins Spiel:
"Also im Anschluss eigentlich daran ist man heute auch der Meinung, dass viele Menschen so etwas haben wie einen Glauben an eine gerechte Welt. Hiermit ist gemeint, dass wir es gerne hätten, dass die Menschen das bekommen, was sie verdient haben. Wenn die Bösen belohnt und die Guten bestraft werden, dann erzeugt dies bei uns Ärger oder zumindest Unbehagen, das ist dann auch so eine Form von kognitiver Dissonanz, die wir eigentlich versuchen zu reduzieren. Wobei dann diese apokalyptischen Visionen eigentlich so etwas wie die finale Realisierung der gerechten Welt darstellen, da werden die Bösen ja nun wirklich vernichtet, und die Guten werden mit dem Paradies belohnt."
Die Apokalypse ist und bleibt ein Faszinosum, das viele Menschen umtreibt, eben weil es an grundsätzliche Züge des Menschseins rührt. Die Apokalypse kann ein Instrument zur drastischen Vereinfachung einer zunehmend komplexeren Welt sein. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz nennt in einem Essay in der Zeitschrift Chrismon vom November 2008 noch einen weiteren Grund für ihre Anziehungskraft:
"Zugleich wirkt in der apokalyptischen Drohung aber auch die Verheißung, die eigene Existenz mit der Welt zu synchronisieren."
Was bedeutet: Das Entscheidende geschieht in der eigenen Lebenszeit. Man könnte die Apokalypse also auch als Auswirkung einer narzisstischen Kränkung betrachten. Das menschliche Leben ist endlich – warum sollte dann nicht auch der Lauf der Welt endlich sein?
Und nicht zuletzt ist die Apokalypse aufgrund ihrer tiefen Verwurzelung in vielen Kulturen und Traditionen und ihrer Geschichte auch eine Diskursmacht, der wir uns nur schwer entziehen können.
A.K. Nagel: "Was wir, glaube ich, sein sollten, ist wachsam sein, wachsam gegenüber der Kontinuität apokalyptischer Deutungsmuster da, wo wir sie nicht erwarten. Und wo sie uns vielleicht zu voreiligen Schlüssen bringen können, wo wir keine voreiligen Schlüsse fällen sollten. Und es kommt auch gar nicht darauf an, dass man es konspirativ so wendet, dass man sagt: Die Politiker bedienen sich – vielleicht sogar intentional – apokalyptischer Redeformen, um uns sozusagen Entscheidungen abzuringen oder die von uns zu erschleichen. Vielleicht ist das eher so nolens volens, ganz unwillkürlich gibt es eine Kontinuität rhetorischer Figuren, die zum Beispiel auf eine kategoriale Entscheidung hinzwingen, wo vielleicht gar keine kategoriale Entscheidung gut oder böse, A oder B, sondern vielleicht ein Kompromiss, ein Aushandlungsprozess für alle günstiger gewesen wäre."
Florian Werner: "Wenn das in anderen Zeiten oder in anderen Kontexten und Kulturen auftaucht, ist es ja sehr leicht, sich zu distanzieren und zu sagen: Leute, seht doch mal den größeren Zusammenhang. Aber wenn man sich dann eben wirklich die drohende Klimakatastrophe anschaut und dafür vielleicht ein gewisses ökologisch sensibilisiertes Gespür hat, dann kann auch ich selber mich nicht ganz davon freimachen, dass ich denke: Mein Gott, kann das weitergehen? Also, ich hoffe es natürlich, aber… vielleicht werden wir in 50 Jahren genauso drüber lächeln über die Ängste, die wir heute hatten vor der Klimakatastrophe oder vor dem Finanzkollaps und dem Zusammenbruch aller Banksysteme, wie wir heute vielleicht die Millerites belächeln, die im 19. Jahrhunderts das Ende der Welt befürchteten oder die Wiedertäufer im 14., 15. Jahrhundert."
Klaus Vondung: "Wir können nicht ungeschehen machen, dass 2000 Jahre lang es immer wieder apokalyptische Visionen gegeben hat in dieser und jener Form und das wird es vermutlich auch weiterhin geben."