Die Welt ist "eindeutig lauter geworden"
Der Mensch halte bis zu einem gewissen Maß Lärm aus, erklärt Bernd Chibici, Autor des Buches "Die Lärmspirale". Man müsse ihn aber auch mit Ruhephasen kompensieren, "ein Äquivalent zum Lärm schaffen", sagt Chibici anlässlich des heutigen Tages gegen den Lärm.
Gabi Wuttke: Ob Sie es mögen oder nicht: Sie hören jetzt 24 Sekunden lang dies:
O-Ton Lärm:
Wuttke: Ein Flugzeug im Landeanflug, viele Menschen in einem Lokal, eine Feuerwehr und eine Kreissäge, sie machen Lärm. Ist das ein Faktum, oder eine Frage der Empfindung? Womit hat das zu tun und können wir dem Lärm entgehen?
Das fragen wir am heutigen internationalen Tag gegen Lärm den Buchautor Bernd Chibici. Einen schönen guten Morgen nach Graz!
Bernd Chibici: Einen schönen guten Morgen nach Deutschland!
Wuttke: Was macht Lärm aus? Ist das nur eine hohe Dezibel-Zahl?
Chibici: Es ist schon einmal eine hohe Dezibel-Zahl, aber es ist ein sehr komplexes Bild, das sich da ergibt. Eine sehr einfache Definition sagt, dass Lärm einfach die Geräusche der anderen sind. Das ist die einfachste Definition. Eine wichtige Rolle spielt aber auch die persönliche Einstellung gegenüber einem Geräusch.
Meine persönliche Lieblingsmusik kann für den Nachbarn ein Albtraum sein, wenn er die Musikrichtung nicht mag, oder vielleicht auch einfach, wenn sie ihn zum falschen Zeitpunkt erwischt, denn gerade der falsche Zeitpunkt ist ein wichtiger Faktor. Der falsche Zeitpunkt kann der sein, wo man gerade unter Stress steht, wo man müde ist, oder - das ist ein Punkt, der mich besonders berührt - man kann auch krank sein, man kann einfach in schwierigen Lebensumständen sein, und dann kann ein für den Nachbarn vermeintlich angenehmes Geräusch einfach auch schon zum Albtraum werden.
Wuttke: Inwiefern, wenn man krank ist? Was meinen Sie da genau?
Chibici: Menschen, die krank sind, die müde sind, haben eine erhöhte Lärmsensibilität, und für diese Menschen ist einfach Lärm viel, viel schwieriger. Das bedenken wir zu wenig.
Wuttke: Nun gibt es ja Menschen, die sagen, früher ist immer alles besser gewesen und deshalb sind die Zeiten jetzt schlechter. Das heißt, sie sind lauter geworden. Wenn wir jetzt, wie Sie es beschrieben haben, über diesen subjektiven Faktor das Thema Lärm besprechen, heißt das, nachweislich ist die Welt gar nicht lauter geworden, oder doch schon auch?
Chibici: Doch, die Welt ist ganz eindeutig lauter geworden. Man geht davon aus, dass die Welt jährlich um ein halbes bis ganzes Dezibel lauter wird. Aber es gibt viele ganz konkrete Beispiele dafür, wie die Welt lauter geworden ist, zum Beispiel Folgetonhörner. Man hat bei Ihnen eines sehr schön gehört in Ihrem Lärmmix. Diese Folgetonhörner sind um 40 Dezibel lauter geworden, als sie noch vor 100 Jahren waren, denn die Folgetonhörner vor 100 Jahren, die wären heute so etwas wie ein Mäusehusten, da würde keiner zur Seite fahren.
Oder zum Beispiel man weiß ganz genau, dass Orchester um vieles lauter geworden sind, übrigens mit fatalen Folgen für Berufsmusiker. Der Titel meines Buches lautet "Die Lärmspirale". Es gibt sie, diese fatale Dynamik, dass die Welt einfach lauter und lauter wird, und die spannende Frage ist, wann haben wir die Grenze erreicht.
Wuttke: Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Aber wenn Sie sagen, dass diese Hörner sich im Laufe der Jahrzehnte an ihre Umgebung anpassen mussten, um noch gehört zu werden, dann stellt sich ja auch die Frage, ob man an einem ruhigen Ort ein Geräusch auch subjektiv als lauter erlebt. Besteht immer beim Empfinden des Lärms eine Proportion zwischen der Umgebung und dem Geräusch, das ich aktuell an diesem Ort höre?
Chibici: Selbstverständlich höre ich unter ruhigen Rahmenbedingungen besser. Das heißt aber jetzt nicht unbedingt, dass das Geräusch dann zu Lärm wird. Ich höre einfach besser, was in einer bestimmten Situation, die mich besonders interessiert, wie ich überhaupt zum Thema Lärm gekommen bin, besonders bewegt, denn gerade Gesprächssituationen brauchen eine ruhige Umgebung und das ist etwas, was man in unserer Zeit zu wenig bedenkt.
Der Dialog von Mensch zu Mensch ist so was wie das Fundament unseres Zusammenseins, und auch dieses Fundament wackelt in einer zu lauten Umgebung.
Wuttke: Hören wir doch jetzt mal ganz kurz, wie es sich anhört, wenn es knallt und quakt. Der eine mag sagen, es ist Lärm, und der andere sagt, nein, Lärm kann das doch nicht sein.
O-Ton quakende Frösche und ein Knall:
Wuttke: Herr Chibici, wie kann es sein, dass ein Frosch uns nervtötend laut vorkommt, aber ein knallendes Gewitter auch als romantisch oder urgemütlich empfunden werden kann? Sie haben schon gesagt, Lärm zu empfinden, mal abgesehen von ganz klaren messbaren Faktoren, hat was mit Stress zu tun, hat was mit der Befindlichkeit zu tun. Hat Lärm und wie wir ihn empfinden wo möglich auch was mit Erinnerung zu tun, mit Bildern, die wir damit verbinden?
Chibici: Auf alle Fälle!
Wuttke: Wobei ich nicht sagen kann, dass ich jetzt ganz tolle Erfahrungen mit einem Frosch gemacht habe. Aber ich empfinde ihn nicht als Lärm.
Chibici: Nein, es hat einfach schon, wie Sie richtig gesagt haben, mit Emotionen, mit Gefühlen, mit Einstellungen zu tun, und ich halte den Frosch für ein wunderbares Beispiel, denn wenn ich nach einer anstrengenden Woche in die freie Natur rauskomme und die Frösche quaken höre, dann bin ich wahrscheinlich sehr positiv bewegt und werde das als Ohrenschmaus empfinden.
Hingegen wenn ich abends müde nachhause komme - und ich habe ein Haus im Grünen - und dann legen die Frösche so richtig los, dass ich nicht schlafen kann, dann werde ich wahrscheinlich darüber nachdenken, was ich gegen dieses Gequake denn tun könnte.
Wuttke: Sie könnten sich zum Beispiel eine einsame Insel kaufen. Sie könnten sich aber sicherlich - und das haben Sie sich ja auch in Ihrem Buch überlegt - überlegen, wie man ein stressfreieres Verhältnis zum Lärm entwickeln kann. Wie denn?
Chibici: Das geht aus meiner Sicht relativ einfach. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der man den Lärm ja nicht einfach ausradieren kann. Der Mensch hält auch bis zu einem gewissen Maß - und dahinter gehört jetzt ein Rufzeichen -, bis zu einem gewissen Maß Lärm aus. Das heißt, wir müssen den Lärm auch kompensieren mit Ruhephasen, mit Ruhezonen und wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir einfach ein Äquivalent zum Lärm schaffen.
Und wenn wir, wenn ich das so salopp formulieren darf, mal für ein paar Stunden die Sau rauslassen und extrem laute Musik hören - ich höre auch gern laute Musik, im Auto zum Beispiel -, dann muss ich mir dessen bewusst sein, dass ich eben einen Gegenpol bilden muss und eine Ruhephase brauche und dann ist das alles halb so schlimm.
Wuttke: Am heutigen Tag gegen den Lärm plädiert Bernd Chibici für ein Austarieren von Stille und Lärm, um beides gut zu ertragen. Man kann ja auch bei der Stille mal die Wand hochgehen. In Deutschlandradio Kultur danke ich Ihnen sehr. Noch der Hinweis auf das Buch "Die Lärmspirale - vom Umgang mit einer immer lauteren Welt". Herr Chibici, machen Sie es gut, vielen Dank.
Chibici: Ich danke herzlich für das Gespräch, schöne Grüße an die Frösche.
Wuttke: Gleichfalls!
Chibici: Danke, auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Lärm:
Wuttke: Ein Flugzeug im Landeanflug, viele Menschen in einem Lokal, eine Feuerwehr und eine Kreissäge, sie machen Lärm. Ist das ein Faktum, oder eine Frage der Empfindung? Womit hat das zu tun und können wir dem Lärm entgehen?
Das fragen wir am heutigen internationalen Tag gegen Lärm den Buchautor Bernd Chibici. Einen schönen guten Morgen nach Graz!
Bernd Chibici: Einen schönen guten Morgen nach Deutschland!
Wuttke: Was macht Lärm aus? Ist das nur eine hohe Dezibel-Zahl?
Chibici: Es ist schon einmal eine hohe Dezibel-Zahl, aber es ist ein sehr komplexes Bild, das sich da ergibt. Eine sehr einfache Definition sagt, dass Lärm einfach die Geräusche der anderen sind. Das ist die einfachste Definition. Eine wichtige Rolle spielt aber auch die persönliche Einstellung gegenüber einem Geräusch.
Meine persönliche Lieblingsmusik kann für den Nachbarn ein Albtraum sein, wenn er die Musikrichtung nicht mag, oder vielleicht auch einfach, wenn sie ihn zum falschen Zeitpunkt erwischt, denn gerade der falsche Zeitpunkt ist ein wichtiger Faktor. Der falsche Zeitpunkt kann der sein, wo man gerade unter Stress steht, wo man müde ist, oder - das ist ein Punkt, der mich besonders berührt - man kann auch krank sein, man kann einfach in schwierigen Lebensumständen sein, und dann kann ein für den Nachbarn vermeintlich angenehmes Geräusch einfach auch schon zum Albtraum werden.
Wuttke: Inwiefern, wenn man krank ist? Was meinen Sie da genau?
Chibici: Menschen, die krank sind, die müde sind, haben eine erhöhte Lärmsensibilität, und für diese Menschen ist einfach Lärm viel, viel schwieriger. Das bedenken wir zu wenig.
Wuttke: Nun gibt es ja Menschen, die sagen, früher ist immer alles besser gewesen und deshalb sind die Zeiten jetzt schlechter. Das heißt, sie sind lauter geworden. Wenn wir jetzt, wie Sie es beschrieben haben, über diesen subjektiven Faktor das Thema Lärm besprechen, heißt das, nachweislich ist die Welt gar nicht lauter geworden, oder doch schon auch?
Chibici: Doch, die Welt ist ganz eindeutig lauter geworden. Man geht davon aus, dass die Welt jährlich um ein halbes bis ganzes Dezibel lauter wird. Aber es gibt viele ganz konkrete Beispiele dafür, wie die Welt lauter geworden ist, zum Beispiel Folgetonhörner. Man hat bei Ihnen eines sehr schön gehört in Ihrem Lärmmix. Diese Folgetonhörner sind um 40 Dezibel lauter geworden, als sie noch vor 100 Jahren waren, denn die Folgetonhörner vor 100 Jahren, die wären heute so etwas wie ein Mäusehusten, da würde keiner zur Seite fahren.
Oder zum Beispiel man weiß ganz genau, dass Orchester um vieles lauter geworden sind, übrigens mit fatalen Folgen für Berufsmusiker. Der Titel meines Buches lautet "Die Lärmspirale". Es gibt sie, diese fatale Dynamik, dass die Welt einfach lauter und lauter wird, und die spannende Frage ist, wann haben wir die Grenze erreicht.
Wuttke: Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Aber wenn Sie sagen, dass diese Hörner sich im Laufe der Jahrzehnte an ihre Umgebung anpassen mussten, um noch gehört zu werden, dann stellt sich ja auch die Frage, ob man an einem ruhigen Ort ein Geräusch auch subjektiv als lauter erlebt. Besteht immer beim Empfinden des Lärms eine Proportion zwischen der Umgebung und dem Geräusch, das ich aktuell an diesem Ort höre?
Chibici: Selbstverständlich höre ich unter ruhigen Rahmenbedingungen besser. Das heißt aber jetzt nicht unbedingt, dass das Geräusch dann zu Lärm wird. Ich höre einfach besser, was in einer bestimmten Situation, die mich besonders interessiert, wie ich überhaupt zum Thema Lärm gekommen bin, besonders bewegt, denn gerade Gesprächssituationen brauchen eine ruhige Umgebung und das ist etwas, was man in unserer Zeit zu wenig bedenkt.
Der Dialog von Mensch zu Mensch ist so was wie das Fundament unseres Zusammenseins, und auch dieses Fundament wackelt in einer zu lauten Umgebung.
Wuttke: Hören wir doch jetzt mal ganz kurz, wie es sich anhört, wenn es knallt und quakt. Der eine mag sagen, es ist Lärm, und der andere sagt, nein, Lärm kann das doch nicht sein.
O-Ton quakende Frösche und ein Knall:
Wuttke: Herr Chibici, wie kann es sein, dass ein Frosch uns nervtötend laut vorkommt, aber ein knallendes Gewitter auch als romantisch oder urgemütlich empfunden werden kann? Sie haben schon gesagt, Lärm zu empfinden, mal abgesehen von ganz klaren messbaren Faktoren, hat was mit Stress zu tun, hat was mit der Befindlichkeit zu tun. Hat Lärm und wie wir ihn empfinden wo möglich auch was mit Erinnerung zu tun, mit Bildern, die wir damit verbinden?
Chibici: Auf alle Fälle!
Wuttke: Wobei ich nicht sagen kann, dass ich jetzt ganz tolle Erfahrungen mit einem Frosch gemacht habe. Aber ich empfinde ihn nicht als Lärm.
Chibici: Nein, es hat einfach schon, wie Sie richtig gesagt haben, mit Emotionen, mit Gefühlen, mit Einstellungen zu tun, und ich halte den Frosch für ein wunderbares Beispiel, denn wenn ich nach einer anstrengenden Woche in die freie Natur rauskomme und die Frösche quaken höre, dann bin ich wahrscheinlich sehr positiv bewegt und werde das als Ohrenschmaus empfinden.
Hingegen wenn ich abends müde nachhause komme - und ich habe ein Haus im Grünen - und dann legen die Frösche so richtig los, dass ich nicht schlafen kann, dann werde ich wahrscheinlich darüber nachdenken, was ich gegen dieses Gequake denn tun könnte.
Wuttke: Sie könnten sich zum Beispiel eine einsame Insel kaufen. Sie könnten sich aber sicherlich - und das haben Sie sich ja auch in Ihrem Buch überlegt - überlegen, wie man ein stressfreieres Verhältnis zum Lärm entwickeln kann. Wie denn?
Chibici: Das geht aus meiner Sicht relativ einfach. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der man den Lärm ja nicht einfach ausradieren kann. Der Mensch hält auch bis zu einem gewissen Maß - und dahinter gehört jetzt ein Rufzeichen -, bis zu einem gewissen Maß Lärm aus. Das heißt, wir müssen den Lärm auch kompensieren mit Ruhephasen, mit Ruhezonen und wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir einfach ein Äquivalent zum Lärm schaffen.
Und wenn wir, wenn ich das so salopp formulieren darf, mal für ein paar Stunden die Sau rauslassen und extrem laute Musik hören - ich höre auch gern laute Musik, im Auto zum Beispiel -, dann muss ich mir dessen bewusst sein, dass ich eben einen Gegenpol bilden muss und eine Ruhephase brauche und dann ist das alles halb so schlimm.
Wuttke: Am heutigen Tag gegen den Lärm plädiert Bernd Chibici für ein Austarieren von Stille und Lärm, um beides gut zu ertragen. Man kann ja auch bei der Stille mal die Wand hochgehen. In Deutschlandradio Kultur danke ich Ihnen sehr. Noch der Hinweis auf das Buch "Die Lärmspirale - vom Umgang mit einer immer lauteren Welt". Herr Chibici, machen Sie es gut, vielen Dank.
Chibici: Ich danke herzlich für das Gespräch, schöne Grüße an die Frösche.
Wuttke: Gleichfalls!
Chibici: Danke, auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.