Utopie einer gerechten Verteilung
Unsere Wirtschaft ist globalisiert. Die Finanzströme sind es auch. Eine Weltregierung, die für all das einen ordnungspolitischen Rahmen setzen könnte, gibt es nicht. Aber wäre das nicht eine bessere Alternative als die bisherigen Nationalregierungen?
Angekommen in Dänemark. Ich bin in einem Europa der offenen Grenzen aufgewachsen - und jetzt? Kurz hinter Flensburg musste ich gerade eben am Schlagbaum meinen Ausweis vorzeigen. Das kleine Land mit seinen fünf Millionen Einwohnern will wissen, wer da kommt.
Ich sitze im Wintergarten von Landwirt Holger Lauritzen. Er ist Mitte 70 und hat bis vor kurzem gearbeitet. Er macht sich Sorgen. Wie viele Dänen. Um Migration, Muslime und um den Wohlstand. In Dänemark sind gerade mehrere kleine rechte Parteien entstanden. Rechter als die ohnehin schon sehr konservative Dänische Volkspartei.
Autor: "Wenn heute am Sonntag Wahlen wären. Welche Partei würden Sie wählen?"
Holger Lauritzen: "Schwer zu sagen - nun hab ich ja viele Jahre im Stadtrat gesessen, für die Dänische Volkspartei, aber jetzt haben wir ja eine neue Partei, da müssen wir mal sehen, ob ich die wähle oder 'ne andere. So, wie ich das verstanden habe, aber ich hab das nicht so verfolgt, will die Partei nicht mehr so viele Flüchtlinge aufnehmen. Ist ja jetzt besser geworden, es kommen nicht mehr so viele, weil die Grenze ein bisschen bewacht wird.
Und sie wollen an den Ausländern sparen, und das soll den Dänen zugute kommen. Das ist meiner Meinung nach auch erst mal richtig, denn wir haben ja auch dafür gesorgt, dass Dänemark heute so ist, wie es ist."
Dänemark ist eines der reichsten Länder der Erde. Der Staat bietet hohe Sozialleistungen. Die Weltbank sieht das Land auf Platz vier der wirtschaftsfreundlichsten Staaten weltweit. Dennoch: Die politische Situation ist wie in fast ganz Europa fragil. Die aktuelle Minderheitenregierung Dänemarks unter Führung der Liberalen könnte jeden Augenblick zerbrechen. Der Nationalismus wächst.
Heute: eine Ökonomie der Ungleichheit
Und in den USA? "Make America great again". Sarah Leonard, 28 Jahre alt aus New York City ist Co-Autorin des Buches "Die Zukunft, die wir wollen". Darin fordert die linke Journalistin radikale Änderungen am politischen System des Westens:
"Wir haben diese Themen: Massenmigration, die Stagnation sogar direkt nach der Rezession. Die Leute fühlen, dass sie keinen Einfluss auf diese Mechanismen haben, nichts verändern können. Der Erfolg der populistischen Parteien ist da keine Überraschung."
Auf der Erde leben circa sieben Milliarden Menschen. Die Nichtregierungsorganisation "Oxfam" sagt: 62 der reichsten Einzelpersonen besitzen ebenso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Staatsregierungen retten Banken, sobald diese mit unseriösen Wettgeschäften ins Wanken geraten. Steueroasen ermöglichen, dass internationale Großkonzerne allein in den Schwellen- und Entwicklungsländern 100 Milliarden US-Dollar jährlich an Steuern sparen.
Die Ökonomie der Ungleichheit. Wirtschafts- und Machtinteressen sind es auch, die hinter den Kriegen in Syrien und der Ukraine stehen. Flüchtlingsströme sind das Resultat von Armut und Krieg. Wie können wir all diesen Wahnsinn stoppen?
Albert Einstein sprach schon 1946 von einer Weltregierung
Vor siebzig Jahren, 1946, dachte ein berühmter Wissenschaftler unter dem Eindruck von Hiroshima laut über eine Lösung nach. Über die Schaffung einer Weltregierung. Albert Einstein. Ein Gespräch mit Studierenden. Live übertragen im Radio.
"Wirtschaftliche Verflechtung macht die Schicksale der Völker in viel höherem Grade voneinander abhängig, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Die verfügbaren Angriffswaffen sind von solcher Art, dass kein Ort auf der Erde gegen plötzliche totale Vernichtung gesichert ist. Die einzige Hoffnung für Schutz liegt in der Sicherung des Friedens auf übernationalem Wege. Es muss eine Weltregierung geschaffen werden, welche Konflikte zwischen Nationen durch richterliche Entscheidungen zu lösen imstande ist. Diese Entscheidungen müssen auf eine klare Verfassung gegründet werden, welche von den Regierungen und Völkern gebilligt ist, und welche allein über die Angriffs-Waffen zu verfügen hat."
Student: "Herr Professor Einstein, worin liegt der Unterschied zwischen einer Weltregierung und den Vereinten Nationen?"
Albert Einstein: "Unter dem Begriff "Weltregierung" verstehe ich eine Institution, deren Entscheidungen und Gesetze die einzelnen Mitgliedsstaaten binden. In ihrer gegenwärtigen Funktion haben die Vereinten Nationen nicht die Machtbefugnisse einer Weltregierung, da ihre Entscheidungen die einzelnen Mitgliedstaaten nicht binden."
Student: "Glauben Sie, dass der unter Nationen herrschende Hass und Neid durch eine Weltregierung überwunden werden kann?"
Albert Einstein: "Über die Errichtung einer Weltregierung wurde schon lange vor der Globalisierung nachgedacht. Immanuel Kant schrieb darüber in seinem Traktat "Zum ewigen Frieden"."
Jahre später träumte der chinesische Philosoph Kāng Yǒuwéi - er lebte von 1858 bis 1927 - in seinem Werk "Die große Harmonie" von einer vollkommenen Gesellschaft. Um Leid zu lindern, sei es notwendig Staaten, politische Unordnung, Klassen-, Arten- und Rassenunterschiede, Familie und Privateigentum abzuschaffen. Eine Weltregierung müsse her.
Und: der Philosoph Jürgen Habermas spricht Anfang der 2000'er Jahre von einer Weltgesellschaft. Nur durch sie sei es möglich, die global entfesselten gesellschaftlichen Kräfte zu zähmen.
Hier geht es nicht um eine Weltverschwörung. Nicht um die Bilderbergkonferenz oder elitäre Dynastien. Sondern um nichts Geringeres, als um die Utopie eines neuen demokratischen Systems.
Eine Weltregierung mit Zwei-Kammern-Parlament?
Greifswald, im Herbst 2016. Der Politikwissenschaftler Hubertus Buchstein ist Autor des Buches "Demokratie und Lotterie". Ein Plädoyer für eine entpersonalisierte Herrschaftsform.
Autor: "Glauben Sie denn, dass so was wie eine Weltregierung Sinn machen würde?"
Hubertus Buchstein: "Ich denke, dass so etwas Sinn machen würde! Wir haben ja eine ganz lange Tradition, auch in der politischen Theorie, in der politischen Philosophie von Kant und anderen ausgehend, mit der Diskussion, ist eine solche kosmopolitische Weltregierung vorteilhaft oder nicht? Die große Sorge derer, die dagegen sind, auch Kant ist ja dagegen, die Sorge ist, dann gäbe es eine Weltdiktatur und hier wäre mein Gegenargument, ich meine, das sind alles fast schon akademische Glasperlenspiele, wenn man sich die Weltsituation im Augenblick anschaut, aber hier wäre mein Gegenargument, es kommt ganz darauf an, wie man das Ganze organisiert. Es muss Regelungen geben, die weltweit gelten. Die in dem Sinne eine positive Art von Globalisierung bringen."
Autor: "Was würden Sie denn machen, wenn Sie Präsident einer Weltregierung wären?"
Hubertus Buchstein: "Wenn ich Präsident einer Weltregierung wäre, dann würde ich Institutionen auf Weltebene verändern. Ich würde mir Gedanken machen, darüber, wie man als Präsident ein Weltparlament einrichten könnte und ich glaube, ich wäre für ein Zweikammern-System. In Deutschland haben wir den Bundestag und den Bundesrat, beide gewählte Körperschaften. Vielleicht könnte man auf Weltebene etwas Ähnliches aber in einigen Punkten anders machen. Also ein gewähltes Weltparlament oder auch delegiert und daneben ein 'House of Lots', also nicht 'House of Lords', sondern ein 'House of Lots'."
Hubertus Buchstein stellt sich eine Parlamentskammer "der Vielen" vor. Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen Welt kommen zusammen, um Politik zu machen. Das Besondere: Diese Menschen wurden nicht gewählt, sondern ausgelost. Es könnte Sie treffen, es könnte einen Hochseefischer aus Vietnam treffen, es könnte mich treffen.
Ein Obdachloser als Mitregierender?
Hubertus Buchstein: "Und ich wäre sehr dafür, dass eine solche ausgeloste Kammer aus Bürgern, die wäre ja auch entsprechend groß, bestimmt weit über tausend Personen, hätte Untergruppen, hätte Unterausschüsse, dass sie Initiativrecht hat. Dass sie die Möglichkeit hat bei bestimmten Maßnahmen des Weltparlaments oder gar mir als Weltpräsidenten Vetorechte auszuüben. So etwas würde mir als Utopie-Vorstellung vorschweben."
Die Weltregierung mit ihren zwei Kammern, sagt Hubertus Buchstein, solle nach dem Subsidiaritätsprinzip handeln. Das bedeutet: so viele Entscheidungen wie möglich sollten auf Lokalebene geklärt werden. So wenig wie nötig auf Weltebene. Ähnlich, wie schon theoretisch in der Europäische Union. Die großen Fragen - wie Klimawandel, Fischereirechte, Abrüstung von Waffensystemen kommen dann auf der großen Weltbühne zur Sprache. Ähnlich wie jetzt. Nur eben gerecht?
Autor: "Was haben Sie denn von Politikern für Reaktionen bekommen, als Sie dieses Losverfahren vor einigen Jahren in Ihrem Buch vorgestellt haben."
Hubertus Buchstein: "Zunächst einmal völlige Fassungslosigkeit. Dass käme ja dazu, dass irgendein betrunkener Mensch, der normalerweise nur vor 'Aldi' bei den Einkaufshallen steht, weil er Pfandflaschen sammelt, dass der ausgelost würde und das könne ja nicht sein, dass eine derart komplexe Materie, wie Politik sie ist, von diesen Personen entschieden würde.
Auch eben dieser vor "Aldi" stehende, vielleicht sogar alkoholisch angehauchte Mensch, in solch einer Losversammlung, das könnte ja sogar ein belebendes Element sein. Auch da hätte ich einfach mehr Vertrauen in die Beratungskompetenz und in die gemeinsame Gesprächskompetenz von Menschen. Ich meine, was haben wir denn im Augenblick und was ist Ausdruck des Populismus?
Auch hier wäre es so, eine ausgeloste Kammer. Stellen Sie sich vor, 800 Bürger der Bundesrepublik werden ausgelost und werden zu Grundfragen, man kann ja erst einmal sagen, dass sie nur eine beratende Funktion haben. Aber werden zu Grundfragen der Politik befragt. Ich bin ganz sicher, dass wir in Fragen etwa des Umgangs, Sozialpolitik, Rentenpolitik, soziale Gerechtigkeit, auch die Möglichkeiten und Rechte der Weiterentwicklung von Familienformen und die finanzielle Unterstützung von Alleinerziehenden, dass wir hier starke Veränderungen hätten gegenüber der jetzt betriebenen Politik."
New York. In den USA fallen die Wahltage immer auf einen Dienstag. Niemand bekommt extra für den Gang zur Wahlurne frei - gerade für Menschen mit mehreren Jobs nicht einfach. Auch nicht, sich in dieser Lebenslage überhaupt mit Politik zu beschäftigen. Journalistin Sarah Leonard:
"Wir müssen den Menschen Zeit geben, überhaupt politisch sein zu können. Wir müssen dafür sorgen, dass sie anständig bezahlt werden und dass sie sozial abgesichert sind. Am Abend haben sie keine Zeit zu ihrer Stadtversammlung zu gehen oder über ihre Themen zu sprechen. Um sich mit den Nachbarn zu organisieren. Wahlen sind nur ein kleiner Teil eines politischen Prozesses. Wenn die Wahlen fair sein sollen, dann musst du den Menschen die Freiheit geben, das ganze Jahr über politisch sein zu können."
Philosophen sind gefragt
Paris. Frankreich.
Cyril Lecerf Maulpoix: "Hallo, ich heiße Cyril Lecerf Maulpoix und ich bin Journalist. Ich werde jetzt einigen Leuten auf der Straße ein paar Fragen stellen.
Also, wenn Sie Präsidentin der Welt wären und darüber nachdenken müssten, wie man die Ungleichheit zwischen Arm und Reich auf der Welt beseitigen könnte, was würden Sie tun?
Frau: "Ich bin Realistin. Man kann nicht sagen, dass das System, so wie es ist, wirklich gut läuft. Es ist vor allem für Leute mit Geld von Vorteil. Man muss einfach die Regeln umsetzen, die es schon gibt."
Mann: "Vielleicht ist es der Kapitalismus, der nicht funktioniert. Also man hatte ja mal ein Gleichgewicht, zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Jetzt, mit der Abwesenheit des Kommunismus, braucht man ein anderes System. Ich glaube, wir erreichen das Ende der kapitalistischen Ära. Man muss andere Dinge ausprobieren. Wohl wissend, dass der Kapitalismus sich an alle politischen Systeme anpassen kann, nicht wahr?"
Mann: "Man muss darüber nachdenken, mein werter Herr. Aber wo sind diese Denker, die Ökonomen, die Philosophen? Es ist auch ihre Aufgabe. Man braucht die Philosophen, die diese Fragen stellen, die richtigen Fragen, und befriedigende Antworten geben."
Heutige Weltregierung: Ö-Magnaten und Rüstungsunternehmen?
Peter Kees: "Das bereitet mir unglaublich viel Kopfzerbrechen. Ich weiß da nicht wirklich eine Antwort drauf. Wir hatten ja am Telefon darüber gesprochen."
München. Spaziergang im Englischen Garten. Direkt an der bayerischen Staatskanzlei.
Peter Kees: "Also mein Name ist Peter Kees. Ich bin der Botschafter Arkadiens."
Der Konzeptkünstler sieht sich als Chefdiplomat eines poetischen Ortes der Rückbesinnung. Arkadien ist ein literarischer Gegenentwurf zur Verderbtheit der Zivilisation. Es geht um die Einheit der Menschen untereinander und mit der Natur.
Peter Kees: "Aber auch in der Philosophie. Also die Idee der bürgerlichen Freiheit zum Beispiel ist letztendlich Ausgeburt Arkadiens. Also hat auch eine politische Komponente."
Peter Kees bezeichnet sich nicht als Utopist. Die Errichtung einer Weltregierung ist wahnsinnig schwierig, sagt er. Dann hält er kurz inne. Haben wir nicht schon eine Art Weltregierung? Sind es nicht längst die Großkonzerne, die Öl-Magnaten und Rüstungsunternehmen, die Staaten lenken?
Peter Kees: "Wenn man mal bedenkt, ich weiß jetzt nicht mehr die Zahl genau, wie wenig Leute das sind, die überhaupt das Gesamtvermögen dieser Welt besitzen. Also ich fände zum Beispiel lustig ... man könnte sich ja mal überlegen, ob nicht Geld ein Verfallsdatum bekäme. Also das heißt jetzt nicht nur der Geldschein, sondern alles Geld, in welcher Form es auch immer angelegt ist, könnte doch möglicherweise irgendwann verfallen. Dass heißt, es müsste ausgegeben werden. Da müsste man natürlich konkrete Spielregeln sich überlegen, wie das funktioniert. Aber das Horten von Geldsummen würde damit unmöglich gemacht. Also es ist natürlich was dran, dass die Machtinteressen, die Geldinteressen Einzelner da ganz entscheidend unsere derzeitige politische Weltlage abbilden. Leider Gottes ist das so."
Könnte ein Ex-Banker Großkonzernen ethische Regel auferlegen?
Frankfurt am Main. Ich bin zu Gast auf der Veranstaltung einer großen deutschen Bank. Häppchen und Wein in der obersten Etage der Konzernzentrale. Der Blick reicht über die ganze Stadt. Niemand kommt höher. Durch die Fensterfront beobachte ich einen Rettungshubschrauber, der ein paar Etagen tiefer seine Bahnen zieht. Wer hier arbeitet, kann sich erhaben fühlen. Es gibt nur zwei angstbesetzte Themen, über die an diesem Abend nicht gesprochen werden darf. Griechenland und Deutsche Bank. Das hier ist ein geschlossenes System, sagt Rainer Voss. Der Aussteiger hat viele Jahre als Trader bei verschiedenen Investmentbanken gearbeitet. Millionendeals gehörten zu seinem täglich Brot. Bis zum Burn-out. Heute ist er Privatier und hat Zeit über die Weltläufe nachzudenken:
"Wir leben im Moment in einer Welt, wo sich wirklich viele Leute einen wirklich schlanken Fuß machen und das macht mich sehr wütend. Für die Aufklärung sind viele, viele Menschen gestorben. Alles wird unter dem Begriff der Verantwortung diskutiert und man geht zum "Hartzi" und sagt: Guck mal hier, da hast Du 200 Euro und wir helfen Dir, aber Du bist selbst für Dein Leben verantwortlich und wie Du jetzt klar kommst, musst Du jetzt mal gucken. Musst Du Dich anstrengen, ne. Verantwortung. Am anderen Ende des Spektrums haben wir Leute, die sich einen schlanken Fuß machen, indem sie sagen: Ja, ich weiß, ich hab mich unmoralisch verhalten und totale Scheiße gebaut.
Aber der Fortschritt hat mich dazu gezwungen oder die Globalisierung oder der Profitdruck. Das sind plötzlich Leute, die keinen freien Willen mehr haben. Die werden von einer magischen, magnetischen Kraft gesteuert. Das heißt, wir haben im Prinzip Kapitalismus für die Kleinen und Sozialismus für die Großen. Das ist eine Sache, die mich total wütend macht und wenn Sie die Frage nach der Weltregierung gefragt haben, das ist sicherlich etwas, was ich versuchen würde zu adressieren."
Was wäre, wenn Rainer Voss einer Weltregierung vorstehen würde? Könnte er mit seinem Insiderwissen den Großkonzernen und Banken klare, ethische Regeln auferlegen?
Autor: "Wäre es möglich globale Regeln herzustellen, für eine gerechte Verteilung, die der Wirtschaft, wer auch immer die Wirtschaft am Ende ist?
Rainer Voss: "Also, im heutigen Zustand ganz klar die Antwort ist nein. Weil so ein Blick aufs Große fehlt ja. Das ist ja auch das, was heute das Totenglöcklein für die EU läutet. Früher war die EU ja eine politische Idee. Heute ist die EU ja ein Wirtschaftskonstrukt, wo jedes Land versucht am meisten rauszuholen, was nicht funktionieren kann. Es ist ja ein Nullsummenspiel."
Autor: "Ja, gehen wir mal weiter das Spiel. Sie sind der Weltpräsident und wollen dafür sorgen, dass Leute, die in Bangladesch wohnen gut leben können, dass Leute, die in Australien wohnen gut leben können, dass Leute, die in Marzahn-Hellersdorf wohnen gut leben können."
Rainer Voss: "Also ich würde dann zunächst einmal differenzieren, wer richtig arm ist und wer es am dringendsten braucht. Da bin ich direkt bei Afrika. Weil die Migrationsbewegung, die da in den nächsten 30, 40 Jahren ausgelöst werden, basiert auf Einkommensungleichheiten im Wesentlichen. Vermögen gibt es da ja keines. Die zu adressieren scheint mir vorrangig. Weil ja auch die Art der Maßnahmen, die man dagegen ergreift, ist ja nichts, was morgen passiert. Da fliegst Du ja nicht mit dem Flugzeug hin und dann ist das Problem gelöst. Das sind ja Zyklen über Dekaden, wie sich solche Handelsströme umlenken.
Ich mach Ihnen ein Beispiel. Es gibt den sogenannten Hühnerpfennig. Das ist eine Art Börse für durchgenudelte Legehühner in Deutschland. Diese Hühner werden nach Afrika exportiert, über Benin. Also, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe importiert Benin zehn Millionen Geflügelfleisch bei acht Millionen Einwohnern. Also der Beniner scheint pro Jahr so eineinhalb Tonnen Hühnchen zu verspeisen, was natürlich Blödsinn ist. Das geht alles nach Nigeria weiter.
Und in Nigeria auf dem Markt kostet so ein Hühnchen dann weniger als ein Hühnchen aus lokaler Produktion. Was macht jetzt der nigerianische Bauer? Er geht erst mal, weil er von seinen Hühnern auf dem Land nicht leben kann in die Stadt. Stellt fest, Lagos ist eigentlich die Hölle. Jeder, der da war, weiß das. Dann nimmt der sich einen Schleuser, geht durch die Wüste und landet irgendwann auf einem Schlauchboot in Lampedusa. Und wir tun so, als hätten wir damit nichts zu tun. Angefangen hat's mit dem Hühnchen im Münsterland."
Rainer Voss: "Also ich halte die beiden Probleme Klimawandel und Verteilungsungerechtigkeit halte ich für die führenden Probleme unserer Zeit. Wir tun so, als wären zwanzig Senegalesen auf einem Schlauchboot ein Problem für Europa. Ist ja völlig absurd. Der Aktienkurs der Deutschen Bank ist ein Problem für Europa. Das ist richtig. Ja."
Manche Leute sagen, dass Probleme so genannt werden, weil es für sie absolut keine Lösung gäbe. Sonst wären es ja schließlich keine Probleme. Aber was, wenn die Probleme einfach keiner lösen will? Wie sollten wir sie dann nennen?
Kein Kapitalismus ist keine Lösung
Berlin. Ich übertrage die Amtsgeschäfte unserer fiktiven Weltregierung auf Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz.
Ulrike Herrmann: "Es können in einer Gesellschaft nicht alle reich sein. Das funktioniert nicht. Sondern, diese Idee - diese amerikanische Idee - jeder kann vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann schon rein logisch nicht funktionieren. In einer Gesellschaft werden nicht nur Millionäre sein. Wie denn?!"
Kein Kapitalismus sei auch keine Lösung, sagt die ausgebildete Bankkauffrau. Aber es müssten strengere Regeln her. Die durchzusetzen bislang keine nationale Regierung geschafft hat, denn die Globalisierung passiert ja... global. Es müssten sich alle einigen.
"Ich glaube als Allererstes würde ich die Devisenspekulation verbieten. Also die wird ja oft so unter ferner liefen behandelt. Nach dem Motto: Okay, gibt's irgendwie auch. Aber tatsächlich ist es so, dass die meisten ökonomischen Probleme in den Entwicklungs- und in den Schwellenländern dadurch entstehen, dass es eben einen schrankenlosen Freihandel für Geld gibt.
Man muss sich vorstellen, dass pro Tag, nicht pro Jahr, pro Tag vier bis fünf Billionen, nicht Milliarden, Billionen Dollar um den Erdball kreisen, um zu spekulieren. Dadurch werden dann die Kurse verzehrt, was eben bedeutet, dass dann alle Preise in den jeweiligen Ländern völlig falsch sind und dass zum Beispiel plötzlich die Exportwaren eines Landes viel zu teuer werden oder dass es plötzlich sich lohnt mit Immobilien in einem bestimmten Land zu spekulieren. Darunter leidet dann die normale Bevölkerung enorm.
Also erstens Devisenhandel wird komplett eingeschränkt, zweitens Derivate - das sind Wettinstrumente mit denen man auch auf Rohstoffe, Aktien und so weiter spekulieren kann - werden stark reguliert und weitgehend verboten. Und das Dritte ist, dass man darauf achten muss, dass die Banken nur Kredite vergeben, wenn es um reale Investitionen geht. Also man muss die Banken sehr stark kontrollieren und eigentlich muss es so sein, dass alle Banken tendenziell nur Sparkassen sind. Damit hätte man die Welt ein großes Stück gerechter gemacht."
Autor: "Glauben Sie, dass das realistisch ist, dass man das durchsetzen könnte?"
Ulrike Herrmann: "Ich glaube... ja. In der Form, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen zynisch, das ja völlig klar ist, dass es ziemlich bald wieder eine neue Finanzkrise geben wird. Die gesamte Geld- und Finanzarchitektur auf dieser Welt ist extrem instabil. Man sieht das ja daran, dass ehemals stolze Banken wie die Deutsche Bank enorm in Schwierigkeiten sind. Alle die in einer Bank arbeiten, wissen, dass die nächste Finanzkrise kommt. Wenn dass dann wieder eintritt, ist dann auch die Bevölkerung und die Politik soweit, dass sie der Ökonomie gar nicht mehr glaubt, sondern denkt, okay, wir müssen jetzt hier rigoros einschreiten."
Autor: "Wie lange geben Sie uns noch, bis die kommt?"
Ulrike Herrmann: "Also, wenn sie noch fünf Jahre weg ist, wäre das schon lange."
Wie das Einfahren in einen langen, dunklen Tunnel.
"Jeder Markt bedarf bestimmter Regeln"
Die Journalistin Sarah Leonard schreibt in ihrem Buch "Die Zukunft, die wir wollen": "Unser Ziel ist eine demokratische Wirtschaftsordnung, die zu einer größeren Freiheit führt, als wir sie vom gegenwärtigen Wirtschaftssystem jemals erhoffen können."
Menschen in armen Ländern begehren auf. Arme Menschen in reichen Ländern begehren auf. Das Problem: die einen haben Angst davor, abgeben zu müssen, und die anderen wollen diesen Lebensstil übernehmen. Doch die Ressourcen geben das nicht her.
Sollten wir Menschen tatsächlich Kant'sche Vernunftwesen sein, dann müssten wir uns doch irgendwo in der Mitte treffen. Ist die Weltregierung, wie Albert Einstein sie sich erhofft hat, eine Chance die Globalisierung in Bahnen zu lenken, die uns allen ein gutes Leben ermöglichen?
Rainer Voss: "Also ich denke, dass es perspektivisch - und jetzt rede ich über 100 Jahre oder 150 - eine Sache ist, an der wir nicht vorbeikommen. Die Frage ist, wie die sich einstellt. Ich glaube nur, wenn wir das nicht machen, wird die Erde in einem furchtbaren Chaos versinken."
Hubertus Buchstein: "Ist es überhaupt möglich, wird es überhaupt möglich sein in einer modernen ausdifferenzierten Gesellschaft politisch steuernd einzugreifen, im Wirtschaftsbereich. Und ich meine, dass die Vergangenheit ganz eindeutig dafür spricht, dass es möglich ist. Ein Markt existiert ja nicht einfach so, sondern jeder Markt, auch der Weltmarkt, bedarf bestimmter Regeln."
Globale Rohstoffdividende zur Besteuerung von Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Oder die Transaktionssteuer auf den Finanzmärkten.
Hubertus Buchstein: "Also da bin ich fest von überzeugt, dass man da sehr viel machen kann. Ich bin sehr viel skeptischer, ob das jemals passieren wird. Wenn ich ehrlich bin, ich glaub, dass das niemals passieren wird. Utopie heißt ja auch sozusagen der ortlose Ort. Also der Ort, der nie erreicht wird. Aber machbar müsste es sein, wenn es denn geschähe."
Ulrike Herrmann: "Ich glaube ja zwar auch, dass der Einfluss begrenzt ist. Aber wenn man es schon nicht ändern kann, dann sollte man es doch wenigstens spannend finden."
Jede internationale politische Handlung muss auf eine Weltregierung ausgerichtet sein
Das Gedankenspiel geht weiter. Im zweiten Teil des Zeitfragen-Features "Die Weltregierung".
Student: "Aus Ihrer letzten Antwort, Herr Professor Einstein, folgere ich, dass Sie die Schaffung einer Weltregierung innerhalb kürzester Frist als unausweichlich ansehen."
Albert Einstein: "Ohne Zweifel: Das ist eine absolute Notwendigkeit. Aus diesem Grund muss jede politische Handlung auf internationalem Gebiet von der Überlegung bestimmt sein, ob dadurch die Schaffung einer Weltregierung gefördert oder verhindert wird."
Radiosprecher: "You have just heard an address by Doctor Albert Einstein, world famous scientist. We return you now to our New York studios."
Was ist aus den Utopien und Visionen von Thomas Morus geworden? Der Schwerpunkt "Zukunft denken. 500 Jahre 'Utopia'" in Deutschlandradio Kultur sucht nach Antworten vom 18. bis 27. Dezember. Die Übersicht der Themen und alle bereits gesendeten Beiträge gibt es hier zu lesen und zu hören: Utopien in Politik, Gesellschaft und Kunst − Welche anderen Welten sind möglich?