Die Weltverbesserer - Teil 1

300 Millionen Bäume aufziehen

Tony Rinaudo schafft seit 35 Jahren Revolutionäres für die Baumaufzucht in Afrika. Hier beschneidet er einen jungen Baum in der Steppe.
Tony Rinaudo hat in 35-jähriger Arbeit eine Revolution in Afrika ausgelöst: Fast 300 Millionen Bäume konnten sich regenerieren. © World Vision / Silas Koch
Von Thomas Kruchem |
Tony Rinaudo ist als Gewinner des Alternativen Nobelpreises 2018 einer von vielen Weltverbesserern, die kaum jemand kennt. Sie haben Ideen, die zunächst einfach klingen, aber teilweise Großes leisten für Mensch und Natur. Auch Scheitern gehört dazu.

Im Weltzeit-Podcast hören Sie beide Folgen über "Die Weltverbesserer" - auch über einen argentinischen Automechaniker, der gerade die Geburtshilfe revolutioniert.

Addis Abeba, Äthiopien, im Februar 2008. 70 Grundschüler sitzen auf dem Boden eines Beton-Pavillons und wiederholen vom Lehrer Vorgesagtes. Wenige Kinder verstünden den Sinn des Vorgesagten, erklärt mir der deutsche Entwicklungshelfer Bernd Sandhaas:
"Hinzu kommt, dass die Ausstattung mit Schulbüchern sehr schlecht ist. Es ist bei weitem nicht so, dass jedes Kind ein Schulbuch hat, schon gar nicht in jedem Fach. In den meisten Fächern müssen sich immer mehrere Kinder ein Buch teilen – theoretisch. Ob das praktisch klappt, ist sehr fraglich."

Kapitel 1 - Bildungsvisionär Nicholas Negroponte

Einen Steinwurf entfernt eine andere Grundschule in Äthiopien. Hier tippt die achtjährige Imsaraj Ishatu emsig in ein kleines grünes Notebook. Eine Blase mit der Frage "sechs mal vier" erscheint auf dem Bildschirm. Flink gibt Imsaraj "24" ein. Ein munteres Glöckchen beschert ihr einen Punkt. Alle 67 Schüler in Imsarajs Klasse besitzen so ein grünes Notebook, das ihnen die "Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" GIZ geschenkt hat. Ein Notebook, das gerade 150 Euro kostet.
Die kleinen grünen Notebooks des Projekts "One Laptop per Child" sollten 2008 auch an dieser äthiopischen Schule eine Bildungs-Revolution auslösen.
Die kleinen grünen Notebooks des Projekts "One Laptop per Child" sollten 2008 auch an dieser äthiopischen Schule eine Bildungs-Revolution auslösen.© Thomas Kruchem
Die Idee dazu hatte 2005 der amerikanische Bildungsforscher Nicholas Negroponte, erklärt GIZ-Mitarbeiter Thomas Rolf. Sein Projekt "One Laptop per Child", "ein Notebook für jeden Schüler", solle helfen, die Bildungskluft zwischen Arm und Reich weltweit zu überbrücken, besonders in Entwicklungsländern. Hunderte Millionen Laptops sollten verteilt werden. Mit dem Computer sollten sich Kinder in armen Gesellschaften Wissen selbst erarbeiten und so einen Quantensprung in ihrem Leben vollziehen – den Sprung hin zu kritisch-analytischem und kreativem Denken.
"Das Umdenken von instruierendem Lehren zu konstruierendem Lehren ist der entscheidende Punkt innerhalb der Schule. Konstruieren heißt hinterfragen, nicht nur einfach Wissen absorbieren und auswendig lernen, sondern ausprobieren. Das ist das, wodurch kritisches Denken erzeugt wird. Kritik heißt immer, eine Frage stellen: Wie funktioniert das eigentlich? Wie klappt das?"
Die kleinen grünen Notebooks sind 2008 Spezialanfertigungen: Sie haben einen Flash-Speicher, der Bildschirm ist auch in gleißendem Sonnenlicht lesbar, der Akku wird mit einer Art Jojo aufgeladen. Die Notebooks können miteinander vernetzt werden. Und wenn ein Gerät im Schulhofgetümmel einmal zu Boden gehe, sei das auch nicht schlimm, sagt Thomas Rolf.
"Ich lass den jetzt mal aus circa einem Meter fallen. Also Sie sehen, er ist noch ganz normal an. Und sonst nichts weiter. Das sind halt Bedingungen, die Grundschulen dem Gerät zumuten werden."

Was ist aus dem Programm geworden?

Zehn Jahre später, im September 2018, rufe ich in Kalifornien an, bei Lee Felsenstein, dem Computer-Entwickler, der die ersten Laptops überhaupt baute. Was ist aus dem Programm "One Laptop per Child" geworden? "Ach je", sagt der Mann, der von Anfang an Studien anmahnte zum pädagogischen Nutzen der grünen Notebooks – speziell, wenn sie in Entwicklungsländern eingesetzt werden. Initiator Negroponte jedoch habe seine Mahnungen ignoriert, erzählt Felsenstein. Er habe stattdessen, wie ein Heilsprediger, bei Geldgebern, Entwicklungshelfern und Regierungen geworben.
"Da steckte eine enorme Arroganz in der Philosophie des Projekts: Wir sind so clever, dass wir für euch in den armen Ländern Computer entwickeln können. Ihr braucht sie nur zu benutzen – ohne große Einweisung. Und ihr werdet wunderbare Dinge damit tun. Als dann die Kinder ihre Computer bekamen, konnte ihnen niemand sagen, was sie damit anfangen sollten."
Mary Lou Jepsen und Nicholas Negroponte vom MIT Media Lab präsentieren 2005 den "100-Dollar-Computer" für Kinder.
Mary Lou Jepsen und Nicholas Negroponte vom MIT Media Lab präsentieren 2005 den "100-Dollar-Computer" für Kinder.© AP
Heute weiß die Wissenschaft, dass Notebooks die Lernerfolge von Grundschülern nicht verbessern – erst recht nicht in Dorfschulen armer Länder. Und – Robustheit hin, Robustheit her – nach einer Weile ging fast jeder der kleinen grünen Computer kaputt oder zumindest die Stromversorgung mit Solarzellen, Kurbeln oder Jojos gab den Geist auf. Ersatzteile gab es kaum.
"Wenn Sie Computer in eine Gegend bringen, wo es zuvor keine gab, müssen Sie die Versorgung mit Ersatzteilen sicherstellen. Sonst verteilen Sie nichts als den Elektroschrott von morgen."
Darüber, sagt Lee Felsenstein, hätten sich die Initiatoren des Projekts "One Laptop per Child" keine Gedanken gemacht. Trotzdem stürzten sich ab 2006 zahlreiche Entwicklungshelfer auf die grünen Notebooks. Das arme Peru kaufte eine Million Stück. Schon 2009 jedoch verpuffte die Begeisterung. Frust angesichts ausbleibender Lernerfolge und teuren Elektroschrotts machte sich breit. Insgesamt wurden bis heute drei Millionen der grünen Notebooks produziert – und nicht jene hunderte Millionen, die den Initiatoren vorschwebten. Das Projekt "One Laptop per Child" ist einen stillen Tod gestorben. – Computer in der Schule könnten hilfreich sein, sagt Entwickler Lee Felsenstein – aber nur, wenn sie sorgsam eingebettet sind in solide konzipierten Unterricht. Der große Fehler des Bildungsforschers Nicholas Negroponte sei gewesen, im Laptop eine Art Totem zu sehen, dessen bloßer Besitz Menschen erleuchtet.

Kapitel 2 - Waldmacher Tony Rinaudo

Niger in Westafrika. In der Südprovinz Maradi besuche ich das Dorf Gidan Jido. Bäume lieferten den Bauern hier, in der so genannten Sahelzone, seit Menschengedenken Feuerholz, Blätter und Früchte als Nahrungs-, Futter- und Heilmittel, erklärt Ibrahim Yahaya, Mitarbeiter der lokalen Hilfsorganisation Serving in Mission, kurz SIM. Die Blätter vieler Baumarten düngen die Äcker, ihre Wurzeln schützen die sandigen Böden vor Erosion.
"Vor hundert Jahren standen auf den Feldern hier noch viel mehr Bäume als heute – Arten wie Kalgo, Sabara oder Gao. Irgendwann aber sagten die französischen Kolonialherren den Bauern: 'Rodet die Bäume, baut stattdessen Ölpalmen an und Erdnüsse für den Export.' Später meinten Nigers Regierung und viele Hilfsorganisationen: 'Ihr braucht keine Bäume, ihr braucht Hirse und Sorghum.'"
Zwei Hände, gefüllt mit Hirsekörnern.
Anbau von Hirse in Afrika: Die Rodung für den Ackerbau schaffte Probleme.© picture alliance / Nic Bothma
Die Bauern rodeten die Bäume auf ihren Feldern. Und rasch degenerierten weite Regionen Süd-Nigers zu wüstenähnlichen Flächen. Leoparden, Affen und Elefanten verschwanden. Immer häufiger kam es zu Hungersnöten. Nigers Regierung reagiert, seit einem halben Jahrhundert, mit staatlichen Wiederaufforstungsprogrammen – erklärt Vincent Bado, Experte für Agroforstwirtschaft des internationalen Forschungsinstituts ICRISAT in Nigers Hauptstadt Niamey.
"In Niger und anderen Sahel-Ländern wie Senegal, Burkina Faso und Mali fördern die Regierungen seit Jahrzehnten das Anpflanzen von Bäumen. Die Regierung Nigers, zum Beispiel, stellt jedes Jahr Anfang August Millionen Setzlinge bereit, die die Bürger des Landes pflanzen sollen – dies allerdings zwei bis drei Wochen vor der langen Trockenzeit. Wer zu dieser Zeit hundert Bäume pflanzt, braucht dann schon viel Glück, wenn auch nur zehn seiner Bäume die Trockenzeit überstehen."
Fast alle Setzlinge, berichtet Bado, fielen Sandstürmen und der Trockenheit zum Opfer, den Termiten, den Ziegen und Feuerholz suchenden Menschen. Die Regierung Nigers und die Entwicklungshilfe hätten so Milliarden Euro in den Wüstensand gesetzt.

Ein Australier bringt die Wiederaufforstung in Gang

1983 aber kam ein junger Australier in den Süden Nigers: Tony Rinaudo, den sie heute den Waldmacher nennen. Rinaudo – sagt mir Vincent Bado mit leuchtenden Augen – entdeckte, dass von Bäumen entblößte Ackerflächen biologisch keineswegs tot waren. Nein, im Untergrund hatten zahllose Baumwurzeln, Stümpfe und Samen überlebt – Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alte Waldreste sozusagen, die regelmäßig zur Regenzeit neue Triebe entwickeln. Diese Triebe wurden bis dahin allerdings genauso regelmäßig von Ziegen abgefressen oder beim Abbrennen der Felder vernichtet. Die Gegenmaßnahme habe für Rinaudo auf der Hand gelegen, erklärt Agroforstwirtschafts-Experte Bado.
"Der Bauer muss, um sein Land wieder zu begrünen, keine neuen Bäume pflanzen. Er muss lediglich einige Baumtriebe erhalten. Er muss diese Triebe vor Ziegen und Feuer schützen und sie regelmäßig beschneiden – was er nebenbei tun kann während der Feldarbeit. Dann hat der Bauer nach drei, vier Jahren neue Bäume, die bestens an das lokale Klima und die lokalen Böden angepasst sind. Diese Technik, im Untergrund bereits vorhandene Bäume zu regenerieren, ist auch viel kostengünstiger als neue Setzlinge zu pflanzen."
Die Technik als solche war nicht neu. Sie wird seit Jahrhunderten weltweit eingesetzt, um abgeholzte Flächen wieder aufzuforsten. Neu war die beispiellose Dynamik, die der Waldmacher Tony Rinaudo in Gang setzte. Er packte die Bauern bei ihrem Eigeninteresse, die Erträge ihrer Felder zu erhöhen. Und die neue Methode der Wiederaufforstung verbreitete sich immer schneller in Niger.
Inzwischen haben Bauern hier fast 300 Millionen Bäume aufgezogen. Vielerorts hat sich die Baumdichte mehr als verzwanzigfacht – mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bauern und ihrer Familien.

Die Bäume verbessern die Lebensqualität

Ibrahim Hassan, der junge Chief, Häuptling des Dorfes Gidan Jido, schwärmt von den Tausenden Bäumen, die die Bauern seines Dorfs herangezogen haben: Der Kalgo liefere Bau- und Brennholz. Die Blätter von Sabara seien ein traditionelles Heilmittel. Der Star unter den Bäumen sei allerdings Gao, eine bis zu 20 Meter hohe, weit ausladende Akazie.
"Acacia albida, also Gao, wirft ihre Blätter während der Regenzeit ab und behält die Blätter während der Trockenzeit. So beschattet sie Hirsefelder und reduziert die Verdunstung im Boden. Die Blätter dieser Akazie liefern zudem ein hervorragendes Viehfutter. Und jeder Baum bindet Stickstoff aus der Luft, der der Düngewirkung von einer Tonne Mist entspricht. Felder, die mit 50 dieser Akazien pro Hektar besetzt sind, produzieren in der Regel doppelt so viel Hirse wie Felder ohne Bäume. Berücksichtigt man auch den Wert des Holzes, erzielen mit Acacia albida besetzte Felder sogar einen dreimal so hohen wirtschaftlichen Nutzen wie baumlose Felder."
Im Dorf Gidan Jido stehen inzwischen wieder zahlreiche Bäume neben Lehmhütten. Zwei Männer wandern vorbei.
Im Dorf Gidan Jido stehen inzwischen durch die Regenerierung wieder zahlreiche Bäume, wie auch anderswo in Niger.© Thomas Kruchem
Experten vermuten, dass allein die von Bauern betriebene Regeneration von Bäumen Nigers Nahrungsmittelproduktion um mindestens eine halbe Million Tonnen pro Jahr erhöht hat. Das entspricht dem Bedarf von zweieinhalb Millionen Menschen. Kein Wunder, dass die Ideen des Waldmachers zusehends in ganz Afrika Fuß fassen und darüber hinaus.
Als Mitarbeiter des Hilfswerks World Vision kämpft der inzwischen fast 60-jährige Tony Rinaudo weiter für sein Ideal mit Bäumen bestandener Felder – in Kenia, in Äthiopien, in bis heute 26 Ländern, mit rasant wachsendem Erfolg. Der australische Waldmacher, sagen die Experten, habe eine stille Revolution in Gang gesetzt – eine Revolution, die zur vielleicht größten positiven Umweltveränderung in Afrika während der letzten hundert Jahre führte. Dafür erhält er 2018 den "Alternativen Nobelpreis" der schwedischen Stiftung Right Livelihood Award Foundation.

Kapitel 3 - Wasserreiniger Peter Jacobsen

Nordtansania im Februar 2001. Eine junge Frau - gekleidet in nichts als einen grau-braunen sackähnlichen Fetzen. Ihr Rücken wirkt verzogen, der Kopf unförmig. Endovakai Namuaki kann seit Jahren nicht laufen. Ihr Leben verbringt sie kriechend am Boden einer kleinen Lehmhütte, chronische Schmerzen lindert Aspirin.
"Wir fanden Endavokai im vergangenen Jahr und brachten sie zu einem Arzt. Der untersuchte sie und sagte nur: 'Ich kann nichts tun.' Endavokai hat halt nicht nur eine stark verformte Wirbelsäule und extreme X-Beine, nein, buchstäblich alle ihre Knochen – an Armen, Beinen, Rumpf und Kopf – sind deformiert und deswegen wohl ist sie auch geistig zurückgeblieben."
Mit der Sozialarbeiterin Anna Mollel besuche ich Lemongo – ein Dorf im Kilimandscharo-Gebiet. Dutzende Kinder wanken auf uns zu – Kinder mit grotesk verkrümmten Beinen, mit verunstalteten Armen und Rumpf. Die Kinder seien behindert, weil sie das falsche Wasser trinken", erklärt Anna. Das einzig verfügbare Wasser im tansanischen Lemongo stammt aus einer Quelle am nahegelegenen Berg, der wiederum ein inaktiver Vulkan ist. Wasser aus Vulkangestein jedoch enthält viel Fluorid. In kleinen Mengen stabilisiert Fluorid Zähne und Skelett, aber in größeren Mengen kann es Zähne und Knochen zerstören. Das Trinkwasser Nordtansanias enthält bis zu hundert Milligramm Fluorid – 70-mal mehr als der Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation.
Im zarten Knochengewebe von Kindern führt so viel Fluorid zur Knochenerweichung. Einige Kinder in Lemongo haben deshalb eine grausame Operation hinter sich, bei der eingeflogene Chirurgen Knochen brechen, Teile herausnehmen, um sie woanders einzusetzen. Das soll, zum Beispiel, die Beine begradigen. Weil aber die Kinder danach meist wieder in ihre Dörfer zurückkehren und das Wasser dort trinken, sind die Verbesserungen nur von kurzer Dauer.
Eine Frau füllt Wasser in Plastikkanister an einem öffentlichen Brunnen in der kenianischen Hauptstadt Nairobi.
Für sauberes Trinkwasser müssen viele Menschen in Kenia selbst sorgen.© picture alliance / Mika Schmidt
Ortswechsel. Kurz nach meinem Aufenthalt in Tansania besuche ich Nyondia, ein Dorf im Hochland Kenias. Auch hier sind die Böden vulkanischen Ursprungs. Auch hier enthält das Trinkwasser aus Quellen und Tiefbrunnen viel Fluorid. Aber es gibt jemanden, der etwas dagegen tut: der dänische Umweltingenieur Peter Jacobsen. Er betreibt hier, für die katholische Diözese Nakuru, ein Projekt der Wasserreinigung, finanziert vom deutschen katholischen Hilfswerk Misereor. Jacobsen deutet auf zwei vier Meter hohe Tanks.
"Dies ist unser Wasserprojekt in Nyondia. Unsere Methode, das Wasser hier vom Fluorid zu befreien, besteht – schlicht und einfach – darin, einen Zementtank, etwa zur Hälfte, mit Granulat aus gebrannten Knochen zu füllen. Fließt dann Wasser durch dies Granulat, absorbieren die Knochenkörnchen das darin enthaltene Fluorid. Das Wasser, das unten aus dem Hahn kommt, ist nahezu fluoridfrei."

Eine günstige Methode mit großer Wirkung

Binnen weniger Jahre hat Peter Jacobsen im kenianischen Nakuru die weltweit erste Reinigung fluoridbelasteten Trinkwassers im großen Stil entwickelt – eine kostengünstige, einfache und umweltverträgliche Methode, die er seinen kenianischen Partnern immer wieder geduldig erklärt. Der dänische Ingenieur nutzt genau die Eigenschaft des Fluorids, die im menschlichen Körper verheerenden Schaden anrichtet: Fluorid wird von den wichtigsten Knochenbestandteilen, Calcium und Phosphat, geradezu magnetisch angezogen. – Wenige Kilometer von Nyondia entfernt hat Jacobsen seine Zentrale aufgebaut, von der aus er 20 Filteranlagen betreut: einen Maschinenschuppen, neben dem Berge bleicher Rinderknochen lagern, zwei selbst gebaute Brennöfen.
"Wir brennen die Knochen in diesen beiden Öfen – vier, fünf Tage lang bei 400 bis 500 Grad Celsius. Dabei verdunstet alle Feuchtigkeit, alle organischen Bestandteile der Knochen verbrennen. Übrig bleiben Brocken aus Calcium und Phosphat, die wir – weil sie sehr porös und spröde sind – leicht zerkleinern können."
Mit dem Granulat füllt Jacobsen Wassertanks. Eine kommunale Anlage, sagt er, enthalte zwei Tonnen aus Knochen gewonnenen Calcium-Phosphat-Granulats. Sie befreie täglich 3000 Liter Wasser vom Fluorid. Zu diesem Zeitpunkt, 2001, hat sein Projekt erst wenige Filteranlagen installiert. Fast täglich aber kommen Bürgermeister umliegender Dörfer und lassen sich die Wunderwirkung der gebrannten Knochen erklären.
Gut 17 Jahre später – 2018 – rufe ich an in Kenia. Ich will wissen, was aus Peter Jacobsens Projekt geworden ist. Am Telefon in Nakuru ist Julius Kubai, der Chef des kirchlichen Unternehmens Nakuru Defluoridation Company. Der Name Peter Jacobsen elektrisiert Kubai geradezu, wenngleich er die Spur des dänischen Umweltingenieurs verloren hat.
"Peter Jacobsen war der Vater unseres Projekts. Er entwickelte das gesamte Verfahren – vom Waschen und Brennen der Knochen bis zur fertigen Filteranlage. Und er konnte es realisieren, weil das deutsche katholische Hilfswerk Misereor ihn unterstützte. Misereor finanzierte alles: die Infrastruktur, den Bau der Tanks, den ganzen Aufbau unseres heutigen Wasserprojekts.

Die Kirche hat das Filterprojekt übernommen

Peter Jacobsen, berichtet Kubai, habe die lokale Kirche dazu gebracht, dauerhaft Verantwortung zu übernehmen für etwas, um das sich eigentlich der Staat kümmern sollte: sauberes Wasser. Heute bringt die Nakuru Defluoridation Company kostendeckend Filter aller Größen unter die Bewohner der Diözese, die so für einen Dollar im Monat sicheres Wasser trinken.
Dank intensiver Aufklärung mit Theatergruppen und Radiospots benutzen inzwischen 40 Prozent der betroffenen Bevölkerung Nakurus Fluorid-Filter. Und die Entwicklung geht weiter: Weil Rinderknochen, ein beliebtes Tierfutter, immer teurer werden, hat die Diözese mit einer Firma aus dem deutschen Riedlingen ein neues Filtermedium entwickelt: ein ohne den Umweg über Rinderkochen hergestelltes Calcium-Phosphat-Präparat, zusammengesetzt aus lokal verfügbaren Rohstoffen und noch preisgünstiger als das bisherige Filtermaterial. Warum anderswo in Kenia und Tansania weiterhin tausende Kinder an verkrümmten Knochen leiden, bleibt ein Rätsel. Auch über den Verbleib des dänischen Umweltingenieurs Peter Jacobsen kann mir niemand berichten.

Kapitel 4 - Kochen mit Sonne?

Rauch und Qualm in der Wohnung zählen zu den größten Probleme weltweit – für die Umwelt, für das Klima und für die menschliche Gesundheit. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung, kocht mit Holz, Holzkohle und Ernteabfällen. Die dabei entstehenden häuslichen Abgase töten 3,5 Millionen Frauen jährlich. Was sind die Alternativen? Öl und Gas sind oft nur in den Städten verfügbar und zudem teuer – im Gegensatz zu Sonnenenergie.
Um mehr darüber herauszufinden, besuche ich im Herbst 2017 einen Kongress zu sauberem Kochen in Neu-Delhi, wo Experten aus aller Welt diskutieren. Janak Palta McGilligan, eine weißhaarige Frau mit feurigem Blick, zeigt einen schwarzen Topf, auf den Aluminiumreflektoren gebündeltes Sonnenlicht lenken.
Kochen mit Sonnenenergie soll mit solchen Modellen ab Ende 2018 für Entwicklungsländer erschwinglich sein. Eine Art Sonnenspiegel leitet die Energie in die Mitte zum Topf.
Kochen mit Sonnenenergie soll mit solchen Modellen ab Ende 2018 für Entwicklungsländer erschwinglich sein, hofft Janak Palta McGilligan.© Thomas Kruchem
"Dies ist ein Solarkocher, der einmalig 10.000 Rupien kostet, etwa 120 Euro. Die Reflektoren sind galvanisiert und wasserfest, der Kocher hält 20 Jahre. Ein Mann, der 300 Kilometer von meinem Dorf entfernt lebt, verkauft ihn in ganz Indien. Und die Käufer kochen fortan ohne weitere Kosten. Die Sonne scheint ja in Indien 300 Tage pro Jahr."

Bisher nur wenige hundert Reflektoren verkauft

Eine theoretisch schöne Idee – meint Siddharth d’Souza, Leiter einer NGO, die verbesserte Holzherde baut. Solarkocher bräuchten aber den ganzen Tag, um eine Mahlzeit zu kochen – unendlich langsam und alles in einem Topf. Das Ergebnis sei gewöhnungsbedürftig.
"Mein Vater, ein Solar-Idealist, malträtierte mich mit solargekochtem Essen, als ich 15 Jahre alt war – einen ganzen Monat lang. Oft war das Essen lauwarm, die zusammengerührten Zutaten schmeckten fürchterlich. So etwas nimmst du vielleicht bei einem Picknick in Kauf, keinesfalls aber Tag für Tag."
Das Kochen mit Solarherden sei etwas für entbehrungsbereite Idealisten, meint d‘Sousa – so wie offenbar viele Inder. Der genannte Freund von Janak Palta McGilligan in Südindien hat erst wenige hundert seiner schwarzen Töpfe mit Aluminiumreflektoren verkauft. Trotzdem: Solarenergie hat zu einem beispiellosen Vormarsch angesetzt in die Küchen dieser Welt. Und gerade entlegenen Dörfern armer Länder scheint eine wahre Solar-Revolution bevorzustehen. Warum, hören Sie im zweiten Teil über "Die Weltverbesserer" morgen in der Weltzeit.
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