Die Wiederentdeckung eines musikalischen Mammutwerks
Die Kölner Oper hat sich zur Saisoneröffnung an Sergej Prokofjews Oper "Krieg und Frieden" aus der Feder von Lew Tolstoi gewagt. Die knapp dreieinhalbstündige Fassung von Nicolas Brieger unter musikalischer Leitung Michael Sanderlings wurde mit Standing Ovations gefeiert.
Eine Oper mit 28 Solisten, Chor und Extra-Chor, einem großen Orchester, fünf Stunden Spieldauer und Bühnenanforderungen, die ein Schlachtfeld und eine brennende Stadt vorsehen – die wird es nicht einfach haben auf dem Weg ins Repertoire.
Und wenn sie dann auch gar nicht endgültig fertiggestellt ist und ihre Entstehung in einen Mahlstrom politischer Kontroversen geriet, sieht es noch finsterer aus. Selbst wenn Sergej Prokofjew, einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, ihr Schöpfer ist und der Welt-Literat Lew Tolstoi ihr geistiger Vater.
So ist die Oper "Krieg und Frieden", deren erste Aufführung 1959 Prokofjew gar nicht mehr erlebt hat, nie im Repertoire angekommen. Trotzdem – oder vielleicht deshalb – hat die Kölner Oper sich an das Mammutwerk gewagt und damit zur Saisoneröffnung einen überwältigenden Erfolg errungen. Mit Standing Ovations feierte das Publikum einhellig das Riesenensemble auf der Bühne, das Gürzenichorchester und das Leitungsteam um den Dirigenten Michael Sanderling und den Regisseur Nicolas Brieger.
Prokofjew, der nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion auf einem permanenten Schleuderkurs zwischen verhätschelnder Anerkennung und drohender (und lebensgefährlicher) Verdammung durch das Regime war, wurde mitten in seinem Opernprojekt nach Tolstoi von der Geschichte eingeholt. 1941 überfiel Hitler die Sowjetunion, so wie Napoleon im Roman das Zarenreich. Die Geschichte des Widerstands, die Tolstoi erzählt, hat das Buch zum Nationalepos gemacht, und Stalin erwartete nun die Nationaloper von Prokofjew: ein patriotisches Manifest, eine Heldenfeier, einen Lobgesang auf das kämpfende russische Volk.
Prokofjew hatte aber eher ein psychologisches Kammerspiel geplant: Liebesverwirrung, Sinnsuche, Lebensentwürfe von drei Menschen, deren private Entwicklung hineingerissen wird in den Strudel historischer Ereignisse.
Diesem ursprünglichen Schema nähert sich die knapp dreieinhalbstündige Fassung von Nicolas Brieger wieder an: Kampf- und Siegesgesänge sind auf das dramaturgisch Sinnvolle und Notwendige reduziert. Skepsis, wenn nicht Pessimismus legt seine kluge Inszenierung dahinter frei.
Die Szenerie von Raimund Bauer ist eine ständig bewegte Riesenmaschine, die die Menschen verschlingt und wieder ausspuckt. Hohe Bühnenwagen, an denen die Empire-Fassaden als verblasste Tapeten anklebt sind, treiben sie vor sich her in die Leere, die sich auf den Seiten und im Hintergrund bis zu den Brandmauern der Kölner Oper erstreckt.
Schon nach kurzer Zeit verfolgt man gebannt, wie sich vor diesem Hintergrund die Liebesgeschichte um Natascha, Andrej und Pierre entwickelt, zuspitzt, wie Hoffnungen, Sehnsüchte, Missverständnisse und Enttäuschungen die Drei verändern. Denn da sind Sängerdarsteller von Format am Werk, denen es gelingt, die psychologische Komplexität der Romanfiguren Tolstois in die Oper hinüberzuretten. Und dabei lange und fordernde Gesangspartien souverän und glanzvoll zu meistern: Olesya Golovneva, Johannes Martin Kränzle und Matthias Klink. Die drei Protagonisten führen ein Ensemble an, in dem es keine Ausfälle gibt und viele Sänger, die auch aus kleinen Auftritten markante Szenen machen. Wie das Programmheft verrät, besteht die komplette Besetzung aus Rollendebütanten, was beiläufig darauf hinweist, wie viel Arbeit und Vorbereitung in diesem Projekt stecken.
Im Orchestergraben erzählen der Gastdirigent Michael Sanderling und das Gürzenichorchester den Roman mit Prokofjews musikalischen Mitteln. Sie lassen die Zuhörer staunen, wie farbig und vielstimmig diese Musik ist. Es ist spannend, zu hören, wie Prokofjew vom Heroischen zum Intimen, vom verzehrenden Gefühl zum Sarkasmus wechselt, wie er in einem kunstvollen Geflecht von musikalischen Verweisen eine epische Tiefendimension eröffnet, wie er auch durchaus handfest Spannung erzeugt und Effekte setzt, die nicht nur Pauken und Trompeten, sondern auch Gewehrsalven und Kanonenschüsse nicht verschmähen.
Der Kölner Abend ist ein starkes Statement für Prokofjews Oper, die auch aufgrund ihrer politisch aufgeladenen Entstehungsgeschichte oft als leere Konvention und Propagandamusik verdächtigt worden ist. Gewiss, ihre Tonsprache hat nichts Avantgardistisches und ist weit entfernt von dem, was man im fünften Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hätte schreiben können. Beinah (aber auch nur beinah) hätte auch schon Tschaikowsky "Krieg und Frieden" so komponieren können. Das heißt aber nicht, dass diese Sprache, so wie Prokofjew sie führt, nicht bewegend und überzeugend sein könnte. Diese Wiederentdeckung hat das klar und eindeutig bewiesen.
Und wenn sie dann auch gar nicht endgültig fertiggestellt ist und ihre Entstehung in einen Mahlstrom politischer Kontroversen geriet, sieht es noch finsterer aus. Selbst wenn Sergej Prokofjew, einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, ihr Schöpfer ist und der Welt-Literat Lew Tolstoi ihr geistiger Vater.
So ist die Oper "Krieg und Frieden", deren erste Aufführung 1959 Prokofjew gar nicht mehr erlebt hat, nie im Repertoire angekommen. Trotzdem – oder vielleicht deshalb – hat die Kölner Oper sich an das Mammutwerk gewagt und damit zur Saisoneröffnung einen überwältigenden Erfolg errungen. Mit Standing Ovations feierte das Publikum einhellig das Riesenensemble auf der Bühne, das Gürzenichorchester und das Leitungsteam um den Dirigenten Michael Sanderling und den Regisseur Nicolas Brieger.
Prokofjew, der nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion auf einem permanenten Schleuderkurs zwischen verhätschelnder Anerkennung und drohender (und lebensgefährlicher) Verdammung durch das Regime war, wurde mitten in seinem Opernprojekt nach Tolstoi von der Geschichte eingeholt. 1941 überfiel Hitler die Sowjetunion, so wie Napoleon im Roman das Zarenreich. Die Geschichte des Widerstands, die Tolstoi erzählt, hat das Buch zum Nationalepos gemacht, und Stalin erwartete nun die Nationaloper von Prokofjew: ein patriotisches Manifest, eine Heldenfeier, einen Lobgesang auf das kämpfende russische Volk.
Prokofjew hatte aber eher ein psychologisches Kammerspiel geplant: Liebesverwirrung, Sinnsuche, Lebensentwürfe von drei Menschen, deren private Entwicklung hineingerissen wird in den Strudel historischer Ereignisse.
Diesem ursprünglichen Schema nähert sich die knapp dreieinhalbstündige Fassung von Nicolas Brieger wieder an: Kampf- und Siegesgesänge sind auf das dramaturgisch Sinnvolle und Notwendige reduziert. Skepsis, wenn nicht Pessimismus legt seine kluge Inszenierung dahinter frei.
Die Szenerie von Raimund Bauer ist eine ständig bewegte Riesenmaschine, die die Menschen verschlingt und wieder ausspuckt. Hohe Bühnenwagen, an denen die Empire-Fassaden als verblasste Tapeten anklebt sind, treiben sie vor sich her in die Leere, die sich auf den Seiten und im Hintergrund bis zu den Brandmauern der Kölner Oper erstreckt.
Schon nach kurzer Zeit verfolgt man gebannt, wie sich vor diesem Hintergrund die Liebesgeschichte um Natascha, Andrej und Pierre entwickelt, zuspitzt, wie Hoffnungen, Sehnsüchte, Missverständnisse und Enttäuschungen die Drei verändern. Denn da sind Sängerdarsteller von Format am Werk, denen es gelingt, die psychologische Komplexität der Romanfiguren Tolstois in die Oper hinüberzuretten. Und dabei lange und fordernde Gesangspartien souverän und glanzvoll zu meistern: Olesya Golovneva, Johannes Martin Kränzle und Matthias Klink. Die drei Protagonisten führen ein Ensemble an, in dem es keine Ausfälle gibt und viele Sänger, die auch aus kleinen Auftritten markante Szenen machen. Wie das Programmheft verrät, besteht die komplette Besetzung aus Rollendebütanten, was beiläufig darauf hinweist, wie viel Arbeit und Vorbereitung in diesem Projekt stecken.
Im Orchestergraben erzählen der Gastdirigent Michael Sanderling und das Gürzenichorchester den Roman mit Prokofjews musikalischen Mitteln. Sie lassen die Zuhörer staunen, wie farbig und vielstimmig diese Musik ist. Es ist spannend, zu hören, wie Prokofjew vom Heroischen zum Intimen, vom verzehrenden Gefühl zum Sarkasmus wechselt, wie er in einem kunstvollen Geflecht von musikalischen Verweisen eine epische Tiefendimension eröffnet, wie er auch durchaus handfest Spannung erzeugt und Effekte setzt, die nicht nur Pauken und Trompeten, sondern auch Gewehrsalven und Kanonenschüsse nicht verschmähen.
Der Kölner Abend ist ein starkes Statement für Prokofjews Oper, die auch aufgrund ihrer politisch aufgeladenen Entstehungsgeschichte oft als leere Konvention und Propagandamusik verdächtigt worden ist. Gewiss, ihre Tonsprache hat nichts Avantgardistisches und ist weit entfernt von dem, was man im fünften Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hätte schreiben können. Beinah (aber auch nur beinah) hätte auch schon Tschaikowsky "Krieg und Frieden" so komponieren können. Das heißt aber nicht, dass diese Sprache, so wie Prokofjew sie führt, nicht bewegend und überzeugend sein könnte. Diese Wiederentdeckung hat das klar und eindeutig bewiesen.