Die Wiedertäufer von Münster

Verbrecher? Gottesmänner? Scharlatane?

Zeitgenössisches Porträt des niederländischen Täufers und Schwärmers Johann Bockelson (1509-1536).
Zeitgenössisches Porträt des niederländischen Täufers und Schwärmers Johann Bockelson (1509-1536). © picture alliance / dpa / Bifab
Von Kirsten Serup-Bilfeldt |
Als die Reformation auf Abwege geriet: In Münster verkündete 1534 eine aus den Niederlanden vertriebene Täufergruppe die neue Lehre. Sie wollten den Weg zu einer Heilsgewissheit und zur radikalen Nachfolge Christi weisen, doch sie errichteten ein theokratisches Terror-Regime.
"Wer am späten Abend auf dem Prinzipalmarkt steht und vom Lambertiturm das Horn des Wächters hört, der heute wie früher nach allen vier Himmelsrichtungen bläst, der sieht in der Nähe der Turmkammer im schwachen Mondlicht drei eiserne Käfige. In ihnen hingen 1536 die grässlich geschundenen Leichen der Wiedertäufer Jan van Leiden, Bernd Knipperdollinck und Bernd Krechtink − zur Abschreckung. Bis ihr Leichengestank unerträglich wurde."
... notierte der Münsteraner Heimatschriftsteller Hermann Homann 1974.
Am Morgen des 22. Januar 1536 besteigen die drei das Blutgerüst auf dem Markt. Jan van Leiden, der selbsternannte "Wiedertäuferkönig" wird mit einem eisernen Ring an einen Pfahl gefesselt und mit glühenden Zangen zu Tode gefoltert. Danach sterben Knipperdollinck und Krechtink denselben grausamen Tod.
Das Ende dieser drei Männer ist auch das Ende der Schreckensherrschaft des "Täuferreichs", das Ende des Terrorregimes einer kleinen, radikal-reformatorischen Minderheit, die Münster erobert hatte.

Täufer fielen nicht vom Himmel

Die Täufer, so der Historiker Ralf Klötzer, waren weder eine fremde Besatzungsmacht noch eine Art Naturkatastrophe, die plötzlich über Münster hereinbrach.
"Die Täufer sind nicht vom Himmel gefallen und auch nicht aus Holland gekommen, sondern aus der Bürgerschaft selbst entstanden."
Drei Jahre lang hatten sie sich Kaiser und Reich, Papst, Bischof und Stadtobrigkeit widersetzt, mit ihrem religiösen Radikalismus die Bürger von Münster terrorisiert und überdies die in der "Confessio Augustana" 1530 mühsam ausgehandelten Abmachungen zwischen Protestanten und Katholiken gefährdet. Auch den Doktor Martin Luther im fernen Wittenberg hatten sie mit ihrem kompromisslosen Fanatismus erzürnt.
Obwohl die Geschichte der Täufer ja mit ihm beginnt:
"Ohne Luther keine Täufer! Auch wenn Luther das nicht hören wollte, aber die Täufer sind eine Weiterführung der Reformation."
In ihrer radikalsten Form. Und mit radikalen Akteuren, wie etwa dem Prediger Bernhard Rothmann – sagt Christoph Wiebe, Pfarrer der Krefelder Mennoniten-Gemeinde. Die Mennoniten sind ebenfalls aus der Täuferbewegung hervorgegangen, teilten aber nie deren Radikalität.
Christoph Wiebe: "Die Reformation in Münster entwickelte sich zur täuferischen Reformation. Der Prediger Bernhard Rothmann von Münster hat als lutherischer Prediger angefangen; sehr verbreitet war die Kritik an den Sakramenten, speziell auch am Abendmahl."
Nun bleibt der Aufruhr, den der Prediger Rothmann in Münster mit seinen Lehrsätzen verursacht, nicht ohne Folgen.
Der 2014 verstorbene Historiker Karl Heinz Kirchhoff:
"Das Verhältnis zwischen Bürgerschaft und Rat war in Münster so, dass der Rat jedes Jahr frei gewählt werden konnte. Dadurch war es möglich, eine oppositionelle Bewegung in die Bürgerschaft, in das Rathaus hineinzutragen."

Gesicht einer Endzeit-Diktatur

Christoph Wiebe: "Bei den Ratswahlen 1534 gewannen die Täufer die Mehrheit und dieser Reformversuch wurde vom Fürstbischof bekämpft mit militärischer Macht. Es wurde sofort die Stadt belagert und das hat natürlich den Reformprozess im Inneren der Stadt radikalisiert und so hat sich dieses Täuferreich von Münster entwickelt."
Mit einem radikalen Programm:
"Wir müssen absagen allem, was die Pfaffen tun und treiben: Sakramenten, Messen, der Vesper, der Kindertaufe, den Vigilien..."
Also selbst das nächtliche Stundengebet der Mönche findet bei den Täufern keine Gnade. Immer offener zeigt die Bewegung jetzt ihr hässliches Gesicht. Es ist das einer Endzeit-Diktatur.
Blutig verfolgen die Täufer jeden, der sich ihnen in den Weg stellt und errichten eine theokratische Gesellschaftsordnung mit Polygamie und dem Verbot von Privateigentum. Was als Versuch einer radikalen Nachfolge Christi begonnen hatte, als Utopie eines Gottesreichs auf Erden wird zu einem Reich des Schreckens. Die Reformation gerät auf Abwege.

Ein Bordellbetreiber wird König

Im Februar 1534 kommt es zu einem wilden Bildersturm. Rotten von Täufern verwüsten Kirchen und Klöster, verbrennen Bücher und Gemälde, zertrümmern Altäre und schrecken auch vor Mord nicht zurück. Münster, so erklären sie, solle zum "Neuen Jerusalem" werden. Und dieses "Neue Jerusalem" braucht natürlich einen König!
Das ist die Stunde des Schankwirts und Bordellbetreibers Jan van Leiden. Unter dem Gejohle des Volks lässt er sich im Sommer 1534 mit einer riesigen Krone auf dem Kopf zum "König Johann dem Gerechten vom Stuhle Davids" krönen. Ein Jahr später wird er eine seiner 17 Ehefrauen, die sich ihm widersetzt hatte, eigenhändig enthaupten.
Ralf Klötzer: "Jan van Leiden ist sicher die interessanteste und schillerndste Persönlichkeit mit den weitreichendsten Fähigkeiten. Er war sicher beschränkt durch seine autodidaktische Bildung, aber er war weitgereist. Er war in Lübeck gewesen, der führenden Hansestadt, er war in Lissabon, er ist zur See gefahren, er war vier Jahre in England."
Ob es ihm bei diesem Aufenthalt vergönnt gewesen ist, das Buch, das dort seit 1516 für Aufsehen sorgt, Thomas Morus' "Utopia", zu lesen, ist nicht bekannt.

Mörderisches Experiment

Morus' philosophische Schilderung eines idealen Staatswesens, das das Glück der Menschen im Blick hat, hätte dem deutschen Gast vielleicht eine Lektion erteilen können.
Dennoch − in dem täuferischen Experiment, das so grausam endet, sieht Karl Heinz Kirchhoff auch positive Aspekte:
"Indem die große Bewegung des mitteleuropäischen Täufertums durch die münsterschen Ereignisse in eine ganz neue Richtung kanalisiert worden ist, die man vielleicht mit einem Wort in die pazifistisch-mennonitische Richtung klassifizieren kann. Das heißt: Der Radikalismus der münsterischen Täufer ist vom übrigen Täufertum als Warnung empfunden worden und von dort an ist kontinuierlich bis in die Gegenwart hinein das pazifistische, friedliche Täufertum in den Mennoniten und den Hutterern lebendig geblieben."
Das Ende des Täuferreichs von Münster wird durch einen schlichten Verrat besiegelt. Zwei Bürger laufen heimlich ins Lager des Bischofs über und verraten eine Schwachstelle in der Stadtmauer. In der Nacht Juni dringt das bischöfliche Belagerungsheer in die Stadt ein und erschlägt eine große Zahl Täufer.
Das von Jan van Leiden ausgerufene "Neue Jerusalem" ist damit Geschichte: die Geschichte eines mörderischen Experiments.
Was ist aus den Utopien und Visionen von Thomas Morus geworden? Der Schwerpunkt "Zukunft denken. 500 Jahre 'Utopia'" in Deutschlandradio Kultur sucht nach Antworten vom 18. bis 27. Dezember. Die Übersicht der Themen und alle bereits gesendeten Beiträge gibt es hier zu lesen und zu hören: Utopien in Politik, Gesellschaft und Kunst − Welche anderen Welten sind möglich?
Ausschnitt aus "Paradies", dem Mittelportal des Triptychons "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch (um 1450−1516)
"Paradies" von Hieronymus Bosch© Bild: Imago