Die Wirkung der Bilder von 9/11
Zwei Flugzeuge rasten am 9.11.2001 wie Geschosse in die beiden Türme des World Trade Centers. Der amerikanische Bildtheoretiker William John Thomas Mitchell geht in seinem Buch "Das Klonen und der Terror" der Funktion der Bilder nach, die letztendlich auch zum Krieg gegen den Terror führten.
Dieses "denkwürdigste Bild des 21. Jahrhunderts" verbindet sich seither mit dem Datum vom 9. November. Auf den Terrorangriff antwortete die Bush-Regierung mit dem Einmarsch in den Irak. Auch für diese Reaktion suchte man ein symbolträchtiges Bild. Gefunden wurde es in der Zerstörung des Saddam-Hussein-Denkmals in Bagdad. Kurz bevor es umgestürzt wurde, verhüllte ein US-Soldat den Kopf des Denkmals mit einer amerikanischen Flagge.
Der amerikanische Bildtheoretiker W. J. T. Mitchell geht in seinem Buch "Das Klonen und der Terror" der Funktion der Bilder nach, die zu diesem Krieg gehören. Zum einen wendet er sich mit dem Bild von der Zerstörung der Twin Towers dem Ikon zu, durch das der Krieg provoziert wurde. Er untersucht aber auch die Funktion der Bilder, die als Vorboten dieser Zerstörung anzusehen sind (die Sprengung der Buddha Statuen von Bamiyan). Und schließlich geht er auf die Fotos ein, auf denen gedemütigte und gefolterte irakische Gefangene im Gefängnis von Abu Ghraib zu sehen sind. Diese Bilder gingen um die Welt. Sie sorgten für Empörung, Bestürzung, sie lösten Proteste aus.
Ein Bild aber, das des Kapuzenmannes, erobert den von Mitchell entworfenen Bildraum in aller Stille. Es handelt sich um das Bild eines Mannes, aufgenommen im Gefängnis von Abu Ghraib, der den Betrachter frontal anschauen würde, wenn sein Gesicht nicht durch eine Kapuze verhüllt wäre. Der Kapuzenmann, der auf einer Holzkiste steht, trägt einen schwarzen, kaftanähnlichen Umhang. Die Arme hält er seitlich nach oben gehoben, sodass die Drähte zu sehen sind, die an seine Finger angeschlossen wurden. In "Folterkreisen" wird diese Position die "Jesus-Stellung" genannt.
Zum ersten Mal erschien dieses Bild im April 2003. Inzwischen ist es zu einer weltweit verbreiteten und leicht wiedererkennbaren Ikone geworden. Der Kapuzenmann wurde zum Symbol "eines weltumspannenden Konflikts". Es gilt als Zeichen der Macht und der Erniedrigung. Dieses Bild versteht Mitchell als "Symptom einer neuen Weltordnung", die Bilder schnell produziert und sie in Umlauf bringt. Wie ein Krebsgeschwür breitet sich das Bild vom Kapuzenmann aus. Lautlos erobert es den Bildraum, als sich herausstellte, dass der Irak weder Massenvernichtungswaffen besaß noch über effektive Verbindungen zu al-Qaida verfügte. Das Bild vom Kapuzenmann erinnert an Folter und zugleich an die Leiden Christi, es verweist auf Allmacht und Erniedrigung.
Für Mitchell ist das Bild vom Kapuzenmann das "Ur- und Leitbild" für das "Zeitalter des ‚Klonens‘". Seit das Klonen Realität geworden ist, verbindet sich dem Begriff die Vorstellung vom Kopieren und der schnellen Ausbreitung von Zellen. Ein Bild, das kopiert wird, verschwindet nicht. Es taucht – wie das Bild vom Kapuzenmann – überall auf. Solche Bilder gleichen Krebszellen. Die Angst vorm Terror wird begleitet von der Angst vorm Klonen.
Mitchell denkt Klonen und Terror überzeugend zusammen. Sein Buch trägt dazu bei, Ängste zu rationalisieren, denn er betreibt Ursachenforschung, wenn er die Bilder zum Sprechen zu bringt. Was sie erzählen, ist schockierend. Ein mutiges, ein kluges Buch, das Details sichtbar macht – und das zeigt, was wir nicht sehen sollen, was wir aber dank Mitchell nun sehen können.
Besprochen von Michael Opitz
W.J.T. Mitchell: Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
288 Seiten, 28,90 Euro
Links bei dradio.de:
Serie des Deutschlandradios 9/11 zum 10. Jahrestag
Der amerikanische Bildtheoretiker W. J. T. Mitchell geht in seinem Buch "Das Klonen und der Terror" der Funktion der Bilder nach, die zu diesem Krieg gehören. Zum einen wendet er sich mit dem Bild von der Zerstörung der Twin Towers dem Ikon zu, durch das der Krieg provoziert wurde. Er untersucht aber auch die Funktion der Bilder, die als Vorboten dieser Zerstörung anzusehen sind (die Sprengung der Buddha Statuen von Bamiyan). Und schließlich geht er auf die Fotos ein, auf denen gedemütigte und gefolterte irakische Gefangene im Gefängnis von Abu Ghraib zu sehen sind. Diese Bilder gingen um die Welt. Sie sorgten für Empörung, Bestürzung, sie lösten Proteste aus.
Ein Bild aber, das des Kapuzenmannes, erobert den von Mitchell entworfenen Bildraum in aller Stille. Es handelt sich um das Bild eines Mannes, aufgenommen im Gefängnis von Abu Ghraib, der den Betrachter frontal anschauen würde, wenn sein Gesicht nicht durch eine Kapuze verhüllt wäre. Der Kapuzenmann, der auf einer Holzkiste steht, trägt einen schwarzen, kaftanähnlichen Umhang. Die Arme hält er seitlich nach oben gehoben, sodass die Drähte zu sehen sind, die an seine Finger angeschlossen wurden. In "Folterkreisen" wird diese Position die "Jesus-Stellung" genannt.
Zum ersten Mal erschien dieses Bild im April 2003. Inzwischen ist es zu einer weltweit verbreiteten und leicht wiedererkennbaren Ikone geworden. Der Kapuzenmann wurde zum Symbol "eines weltumspannenden Konflikts". Es gilt als Zeichen der Macht und der Erniedrigung. Dieses Bild versteht Mitchell als "Symptom einer neuen Weltordnung", die Bilder schnell produziert und sie in Umlauf bringt. Wie ein Krebsgeschwür breitet sich das Bild vom Kapuzenmann aus. Lautlos erobert es den Bildraum, als sich herausstellte, dass der Irak weder Massenvernichtungswaffen besaß noch über effektive Verbindungen zu al-Qaida verfügte. Das Bild vom Kapuzenmann erinnert an Folter und zugleich an die Leiden Christi, es verweist auf Allmacht und Erniedrigung.
Für Mitchell ist das Bild vom Kapuzenmann das "Ur- und Leitbild" für das "Zeitalter des ‚Klonens‘". Seit das Klonen Realität geworden ist, verbindet sich dem Begriff die Vorstellung vom Kopieren und der schnellen Ausbreitung von Zellen. Ein Bild, das kopiert wird, verschwindet nicht. Es taucht – wie das Bild vom Kapuzenmann – überall auf. Solche Bilder gleichen Krebszellen. Die Angst vorm Terror wird begleitet von der Angst vorm Klonen.
Mitchell denkt Klonen und Terror überzeugend zusammen. Sein Buch trägt dazu bei, Ängste zu rationalisieren, denn er betreibt Ursachenforschung, wenn er die Bilder zum Sprechen zu bringt. Was sie erzählen, ist schockierend. Ein mutiges, ein kluges Buch, das Details sichtbar macht – und das zeigt, was wir nicht sehen sollen, was wir aber dank Mitchell nun sehen können.
Besprochen von Michael Opitz
W.J.T. Mitchell: Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
288 Seiten, 28,90 Euro
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