Die Wurzeln der abstrakt-geometrischen Formensprache

Von Kathrin Hondl |
Piet Mondrians Kompositionen sind Ikonen der Moderne. Das Centre Pompidou in Paris blickt jetzt in einer großen Retrospektive zurück zu den Ursprüngen von Mondrians abstrakter Malerei und in die Geschichte der im wahrsten Sinne des Wortes stilbildenden Zeitschrift "De Stijl".
Schon der Plan der Ausstellung erinnert an die Struktur von Mondrians berühmten abstrakten Gemälden: Ineinander verschachtelte Rechtecke und Linien grenzen die zwei großen Kapitel der Schau voneinander ab - die Geschichte der Gruppe "De Stijl" einerseits und das Werk von Piet Mondrian andererseits.

"Das ist sehr originell, die Präsentationsweise hier","

sagt anerkennend Franz-W. Kaiser vom Gemeentemuseum in Den Haag, das die Pariser Ausstellung mit Dutzenden Leihgaben reich bestückt hat,

""diese Verknüpfung von Mondrian und "De Stijl" gibt einerseits einen Kontext für die Entwicklungen, die Mondrian gemacht hat als Künstler, und es zeigt auch, dass irgendwann da eine Scheidung entstanden ist zwischen dem Weg, den Mondrian eingeschlagen hat und dem Weg, den die "De Stijl"-Künstler eingeschlagen haben."

Doch erst einmal geht es um die gemeinsamen Wurzeln der abstrakt-geometrischen Formensprache, und die sind spirituell. Sowohl der Maler Mondrian als auch die Künstler und Designer der "De Stijl"-Gruppe - das wird im Centre Pompidou gleich am Anfang betont - waren stark beeinflusst von der Theosophie und der esoterischen Vorstellung von einer universellen kosmischen Ordnung.

"Wir haben eigentlich vom Modernismus bis vor gar nicht so langer Zeit immer gedacht, das ist ein rein rationelles Unterfangen, ein rein rationelles Projekt. Aber das stimmt eigentlich nicht. Das ist eigentlich eine sehr einseitige und verengte Sichtweise auf den Modernismus, weil alle diese Künstler ganz am Anfang des 20. Jahrhunderts versucht haben, über das Spirituelle zu einer neuen Zeit hin durchzubrechen."

Wie sie sich das vorstellten, sieht man zum Beispiel auf Mondrians frühem Bild "Passionsblume": Zu sehen ist eine ekstatisch wirkende Frau mit geschlossenen Augen, über deren Schultern zwei weiße Blumen leuchten. Bei den spirituellen Übungen der Theosophen ging es darum, mit der kosmischen Weltordnung in Verbindung zu treten. Eine kosmische Ordnung, die - so die Vorstellung - auf universellen geometrischen Prinzipien beruht. Und die Künstler offenbaren in ihren Bildern auch Visionen von dieser esoterischen geometrischen Weltordnung - "gedachte Formen" nennen sie das. Der Weg zur Abstraktion ist nicht weit. Er führt über fauvistische Landschafts- und Architekturdarstellungen zur Analyse menschlicher Figuren, die - in geometrische Teile zerlegt - schließlich radikal abstrakte Bilder ergeben.

Doch schon hier - auf diesem mehr oder weniger gemeinsamen Weg in die Abstraktion - zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen den "De Stijl"-Künstlern und Mondrian. Während die einen über die Darstellung des menschlichen Köpers zu abstrakten Formen finden, geschieht das bei Mondrian beim Malen von Bäumen. Wie er - beeinflusst vom Kubismus Picassos und Braques - über Zeichnungen und Skizzen von Bäumen zu abstrakten Kompositionen findet, das ist in der Pariser Ausstellung wie im Lehrbuch nachzuvollziehen.

"Der Baum wird bei ihm ein Werkzeug, mit dem er das Bild aufteilt und komponiert, sagt Kurator Frédéric Migayrou. Bei den "De Stijl"-Künstlern aber, etwa bei Theo Van Doesburg ist es die menschliche Figur. Deren Kunst ist sehr viel sozialer, auf den Menschen ausgerichtet. Es sind also zwei parallele Wege, die ziemlich unterschiedlich verlaufen."

Gemeinsam mit Theo Van Doesburg gründet Mondrian 1917 die Zeitschrift "De Stijl", wo er Texte über "die neue Plastik in der Malerei" veröffentlicht und die Grundlagen des "Neoplastizismus" entwickelt - auf deutsch auch "neue Gestaltung" genannt: Die berühmten abstrakten Bilder, bestehend aus einem rhythmischen Zusammenspiel von vertikalen und horizontalen Linien und rechtckigen Farbflächen in den Primärfarben Rot, Blau und Gelb. Doch in der Praxis trennen sich die Wege des puristischen Malers Mondrian und der anderen "De Stijl"-Mitarbeiter recht bald. Franz W. Kaiser:

"Die machten Architektur, die machten angewandte Kunst. Also das musste auch funktionieren. Das war auch eine Avantgarde-Bewegung, aber programmatisch wollten sie aus dem Elfenbeinturm ausbrechen und den Alltag durch die Kunst erhöhen. Während Mondrian sagte, das ist hoffnungslos. Ich muss also weiter in die Zukunft schauen."

Da erscheint es fast als Ironie der Geschichte, dass mehr noch als die Architektur- und Designentwürfe der "De Stijl"-Künstler gerade die - in Anführungszeichen - "reine", die freie Kunst von Mondrian eine so fulminante Karriere in der Pop- und Konsumkultur gemacht hat. Mondrians Kompositionen finden sich heute auf Shampoo- und Haarspray-Flaschen, auf Klamotten oder Autos. Die ebenso reich bestückte wie lehrreiche Ausstellung im Centre Pompidou ist schon deshalb zauberhaft, weil sie diesen Ikonen der Moderne wieder Aura und Geschichte verleiht.
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