Die Zeit drängt für einen Nachweis von Nervenkampfstoffen in Syrien
Die Bilder von Sterbenden und Toten nach einem möglichen Giftgasangriff in Syrien hält der Chemiewaffen-Experte Stefan Mogl mit großer Wahrscheinlichkeit für echt. Er verlangt, dass die UN-Experten im Land schnell sicheres Geleit erhalten, um von den mutmaßlichen Opfern Blut- und Urinproben zu nehmen.
Gabi Wuttke: Bilder von toten kleinen Körpern in weißen Laken - Kinder, die Giftgas zum Opfer fielen. Wo und wann sie gestorben sind, ist nach wie vor nicht geklärt. Den Inspektoren der Vereinten Nationen ist jetzt von der internationalen Diplomatie aufgegeben worden, Klarheit zu schaffen. Stefan Mogl hat für die Organisation zum Verbot chemischer Waffen, OPCW, in Den Haag als Inspekteur gearbeitet. Heute kümmert er sich in der Schweiz auch um den Schutz der Bevölkerung vor eben diesen Waffen. Herr Mogl, einen schönen guten Morgen!
Stefan Mogl: Guten Morgen!
Wuttke: Ist das aus Ihrer Sicht Recht oder schon fast unlauter, das UN-Inspektionsteam in Syrien so unter Druck zu setzen?
Mogl: Es ist klar, das Team ist extrem unter Druck, und mit den Ereignissen der letzten Tage, würde ich mal annehmen, möchte das Team möglichst schnell auch an diesen Ort gehen, um seine Aufgaben aufnehmen zu können.
Wuttke: Was müsste ihnen denn erlaubt sein, um in diesem speziellen Fall auftragsgemäß nachweisen zu können, ob und inwiefern und wo es Giftgase in Syrien gibt?
Mogl: Das Team müsste so rasch wie möglich Zugang zu den entsprechenden Orten erhalten und natürlich sicheres Geleit. Das ist für den Leiter des Teams sicher immer das Wichtigste, dass ihm die kontrollierende Partei dieses Gebietes dann auch Sicherheit und sicheres Geleit zusichert. Und dann muss er möglichst spezifisch die Orte erreichen können, wo es einen angeblichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen gegeben haben soll.
Wuttke: So rasch wie möglich deutet darauf hin, es ist nur eine bestimmte Zeit lang möglich, Giftgaseinsätze nachzuweisen?
Mogl: Jein. Ich denke einfach, je länger es dauert, umso schwieriger wird es sein, die spezifischen Orte noch genau identifizieren zu können. Der Nachweis muss über Proben erbracht werden. Man spricht von klinischen Proben, das sind Proben von Personen, die dem Stoff ausgesetzt waren, da nimmt man Urin oder nimmt Blut. Diese Proben müssten innerhalb von wenigen Tagen genommen werden.
Die zweite Art von Proben, da spricht man von sogenannten Umweltproben, das umfasst so ziemlich alles in der Umgebung, das noch Spuren dieses Kampfstoffes nachweisen könnte. Bei diesen Proben muss man nicht unbedingt den Kampfstoff an sich nachweisen. Auch wenn der sich verflüchtigt hat, dann wird man sicher sogenannte Abbauprodukte des Kampfstoffes finden, und die sind sehr aussagekräftig.
Wuttke: Wie wirken denn eigentlich Giftgase, dass besonders Kinder wenig Chancen haben zu überleben?
Mogl: Man unterscheidet prinzipiell unter zwei generellen Gruppen, jetzt im Fall von Syrien. Man hat Hautgifte und man hat Nervenkampfstoffe. Im vorliegenden Fall, die Vergiftungssymptome, die man beobachtet, da geht man von einem Nervengift aus, weil die Symptome deuten auf einen Acetylcholinesterasehemmer – Entschuldigung für das komplizierte Wort – deuten auf einen Acetylcholinesterasehemmer hin. Es gibt auch andere Substanzen, die das machen, aber im vorliegenden Fall ist das schon am wahrscheinlichsten, dass das durch einen Nervenkampfstoff ausgelöst wurde.
Diese wirken sehr schnell. Das hängt natürlich von der Dosis ab, die können Sie nie genau voraussagen, aber wenn Sie eine gewisse Menge entweder eingeatmet haben oder der Kampfstoff, der wirkt auch über die Haut, wenn Sie Kontakt hatten mit dem Kampfstoff, dann wirkt der innerhalb von wenigen Minuten. Und wenn Sie nicht sehr, sehr schnell ein Gegenmittel erhalten, dann werden Sie sterben.
Wuttke: Können Sie sagen, welcher Kampfstoff eingesetzt wurde, nachdem Sie sich die vor drei Tagen hochgeladenen Fotos und Videos angesehen haben?
Mogl: Nein, das kann man nicht. Von den Videos kann man einzig herauslesen, dass es hier Personen verschiedener Altersgruppen gibt, die einer starken Vergiftung ausgesetzt sind, und die Symptome zeigen, die mit einem Acetylcholinesterasehemmer ausgelöst worden sein müssen. Und dann ist ein Nervenkampfstoff, gerade weil es hier jetzt um eine Kriegssituation geht, ist natürlich naheliegender als irgendeine Industriechemikalie.
Wuttke: Sie haben in einem Interview gesagt, dass diese Fotos von einer großen Eindeutigkeit für Sie sind, warum?
Mogl: Das Material, das früher zur Verfügung stand, war nie so umfangreich, und in dem Material, das ich angeschaut habe, habe ich eine umfangreiche Anzahl von Sequenzen gesehen, wo Personen verschiedenen Alters, auch Kleinkinder, typische Symptome aufweisen, die man nach einer Exposition zu einem Nervenkampfstoff erwarten würde. Und es ist vor allem die Zahl der Videos und der Personen, die mich zu diesem Schluss geführt haben, dass es nicht möglich ist, dass das alles gespielt ist.
Wuttke: Aber die Bilder können weder Syrer zeigen, noch müssen sie aktuell sein.
Mogl: Das ist richtig, das kann ich nicht beurteilen. Was man aus den Bildern nur herauslesen kann, ist, dass diese Symptome mit einer Vergiftung mit Nervenkampfstoff übereinstimmen würden.
Wuttke: Ist das also auszuschließen oder eben nicht auszuschließen, immer natürlich aus Ihrer Position betrachtet, dass die Aufständischen in Syrien im Besitz von Nervenkampfstoffen sind?
Mogl: Da kenne ich mich nicht aus. Ich kenne auch die Lage vor Ort überhaupt nicht, wer wo was kontrolliert und was macht. Zu was ich mich äußern kann, ist, dass es sehr, sehr wichtig wäre, dass man diesen Vorfall durch eine unabhängige Untersuchungskommission wie das UN-Team jetzt vor Ort abgeklärt. Das scheint mir sehr, sehr wichtig zu sein.
Wuttke: Die Vorgänge unabhängig aufklären zu lassen, ist das nicht auch in diesem Fall genau die Krux, dass das nicht geleistet werden kann und möglicherweise die Katastrophe weiter befördert?
Mogl: Da haben Sie schon recht, das ist die Krux. Es ist wahrscheinlich auch ein bisschen frustrierend für die Personen, die in diesem Bereich tätig sind. Wir hatten ja bereits die Äußerungen von Großbritannien oder auch von Frankreich, die selber Probenmaterial untersucht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass Kampfstoffe eingesetzt wurden. Das Problem ist bei all diesen Aussagen, dass die Proben, die dort untersucht werden, keine ungebrochene Beweiskette aufweisen.
Das Problem bei dieser Sache ist, dass wenn Sie Proben haben, müssen Sie lückenlos beweisen können, dass gar niemand die Möglichkeit gehabt hätte, an diesen Proben rumzuspielen. Das erreichen Sie nur, wenn Sie ein unabhängiges Team haben, das Proben nimmt, vor Ort diese dokumentiert, versiegelt, damit man nachher nachweisen kann, dass von der Probenahme bis zum Labor niemand die Möglichkeit gehabt hätte, diese Proben allenfalls zu öffnen und etwas reinzutun.
Wuttke: Mögen Sie eine Prognose abgeben, was angesichts auch des internationalen Aufschreis durch die Bilder wahrscheinlich ist? Werden die UN-Inspektoren in Syrien noch die Möglichkeit haben, diese ungebrochene Kette als Material zu sichern?
Mogl: Das ist sehr, sehr schwierig vorherzusagen. Das wird jetzt halt davon abhängen, wie im politischen Bereich die Diskussion weitergeht. Ich hoffe sehr. Ich hoffe sehr auch für die UNO, dass diese Untersuchung vollumfänglich durchgeführt werden kann, um Klarheit zu schaffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stefan Mogl: Guten Morgen!
Wuttke: Ist das aus Ihrer Sicht Recht oder schon fast unlauter, das UN-Inspektionsteam in Syrien so unter Druck zu setzen?
Mogl: Es ist klar, das Team ist extrem unter Druck, und mit den Ereignissen der letzten Tage, würde ich mal annehmen, möchte das Team möglichst schnell auch an diesen Ort gehen, um seine Aufgaben aufnehmen zu können.
Wuttke: Was müsste ihnen denn erlaubt sein, um in diesem speziellen Fall auftragsgemäß nachweisen zu können, ob und inwiefern und wo es Giftgase in Syrien gibt?
Mogl: Das Team müsste so rasch wie möglich Zugang zu den entsprechenden Orten erhalten und natürlich sicheres Geleit. Das ist für den Leiter des Teams sicher immer das Wichtigste, dass ihm die kontrollierende Partei dieses Gebietes dann auch Sicherheit und sicheres Geleit zusichert. Und dann muss er möglichst spezifisch die Orte erreichen können, wo es einen angeblichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen gegeben haben soll.
Wuttke: So rasch wie möglich deutet darauf hin, es ist nur eine bestimmte Zeit lang möglich, Giftgaseinsätze nachzuweisen?
Mogl: Jein. Ich denke einfach, je länger es dauert, umso schwieriger wird es sein, die spezifischen Orte noch genau identifizieren zu können. Der Nachweis muss über Proben erbracht werden. Man spricht von klinischen Proben, das sind Proben von Personen, die dem Stoff ausgesetzt waren, da nimmt man Urin oder nimmt Blut. Diese Proben müssten innerhalb von wenigen Tagen genommen werden.
Die zweite Art von Proben, da spricht man von sogenannten Umweltproben, das umfasst so ziemlich alles in der Umgebung, das noch Spuren dieses Kampfstoffes nachweisen könnte. Bei diesen Proben muss man nicht unbedingt den Kampfstoff an sich nachweisen. Auch wenn der sich verflüchtigt hat, dann wird man sicher sogenannte Abbauprodukte des Kampfstoffes finden, und die sind sehr aussagekräftig.
Wuttke: Wie wirken denn eigentlich Giftgase, dass besonders Kinder wenig Chancen haben zu überleben?
Mogl: Man unterscheidet prinzipiell unter zwei generellen Gruppen, jetzt im Fall von Syrien. Man hat Hautgifte und man hat Nervenkampfstoffe. Im vorliegenden Fall, die Vergiftungssymptome, die man beobachtet, da geht man von einem Nervengift aus, weil die Symptome deuten auf einen Acetylcholinesterasehemmer – Entschuldigung für das komplizierte Wort – deuten auf einen Acetylcholinesterasehemmer hin. Es gibt auch andere Substanzen, die das machen, aber im vorliegenden Fall ist das schon am wahrscheinlichsten, dass das durch einen Nervenkampfstoff ausgelöst wurde.
Diese wirken sehr schnell. Das hängt natürlich von der Dosis ab, die können Sie nie genau voraussagen, aber wenn Sie eine gewisse Menge entweder eingeatmet haben oder der Kampfstoff, der wirkt auch über die Haut, wenn Sie Kontakt hatten mit dem Kampfstoff, dann wirkt der innerhalb von wenigen Minuten. Und wenn Sie nicht sehr, sehr schnell ein Gegenmittel erhalten, dann werden Sie sterben.
Wuttke: Können Sie sagen, welcher Kampfstoff eingesetzt wurde, nachdem Sie sich die vor drei Tagen hochgeladenen Fotos und Videos angesehen haben?
Mogl: Nein, das kann man nicht. Von den Videos kann man einzig herauslesen, dass es hier Personen verschiedener Altersgruppen gibt, die einer starken Vergiftung ausgesetzt sind, und die Symptome zeigen, die mit einem Acetylcholinesterasehemmer ausgelöst worden sein müssen. Und dann ist ein Nervenkampfstoff, gerade weil es hier jetzt um eine Kriegssituation geht, ist natürlich naheliegender als irgendeine Industriechemikalie.
Wuttke: Sie haben in einem Interview gesagt, dass diese Fotos von einer großen Eindeutigkeit für Sie sind, warum?
Mogl: Das Material, das früher zur Verfügung stand, war nie so umfangreich, und in dem Material, das ich angeschaut habe, habe ich eine umfangreiche Anzahl von Sequenzen gesehen, wo Personen verschiedenen Alters, auch Kleinkinder, typische Symptome aufweisen, die man nach einer Exposition zu einem Nervenkampfstoff erwarten würde. Und es ist vor allem die Zahl der Videos und der Personen, die mich zu diesem Schluss geführt haben, dass es nicht möglich ist, dass das alles gespielt ist.
Wuttke: Aber die Bilder können weder Syrer zeigen, noch müssen sie aktuell sein.
Mogl: Das ist richtig, das kann ich nicht beurteilen. Was man aus den Bildern nur herauslesen kann, ist, dass diese Symptome mit einer Vergiftung mit Nervenkampfstoff übereinstimmen würden.
Wuttke: Ist das also auszuschließen oder eben nicht auszuschließen, immer natürlich aus Ihrer Position betrachtet, dass die Aufständischen in Syrien im Besitz von Nervenkampfstoffen sind?
Mogl: Da kenne ich mich nicht aus. Ich kenne auch die Lage vor Ort überhaupt nicht, wer wo was kontrolliert und was macht. Zu was ich mich äußern kann, ist, dass es sehr, sehr wichtig wäre, dass man diesen Vorfall durch eine unabhängige Untersuchungskommission wie das UN-Team jetzt vor Ort abgeklärt. Das scheint mir sehr, sehr wichtig zu sein.
Wuttke: Die Vorgänge unabhängig aufklären zu lassen, ist das nicht auch in diesem Fall genau die Krux, dass das nicht geleistet werden kann und möglicherweise die Katastrophe weiter befördert?
Mogl: Da haben Sie schon recht, das ist die Krux. Es ist wahrscheinlich auch ein bisschen frustrierend für die Personen, die in diesem Bereich tätig sind. Wir hatten ja bereits die Äußerungen von Großbritannien oder auch von Frankreich, die selber Probenmaterial untersucht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass Kampfstoffe eingesetzt wurden. Das Problem ist bei all diesen Aussagen, dass die Proben, die dort untersucht werden, keine ungebrochene Beweiskette aufweisen.
Das Problem bei dieser Sache ist, dass wenn Sie Proben haben, müssen Sie lückenlos beweisen können, dass gar niemand die Möglichkeit gehabt hätte, an diesen Proben rumzuspielen. Das erreichen Sie nur, wenn Sie ein unabhängiges Team haben, das Proben nimmt, vor Ort diese dokumentiert, versiegelt, damit man nachher nachweisen kann, dass von der Probenahme bis zum Labor niemand die Möglichkeit gehabt hätte, diese Proben allenfalls zu öffnen und etwas reinzutun.
Wuttke: Mögen Sie eine Prognose abgeben, was angesichts auch des internationalen Aufschreis durch die Bilder wahrscheinlich ist? Werden die UN-Inspektoren in Syrien noch die Möglichkeit haben, diese ungebrochene Kette als Material zu sichern?
Mogl: Das ist sehr, sehr schwierig vorherzusagen. Das wird jetzt halt davon abhängen, wie im politischen Bereich die Diskussion weitergeht. Ich hoffe sehr. Ich hoffe sehr auch für die UNO, dass diese Untersuchung vollumfänglich durchgeführt werden kann, um Klarheit zu schaffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.