"Die Zeit war insgesamt erträglicher"
Karla Schefter, Krankenschwester mit 20 Jahren Afghanistan-Erfahrung, zeichnet ein düsteres Bild von der derzeitigen Lage in dem Land. Ihre Arbeit sei zu Zeiten der Taliban-Herrschaft "wesentlich besser als jetzt" gewesen. Suizidattentate oder Kidnapping, wie es die Kriminellen-Gruppen von heute praktizierten, habe es so nicht gegeben.
Joachim Scholl: Sie hat das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse erhalten, den Bambi und noch etliche andere Auszeichnungen für ihr Engagement in Afghanistan: Karla Schefter. Seit über 20 Jahren lebt sie dort und hilft den Menschen in ihrem Krankenhaus in der Provinz Wardak, drei Autostunden von Kabul entfernt. Von ihren jüngsten Erfahrungen erzählt Karla Schefter jetzt in ihrem neuen Buch, das heute erscheint, "Ich gebe die Menschen nicht auf. Afghanistan, ein Land ohne Hoffnung?" Karla Schefter ist jetzt im Studio, willkommen im "Radiofeuilleton", Frau Schefter!
Karla Schefter: Guten Tag!
Scholl: Seit heute früh geht diese Nachricht um die Welt und wird wohl auch in Afghanistan für Reaktionen sorgen: Osama bin Laden ist tot! Was denken Sie darüber?
Schefter: Ja, man hat so einen Kopf endlich gefangen, es war wohl schwierig genug, aber man hatte ihn wohl eher in den Grenzgebieten vermutet, die ich sehr gut kenne, ich habe die unterschiedlichst über die Berge von Pakistan nach Afghanistan überquert. Man hatte ihn aber eher da vermutet und nicht in Abadabad, in dieser Stadt. Und das ist natürlich ... dieser Kopf ist jetzt weg, und das heißt aber nicht, dass nicht andere Köpfe nachwachsen, und das macht das Ganze eher schwierig. Wenn man den Feind kennt, kann man den angehen, aber welche, die nachwachsen, die noch unbekannt, anonym sind, ist dann schwieriger, die einzugrenzen. Und was die Mentalität ist, das ist auf jeden Fall so, die Mentalität auch gerade der Afghanen, aber auch anderer dieser Völker: Es erfolgt unweigerlich die Revanche, unweigerlich. Sie können nicht nur nicht vergessen, sie können auch nicht vergeben. Und wenn das nicht vielleicht sofort, aber vielleicht später, aber irgendwann erfolgt eine Revanche, nicht nur eine, sondern mehrere.
Scholl: Osama bin Laden hat in Afghanistan seinen Kampf begonnen, erst gegen die Sowjets, nach dem ersten Irakkrieg hat er den Amerikanern den Krieg erklärt – welche Bedeutung, welchen Ruf hatte Osama bin Laden in der afghanischen Bevölkerung?
Schefter: Als der Führer und aber dann auch Hasser, der also den Hass gegen USA und überhaupt gegen das westliche Ausland geschürt hat und eigentlich die Führungsperson schlechthin war.
Scholl: Werden dieser Tod und die möglichen terroristischen Reaktionen – Sie haben es schon angesprochen, Frau Schefter – auch Ihre Arbeit in Afghanistan eventuell gefährden oder schwieriger machen?
Schefter: Das glaube ich nicht. Also wir sind natürlich auch irgendwo eine Ausnahmeerscheinung, das heißt, wir haben hier seit 22 Jahren es verstanden, uns von den jeweiligen Regierungen fernzuhalten. Wir haben immer gesagt – und das auch durchgesetzt –, wir sind medizinische Partei und sonst gar nichts, also für uns gilt einfach der Patient. Und den Weg sind wir wirklich konsequent gegangen, und dadurch sind wir eine friedliche Insel, die jeden behandelt, und das wird respektiert. Das ist auch bei den Taliban und auch drüber hinaus in den Ministerien, aber auch in den sag ich mal Schattenregierungen bei den Taliban bekannt.
Scholl: "Nichts ist gut in Afghanistan", mit diesem Satz hat die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann im vergangenen Jahr eine stürmische Kontroverse ausgelöst und Sie, Frau Schefter, und Ihre Mitarbeiter vermutlich auch gekränkt, denn seit 1992 haben Sie Hunderttausenden von Menschen sehr viel Gutes getan in Ihrem Krankenhaus. Derzeit können Sie allerdings nur indirekt arbeiten, von Kabul aus, weil es dort in der Provinz Wadak für Sie zu gefährlich geworden ist. Warum, was hat sich in der Region so sehr verändert?
Schefter: Es ist zu 95 Prozent in Hand der Taliban, also Regierung hat in der Provinz, gerade in dem Distrikt Chak gar nichts zu sagen, wenn man so will, Sie können sich noch nicht mal einen Kilometer weit bewegen, Sie werden nur per Hubschrauber versorgt. Das Entscheidende ist, ich fürchte nicht die Taliban, aber es sind eben nicht mehr die Taliban, wie wir sie aus der Talibanzeit kennen, sondern das sind verschiedene Gruppierungen, kleine Gruppierungen, zehn bis 15 Personen, die einen Kommandanten haben, die sich gegenseitig auch nicht grün sind. Und vor allen Dingen, das ist das Entscheidende, es sind viele Kriminelle darunter, die alle unter dem Namen Taliban laufen, aber im Grunde keine religiösen Schüler des Korans sind, sondern es sind einfach Kriminelle. Und ich fürchte da eben das Kidnapping. Da geht es wirklich nur noch um Geld, dem möchte ich mich natürlich nicht aussetzen – nicht nur wegen des Geldes, sondern meine Mitarbeiter wären gefährdet und das Krankenhaus wäre dann auch kaputt.
Scholl: In Ihrem Buch gibt es ein Foto, das Sie zusammen mit Talibankämpfern zeigt, Frau Schefter. Man zuckt unwillkürlich ein bisschen zusammen, weil wir natürlich sofort Gewalt, Unterdrückung assoziieren, wenn von den Taliban die Rede ist. Sie haben jetzt schon diese Differenzierung gemacht, wie war das denn eigentlich unter der Herrschaft der Taliban von 1996 an in Ihrem Krankenhaus?
Schefter: Also wesentlich besser als jetzt. Damals die Taliban, sie waren hauptsächlich auch von vor Ort, sie waren eine einheitliche Gruppe. Man konnte ganz sicher reisen, auch nachts, eben dieses Kidnapping, Suizidattentäter, ferngesteuerte Minen gab es so nicht. Das einzige Verbrechen war, sie haben – eben wirklich Verbrechen – die Frauenbildung immerhin sechs Jahre ist total zunichte gemacht worden. Aber unsere Frauen waren, man kann fast sagen wesentlich freier als in der jetzigen Zeit. Also Ärzte konnten schon immer Frauen behandeln, nur nicht im gynäkologischen Bereich, und wir haben ja selbst in der Talibanzeit Physiotherapeutinnen ausgebildet, so für ganz Afghanistan. Die Zeit war insgesamt erträglicher oder besser als die jetzige Zeit.
Scholl: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Karla Schefter. Seit über 20 Jahren lebt und hilft sie in Afghanistan. Nun sind seit bald zehn Jahren amerikanische und NATO-Truppen im Land, Frau Schefter, dazu viele Hilfsorganisationen, Offizielle und NGOs, Abermilliarden Dollar und Euro sind für den Wiederaufbau geflossen – wenn man Ihr Buch nun liest, bekommt man den Eindruck, als ob alles Engagement, das militärische wie das humanitäre, ja fast umsonst gewesen sei. Was ist Ihrer Meinung nach so grundsätzlich schiefgelaufen?
Schefter: Das habe ich von Anfang an, seit 2002 beklagt, als eben nach Sturz der Taliban sich die NGOs hauptsächlich in Kabul, also in den Städten tummelten und die Provinzen sträflichst vernachlässigt worden sind. Der zweite Punkt war, dass man Afghanistan überschätzt hat, überfordert hat. Ich sag, Unwissenheit ist ja nicht schlimm, aber man hat sich auch nicht wissend gemacht. Man hat nicht berücksichtigt, dass es einmal eine andere Kultur ist – man kann nicht, was man nicht kennt, verändern wollen, einfach verändern wollen –, zum anderen überschätzt oder überfordert insofern, als 30 Jahre Krieg ... Ein Krieg hat ja den anderen abgelöst, die Elite war weg, die Qualifizierten sind abgewandert, also geflüchtet, und in Kriegszeiten kann kein regulärer Schuldienst stattfinden oder Studium für Frauen sechs Jahre durch die Taliban ganz unterbrochen. Es konnte also nichts nachwachsen. Die Menschen hatten nie die Chance, sich zu erholen. Und dann kann man nicht, also ich sag mal den Unterrichtsstoff von Abiturienten an Erstklässler geben, sondern das ist eben ein Weg der kleinen Schritte oder allerkleinsten Schritte, den man versäumt hat, sondern man hat eben einfach in Kurzprogrammen etwas überstülpen wollen. Und das ging natürlich nicht. Und dann war ein weiterer großer Fehler meiner Meinung nach, dass man Militär mit dem zivilen Aufbau gekoppelt hat oder koppeln wollte, um auch vielleicht das Image des Militärs aufzupolieren. Das war meiner Meinung nach auch ein entscheidender Fehler.
Scholl: Deutschland will bis zum Jahr 2013 die zivile Aufbauhilfe nahezu verdoppeln, 430 Millionen Euro sollen bis dahin gezahlt werden. Sie beschreiben in Ihrem Buch, Frau Schefter, eine allgegenwärtige und überbordende Korruption im Land und dass ein beträchtlicher Teil auch der Hilfsgelder einfach verschwindet. Bringt das denn überhaupt etwas, noch mehr Geld zu zahlen?
Schefter: Ja schon, aber man sollte eben da so ein bisschen sortieren oder eben ausmachen, wo. Man kann nicht dann einfach so Strategien entwickeln oder die verabschieden, sag ich mal, entwickelt sind sie ja schon, also verabschieden, dass man zum Beispiel nur im Norden was tut. Aber wie zum Beispiel unser Krankenhaus, unser Projekt in der Provinz Wardak erhält keinen Pfennig, und das seit zwei Jahren. Obwohl es ein total deutsches Projekt ist und wirklich ehrlich ist, das kann man total, also in Afghanistan, aber auch in Deutschland – wir haben das DZI-Siegel, man kann alles nachvollziehen, und das wird regelrecht im Stich gelassen. Und das ist eben das, was man einfach nicht versteht. Es werden Milliarden auch ins Militär gegeben, aber unser Projekt wird im Stich gelassen, und man sagt, man soll es den Afghanen übergeben. Okay, das ist das Endziel, aber zurzeit sicherlich nicht möglich. Gerade das Gesundheitswesen, wenn wir das jetzt so machen würden, dann hätten gerade in der Provinz viele Arme keine Chance. Wir haben Erhebungen, dass von – sage ich mal nur als Anhaltszahl – 360 Patienten nur sieben einen Job haben, die anderen haben nicht. Und wir hatten von 1000 stationären Patienten, 61 Prozent sind Frauen. Wie sollen die dann zum Beispiel richtig zahlen? Und das Gesundheitswesen ist deshalb so zum Erliegen gekommen, weil sie nicht genügend Gehalt zahlen, vielleicht nur 40 Dollar im Monat und manchmal sechs Monate gar nichts – davon kann keine Familie leben. Und dann haben sie aber dementsprechend erlaubt, dass privat praktiziert werden kann. So ziehen natürlich die Ärzte die Patienten in die Privatpraxis, und wer nicht zahlen kann, bleibt auf der Strecke.
Scholl: "Afghanistan, ein Land ohne Hoffnung?" lautet der Untertitel Ihres Buches, und Sie setzen ein Fragezeichen hinter dieses Wort Hoffnung, Frau Schefter. Was gibt Ihnen denn persönlich Hoffnung für Afghanistan?
Schefter: Ja, das ist alles immer sehr hoch gegriffen und diese westliche Denke, man soll immer garantieren und großartige Ziele haben und noch erweitern. Ich sag mal Sensation genug ist, dass das Krankenhaus läuft und wirklich gut läuft – Wir hatten 103.000 Patienten im letzten Jahr. Hoffnung ist einfach so zu werten, die spielt sich im Alltag ab. Unsere Frauen, wir haben 16 Mitarbeiterinnen, denen ich auch, das ist die Philosophie, nicht nur Medikamente, sondern auch Freude bringen, sie haben ja keine Psychotherapie, aber 70 Prozent der Bevölkerung ist mental gestört, bringe ich Lippenstift und Nagellack mit, und wenn sie den haben, dann schminken sie sich, sie kommen mit Stöckelschuhen zum Dienst, auch wenn die abgeschrappt sind, aber man macht sich schick. Männer würden nie mit ungeputzten Schuhen ins Krankenhaus kommen, auch wenn man nur ein Paar Lederschuhe hat oder eine Blume, der Duft, der Anblick gibt Freude. Es wird geheiratet, das feiert man, macht sich schön. Man näht sich ein neues Kleid und stellt es zur Schau. Oder die islamischen Feste und es wird geboren und gestorben. Damit will ich eigentlich aussagen, man gibt sich nicht auf, sondern man lebt, was heißt, wie es kommt, aber eben heute ist heute und morgen ist morgen, und wenn ein Fest ist, dann feiert man das, und nächstes Jahr ist nächstes Jahr. Und das bedeutet Hoffnung.
Scholl: Alles Gute für Sie, Frau Schefter, und auch für Ihre Mitarbeiter, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Schefter: Ich danke auch für Ihr Interesse, vielen Dank!
Scholl: Das Buch von Karla Schefter "Ich gebe die Menschen nicht auf. Afghanistan, ein Land ohne Hoffnung?" ist im Rowohlt-Verlag erschienen. Es hat 247 Seiten und kostet 19,95 Euro, ab heute ist es im Handel.
Karla Schefter: Guten Tag!
Scholl: Seit heute früh geht diese Nachricht um die Welt und wird wohl auch in Afghanistan für Reaktionen sorgen: Osama bin Laden ist tot! Was denken Sie darüber?
Schefter: Ja, man hat so einen Kopf endlich gefangen, es war wohl schwierig genug, aber man hatte ihn wohl eher in den Grenzgebieten vermutet, die ich sehr gut kenne, ich habe die unterschiedlichst über die Berge von Pakistan nach Afghanistan überquert. Man hatte ihn aber eher da vermutet und nicht in Abadabad, in dieser Stadt. Und das ist natürlich ... dieser Kopf ist jetzt weg, und das heißt aber nicht, dass nicht andere Köpfe nachwachsen, und das macht das Ganze eher schwierig. Wenn man den Feind kennt, kann man den angehen, aber welche, die nachwachsen, die noch unbekannt, anonym sind, ist dann schwieriger, die einzugrenzen. Und was die Mentalität ist, das ist auf jeden Fall so, die Mentalität auch gerade der Afghanen, aber auch anderer dieser Völker: Es erfolgt unweigerlich die Revanche, unweigerlich. Sie können nicht nur nicht vergessen, sie können auch nicht vergeben. Und wenn das nicht vielleicht sofort, aber vielleicht später, aber irgendwann erfolgt eine Revanche, nicht nur eine, sondern mehrere.
Scholl: Osama bin Laden hat in Afghanistan seinen Kampf begonnen, erst gegen die Sowjets, nach dem ersten Irakkrieg hat er den Amerikanern den Krieg erklärt – welche Bedeutung, welchen Ruf hatte Osama bin Laden in der afghanischen Bevölkerung?
Schefter: Als der Führer und aber dann auch Hasser, der also den Hass gegen USA und überhaupt gegen das westliche Ausland geschürt hat und eigentlich die Führungsperson schlechthin war.
Scholl: Werden dieser Tod und die möglichen terroristischen Reaktionen – Sie haben es schon angesprochen, Frau Schefter – auch Ihre Arbeit in Afghanistan eventuell gefährden oder schwieriger machen?
Schefter: Das glaube ich nicht. Also wir sind natürlich auch irgendwo eine Ausnahmeerscheinung, das heißt, wir haben hier seit 22 Jahren es verstanden, uns von den jeweiligen Regierungen fernzuhalten. Wir haben immer gesagt – und das auch durchgesetzt –, wir sind medizinische Partei und sonst gar nichts, also für uns gilt einfach der Patient. Und den Weg sind wir wirklich konsequent gegangen, und dadurch sind wir eine friedliche Insel, die jeden behandelt, und das wird respektiert. Das ist auch bei den Taliban und auch drüber hinaus in den Ministerien, aber auch in den sag ich mal Schattenregierungen bei den Taliban bekannt.
Scholl: "Nichts ist gut in Afghanistan", mit diesem Satz hat die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann im vergangenen Jahr eine stürmische Kontroverse ausgelöst und Sie, Frau Schefter, und Ihre Mitarbeiter vermutlich auch gekränkt, denn seit 1992 haben Sie Hunderttausenden von Menschen sehr viel Gutes getan in Ihrem Krankenhaus. Derzeit können Sie allerdings nur indirekt arbeiten, von Kabul aus, weil es dort in der Provinz Wadak für Sie zu gefährlich geworden ist. Warum, was hat sich in der Region so sehr verändert?
Schefter: Es ist zu 95 Prozent in Hand der Taliban, also Regierung hat in der Provinz, gerade in dem Distrikt Chak gar nichts zu sagen, wenn man so will, Sie können sich noch nicht mal einen Kilometer weit bewegen, Sie werden nur per Hubschrauber versorgt. Das Entscheidende ist, ich fürchte nicht die Taliban, aber es sind eben nicht mehr die Taliban, wie wir sie aus der Talibanzeit kennen, sondern das sind verschiedene Gruppierungen, kleine Gruppierungen, zehn bis 15 Personen, die einen Kommandanten haben, die sich gegenseitig auch nicht grün sind. Und vor allen Dingen, das ist das Entscheidende, es sind viele Kriminelle darunter, die alle unter dem Namen Taliban laufen, aber im Grunde keine religiösen Schüler des Korans sind, sondern es sind einfach Kriminelle. Und ich fürchte da eben das Kidnapping. Da geht es wirklich nur noch um Geld, dem möchte ich mich natürlich nicht aussetzen – nicht nur wegen des Geldes, sondern meine Mitarbeiter wären gefährdet und das Krankenhaus wäre dann auch kaputt.
Scholl: In Ihrem Buch gibt es ein Foto, das Sie zusammen mit Talibankämpfern zeigt, Frau Schefter. Man zuckt unwillkürlich ein bisschen zusammen, weil wir natürlich sofort Gewalt, Unterdrückung assoziieren, wenn von den Taliban die Rede ist. Sie haben jetzt schon diese Differenzierung gemacht, wie war das denn eigentlich unter der Herrschaft der Taliban von 1996 an in Ihrem Krankenhaus?
Schefter: Also wesentlich besser als jetzt. Damals die Taliban, sie waren hauptsächlich auch von vor Ort, sie waren eine einheitliche Gruppe. Man konnte ganz sicher reisen, auch nachts, eben dieses Kidnapping, Suizidattentäter, ferngesteuerte Minen gab es so nicht. Das einzige Verbrechen war, sie haben – eben wirklich Verbrechen – die Frauenbildung immerhin sechs Jahre ist total zunichte gemacht worden. Aber unsere Frauen waren, man kann fast sagen wesentlich freier als in der jetzigen Zeit. Also Ärzte konnten schon immer Frauen behandeln, nur nicht im gynäkologischen Bereich, und wir haben ja selbst in der Talibanzeit Physiotherapeutinnen ausgebildet, so für ganz Afghanistan. Die Zeit war insgesamt erträglicher oder besser als die jetzige Zeit.
Scholl: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Karla Schefter. Seit über 20 Jahren lebt und hilft sie in Afghanistan. Nun sind seit bald zehn Jahren amerikanische und NATO-Truppen im Land, Frau Schefter, dazu viele Hilfsorganisationen, Offizielle und NGOs, Abermilliarden Dollar und Euro sind für den Wiederaufbau geflossen – wenn man Ihr Buch nun liest, bekommt man den Eindruck, als ob alles Engagement, das militärische wie das humanitäre, ja fast umsonst gewesen sei. Was ist Ihrer Meinung nach so grundsätzlich schiefgelaufen?
Schefter: Das habe ich von Anfang an, seit 2002 beklagt, als eben nach Sturz der Taliban sich die NGOs hauptsächlich in Kabul, also in den Städten tummelten und die Provinzen sträflichst vernachlässigt worden sind. Der zweite Punkt war, dass man Afghanistan überschätzt hat, überfordert hat. Ich sag, Unwissenheit ist ja nicht schlimm, aber man hat sich auch nicht wissend gemacht. Man hat nicht berücksichtigt, dass es einmal eine andere Kultur ist – man kann nicht, was man nicht kennt, verändern wollen, einfach verändern wollen –, zum anderen überschätzt oder überfordert insofern, als 30 Jahre Krieg ... Ein Krieg hat ja den anderen abgelöst, die Elite war weg, die Qualifizierten sind abgewandert, also geflüchtet, und in Kriegszeiten kann kein regulärer Schuldienst stattfinden oder Studium für Frauen sechs Jahre durch die Taliban ganz unterbrochen. Es konnte also nichts nachwachsen. Die Menschen hatten nie die Chance, sich zu erholen. Und dann kann man nicht, also ich sag mal den Unterrichtsstoff von Abiturienten an Erstklässler geben, sondern das ist eben ein Weg der kleinen Schritte oder allerkleinsten Schritte, den man versäumt hat, sondern man hat eben einfach in Kurzprogrammen etwas überstülpen wollen. Und das ging natürlich nicht. Und dann war ein weiterer großer Fehler meiner Meinung nach, dass man Militär mit dem zivilen Aufbau gekoppelt hat oder koppeln wollte, um auch vielleicht das Image des Militärs aufzupolieren. Das war meiner Meinung nach auch ein entscheidender Fehler.
Scholl: Deutschland will bis zum Jahr 2013 die zivile Aufbauhilfe nahezu verdoppeln, 430 Millionen Euro sollen bis dahin gezahlt werden. Sie beschreiben in Ihrem Buch, Frau Schefter, eine allgegenwärtige und überbordende Korruption im Land und dass ein beträchtlicher Teil auch der Hilfsgelder einfach verschwindet. Bringt das denn überhaupt etwas, noch mehr Geld zu zahlen?
Schefter: Ja schon, aber man sollte eben da so ein bisschen sortieren oder eben ausmachen, wo. Man kann nicht dann einfach so Strategien entwickeln oder die verabschieden, sag ich mal, entwickelt sind sie ja schon, also verabschieden, dass man zum Beispiel nur im Norden was tut. Aber wie zum Beispiel unser Krankenhaus, unser Projekt in der Provinz Wardak erhält keinen Pfennig, und das seit zwei Jahren. Obwohl es ein total deutsches Projekt ist und wirklich ehrlich ist, das kann man total, also in Afghanistan, aber auch in Deutschland – wir haben das DZI-Siegel, man kann alles nachvollziehen, und das wird regelrecht im Stich gelassen. Und das ist eben das, was man einfach nicht versteht. Es werden Milliarden auch ins Militär gegeben, aber unser Projekt wird im Stich gelassen, und man sagt, man soll es den Afghanen übergeben. Okay, das ist das Endziel, aber zurzeit sicherlich nicht möglich. Gerade das Gesundheitswesen, wenn wir das jetzt so machen würden, dann hätten gerade in der Provinz viele Arme keine Chance. Wir haben Erhebungen, dass von – sage ich mal nur als Anhaltszahl – 360 Patienten nur sieben einen Job haben, die anderen haben nicht. Und wir hatten von 1000 stationären Patienten, 61 Prozent sind Frauen. Wie sollen die dann zum Beispiel richtig zahlen? Und das Gesundheitswesen ist deshalb so zum Erliegen gekommen, weil sie nicht genügend Gehalt zahlen, vielleicht nur 40 Dollar im Monat und manchmal sechs Monate gar nichts – davon kann keine Familie leben. Und dann haben sie aber dementsprechend erlaubt, dass privat praktiziert werden kann. So ziehen natürlich die Ärzte die Patienten in die Privatpraxis, und wer nicht zahlen kann, bleibt auf der Strecke.
Scholl: "Afghanistan, ein Land ohne Hoffnung?" lautet der Untertitel Ihres Buches, und Sie setzen ein Fragezeichen hinter dieses Wort Hoffnung, Frau Schefter. Was gibt Ihnen denn persönlich Hoffnung für Afghanistan?
Schefter: Ja, das ist alles immer sehr hoch gegriffen und diese westliche Denke, man soll immer garantieren und großartige Ziele haben und noch erweitern. Ich sag mal Sensation genug ist, dass das Krankenhaus läuft und wirklich gut läuft – Wir hatten 103.000 Patienten im letzten Jahr. Hoffnung ist einfach so zu werten, die spielt sich im Alltag ab. Unsere Frauen, wir haben 16 Mitarbeiterinnen, denen ich auch, das ist die Philosophie, nicht nur Medikamente, sondern auch Freude bringen, sie haben ja keine Psychotherapie, aber 70 Prozent der Bevölkerung ist mental gestört, bringe ich Lippenstift und Nagellack mit, und wenn sie den haben, dann schminken sie sich, sie kommen mit Stöckelschuhen zum Dienst, auch wenn die abgeschrappt sind, aber man macht sich schick. Männer würden nie mit ungeputzten Schuhen ins Krankenhaus kommen, auch wenn man nur ein Paar Lederschuhe hat oder eine Blume, der Duft, der Anblick gibt Freude. Es wird geheiratet, das feiert man, macht sich schön. Man näht sich ein neues Kleid und stellt es zur Schau. Oder die islamischen Feste und es wird geboren und gestorben. Damit will ich eigentlich aussagen, man gibt sich nicht auf, sondern man lebt, was heißt, wie es kommt, aber eben heute ist heute und morgen ist morgen, und wenn ein Fest ist, dann feiert man das, und nächstes Jahr ist nächstes Jahr. Und das bedeutet Hoffnung.
Scholl: Alles Gute für Sie, Frau Schefter, und auch für Ihre Mitarbeiter, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Schefter: Ich danke auch für Ihr Interesse, vielen Dank!
Scholl: Das Buch von Karla Schefter "Ich gebe die Menschen nicht auf. Afghanistan, ein Land ohne Hoffnung?" ist im Rowohlt-Verlag erschienen. Es hat 247 Seiten und kostet 19,95 Euro, ab heute ist es im Handel.