Die Zeiten des Wachstums sind vorbei

"Ohne Wachstum ist alles nichts": Dieser Satz stammt aus einem CDU-Programm, und er kann als allgemeines Credo unserer Gesellschaft gelten. Für den Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel ist dieser Satz nichts als lebensgefährlicher Unsinn, wie sein neues Buch "Exit" verdeutlicht.
Denn er leugnet, was Miegels Ansicht nach alle sehen könnten, wenn sie wollten: Die Zeiten des Wachstums sind unwiderruflich vorbei. Die Erde verträgt keine weiteren Belastungen.

Starke Worte eines Konservativen, der über genügend konkrete Wirtschaft- und Politikerfahrung verfügt, um zu wissen, wovon er redet. Ihn erzürnt die Blindheit nahezu aller gesellschaftlichen Gruppen, die seiner Meinung nach nicht begreifen, dass die Wachstumsideologie die Welt im 21. Jahrhundert in den Ruin treibt. Absurd sei vor allem die Vorstellung, mehr Wachstum führe zu mehr Wohlstand. Beides sei zumindest in den frühindustrialisierten Nationen längst voneinander entkoppelt.

"Exit" liest sich wie eine vehemente Anklageschrift gesellschaftlichen Versagens auf allen Ebenen. Der Sozialwissenschaftler Miegel untermauert statistisch, wie der Wachstumswahn Arbeitsplätze gefährdet, statt sie zu sichern; wie er die sozialen Sicherungssysteme und öffentlichen Haushalte an den Rand des Bankrotts führt, das Bildungswesen unterminiert, kulturelle Identität irritiert, Natur und Umwelt zerstört, den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel setzt. Um drastische Worte ist der Autor nie verlegen, und er liebt Metaphern, um seine Ansichten zu verdeutlichen. Bisweilen berauscht er sich an seiner Kritik.

Doch der Kern seiner Aussagen ist schwer zu bestreiten. Sein Kapitel "Bilanzen" listet die bereits heute sichtbaren Schäden auf, die der Wachstumsrausch angerichtet hat. Ob Luft, Wasser, Boden, Rohstoffe, Energie - überall werden Natur und Umwelt übermäßig beansprucht, sodass der Zusammenbruch der natürlichen Ressourcen nur eine Frage der Zeit ist. Um den Einwicklungsländern noch eine Chance zu geben, der Armut zu entkommen, müssten sich die frühindustrialisierten Länder bescheiden: Stillstand statt Wachstum oder sogar Rückführung des Verbrauchs.

Miegel fordert drastische Einschnitte. Renten und Sozialleistungen müssten gekürzt werden. An ihre Stelle sollten Gemeinschaftsleistungen der Bürger füreinander treten. Höheres Rentenalter? Selbstverständlich, aber mit anderen Formen der Arbeit: weniger Stress, mehr Selbstbestimmung. Statt höherer Bezahlung größere Jobzufriedenheit. Gemeinsinn statt Einkommenssteigerungen, Rückbesinnung auf kulturelle Werte statt Konsum.

Die Quintessenz seiner Argumentation: Wohlstand und ein glückliches Leben sind nicht abhängig von der Höhe des Gehalts. Sind die Grundbedürfnisse befriedigt, rücken andere Werte in den Vordergrund. Nicht Statussymbole sollten gesellschaftliche Anerkennung bringen sondern zum Beispiel freiwillige Sozialarbeit.

Der Autor ist überzeugt davon, dass all diese Einschränkungen im Prinzip Bereicherungen sind, kein Verzicht. Man muss nicht alle Standpunkte dieses meinungsstarken Konservativen teilen; doch die Diskussion über die Grenzen des Wachstums ist überfällig.

Besprochen von Johannes Kaiser

Meinhard Miegel: Exit - Wohlstand ohne Wachstum
Propyläen Verlag, Berlin 2010
300 Seiten, 22,95 Euro