Die Zerstörung eines Ritus
Als Katharina Hacker 2006 den Deutschen Buchpreis gewann, hatte sie alle Hände voll zu tun, ihn in Empfang zu nehmen. In ihren Armen lag ihre dreiwöchige Tochter.
"Die Habenichtse", der Roman, für den sie ausgezeichnet wurde, erzählte von der Orientierungslosigkeit der Thirtysomethings, von ihrer Weigerung, sich festzulegen, Familien zu gründen und Kinder zu haben. Die Autorin selbst war offenbar noch einmal davongekommen.
Umso gespannter ist man nun auf den neuen Roman, der nach dreijähriger, von einem schmalen Band mit Prosagedichten unterbrochener Publikationspause, soeben erschienen ist. Erstaunlich ist, dass die Autorin in "Alix, Anton und die anderen" wieder von Kinderlosigkeit erzählt. Die Figuren-Konstellation ist verblüffend ähnlich, auch wenn die Hauptfiguren nun Anfang bis Mitte 40 sind, also gleichsam mit der 1967 in Frankfurt geborenen Autorin alterten. Er spielt in Berlin, 20 Jahre nach dem Mauerfall, also heute.
Im Zentrum steht Alix, eine schöne, hypersensible Frau, um die drei Männer wie Trabanten kreisen. Verheiratet ist sie mit Jan, dessen Eltern früh bei einem Autounfall ums Leben kamen. Er ist Psychotherapeut mit eigener Praxis. Auch Anton ist Arzt, sportlich, liebenswert, doch immer noch ohne Frau. Drei Kinder wollte er gerne haben und eine Villa in Dahlem, inzwischen hat er die Hoffnung auf eine Familie fast schon aufgegeben.
Bernd, der Dritte im Bunde, homosexuell und meistens unglücklich verliebt, hat vor Jahren das Medizinstudium abgebrochen und betreibt eine Buchhandlung. Die vier bilden eine Art "Wahlfamilie" und haben sogar schon einmal daran gedacht, zusammenzuziehen. Vor 19 Jahren hat sich ein Ritus etabliert: jeden Sonntag treffen sie sich bei Alix’ Eltern in Zehlendorf, lassen sich von ihrer Mutter bekochen und spazieren danach um den Schlachtensee.
Der Roman beginnt mit einer harmlos erscheinenden Veränderung. Die vier kommen auf die Idee, man könnte das mittlerweile betagte Ehepaar doch auch einmal einladen - in ein vietnamesisches Restaurant in Zehlendorf. Es braucht lange, bis der Leser versteht, was diese Einladung bedeutet beziehungsweise auslöst. Denn am Ende ist nicht nur der Ritus zerstört, sondern das ganze labile Gleichgewicht rund um die Sonntagsgesellschaft.
Wie "Die Habenichtse" erzählt auch "Alix, Anton und die anderen" nicht nur von einer Desorientierung, sondern stellt sie selber her. Stilistisch geht Katharina Hacker dieses Mal noch einen Schritt weiter. Es gibt neben der eigentlichen Erzählung einen zweiten, schmaleren Block, der wie ein Zettelkasten ergänzt, was der Leser wissen muss. Mal sind es innere Monologe der gerade an der Handlung beteiligten Figuren, mal Monologe oder Dialoge anderer Figuren oder Informationen zur Vorgeschichte. All das muss man selbst zusammenfügen.
Das ästhetische Konzept ist klar: Katharina Hacker unterbricht damit den Erzählfluss und integriert den Leser in ihr Puzzlespiel. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich dabei um eine Notlösung handelt: Wird nicht dem Leser eine Arbeit aufgehalst, die eigentlich Sache der Autorin gewesen wäre?
Auch wenn der Streit zwischen Katharina Hacker und Suhrkamp, ihrem bisherigen Verlag, den sie verlassen will, offenbart, dass das Layout des Textes anders gedacht war – nämlich als zwei gleich große Blöcke -, bleibt der Eindruck des Unentschiedenen. Schließlich ist es ein nicht unerheblicher Teil der kreativen Leistung eines Autors, auch die ausgeschlagenen Optionen eines Lebenslaufs in seine Geschichte zu integrieren.
Katharina Hacker ist zweifelsohne eine der wichtigsten Schriftstellerinnen ihrer Generation. Was sie uns mit "Alix, Anton und die anderen" erzählen will, bleibt jedoch im Dunkeln, nicht zuletzt deshalb, weil sie das große Thema der Schuld in ein kleinteiliges Patchwork schicksalhafter Verkettungen aufzulösen versucht und ihr Setting philosophisch überfrachtet. Man wünscht ihr den Mut, von dem zu erzählen, was sie wirklich umtreibt, unverstellt und ohne große Begriffe.
Besprochen von Meike Feßmann
Katharina Hacker: Alix, Anton und die anderen
Roman
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
127 Seiten, 19,80 Euro
Umso gespannter ist man nun auf den neuen Roman, der nach dreijähriger, von einem schmalen Band mit Prosagedichten unterbrochener Publikationspause, soeben erschienen ist. Erstaunlich ist, dass die Autorin in "Alix, Anton und die anderen" wieder von Kinderlosigkeit erzählt. Die Figuren-Konstellation ist verblüffend ähnlich, auch wenn die Hauptfiguren nun Anfang bis Mitte 40 sind, also gleichsam mit der 1967 in Frankfurt geborenen Autorin alterten. Er spielt in Berlin, 20 Jahre nach dem Mauerfall, also heute.
Im Zentrum steht Alix, eine schöne, hypersensible Frau, um die drei Männer wie Trabanten kreisen. Verheiratet ist sie mit Jan, dessen Eltern früh bei einem Autounfall ums Leben kamen. Er ist Psychotherapeut mit eigener Praxis. Auch Anton ist Arzt, sportlich, liebenswert, doch immer noch ohne Frau. Drei Kinder wollte er gerne haben und eine Villa in Dahlem, inzwischen hat er die Hoffnung auf eine Familie fast schon aufgegeben.
Bernd, der Dritte im Bunde, homosexuell und meistens unglücklich verliebt, hat vor Jahren das Medizinstudium abgebrochen und betreibt eine Buchhandlung. Die vier bilden eine Art "Wahlfamilie" und haben sogar schon einmal daran gedacht, zusammenzuziehen. Vor 19 Jahren hat sich ein Ritus etabliert: jeden Sonntag treffen sie sich bei Alix’ Eltern in Zehlendorf, lassen sich von ihrer Mutter bekochen und spazieren danach um den Schlachtensee.
Der Roman beginnt mit einer harmlos erscheinenden Veränderung. Die vier kommen auf die Idee, man könnte das mittlerweile betagte Ehepaar doch auch einmal einladen - in ein vietnamesisches Restaurant in Zehlendorf. Es braucht lange, bis der Leser versteht, was diese Einladung bedeutet beziehungsweise auslöst. Denn am Ende ist nicht nur der Ritus zerstört, sondern das ganze labile Gleichgewicht rund um die Sonntagsgesellschaft.
Wie "Die Habenichtse" erzählt auch "Alix, Anton und die anderen" nicht nur von einer Desorientierung, sondern stellt sie selber her. Stilistisch geht Katharina Hacker dieses Mal noch einen Schritt weiter. Es gibt neben der eigentlichen Erzählung einen zweiten, schmaleren Block, der wie ein Zettelkasten ergänzt, was der Leser wissen muss. Mal sind es innere Monologe der gerade an der Handlung beteiligten Figuren, mal Monologe oder Dialoge anderer Figuren oder Informationen zur Vorgeschichte. All das muss man selbst zusammenfügen.
Das ästhetische Konzept ist klar: Katharina Hacker unterbricht damit den Erzählfluss und integriert den Leser in ihr Puzzlespiel. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich dabei um eine Notlösung handelt: Wird nicht dem Leser eine Arbeit aufgehalst, die eigentlich Sache der Autorin gewesen wäre?
Auch wenn der Streit zwischen Katharina Hacker und Suhrkamp, ihrem bisherigen Verlag, den sie verlassen will, offenbart, dass das Layout des Textes anders gedacht war – nämlich als zwei gleich große Blöcke -, bleibt der Eindruck des Unentschiedenen. Schließlich ist es ein nicht unerheblicher Teil der kreativen Leistung eines Autors, auch die ausgeschlagenen Optionen eines Lebenslaufs in seine Geschichte zu integrieren.
Katharina Hacker ist zweifelsohne eine der wichtigsten Schriftstellerinnen ihrer Generation. Was sie uns mit "Alix, Anton und die anderen" erzählen will, bleibt jedoch im Dunkeln, nicht zuletzt deshalb, weil sie das große Thema der Schuld in ein kleinteiliges Patchwork schicksalhafter Verkettungen aufzulösen versucht und ihr Setting philosophisch überfrachtet. Man wünscht ihr den Mut, von dem zu erzählen, was sie wirklich umtreibt, unverstellt und ohne große Begriffe.
Besprochen von Meike Feßmann
Katharina Hacker: Alix, Anton und die anderen
Roman
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
127 Seiten, 19,80 Euro