Auf der Suche nach der Experience
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Musikfestivals mit internationalem Publikum haben eine bessere Marktposition, meint Marketing-Experte András Berta. Man müsse sich um dieses Publikum aber auch kümmern. Auf der Kölner c/o-Pop-Messe erklärt er, wie das Festival der Zukunft aussieht.
Martin Böttcher: Ihr Thema beim c/o-Pop-Festival: Festival und Tourismus. Ihre These: Viele Festivals versuchen, Besucher aus der ganzen Welt anzulocken. Und deshalb läge es nahe, Musikfestivals in touristische Events umzuwandeln. Welche Festivals können und sollten das denn tun?
András Berta: Erst mal glaube ich nicht, dass wir da etwas neu erfinden. Das passiert ganz natürlich: Immer mehr Menschen sind bereit, für Festivals weite Wege zurückzulegen. Und dabei geht es nicht um einen bestimmten Festival-Typus. Inlandsreisen sind für Festivalgänger sowieso normal. Worum es uns geht, sind internationale Besucher. Und ich glaube, dass im Grunde alle Festivals an einem internationalen Publikum interessiert sind. Einfach, weil es die Festival-Atmosphäre etwas bunter macht.
Immer mehr Menschen nehmen lange Anreisen in Kauf
Böttcher: Aber was bedeutet das konkret? Dass das Festivalgelände der Zukunft aussehen wird wie Disneyland? Oder geht es auch darum, wie Festivals für sich dann eben in aller Welt Werbung betreiben?
Berta: Vor allen Dingen, würde ich sagen, geht es um die Erreichbarkeit des Festivals, um eine leichte Anreise, darum, eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Im Grunde geht es also darum, wie sehr man sich um die Wünsche des internationalen Publikums kümmert. Ich würde gar nicht sagen, dass sich die Festivals dafür stark verändern müssen. Natürlich muss man mit Gästen aus dem Ausland voraussichtlich Englisch sprechen. Worum es mir aber beim Panel geht: Jetzt schon reisen die Leute zu Festivals, aber das Geld, das sie für die Reise aufwenden, landet in einer ganz anderen Branche, nicht bei den Festivals. Was ich Veranstaltern also nahelegen möchte, ist: Guckt euch eure Produkte an, gestaltet sie so, dass auch die Unterbringung und die Anreise inbegriffen sind. Darum geht es mir, nicht darum, Festivals in Disneylands zu verwandeln.
Auf die Wünsche der Gäste eingehen
Böttcher: Das heißt also, Sie würden sagen, die Festivals müssen ein bisschen aufmerksamer werden, damit sie auch ihren Teil des Kuchens weiterhin behalten können?
Berta: Um Ihnen ein konkretes Beispiel zu nennen: Ich habe acht Jahre lang für das Sziget-Festival in Budapest gearbeitet. Irgendwann haben wir mitbekommen, dass das Publikum immer internationaler wurde. Dann haben wir versucht, auf die Wünsche der Festivaltouristen einzugehen. Ja, zum einen geht es schon darum, seinen Teil vom Kuchen zu bekommen, um diesen Gewinn dann in das Programm zu stecken. Um es besser zu machen.
Die Musik ist der Magnet, nach wie vor
Böttcher: Aber heißt das nicht auch, dass man das Geschäftsmodell verändert? Oder das ganze Produkt letztendlich verändert, wenn man von einem Festival als ein Produkt sprechen will? Warum ist es dann letztendlich nötig, rund um Musikfestivals Events zu organisieren beziehungsweise die Festivals als touristische Events zu inszenieren? Hat Musik vielleicht auch ein bisschen an Stellenwert verloren und zieht nicht mehr alleine genug?
Berta: Ich würde sagen, die Musik wird immer wichtiger. Sie ist der Magnet, nicht das Gimmick. Schon bei Woodstock ging es darum, die Leute aus ihrer Komfortzone rauszukriegen, ihnen etwas Neues zu zeigen. Gegenwärtige Festivals wie Sziget versuchen immer auch, ein Erlebnis zu schaffen. Aber der Hauptgrund, ein Festival zu besuchen, ist nach wie vor die Musik.
Außerdem: Wir müssen uns nicht zwischen der Musik oder anderen Dienstleistungen entscheiden. Alles kann und muss parallel passieren. Möglicherweise steigt der Wert der Musik zusätzlich durch den Festivaltourismus. Besucher können lokale Band entdecken. Ich gucke also lieber auf die positiven Effekte, die das Ganze spannender machen.
"Ich glaube nicht, dass wir der Umwelt zusätzlich schaden"
Böttcher: Würden Sie sagen, die Festivals, die dieses Konzept umsetzen oder die auch diesen Tourismusaspekt im Hinterkopf behalten, dass das die Festivals sein werden, die sich durchsetzen werden, und die anderen, die das nicht machen, die werden in der Konkurrenz vielleicht untergehen?
Berta: Ich denke, das ist von den lokalen Gegebenheiten abhängig. Festivals in Deutschland kommen vielleicht gut ohne internationales Publikum aus, weil die Kaufkraft im Land groß ist. Aber in Ungarn sieht das ganz anders aus, das Publikum ist viel kleiner. In diesem Fall ist es dann wichtig, für Besucher aus dem Ausland attraktiv zu sein.
Böttcher: Ein großes Thema in den letzten Jahren bei Festivals ist ja der Öko-Gedanke. Wie verträgt sich das mit Festivaltourismus, mit Besuchern, die aus der ganzen Welt kommen sollen, und dann in Massen mit dem Flieger anreisen? Wie soll man das Greta Thunberg erklären?
Berta: Das ist natürlich ein Argument. Aber eine Gegenfrage, die ich stellen würde: Macht es einen Unterschied, ob die Leute nun wegen eines Festivals kommen oder wegen eines Strandurlaubs? Die Leute gehen doch sowieso auf Reisen und haben ihren CO2-Fußabdruck.
Je internationaler, desto stärker
Ich glaube nicht, dass wir der Umwelt zusätzlich zusetzen. Im Gegenteil: Wir laden die Leute zu einem Event ein, auf dem wir über Umweltschutz informieren können. Anders als das an einem gewöhnlichen Urlaubsort der Fall ist. Natürlich sind wir keine Heiligen. Wir bewegen viele Leute von A nach B. Das hat Einfluss auf die Umwelt. Aber einen so großen Unterschied macht das nicht, weil die Leute sowieso reisen. So sehe ich das.
Böttcher: Sie haben ja lange für das Sziget-Festival in Budapest gearbeitet. Das wird ja noch wie vor als ein politisches Festival oder als ein Festival mit Haltung verkauft. Gilt nicht auch da: Je mehr Tourismus oder je mehr man sich dem Tourismus öffnet, desto unpolitischer kommt es dann vielleicht auch daher?
Berta: Das kann ich nur schwer beantworten. Ich arbeite ja nicht mehr für das Sziget-Festival. Ich will nicht für die Veranstalter sprechen. Meine persönliche Einschätzung ist: Je internationaler du dich aufstellst, desto stärker ist deine Veranstaltung. Desto unabhängiger bist du von lokalen politischen Gegebenheiten.
Natürlich steht Sziget für gewisse Werte, genauso das Sumol-Festival in Portugal, für das ich inzwischen arbeite. Die meisten dieser Werte sind universell. Je mehr Unterstützer du findest, aus dem Ausland, Menschen, die mit dir für diese Werte einstehen, desto stärker bist du.