"Die Zukunft des Gartens liegt im Boden"
Etwas später als sonst wird es bald überall wieder sprießen und blühen, und die Menschen zieht es hinaus in die Natur - und auch in ihre Gärten. Wie es um die private Gartenkultur in Deutschland bestellt ist, und warum Gärtnern keine Arbeit sein sollte, weiß Deutschlands erfolgreichste Gärtnerin.
Dieter Kassel: Wir wollen in unserer Reihe zum Thema Garten und Gärtner natürlich über Deutschland reden, aber ich finde, man kann dieses Thema nicht wirklich umfassend behandeln, wenn man nicht auch über das Land redet, das wir alle – und ich glaube, nicht zu Unrecht – vor allen Dingen mit schönen Gärten in Verbindung bringen, und deshalb haben wir einen Gast eingeladen, der über Gärtnern in Deutschland mindestens so gut reden kann wie über Gärtnern in England.
Gabriella Pape ist nach ihrer Ausbildung in einer Baumschule in Hamburg nach Großbritannien gegangen, hat dort dann Landwirtschaft, Horticulture und Landschaftsarchitektur studiert, hat dann unter anderem im größten Botanischen Garten der Welt, in den Kew Gardens in London, gearbeitet, hat sich selbstständig gemacht, kam dann zurück nach Deutschland und hat hier in Berlin die Königliche Gartenakademie gegründet. Und jetzt ist sie bei uns im Studio. Schönen guten Tag, Frau Pape!
Gabriella Pape: Schönen guten Tag!
Kassel: Beginnen wir doch in Deutschland: Der deutsche Garten besteht im Wesentlichen aus einem großen Rasen, ein paar pflegeleichten Sträuchern und einem Carport. Ist das nur ein Vorurteil oder ist das oft immer noch so?
Pape: Nein, das ist durchaus noch so. Also Rasen, Carport, Kriechwacholder ist ja so das böse Schimpfwort, das ich auch geprägt habe. Leider ist das noch so, also dieses, das ist der Ort, der einen morgens mutig ins Leben entlassen soll und abends liebevoll wieder empfangen soll, ist es noch nicht geworden. Aber die Tendenz ist steigend.
Kassel: Aber es ist doch bestimmt immer noch so, wenn jemand zu Ihnen kommt, dass er sagt: Ich hätte gerne eine Empfehlung, ich brauche was, das von Mai bis September durchgehend blüht, aber dabei wenig Arbeit macht.
Pape: Ja, richtig. Da ist er bei mir aber völlig am falschen Ort.
Kassel: Das heißt, ein schöner – wir werden noch darüber reden, was das eigentlich sein soll, ein schöner Garten, aber wenn wir es mal so allgemein halten – ein schöner Garten bedeutet schon noch ein wenig Arbeit?
Pape: Nein, er bedeutet, man möchte da drin gärtnern. Also Gartenarbeit, das lehne ich ja ab, Arbeit ist es halt, wenn nichts zurückkommt. Das ist wie in der Küche, ich gehe auch kochen und nicht in der Küche arbeiten. Also zur Arbeit wird es, aus meiner Sicht, wenn nichts zurückkommt, also wenn es nicht blüht. Natürlich, wenn ich immer nur Rasenmäher und Hecken schneide, dann ist halt nicht viel los, und ein Kriechwacholder trägt auch nicht großartig zum Blütenstatus des Gartens bei. Also sobald Blumen reinkommen, heißt das auch, man muss sich ein bisschen kümmern, und vielleicht auch ein bisschen liebevoll kümmern, und dann wird das schon. Also ich bin immer der Meinung, der Ausgleich muss halt stimmen. Wenn das Essen nicht schmeckt, dann gebe ich mir auch weniger und weniger Mühe, und je mehr Mühe ich mir gebe – meistens jedenfalls, um so besser wird das. Und so ist das im Garten eigentlich auch.
Kassel: Hat das auch ein bisschen was mit dieser Monokultur auch – natürlich nicht bei Ihnen in der Akademie –, aber in vielen Gartenfachhandlungen zu tun? Mir ging es so, als ich das erste Mal meinen Garten hatte, und dann kaufwillig in einen Baumarkt ging, hatte ich natürlich zuerst das Gefühl, wow, da gibt es ja ganz viel. Und als ich dann in vier Baumärkten und zwei großen Gartenfachgeschäften war, hatte ich das Gefühl, nein, es ist eigentlich überall das Gleiche.
Pape: Das ist richtig, wenn man die Gartenbaumärkte oder die Gartenmärkte fragt, dann sagen die auch, das ist das, was die Kunden wollen, und die Kunden sagen, na, das ist das halt, was es da gibt, das ist wie ein kleiner böser Kreislauf, und das ist ja auch einer der Gründe, warum ich nach Berlin gekommen bin, weil ich einfach der Meinung bin, dass es nicht sein kann und auch nicht sein sollte, dass es ab August nichts anderes als Heide und Chrysanthemen gibt, sondern nach Karl Förster kann der Garten durchblühen von dieses Jahr vielleicht nicht gerade Februar, März, aber vielleicht von April dann doch mal bis November, und auch durch den Winter, also eben durch Pflanzen, die nicht runtergeschnitten werden, dass das im Schnee noch schön aussieht, das ist durchaus möglich, und das hat nichts zu tun, schon auch mit Winterhärte, aber nichts zu tun, ob das hier geht oder nicht. Das geht hier genau so, und dafür brauche ich keine Heide oder Chrysanthemen.
Kassel: Aber wenn Sie sagen, das geht hier genau so, dann haben Sie mir eine Vermutung schon genommen, wenn wir jetzt mal darüber reden wollen, warum Gartenkultur, auch private Gartenkultur in England so viel verbreiteter ist als bei uns, dann kann es die Witterung – es ist halt Klimawandel, ich weiß nicht, wie es jetzt ist, aber ursprünglich doch ein bisschen feuchter, man sieht ja in Südengland durchaus auch Palmen mal am Strand –, aber das kann es dann alleine nicht sein, es ist nicht nur die Witterung.
Pape: Nein, nein, nein, also England hat ohne Frage zwei Drittel mehr an Pflanzen, die Sie verwenden können – wir sprechen hier von Zigtausenden und nicht von Hunderten –, aber die Auswahl, die wir haben, die wir uns ermöglichen, ist überhaupt nicht ausgeschöpft in Deutschland. Wir könnten viel, viel artenreichere und buntere Gärten haben als wir sie im Moment haben.
Kassel: Aber woran liegt das, denn ich kann mich erinnern – ich weiß nicht, ob das heute noch so ist –, aber es gab Jahrzehnte irgendwie bei der BBC, glaube ich eine tägliche "Gardener’s Hour", dann hat der private Sender Classic FM, der wie unser Klassikradio auch eigentlich kaum Wort macht, irgendwann so was Ähnliches einführen müssen, weil der Druck so groß war. Es gibt auch noch ganz anders als bei uns wirklich relativ seriöse, es sind nicht bloß Shows, Gartensendungen im Fernsehen – woher kommt diese ganze Kultur?
Pape: Na, die ist einfach geblieben. Die ist nicht gekommen, sondern die ist geblieben. Bei uns ist sie verloren gegangen nach dem Zweiten Weltkrieg. Also ich habe da ja jetzt sehr lange mich damit befasst, und ich glaube einfach, dass nach dem Zweiten Weltkrieg wir hier erstens sehr beschäftigt waren mit Anbau von Gemüse, und dann kam eben das Wirtschaftswunder, Wirtschaftswachstum, da legte man sich auch nicht in den Garten auf eine Liege, in den 50ern, 60ern, 70ern, und erst jetzt wird überhaupt hinterfragt, was haben denn unsere Großmütter oder Urgroßmütter, die ja dann auch Blumen hatten – weil nach dem Krieg war es auch verpönt, nun plötzlich Blumen in den Garten zu holen, sondern man musste ja irgendwie das Leiden, den Leidensweg auch ein bisschen verdeutlichen und zeigen, der dann auch durchaus da war. Aber dass die Blumen einen Mittelgrund spielen, das war in England halt immer so, also man hat auch immer einen Garten gehabt. Das hat auch was mit der Kultur zu tun, dass die Engländer keine Wohnung mieten, sondern immer Häuser haben, und seien die noch so klein, und zu diesen kleinen Minihäusern gehört dann hinten auch eine Briefmarke Garten, und die wird immer liebevoll kultiviert. Also auch in England gibt es Carport und Kriechwacholder, also ohne Frage, aber die Tradition ist immer schon Garten habend, jeder, klassenlos. Ganz gleich, welche Klasse das Haus kaufte, einer hat einen größeren Garten, der anderen einen kleineren, aber Garten hat man immer, und es gärtnerte sich natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich lustiger – jetzt vielleicht nicht konkret die ersten zehn Jahre danach, aber dann netter mit Blumen und Gemüse, als jetzt nur in der Absicht, Dinge anzubauen, die man auch verzehren konnte.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag zu Beginn unserer Gartenreihe mit Gabriella Pape von der Königlichen Gartenakademie in Berlin. Wenn – was Sie unter anderem tun, Sie tun eine ganze Menge, vom Pflanzenverkauf angefangen über Kursangebote bis hin zu auch Gärten gestalten, wenn man das möchte –, wenn jemand zu Ihnen kommt und sagt, ich hätte gerne einen Garten, kommen natürlich Rückfragen von Ihnen, von der Größe bis hin zu was stellen Sie sich denn vor. Also so stelle ich mir das jetzt vor. Gibt es Typen, also sehen Sie, oder nach einem gewissen Gespräch, Leute an, ob die jetzt eher den ganz wild rot blühenden eher Bauerngarten wollen oder eher das mit dem Lineal Gezogene? Sieht man den Leuten das an?
Pape: Nein – nach Gespräch oder ohne Gespräch?
Kassel: Mit Gespräch – na ja, gut, an der Nase nicht.
Pape: Mit Gespräch – na ja, nein, und selbst da gibt es Kommunikationsprobleme, weshalb ich ja ein neues Konzept eingeführt habe, also für mich – mir müssen die Leute ja auch ein Storyboard mitbringen, das heißt, sie müssen mir eine Idee geben, welche Gärten ihnen eigentlich gefallen. Weil da gibt es ja von bis nimmer endend Zigtausende. Das hat also nicht mit meiner Fantasielosigkeit zu tun, wie mir oft vorgeworfen oder öfters vorgeworfen wird, sondern ich weiß nicht, was der Kunde meint, wenn er sagt, er hätte gerne einen schönen Garten, nicht so formal, auch nicht zu verspielt, also das sagt mir alles nicht wirklich was, weil, was Sie verspielt finden, finde ich vielleicht lange noch … also es ist nicht konkret.
Und durch dieses Storyboard sehe ich, mögen die Farbe, mögen die viel Rasen, mögen die wenig Rasen – es gibt durchaus Leute, die dann nur Buxushecken und Rasen und weiße Hortensien … also der Stil und auch das Gefühl der Leute hat auch nicht unbedingt zu tun mit, wo sie wohnen oder wie sie wohnen, ob sie jetzt ein modernes Haus – es gibt Leute mit ganz modernen Häusern, die möchten gerne einen Cottage-Garten, und dann gibt es Leute mit einem Cottage, die möchten gerne einen modernen Garten. Und meine Aufgabe ist ja lediglich, dazwischen zu kommunizieren. Ich sehe mich als Kommunikator zwischen dem Stücken Land und den Träumen der Kunden. Und ich versuche dann, das möglich zu machen, was ich glaube, was dort funktioniert, was zu dem Kunden passt, zum Genius loci, also dem Ort, und dem Haus – das sehe ich als meine Aufgabe, nicht als Selbstverwirklicher, sondern eher als Berater des Möglichen.
Kassel: Müssen Sie aber dann auch manchmal Leuten sagen, gerade in Deutschland, wo es je nach Region, bleiben wir ruhig in Berlin-Brandenburg, auch nicht immer die besten Böden gibt auf den Grundstücken? Man kann auch schwierige Lichtverhältnisse haben. Müssen Sie manchmal auch Leuten sagen, wenn sie den Garten, oder sagen wir, zunächst mal die Fläche, wo der Garten entstehen soll, wirklich kennengelernt haben, das, was Sie sich vorstellen, geht nicht, oder kann man immer was machen?
Pape: Man kann immer was machen, das hat mit der Bereitschaft zu tun, am Boden was zu machen. Bei uns ist die Crux ja, dass wir immer glauben, wir könnten irgendwelche Pflanzen kaufen und die hier in die brandenburgische Wüste pflanzen. Das übrigens geht auch in England nicht. Der Engländer gibt immer zwei Drittel seines Geldes für die Bodenvorbereitung aus und ein Drittel für die Pflanzen. Also das ist das, wo er sehr realistisch ist, und wir unrealistisch und uns dann fragen, warum nach drei Wochen da nichts blüht, oder warum die Pflanze eingegangen ist.
Aber natürlich bin ich eben beratend dafür da und sage: Na ja, also wenn Sie jetzt hier in der Steppe irgendwelche Wasserpflanzen anbauen wollen oder umgekehrt, dann ist es meine Aufgabe, die Leute davon abzuhalten, aber generell geht alles. Die Frage ist dann wieder, und da kann man dann doch ein bisschen zur Gartenarbeit: Bodenvorbereitung ist aufwendig und ist komplex und muss nicht teuer sein, kann man auch selber sehr viel machen, aber das ist, wirklich, die Zukunft des Gartens liegt im Boden.
Kassel: Aber es ist nicht so, wie sich das der Laie vorstellt, einmal umgraben und ein bisschen Dünger rein.
Pape: Nein, umgraben schon gar nicht, also man gräbt immer weniger um, das war früher so, von unseren Urgroßeltern übergeben, das Umgraben war ja sehr beliebt. Das tut man heute eher weniger, es geht darum, die Erde drauf zu machen vorm Winter, und die Mikroorganismen und Würmer, die ziehen sich das schon alles in die Erde, die wissen, was gut ist, und komischerweise erhöht sich ja auch die Bodenstruktur nicht jedes Jahr. Wir geben jedes Jahr so zwischen 10 und 15 Zentimeter Kompost auf unsere Beete, und jetzt sind wir fünf Jahre da, theoretisch müsste das Gelände jetzt schon 80 Zentimeter erhöht sein, ist aber immer noch auf dem gleichen Niveau, das ist das Faszinierende an Erde: Sie verbessert sich, aber sie wird nicht mehr.
Kassel: Es gibt ja immer diese beliebte Frage, manche diskutieren auch darüber, Ziergarten oder Nutzgarten. Bei Nutzgarten meine ich Kartoffelfelder, aber sagen Sie Leuten, ein Garten funktioniert eigentlich nur, wenn man beides hat, wenn man wenigstens auch ein paar Kräuter dazwischen hat, oder sagen Sie, ein richtig schöner Garten, diese Gartenkultur, über die wir hier sprechen, das sind eigentlich Zierpflanzen?
Pape: Nein, das gehört unbedingt zusammen. Also entweder auf dem gleichen Gelände, aber getrennt – also einen Gemüsegarten, was sehr aufwändig ist, was viele von uns auch eigentlich so nicht brauchen, deshalb sprechen wir ja auch viel mehr von Naschbeeten, also Beete, in denen auch andere Dinge möglich sind, die Lückenfüller werden. Also wenn zum Beispiel der Mohn aufhört zu blühen, ist es super, an die gleiche Stelle zwei oder drei Feuerbohnen zu stecken, so einen Wigwam selbst zu basteln, und dann blüht da den ganzen Sommer eine rote und orangene Kletterbohne, die man auch ernten kann, und die füllt eine Lücke, so dass man – also dass kann auch Spaß machen, das Gärtnern, dass man einfach sagt, hier ist es notwendig, hier ist plötzlich ein großes Loch im Beet, weil der Mohn stirbt nach der Blüte ab, und jetzt gibt es eine Kletterbohne oder andere Gemüsearten, die man sonst im Geschäft vielleicht nicht kriegen könnte oder die nicht so schön blühen wie die Feuerbohne zum Beispiel.
Kassel: Da haben Sie jetzt einen wunderschönen Übergang, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen, zu unserer Sendung am Samstag geschaffen: Ich weiß, dass der Türkische Mohn unter anderem einer ihrer großen Pflanzentipps ist. Diesen Tipp habe ich schon mal angewandt vor ein paar Jahren, es ist wunderbar, wenn man damit lebt, dass es eine Weile dauert, und dann ist er auch wieder weg. Das ist eine rein praktische Frage, und über all das werden Sie, wenn sie denn mögen, mit Gabriella Pape auch reden können am kommenden Samstag, da sind Sie nämlich schon wieder hier – erfreulicherweise, das schon ist nicht … das war ungeschickt –, dann sind Sie Gott sei Dank wieder hier, am Samstag von neun bis elf Uhr, dann zusammen mit dem Schriftsteller und Schrebergartenbesitzer Wladimir Kaminer, der wird dann da sein. Für heute, Frau Pape, vielen Dank für Ihre Zeit!
Pape: Ich habe zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Frühlingserwachen - Die Gartensaison beginnt - Neue Reihe im Radiofeuilleton
Gabriella Pape ist nach ihrer Ausbildung in einer Baumschule in Hamburg nach Großbritannien gegangen, hat dort dann Landwirtschaft, Horticulture und Landschaftsarchitektur studiert, hat dann unter anderem im größten Botanischen Garten der Welt, in den Kew Gardens in London, gearbeitet, hat sich selbstständig gemacht, kam dann zurück nach Deutschland und hat hier in Berlin die Königliche Gartenakademie gegründet. Und jetzt ist sie bei uns im Studio. Schönen guten Tag, Frau Pape!
Gabriella Pape: Schönen guten Tag!
Kassel: Beginnen wir doch in Deutschland: Der deutsche Garten besteht im Wesentlichen aus einem großen Rasen, ein paar pflegeleichten Sträuchern und einem Carport. Ist das nur ein Vorurteil oder ist das oft immer noch so?
Pape: Nein, das ist durchaus noch so. Also Rasen, Carport, Kriechwacholder ist ja so das böse Schimpfwort, das ich auch geprägt habe. Leider ist das noch so, also dieses, das ist der Ort, der einen morgens mutig ins Leben entlassen soll und abends liebevoll wieder empfangen soll, ist es noch nicht geworden. Aber die Tendenz ist steigend.
Kassel: Aber es ist doch bestimmt immer noch so, wenn jemand zu Ihnen kommt, dass er sagt: Ich hätte gerne eine Empfehlung, ich brauche was, das von Mai bis September durchgehend blüht, aber dabei wenig Arbeit macht.
Pape: Ja, richtig. Da ist er bei mir aber völlig am falschen Ort.
Kassel: Das heißt, ein schöner – wir werden noch darüber reden, was das eigentlich sein soll, ein schöner Garten, aber wenn wir es mal so allgemein halten – ein schöner Garten bedeutet schon noch ein wenig Arbeit?
Pape: Nein, er bedeutet, man möchte da drin gärtnern. Also Gartenarbeit, das lehne ich ja ab, Arbeit ist es halt, wenn nichts zurückkommt. Das ist wie in der Küche, ich gehe auch kochen und nicht in der Küche arbeiten. Also zur Arbeit wird es, aus meiner Sicht, wenn nichts zurückkommt, also wenn es nicht blüht. Natürlich, wenn ich immer nur Rasenmäher und Hecken schneide, dann ist halt nicht viel los, und ein Kriechwacholder trägt auch nicht großartig zum Blütenstatus des Gartens bei. Also sobald Blumen reinkommen, heißt das auch, man muss sich ein bisschen kümmern, und vielleicht auch ein bisschen liebevoll kümmern, und dann wird das schon. Also ich bin immer der Meinung, der Ausgleich muss halt stimmen. Wenn das Essen nicht schmeckt, dann gebe ich mir auch weniger und weniger Mühe, und je mehr Mühe ich mir gebe – meistens jedenfalls, um so besser wird das. Und so ist das im Garten eigentlich auch.
Kassel: Hat das auch ein bisschen was mit dieser Monokultur auch – natürlich nicht bei Ihnen in der Akademie –, aber in vielen Gartenfachhandlungen zu tun? Mir ging es so, als ich das erste Mal meinen Garten hatte, und dann kaufwillig in einen Baumarkt ging, hatte ich natürlich zuerst das Gefühl, wow, da gibt es ja ganz viel. Und als ich dann in vier Baumärkten und zwei großen Gartenfachgeschäften war, hatte ich das Gefühl, nein, es ist eigentlich überall das Gleiche.
Pape: Das ist richtig, wenn man die Gartenbaumärkte oder die Gartenmärkte fragt, dann sagen die auch, das ist das, was die Kunden wollen, und die Kunden sagen, na, das ist das halt, was es da gibt, das ist wie ein kleiner böser Kreislauf, und das ist ja auch einer der Gründe, warum ich nach Berlin gekommen bin, weil ich einfach der Meinung bin, dass es nicht sein kann und auch nicht sein sollte, dass es ab August nichts anderes als Heide und Chrysanthemen gibt, sondern nach Karl Förster kann der Garten durchblühen von dieses Jahr vielleicht nicht gerade Februar, März, aber vielleicht von April dann doch mal bis November, und auch durch den Winter, also eben durch Pflanzen, die nicht runtergeschnitten werden, dass das im Schnee noch schön aussieht, das ist durchaus möglich, und das hat nichts zu tun, schon auch mit Winterhärte, aber nichts zu tun, ob das hier geht oder nicht. Das geht hier genau so, und dafür brauche ich keine Heide oder Chrysanthemen.
Kassel: Aber wenn Sie sagen, das geht hier genau so, dann haben Sie mir eine Vermutung schon genommen, wenn wir jetzt mal darüber reden wollen, warum Gartenkultur, auch private Gartenkultur in England so viel verbreiteter ist als bei uns, dann kann es die Witterung – es ist halt Klimawandel, ich weiß nicht, wie es jetzt ist, aber ursprünglich doch ein bisschen feuchter, man sieht ja in Südengland durchaus auch Palmen mal am Strand –, aber das kann es dann alleine nicht sein, es ist nicht nur die Witterung.
Pape: Nein, nein, nein, also England hat ohne Frage zwei Drittel mehr an Pflanzen, die Sie verwenden können – wir sprechen hier von Zigtausenden und nicht von Hunderten –, aber die Auswahl, die wir haben, die wir uns ermöglichen, ist überhaupt nicht ausgeschöpft in Deutschland. Wir könnten viel, viel artenreichere und buntere Gärten haben als wir sie im Moment haben.
Kassel: Aber woran liegt das, denn ich kann mich erinnern – ich weiß nicht, ob das heute noch so ist –, aber es gab Jahrzehnte irgendwie bei der BBC, glaube ich eine tägliche "Gardener’s Hour", dann hat der private Sender Classic FM, der wie unser Klassikradio auch eigentlich kaum Wort macht, irgendwann so was Ähnliches einführen müssen, weil der Druck so groß war. Es gibt auch noch ganz anders als bei uns wirklich relativ seriöse, es sind nicht bloß Shows, Gartensendungen im Fernsehen – woher kommt diese ganze Kultur?
Pape: Na, die ist einfach geblieben. Die ist nicht gekommen, sondern die ist geblieben. Bei uns ist sie verloren gegangen nach dem Zweiten Weltkrieg. Also ich habe da ja jetzt sehr lange mich damit befasst, und ich glaube einfach, dass nach dem Zweiten Weltkrieg wir hier erstens sehr beschäftigt waren mit Anbau von Gemüse, und dann kam eben das Wirtschaftswunder, Wirtschaftswachstum, da legte man sich auch nicht in den Garten auf eine Liege, in den 50ern, 60ern, 70ern, und erst jetzt wird überhaupt hinterfragt, was haben denn unsere Großmütter oder Urgroßmütter, die ja dann auch Blumen hatten – weil nach dem Krieg war es auch verpönt, nun plötzlich Blumen in den Garten zu holen, sondern man musste ja irgendwie das Leiden, den Leidensweg auch ein bisschen verdeutlichen und zeigen, der dann auch durchaus da war. Aber dass die Blumen einen Mittelgrund spielen, das war in England halt immer so, also man hat auch immer einen Garten gehabt. Das hat auch was mit der Kultur zu tun, dass die Engländer keine Wohnung mieten, sondern immer Häuser haben, und seien die noch so klein, und zu diesen kleinen Minihäusern gehört dann hinten auch eine Briefmarke Garten, und die wird immer liebevoll kultiviert. Also auch in England gibt es Carport und Kriechwacholder, also ohne Frage, aber die Tradition ist immer schon Garten habend, jeder, klassenlos. Ganz gleich, welche Klasse das Haus kaufte, einer hat einen größeren Garten, der anderen einen kleineren, aber Garten hat man immer, und es gärtnerte sich natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich lustiger – jetzt vielleicht nicht konkret die ersten zehn Jahre danach, aber dann netter mit Blumen und Gemüse, als jetzt nur in der Absicht, Dinge anzubauen, die man auch verzehren konnte.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag zu Beginn unserer Gartenreihe mit Gabriella Pape von der Königlichen Gartenakademie in Berlin. Wenn – was Sie unter anderem tun, Sie tun eine ganze Menge, vom Pflanzenverkauf angefangen über Kursangebote bis hin zu auch Gärten gestalten, wenn man das möchte –, wenn jemand zu Ihnen kommt und sagt, ich hätte gerne einen Garten, kommen natürlich Rückfragen von Ihnen, von der Größe bis hin zu was stellen Sie sich denn vor. Also so stelle ich mir das jetzt vor. Gibt es Typen, also sehen Sie, oder nach einem gewissen Gespräch, Leute an, ob die jetzt eher den ganz wild rot blühenden eher Bauerngarten wollen oder eher das mit dem Lineal Gezogene? Sieht man den Leuten das an?
Pape: Nein – nach Gespräch oder ohne Gespräch?
Kassel: Mit Gespräch – na ja, gut, an der Nase nicht.
Pape: Mit Gespräch – na ja, nein, und selbst da gibt es Kommunikationsprobleme, weshalb ich ja ein neues Konzept eingeführt habe, also für mich – mir müssen die Leute ja auch ein Storyboard mitbringen, das heißt, sie müssen mir eine Idee geben, welche Gärten ihnen eigentlich gefallen. Weil da gibt es ja von bis nimmer endend Zigtausende. Das hat also nicht mit meiner Fantasielosigkeit zu tun, wie mir oft vorgeworfen oder öfters vorgeworfen wird, sondern ich weiß nicht, was der Kunde meint, wenn er sagt, er hätte gerne einen schönen Garten, nicht so formal, auch nicht zu verspielt, also das sagt mir alles nicht wirklich was, weil, was Sie verspielt finden, finde ich vielleicht lange noch … also es ist nicht konkret.
Und durch dieses Storyboard sehe ich, mögen die Farbe, mögen die viel Rasen, mögen die wenig Rasen – es gibt durchaus Leute, die dann nur Buxushecken und Rasen und weiße Hortensien … also der Stil und auch das Gefühl der Leute hat auch nicht unbedingt zu tun mit, wo sie wohnen oder wie sie wohnen, ob sie jetzt ein modernes Haus – es gibt Leute mit ganz modernen Häusern, die möchten gerne einen Cottage-Garten, und dann gibt es Leute mit einem Cottage, die möchten gerne einen modernen Garten. Und meine Aufgabe ist ja lediglich, dazwischen zu kommunizieren. Ich sehe mich als Kommunikator zwischen dem Stücken Land und den Träumen der Kunden. Und ich versuche dann, das möglich zu machen, was ich glaube, was dort funktioniert, was zu dem Kunden passt, zum Genius loci, also dem Ort, und dem Haus – das sehe ich als meine Aufgabe, nicht als Selbstverwirklicher, sondern eher als Berater des Möglichen.
Kassel: Müssen Sie aber dann auch manchmal Leuten sagen, gerade in Deutschland, wo es je nach Region, bleiben wir ruhig in Berlin-Brandenburg, auch nicht immer die besten Böden gibt auf den Grundstücken? Man kann auch schwierige Lichtverhältnisse haben. Müssen Sie manchmal auch Leuten sagen, wenn sie den Garten, oder sagen wir, zunächst mal die Fläche, wo der Garten entstehen soll, wirklich kennengelernt haben, das, was Sie sich vorstellen, geht nicht, oder kann man immer was machen?
Pape: Man kann immer was machen, das hat mit der Bereitschaft zu tun, am Boden was zu machen. Bei uns ist die Crux ja, dass wir immer glauben, wir könnten irgendwelche Pflanzen kaufen und die hier in die brandenburgische Wüste pflanzen. Das übrigens geht auch in England nicht. Der Engländer gibt immer zwei Drittel seines Geldes für die Bodenvorbereitung aus und ein Drittel für die Pflanzen. Also das ist das, wo er sehr realistisch ist, und wir unrealistisch und uns dann fragen, warum nach drei Wochen da nichts blüht, oder warum die Pflanze eingegangen ist.
Aber natürlich bin ich eben beratend dafür da und sage: Na ja, also wenn Sie jetzt hier in der Steppe irgendwelche Wasserpflanzen anbauen wollen oder umgekehrt, dann ist es meine Aufgabe, die Leute davon abzuhalten, aber generell geht alles. Die Frage ist dann wieder, und da kann man dann doch ein bisschen zur Gartenarbeit: Bodenvorbereitung ist aufwendig und ist komplex und muss nicht teuer sein, kann man auch selber sehr viel machen, aber das ist, wirklich, die Zukunft des Gartens liegt im Boden.
Kassel: Aber es ist nicht so, wie sich das der Laie vorstellt, einmal umgraben und ein bisschen Dünger rein.
Pape: Nein, umgraben schon gar nicht, also man gräbt immer weniger um, das war früher so, von unseren Urgroßeltern übergeben, das Umgraben war ja sehr beliebt. Das tut man heute eher weniger, es geht darum, die Erde drauf zu machen vorm Winter, und die Mikroorganismen und Würmer, die ziehen sich das schon alles in die Erde, die wissen, was gut ist, und komischerweise erhöht sich ja auch die Bodenstruktur nicht jedes Jahr. Wir geben jedes Jahr so zwischen 10 und 15 Zentimeter Kompost auf unsere Beete, und jetzt sind wir fünf Jahre da, theoretisch müsste das Gelände jetzt schon 80 Zentimeter erhöht sein, ist aber immer noch auf dem gleichen Niveau, das ist das Faszinierende an Erde: Sie verbessert sich, aber sie wird nicht mehr.
Kassel: Es gibt ja immer diese beliebte Frage, manche diskutieren auch darüber, Ziergarten oder Nutzgarten. Bei Nutzgarten meine ich Kartoffelfelder, aber sagen Sie Leuten, ein Garten funktioniert eigentlich nur, wenn man beides hat, wenn man wenigstens auch ein paar Kräuter dazwischen hat, oder sagen Sie, ein richtig schöner Garten, diese Gartenkultur, über die wir hier sprechen, das sind eigentlich Zierpflanzen?
Pape: Nein, das gehört unbedingt zusammen. Also entweder auf dem gleichen Gelände, aber getrennt – also einen Gemüsegarten, was sehr aufwändig ist, was viele von uns auch eigentlich so nicht brauchen, deshalb sprechen wir ja auch viel mehr von Naschbeeten, also Beete, in denen auch andere Dinge möglich sind, die Lückenfüller werden. Also wenn zum Beispiel der Mohn aufhört zu blühen, ist es super, an die gleiche Stelle zwei oder drei Feuerbohnen zu stecken, so einen Wigwam selbst zu basteln, und dann blüht da den ganzen Sommer eine rote und orangene Kletterbohne, die man auch ernten kann, und die füllt eine Lücke, so dass man – also dass kann auch Spaß machen, das Gärtnern, dass man einfach sagt, hier ist es notwendig, hier ist plötzlich ein großes Loch im Beet, weil der Mohn stirbt nach der Blüte ab, und jetzt gibt es eine Kletterbohne oder andere Gemüsearten, die man sonst im Geschäft vielleicht nicht kriegen könnte oder die nicht so schön blühen wie die Feuerbohne zum Beispiel.
Kassel: Da haben Sie jetzt einen wunderschönen Übergang, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen, zu unserer Sendung am Samstag geschaffen: Ich weiß, dass der Türkische Mohn unter anderem einer ihrer großen Pflanzentipps ist. Diesen Tipp habe ich schon mal angewandt vor ein paar Jahren, es ist wunderbar, wenn man damit lebt, dass es eine Weile dauert, und dann ist er auch wieder weg. Das ist eine rein praktische Frage, und über all das werden Sie, wenn sie denn mögen, mit Gabriella Pape auch reden können am kommenden Samstag, da sind Sie nämlich schon wieder hier – erfreulicherweise, das schon ist nicht … das war ungeschickt –, dann sind Sie Gott sei Dank wieder hier, am Samstag von neun bis elf Uhr, dann zusammen mit dem Schriftsteller und Schrebergartenbesitzer Wladimir Kaminer, der wird dann da sein. Für heute, Frau Pape, vielen Dank für Ihre Zeit!
Pape: Ich habe zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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