Volker Böttcher studierte Rechtswissenschaften und ist ander Hochschule Harz Professur für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft (insb. Reiseveranstaltermanagement). Er arbeitete viele Jahre für den Reiseveranstalter TUI.
Reisen in Zeiten des Klimawandels
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Die Debatte über "Flugscham" ist in vollem Gange. Doch die Zahl der Flugreisen steigt nach wie vor. Wie könnte umweltfreundliches Reisen aussehen? Virtuelle 3D-Ausflüge werden das Reisen sicher nicht ersetzen, sagt Tourismusforscher Volker Böttcher.
Shanli Anwar: Die Digitalisierung, die macht ja vor keiner Branche halt. Wie sieht es in der Tourismusbranche aus? Ist die gut aufgestellt?
Volker Böttcher: Ja, die klassischen Anbieter, die wir schon seit vielen Jahrzehnten kennen, die haben schon gewaltig zu kämpfen, einmal natürlich mit der technischen Herausforderung, aber zum anderen auch mit der Tatsache, dass das Internet den Zugang zum Reisemarkt für ganz, ganz viele neue Anbieter ermöglicht hat. Insofern ist das nicht nur die technologische Herausforderung, sondern auch die Tatsache, dass viel, viel mehr Wettbewerb entstanden ist.
Mehr Wettbewerb, mehr Angebote
Anwar: Wenn man jetzt an die Hotelbranche denkt, da ist ein großer Konkurrent Airbnb, die US-Wohungsvermittlungsplattform. Wie gehen denn Reiseanbieter mit dieser Herausforderung um?
Böttcher: Da muss man etwas differenzierter hineinschauen. Am Anfang haben viele Hoteliers – weil die am direktesten betroffen sind in der Tourismusbranche – versucht, dieses Thema zu verhindern. Was natürlich niemals gelingt. Man kann auch Elektromobilität am Ende nicht verhindern. Was die Anbieter, gerade auch die klassischen Reiseveranstalter, jetzt natürlich versuchen müssen, ist, ihr Angebot an Ferienwohnungen auszudehnen und deutlich zu machen, dass mit ihren Angeboten im Vergleich zu einer, ich sage mal, reinen Zimmervermittlung, durchaus auch noch andere Dienstleistungen enthalten sind, die für so einen Reisenden ganz wichtig sein können.
Anwar: Also Anreize zu schaffen beispielsweise?
Böttcher: Ja, indem man zum Beispiel Transport und auch bestimmte Leistungen vor Ort mit organisiert, Ausflüge organisiert, die Kunden darauf hinweist, wo sie schöne Dinge erleben können. Das ist auch das, was wir jetzt bei Airbnb sehen. Ursprünglich mal gestartet als reine Zimmervermittlung dehnen die ja ihr touristisches Geschäft nun auch langsam aus und versuchen, ihren Gästen sozusagen noch zusätzliche Serviceangebote zu verkaufen. Das meinte ich mit zunehmendem Wettbewerb, neue Wettbewerber und viel mehr Angebot für den Kunden.
Rückgang der Reisebüros
Anwar: Airbnb will jetzt sogar Dokumentarfilme über einzelne Städte drehen, aber das ist ein anderes Thema. Die Digitalisierung trifft auch die Reiseplanung: Schon seit den 90er-Jahren wird der Untergang des Reisebüros ein bisschen verkündet. Wie schaffen es denn so viele Reisebüros, weiter zu überleben, auch, wenn viele ihren Urlaub mittlerweile online selbstständig buchen?
Böttcher: Man muss sagen, es gibt mittlerweile schon deutlich weniger Reisebüros als noch vor 15 Jahren. Da gab es in Deutschland um die 18.000, heute sind wir so bei 10.000 angekommen. Bei den Reisebüros muss man wissen: Die Menschen, die dort buchen, buchen doch ganz überwiegend Pauschalreisen. Die Menschen, die sozusagen einer Organisation, ihre Urlaubsreise, anvertrauen, die bevorzugen auch tatsächlich die persönliche Beratung. Ungefähr zwei Drittel der Pauschalreisen werden noch im Reisebüro gebucht. Das ist ganz erklecklich.
Professionelle Beratung wir immer noch geschätzt
Anwar: Doch so viele, ja.
Böttcher: Ja! Während bei Individualreisen – also dann, wenn wir uns nur ein Flugticket organisieren oder wenn wir sagen, wir buchen eben Airbnb, wie eben besprochen, oder vielleicht auch nur ein Hotelzimmer – da ist mittlerweile das Internet vorne. Aber bei den Pauschalreisen haben die Reisebüros sich gut gehalten. Das lebt sehr stark von deren Beratungsqualität, weil das viele Kunden auch wollen. Und so lange sie die gut bringen, werden sie auch eine Zukunft haben.
Anwar: Aber es hört sich ein bisschen schwierig an, eine Pauschalreise dann individuell zu gestalten.
Böttcher: Ja, das ist natürlich der Anspruch der Anbieter erst mal. Aber ich gebe Ihnen mal ein einfaches Beispiel: Wenn Sie eine Reise in die Ferne machen und Sie kombinieren einen Flug mit einem Hotelaufenthalt, wollen sich vielleicht ein paar Tage lang das Land auch noch durch eine kleine Rundreise erschließen, dann gibt es viele Dinge zu berücksichtigen. So eine Reise ist nicht unkompliziert. Und wir sollten bitte nicht vergessen, viele Menschen reisen nur ein bis zwei Mal im Jahr und dann mögen sie es schon, wenn sie von einem Profi beraten werden.
Immer mehr Flugreisen – trotz Flugscham
Anwar: Jetzt ist es so, Anfang des Jahres fürchteten große Anbieter wie zum Beispiel die TUI ausbleibende Buchungen fürs Sommergeschäft durch den sogenannten Greta-Effekt, also durch die ganze Klimadebatte, die es aktuell gibt um Flugbuchungen und so weiter. Spürt die Tourismusbranche die Folgen der Flugscham-Debatte?
Böttcher: Ich glaube, sie spürt dort eine aufkommende Debatte, das wird man auch weiter beobachten müssen, wie sich das auswirkt. Ganz objektiv für das laufende Jahr ist in den Buchungszahlen überhaupt kein Effekt erkennbar, das ist ja ohnehin ein Phänomen, dass wir alle diese Fragen sehr intensiv diskutieren. Aber wenn wir uns unser ganz individuelles Verhalten wirklich mal selbstkritisch anschauen, dann stellt man fest: Da sind wir noch lange nicht so weit. Das gilt auch für die Flugreisen, die wachsen nämlich unverändert.
Anwar: Wenn man sich Zukunftsmodelle der Tourismusbranche anschaut, könnte man natürlich auch überlegen: Wie umweltverträglich könnte man das gestalten?
Böttcher: Ja. Da versuchen die Anbieter, schon eine Menge zu tun. Man hat in der Tat auch in den vergangenen Jahren insbesondere, was das Thema Triebwerke und Emissionen dieser Triebwerke angeht, hat man sehr, sehr viel getan. Aber natürlich muss man sagen, emissionsfreie Mobilität ist nicht möglich. Und die Diskussion wird zunehmen, möglicherweise werden sich in der Zukunft auch noch einige Menschen mehr als in der Vergangenheit auch einfach dafür entscheiden, im eigenen Land Urlaub zu machen.
Virtuelle Reisen ersetzen keine realen Reisen
Anwar: Jetzt ist es, wenn wir in die Zukunft weiter blicken, so: In den Büros von Thomas Cook kann man die Welt mittlerweile auch schon mit Virtual-Reality-Brille erkunden, also erst mal per 3D. Wie sieht es Ihrer Meinung nach aus mit dem Reisen der Zukunft? Wird man vielleicht dann nicht mehr eben hinfliegen in die weite Welt, sondern vom heimischen Sofa aus durch die virtuelle Realität die Welt bereisen?
Böttcher: Nein, nach allem, was wir heute wissen, wird die virtuelle Realität tatsächlich sehr gerne genutzt, um sich vorab über den Reiseort und die Möglichkeiten dort zu informieren, aber am Ende möchten die Menschen nicht darauf verzichten. Das hat sehr viel damit zu tun, dass es einen großen Unterschied macht, ob ich mich in einer virtuellen oder eben in der realen Welt bewege. Die Haptik ist eine ganz andere, ich kann riechen, ich kann schmecken. Und es ist auch eine ganz andere Form der Kommunikation. Insofern glaube ich, das ist in der Tat etwas, was in der Beratung eine Rolle spielen wird, aber es wird die Menschen am Ende nicht davon abhalten, zu reisen.
"Riesenunterschiede wird es nicht geben"
Anwar: Wird sich also das Reisen der Zukunft gar nicht so sehr unterscheiden von dem, was wir bisher kennen?
Böttcher: Ich glaube tatsächlich, Riesenunterschiede wird es nicht geben. Wir haben nur diese eine Erde und auch sozusagen die touristischen Gebiete, die es dort gibt. Wir werden sicherlich sehr selbstkritisch darüber nachdenken müssen, ob die Intensität des Reisens so bleiben muss, wie das heute der Fall ist. Wir werden uns insbesondere überlegen müssen, ob wir zum Beispiel mit dem Flugzeug innerhalb Deutschlands fliegen oder ob es da nicht zum Beispiel auch die Bahn tut. Aber ich glaube, der Urlaub einmal im Jahr, den werden die Menschen sich auch in der Zukunft nicht nehmen lassen.
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