Die zusammengepackte Stadt
Samarra war Hauptstadt eines der größten Weltreiche der Geschichte. Ihr Name bedeutet auf Arabisch "Erfreut, wer sie sieht". Sie lag am Tigris. Das Museum für Islamische Kunst, das im Berliner Pergamonmuseum beheimatet ist, zeigt archäologische Funde. Sie legen nahe, dass die Bewohner ihre Stadt fluchtartig verlassen mussten.
Stefan Weber, Kurator und Direktor des Museums für Islamische Kunst: "Ich freu mich einerseits über die Wandmalereien aus Samarra. Alles sind kleine Fragmente. Die großen Bilder muss man sich dann im Kopf dazu denken. Es gibt eine Scherbe, das ist unglaublich, das ist eine Erfindung der Zeit damals mit dieser Lüsterkeramik, dieser Gold glänzenden Keramik, die ist damals mit sehr viel Rot bemalt worden noch. Und das ist ein Farbenspektakel auf zehn mal fünf Zentimeter, das ist schon beeindruckend. Und ich bin selber kein Scherben-Freak, also ich komm aus der Architektur und hab über Architektur gearbeitet. Aber wenn man sich dann das ganze Ding vorstellt und man überlegt, man hat im 9.Jahrhundert so eine Regenbogenschüssel in der Hand, das muss also spektakulär gewesen sein. Unsere Tontöpfe sehen dagegen alt aus."
Stefan Weber bekommt leuchtende Augen, wenn er über Samarra redet, die legendäre Hauptstadt eines der größten Weltreiche der Geschichte. Samarra, so erzählen es die archäologischen Funde, musste einmal eine der aufwendigsten Stadtanlagen der Welt gewesen sein, 150 Quadratkilometer groß mit einem gigantischen Kalifenpalast und einer Folge von Thronsälen, Wohnräumen und ausgedehnten Gartenanlagen. Sogar Jagdgehege, Polospielfelder und Pferderennbahnen soll es gegeben haben.
Das berühmte Spiralminarett, das heute noch erhalten ist, diente europäischen Malern als Vorlage für ihre Darstellungen des Turmbaus zu Babel. Kaum zu glauben, dass eine so riesige Stadt nicht einmal 60 Jahre währte, denn Samarra war nur von 836 bis 892 die Hauptstadt des abbasidischen Weltreichs. Der damalige Kalif al-Mu'tasim wollte mit ihrer Gründung den politischen Wirren, die in der Metropole Bagdad herrschten, aus dem Weg gehen. Samarra, oder offiziell "Surra man Ra'a", arabisch für "Erfreut, wer sie sieht", verschwand so schnell, wie sie gebaut wurde.
"Die Abbasiden, die damalige Dynastie, das ist die zweite Dynastie der islamischen Zeit, eine Dynastie, die von Spanien bis an die Grenzen Chinas herrschte, also ein Weltreich, die haben immer wieder Städte gebaut, Bagdad selber, die große blühende Hauptstadt wurde 762 gegründet, aber dann auch der berühmte Kalif Harun ar-Raschid, das ist der von 1001 Nacht, hat dann Ende des 8. Jahrhunderts eine weitere Residenzstadt gegründet, und so sind dann weitere Städte gegründet worden und wieder verlassen worden und Samarra ist das berühmteste Beispiel, weil es halt diese unglaubliche Größe hat und monumentale Bauwerke, die dann aus Lehm gebaut worden sind und die heute noch zum Teil stehen."
Allein die Große Moschee dieser Stadt soll 100.000 Menschen Platz geboten haben. Wie konnte eine so große Anlage am Ende wieder verlassen werden? War es eine langsame Abwanderung, eine Flucht oder gar ein geordneter Rückzug?
"Wir wissen selbst nicht, wie das organisiert worden ist. Die Grabungen, die vor hundert Jahren anfingen, also vor 102 Jahren inzwischen, haben viele Scherben und Objekte zu Tage gebracht, die so aussahen als hätte man sie zurückgelassen, weil sie kaputt sind. Ganze Gefäße waren so gut wie überhaupt nicht zu finden. Durch die Bestätigung in den schriftlichen Quellen können wir also ganz eindeutig sagen, dass die Stadt zusammengepackt worden ist. Man hat also wirklich die Dinge, die man brauchen konnte, mitgenommen, aber diese kleinen Elemente geben uns ein spektakuläres Bild."
Stefan Weber geht es genau darum: um die spektakulären Bilder, die mit dem Islam hierzulande verbunden sind und die eine differenzierte Betrachtungsweise verhindern. Gerade heute werde Islam mit religiösem Fundamentalismus gleichgesetzt, am wenigsten mit einem komplexen Kulturraum, der auf eine eigene Jahrtausendealte Geschichte zurückblicken kann. Islam und Religion seien zwar nicht zu trennen - um ein authentischeres Bild über die Kulturen in dieser Region zu erhalten, sei es aber hilfreich, den Fokus mehr auf die künstlerischen Schöpfungen als auf die religiösen Aspekte zu richten. Für diesen Perspektivenwechsel sei die Ausstellung in Berlin ein spannender Beitrag.
"Die Samarra-Ausstellung, aber auch das Museum insgesamt hat, glaube ich, für Deutschland eine ganz wichtige Funktion. Nämlich, dass man sich vermehrt mit der Kultur der arabischen Länder oder auch der islamischen Länder im Allgemeinen auseinandersetzt. Denn wir reden heute sehr viel über Islam, man hört ständig irgendwelche Diskussionen im Fernsehen, aber man weiß doch relativ wenig. Also ich bin immer wieder entsetzt, dass man eine ganze Kulturregion mit ganz vereinfachten religiösen Mustern beschreibt. Kulturen sind nicht statisch, und wir haben sehr oft in unserem Kulturempfinden etwas, dass wir denken, dass der Andere, was wir von uns nie sagen würden, erst mal so ist. Der ist einfach so. Und dann denkt man, ja, der war schon immer so. Und dass man einer anderen Gesellschaft auch erlaubt, eine Geschichte zu entwickeln und zu haben, sodass jemand sagen kann, dass, was im 9.Jahrhundert ist, was im 10.Jahrhundert ist, sehr unterschiedlich ist. Die haben sich entwickelt und sind eine Gesellschaft wie wir oder sind Gesellschaften wie wir, die eine historische Erfahrung gemacht haben."
Der Wunsch, ein differenzierteres Bild über den Islam zu bekommen und seine unterschiedlichen Kulturen besser kennen zu lernen, scheint stetig zu wachsen. Die ständigen Negativberichte über Islamisten hierzulande und die Auseinandersetzungen in der arabischen Welt haben offenbar ein neues Bedürfnis geweckt, das sich auch in den wachsenden Besucherzahlen des Museums für Islamische Kunst widerspiegelt. Ein Trend, den Stefan Weber weltweit beobachtet:
"Also interessant ist, dass die islamischen Kunstmuseen in den letzten 10 Jahren, 15 Jahren einen enormen Aufschwung erfahren haben. Alle wurden irgendwo umgebaut. Gerade hat Paris und New York eröffnet, Louvre und Metropolitan. Das Museum für Islamische Kunst ist Teil dieser großen Welle der Erneuerung von Museen für Islamische Kunst, wobei das in Berlin natürlich eine ganz eigene Dynamik hat aufgrund des Masterplans Museumsinsel, wo wir jetzt gerade an der Reihe sind, im Umbau des Pergamonmuseums da eine neue Ausstellungsfläche zu haben und die zu verdreifachen. Für uns also eine große Möglichkeit, auf der einen Seite unsere gesellschaftliche Aufgabe bewusster in unsere Arbeit zu integrieren, auf der anderen Seite aber auch natürlich dann zu lernen, wie man denn diese komplexe Kulturgeschichte und Kunstgeschichte ein bisschen besser zugänglich macht für Menschen, dass das Informationsbedürfnis auch ein bisschen besser bedient wird."
Neben der Aufgabe, diesem wachsenden Informationsbedürfnis des Publikums mit modernen Mitteln der Museumspädagogik zu begegnen, sieht Stefan Weber die große Herausforderung darin, den Kontakt seines Museums zu den Mitarbeitern in Samarra und Umgebung wieder aufzubauen. Was Ernst Herzfeld vor über 100 Jahren mit seiner Arbeit in Samarra vorpraktiziert habe, sei auch für ihn und gerade jetzt wieder ganz aktuell: Archäologie im Dienst der Völkerverständigung.
"Leider ist also durch diese ganze Geschichte jetzt im Irak der Kontakt ein wenig abgebrochen. Wir hatten jetzt mehrmals Delegationen hier, und wir bauen das langsam wieder auf. Aber dadurch, dass wir selber nicht runter können und dort nicht arbeiten können, ist es ein bisschen schwierig. Wir sind natürlich ständig mit Freunden und Kollegen in der arabischen Welt verbunden und im Austausch, aber leider gerade im Irak sehr schlecht. Das ist noch verbesserungsdürftig und wir wissen, dass, sobald es wieder sicherer wird im Irak, wollen wir auch auf jeden Fall zusammenarbeiten bei der Aufarbeitung der Materialien, vielleicht sogar, das wäre natürlich auch eine Traum, dann auch in Zukunft dort wieder forschen."
Link zum Thema:
Im Museum für Islamische Kunst: (im Berliner Pergamonmuseum)
Samarra - Zentrum der Welt. 100 und 1 Jahr archäologische Forschung am Tigris
Stefan Weber bekommt leuchtende Augen, wenn er über Samarra redet, die legendäre Hauptstadt eines der größten Weltreiche der Geschichte. Samarra, so erzählen es die archäologischen Funde, musste einmal eine der aufwendigsten Stadtanlagen der Welt gewesen sein, 150 Quadratkilometer groß mit einem gigantischen Kalifenpalast und einer Folge von Thronsälen, Wohnräumen und ausgedehnten Gartenanlagen. Sogar Jagdgehege, Polospielfelder und Pferderennbahnen soll es gegeben haben.
Das berühmte Spiralminarett, das heute noch erhalten ist, diente europäischen Malern als Vorlage für ihre Darstellungen des Turmbaus zu Babel. Kaum zu glauben, dass eine so riesige Stadt nicht einmal 60 Jahre währte, denn Samarra war nur von 836 bis 892 die Hauptstadt des abbasidischen Weltreichs. Der damalige Kalif al-Mu'tasim wollte mit ihrer Gründung den politischen Wirren, die in der Metropole Bagdad herrschten, aus dem Weg gehen. Samarra, oder offiziell "Surra man Ra'a", arabisch für "Erfreut, wer sie sieht", verschwand so schnell, wie sie gebaut wurde.
"Die Abbasiden, die damalige Dynastie, das ist die zweite Dynastie der islamischen Zeit, eine Dynastie, die von Spanien bis an die Grenzen Chinas herrschte, also ein Weltreich, die haben immer wieder Städte gebaut, Bagdad selber, die große blühende Hauptstadt wurde 762 gegründet, aber dann auch der berühmte Kalif Harun ar-Raschid, das ist der von 1001 Nacht, hat dann Ende des 8. Jahrhunderts eine weitere Residenzstadt gegründet, und so sind dann weitere Städte gegründet worden und wieder verlassen worden und Samarra ist das berühmteste Beispiel, weil es halt diese unglaubliche Größe hat und monumentale Bauwerke, die dann aus Lehm gebaut worden sind und die heute noch zum Teil stehen."
Allein die Große Moschee dieser Stadt soll 100.000 Menschen Platz geboten haben. Wie konnte eine so große Anlage am Ende wieder verlassen werden? War es eine langsame Abwanderung, eine Flucht oder gar ein geordneter Rückzug?
"Wir wissen selbst nicht, wie das organisiert worden ist. Die Grabungen, die vor hundert Jahren anfingen, also vor 102 Jahren inzwischen, haben viele Scherben und Objekte zu Tage gebracht, die so aussahen als hätte man sie zurückgelassen, weil sie kaputt sind. Ganze Gefäße waren so gut wie überhaupt nicht zu finden. Durch die Bestätigung in den schriftlichen Quellen können wir also ganz eindeutig sagen, dass die Stadt zusammengepackt worden ist. Man hat also wirklich die Dinge, die man brauchen konnte, mitgenommen, aber diese kleinen Elemente geben uns ein spektakuläres Bild."
Stefan Weber geht es genau darum: um die spektakulären Bilder, die mit dem Islam hierzulande verbunden sind und die eine differenzierte Betrachtungsweise verhindern. Gerade heute werde Islam mit religiösem Fundamentalismus gleichgesetzt, am wenigsten mit einem komplexen Kulturraum, der auf eine eigene Jahrtausendealte Geschichte zurückblicken kann. Islam und Religion seien zwar nicht zu trennen - um ein authentischeres Bild über die Kulturen in dieser Region zu erhalten, sei es aber hilfreich, den Fokus mehr auf die künstlerischen Schöpfungen als auf die religiösen Aspekte zu richten. Für diesen Perspektivenwechsel sei die Ausstellung in Berlin ein spannender Beitrag.
"Die Samarra-Ausstellung, aber auch das Museum insgesamt hat, glaube ich, für Deutschland eine ganz wichtige Funktion. Nämlich, dass man sich vermehrt mit der Kultur der arabischen Länder oder auch der islamischen Länder im Allgemeinen auseinandersetzt. Denn wir reden heute sehr viel über Islam, man hört ständig irgendwelche Diskussionen im Fernsehen, aber man weiß doch relativ wenig. Also ich bin immer wieder entsetzt, dass man eine ganze Kulturregion mit ganz vereinfachten religiösen Mustern beschreibt. Kulturen sind nicht statisch, und wir haben sehr oft in unserem Kulturempfinden etwas, dass wir denken, dass der Andere, was wir von uns nie sagen würden, erst mal so ist. Der ist einfach so. Und dann denkt man, ja, der war schon immer so. Und dass man einer anderen Gesellschaft auch erlaubt, eine Geschichte zu entwickeln und zu haben, sodass jemand sagen kann, dass, was im 9.Jahrhundert ist, was im 10.Jahrhundert ist, sehr unterschiedlich ist. Die haben sich entwickelt und sind eine Gesellschaft wie wir oder sind Gesellschaften wie wir, die eine historische Erfahrung gemacht haben."
Der Wunsch, ein differenzierteres Bild über den Islam zu bekommen und seine unterschiedlichen Kulturen besser kennen zu lernen, scheint stetig zu wachsen. Die ständigen Negativberichte über Islamisten hierzulande und die Auseinandersetzungen in der arabischen Welt haben offenbar ein neues Bedürfnis geweckt, das sich auch in den wachsenden Besucherzahlen des Museums für Islamische Kunst widerspiegelt. Ein Trend, den Stefan Weber weltweit beobachtet:
"Also interessant ist, dass die islamischen Kunstmuseen in den letzten 10 Jahren, 15 Jahren einen enormen Aufschwung erfahren haben. Alle wurden irgendwo umgebaut. Gerade hat Paris und New York eröffnet, Louvre und Metropolitan. Das Museum für Islamische Kunst ist Teil dieser großen Welle der Erneuerung von Museen für Islamische Kunst, wobei das in Berlin natürlich eine ganz eigene Dynamik hat aufgrund des Masterplans Museumsinsel, wo wir jetzt gerade an der Reihe sind, im Umbau des Pergamonmuseums da eine neue Ausstellungsfläche zu haben und die zu verdreifachen. Für uns also eine große Möglichkeit, auf der einen Seite unsere gesellschaftliche Aufgabe bewusster in unsere Arbeit zu integrieren, auf der anderen Seite aber auch natürlich dann zu lernen, wie man denn diese komplexe Kulturgeschichte und Kunstgeschichte ein bisschen besser zugänglich macht für Menschen, dass das Informationsbedürfnis auch ein bisschen besser bedient wird."
Neben der Aufgabe, diesem wachsenden Informationsbedürfnis des Publikums mit modernen Mitteln der Museumspädagogik zu begegnen, sieht Stefan Weber die große Herausforderung darin, den Kontakt seines Museums zu den Mitarbeitern in Samarra und Umgebung wieder aufzubauen. Was Ernst Herzfeld vor über 100 Jahren mit seiner Arbeit in Samarra vorpraktiziert habe, sei auch für ihn und gerade jetzt wieder ganz aktuell: Archäologie im Dienst der Völkerverständigung.
"Leider ist also durch diese ganze Geschichte jetzt im Irak der Kontakt ein wenig abgebrochen. Wir hatten jetzt mehrmals Delegationen hier, und wir bauen das langsam wieder auf. Aber dadurch, dass wir selber nicht runter können und dort nicht arbeiten können, ist es ein bisschen schwierig. Wir sind natürlich ständig mit Freunden und Kollegen in der arabischen Welt verbunden und im Austausch, aber leider gerade im Irak sehr schlecht. Das ist noch verbesserungsdürftig und wir wissen, dass, sobald es wieder sicherer wird im Irak, wollen wir auch auf jeden Fall zusammenarbeiten bei der Aufarbeitung der Materialien, vielleicht sogar, das wäre natürlich auch eine Traum, dann auch in Zukunft dort wieder forschen."
Link zum Thema:
Im Museum für Islamische Kunst: (im Berliner Pergamonmuseum)
Samarra - Zentrum der Welt. 100 und 1 Jahr archäologische Forschung am Tigris