Stephan-Götz Richter studierte Jura und internationale Politik. Er ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins "The Globalist" und Direktor des Global Ideas Center in Berlin. Mit den Herausforderungen für eine konstruktive Zukunft befasst sich Richter auch auf seiner Homepage.
Olaf Scholz und Emmanuel Macron
Der eine gilt als charmant, der andere hat den Spitznamen Scholzomat: Trotzdem haben Frankreichs Präsident Macron (r) und Bundeskanzler Scholz einige Ähnlichkeiten. © picture alliance / newscom / UPI Photo / David Silpa
Die zwei Napoleons
Emmanuel Macron und Olaf Scholz haben einiges gemeinsam, meint der Journalist Stephan-Götz Richter. Ähnlich wie einst Napoleon strebten sie eine grundlegende Modernisierung der wirtschaftlichen und administrativen Strukturen an.
Die Parallelen zwischen Olaf Scholz und Emmanuel Macron sind ebenso interessant wie aufschlussreich. Dass beide eher kurz gewachsen sind, ist dabei nebensächlich. Was zählt, ist, dass beide technokratisch veranlagt sind und als Politiker extrem vernunftgesteuert agieren. Beide Männer vertrauen ihrer eigenen Denkkraft so unbedingt, dass sie schnell als arrogant angesehen werden.
Was Scholz und Macron unterscheidet
Wobei Emmanuel Macron durchaus Emotionalität in seine Auftritte einstreut. Als Absolvent der Eliteschule ENA ist Macron einem offenen und durchaus kontrovers ausgetragenen Streitgespräch mit seinem jeweiligen Debattenpublikum keineswegs abgeneigt.
Überhaupt fordert Macron seine Mitbürger gerne heraus und er mag es, wohldurchdachte Visionen mit inspirierenden Details zu verkünden. Dabei operiert er des Öfteren mit dem Stilmittel einer Begeisterungs- und sogar Überrumpelungskommunikation.
Olaf Scholz fällt es dagegen sehr schwer, wenigstens ein bisschen Emotionalität zu versprühen. Oft kommt er beim Reden mit einer Monotonie herüber, die – man hat den Eindruck ganz bewusst – die Wirkung einer Schlaftablette hat. Der Sprachstil von Scholz ist am besten als breit angelegte Beschwichtigungskommunikation zu verstehen. Seine Formulierungen sollen möglichst nirgendwo anecken und wirken intensiv Fokusgruppen getestet.
Sobald Scholz von einem Fragenden herausgefordert wird, schaltet er instinktiv schnell auf stur. Wenn er dann seine Argumente im Rhetorikmodus einer menschlichen Dampfwalze abspult, wirkt er nicht nur wenig dialogfähig, sondern mitunter eine Spur autistisch.
Konzeptionelle und ideologische Ebenen
Wie aber halten es Scholz und Macron mit der Ideologie? Obwohl Macron von seinem Selbstverständnis her ein Liberaler und kein Sozialdemokrat ist, verbindet die beiden eine wichtige politische Erfahrung. Beide sind Experten beim Thema: Wie steigt man im Umfeld einer sozialistischen beziehungsweise sozialdemokratischen Partei zur Nummer Eins auf, wenn man innerparteilich als zu konservativ gilt?
Für ihre Zusammenarbeit sollte helfen, dass Scholz ein ideologiefreier Stratege ist. Er macht zwar mitunter ideologisch motivierte Bekenntnisse – darin ist er Angela Merkel ganz ähnlich. Allerdings tut er das, so wie sie, nur dann, wenn es seinem machtpolitischen Fortkommen beziehungsweise der Konsolidierung seiner Macht dient. Auch darum gilt er als kühl, wortkarg und berechnend, als wenig zu greifen.
„Scholzomat“ hieß er schon in den 80er-Jahren.
„Scholzomat“ hieß er schon in den 80er-Jahren.
Macron ist in seinem machtpolitischen Stil ganz anders. Er ist in ständiger Unruhe und bestrebt, anderen seine Brillanz zu beweisen – und macht sich gerade dadurch angreifbar. Macron hält Ideologie für überkommen und setzt stattdessen auf eine Mischung vom Elan des Jüngeren und Mut zu schwierigen Reformen – wie etwa beim Thema Rente.
Scholz, Macron und ihr innerer Napoleon
Was also bleibt dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten als gemeinsames, verbindendes Element? Wohl dieses: Dass beide Männer ihren inneren Napoleon (den vor 1815) hervorzukehren suchen. Natürlich nicht den General auf Eroberungsfeldzügen.
Was von Napoleon jenseits der Schlachtfelder bis heute wirkt, war und ist eine grundlegende Modernisierung der wirtschaftlichen und administrativen Strukturen. Das gilt sowohl für Frankreich, aber auch für Deutschland.
Die von Napoleon zielstrebig vorangetriebene Entfeudalisierung legte die Grundlagen zunächst des Aufschwungs des Bürgertums. Im historischen Rückblick war sie aber auch eine Triebfeder der allmählichen Verbesserung der Lage anderer Bevölkerungsgruppen.
An dieser Achse der Modernisierung umfassend – technologisch, ökologisch und sozial – weiter zu feilen, das wäre durchaus ein lohnenswertes Unterfangen für eine deutsch-französische Fortschrittskoalition, als ein Impulse setzendes Bündnis für die Zukunft Europas.