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"Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du!"
Konzertsaal statt Kirche: In Gustav Mahlers Musik kommt alles zusammen – Volkslied und hohe Literatur, Kinderglaube und metaphysische Spekulation. Die Tore zu dieser Welt stehen nirgendwo offener als in der Zweiten Sinfonie.
Dagegen sei Wagners "Tristan und Isolde" eine Haydn-Sinfonie, unkte der Dirigent Hans von Bülow, nachdem er den ersten Entwurf zu Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie am Klavier gehört hatte. Die Vollendung dieses Werkes sollte er nicht mehr erleben, denn erst auf Bülows Begräbnis kam dem jungen Mahler in Hamburg die Idee zur Vollendung dieser seiner "Auferstehungssinfonie": "Wie ein Blitz traf mich dies und alles stand ganz klar und deutlich vor meiner Seele."
In seiner Ersten Sinfonie hatte Gustav Mahler ein "Heldenleben" im Sinne Jean Pauls erzählt, hatte seinen titanischen Protagonisten schließlich zu den unerhörten Klängen einer schräg dudelnden Blaskapelle beerdigt. Den metaphysischen Rahmen dazu bot die folgende Sinfonie: Für sie nahm sich Mahler 1894/95 nichts weniger vor als die Schaffung eines musikalischen Mysterienspiels zwischen Tod und Auferstehung – mit großem Orchester, flankiert von einem apokalyptischen Fernorchester, Chor und Gesangssolisten.
Welt im Widerbild
Mit seiner Absicht, in jeder Sinfonie den Kreis der Schöpfung einmal durchmessen zu wollen, erntete Mahler mehr Spott und Ablehnung als Lob und Anerkennung. Er zog die Konsequenz und schwieg, hielt alle bislang veröffentlichten Erklärungen zum Gehalt seiner Werke zurück.
Es ist jedoch nicht bekannt, dass mit dieser Entscheidung auch seine Intentionen jemals geändert hätte. Ob "Auferstehung" oder nicht, Mahlers in jeder Hinsicht grandiose Zweite Sinfonie entwickelte sich langsam, aber stetig zum Erfolgsstück und wird heute in einem Atemzug mit Beethovens Neunter genannt.
Metaphysik wird Musik
Für die Interpreten wird die Sache dadurch nicht leichter: Wie mit Mahlers großen Besetzungen umgehen? Wie seine teils abenteuerlichen Vortragsbezeichnungen umsetzen? Wie die Metaphysik (ihre Anerkennung vorausgesetzt) Musik werden lassen? Aus der unglaublichen Fülle von rund zweihundert Aufnahmen werden hier zehn vorgestellt: generationenmäßig von Oskar Fried bis Riccardo Chailly, alphabetisch von Claudio Abbado bis David Zinman.
Diese Ausgabe der "Interpretationen" lief erstmals am Ostersonntag vor zehn Jahren. Der Autor Hans Winking, Jahrgang 1948, war als Redakteur, Produzent, Kontrabassist und Organisator eine markante Persönlichkeit des Musiklebens. Er starb 2015. Der ursprünglich für diesen Termin angekündigte Beitrag über Dieterich Buxtehude wird zu einem späteren Zeitpunkt gesendet.