Live-Musik in der lichtdurchfluteten Mensa der Karl-Rehbein-Schule in Hanau. Mit 1900 Schülerinnen und Schülern ist die Schule eines der größten Gymnasien Hessens. Bis Ende Oktober wird hier auch eine Ausstellung gezeigt mit dem Titel: „Menschen, Bilder. Orte. 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland.“
Die ersten Oberstufenschülerinnen haben sich die Ausstellung bereits am Eröffnungstag angesehen. Sie geben zu: den Begriff „Schum-Städte“ – der für die mittelalterliche jüdische Hochkultur in Mainz, Worms und Speyer steht und der in der Ausstellung vorgestellt wird, kannten sie noch nicht. „Nein, gar nicht.“ Seit einem Jahr gehören die Schumstädte zum UNESCO-Weltkulturerbe. Von Hanau aus sind sie gar nicht weit entfernt und eignen sich für einen Tagesausflug – da nicken die Schülerinnen zustimmend. Sie finden die Ausstellung gelungen, sagen sie:
Ja, ich finde dass es das ganze Thema sehr umfassend beschreibt, das sie auch gut informiert auch. Man kennt natürlich auch schon viel aus dem Unterricht, was man so schon gelernt hat.
Schülerin der Karl-Rehbein-Schule in Hanau
Die Wanderausstellung ist jedoch nicht in Hanau, sondern im Jüdischen Museum im Archäologischen Quartier Köln kuratiert worden.
Jüdinnen und Juden im rheinischen Karneval
Doch auch mit dem Thema Jüdinnen und Juden im rheinischen Karneval könnte man auch in Hessen durchaus etwas anfangen, versichert die Beratungslehrerin Karin Hofmann. Sie hat die Ausstellung gemeinsam mit der örtlichen Jüdischen Gemeinde nach Hanau geholt:
Ja, wir haben auch ein bisschen Karneval. Wir haben auch einen Faschingsumzug, wie man das hier sagt. Wir wollen jüdisches Leben in Deutschland positiv darstellen und deswegen haben wir die Ausstellung auch ausgewählt, weil die eben auch andere Akzente setzt und andere Zugänge schafft.
Karin Hofmann, Lehrein an der Karl-Rehbein-Schule in Hanau
Golem Karikaturen und Laubhüttenbau
Zu diesen Akzenten gehören die aktuellen Golem-Karikaturen des Illustrators Klaus Puth, in denen es um die Sagengestalt des 16. Jahrhunderts geht, die damals vom kabbalakundigen Rabbiner Löw am Prager Moldauufer geschaffen wurde. Oder am 13.Oktober ein Workshop, bei dem gemeinsam mit Shimon Großberg, dem Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Hanau letzte Hand an den Bau einer Laubhütte gelegt werden kann.
Der neue jüdische Friedhof in Hanau
Oliver Dainow, ist der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, die nach der Neugründung 2005 heute wieder rund 200 Mitglieder zählt. Er hat die Kulturwochen nach 2019 zum zweiten Mal maßgeblich organisiert. Ein Vortrag über jüdische Bestattungsriten fiel genau auf den Tag, an dem ein neuer Jüdischer Friedhof in Hanau eingeweiht wird.
Übrigens, nicht geplant. Es ist auf das gleiche Datum gefallen, aber es was tatsächlich nicht geplant. Der alte jüdische Friedhof ist voll und wir haben noch ungefähr zwei Plätze, auf denen wir bestatten können. Das heißt, die Suche ist dann losgegangen im letzten Jahr nach einem Grundstück, das ist jetzt gefunden. Und wie es der Zufall so will, ist dann jetzt beides auf einen Tag gefallen, dass man jetzt sagen kann, wir können diese beiden Ereignisse wirklich miteinander verbinden.
Oliver Dainow, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau
Kritische Töne zur Documenta 15
Bei der feierlichen Eröffnung der Hanauer Kulturtage gab es auch kritische Töne. Etwa zur Documenta 15, der Weltkunstausstellung in Kassel. Mark Dainow war als Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland bei der Veranstaltung in Hanau, die sein Sohn maßgeblich organisiert hat. Der Ärger über den Antisemitismusskandal bei der Documenta ist im immer noch deutlich anzumerken:
Das große Problem ist, dass man uns von Anfang an nicht zugehört hat, uns nicht ernst genommen hat. Täglich erfahren wir das Problem Antisemitismus. Die damalige Direktorin ist für mich ein Bauernopfer. Die Verantwortlichen, die anderswo sitzen, haben diese Verantwortung nicht übernommen.
Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Das Land Hessen und die Stadt Kassel sind die Gesellschafter der Documenta. CDU-Staatssekretär Uwe Becker, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen, war zur Eröffnung der Jüdischen Kulturtage in Hanau gekommen. Er kann den Ärger des Zentralrates über die Documenta gut nachvollziehen, macht er deutlich. Gleichzeitig freue er sich darüber, dass die Jüdische Gemeinde in der südhessischen Stadt ganz eng mit Schulen zusammenarbeite, um antisemitische Ressentiments möglichst früh zu bekämpfen:
Je früher in den Köpfen ankommt, in dem Fall, was jüdisches Leben ist, die Kenntnis reift, entstehen erstmal auch gar keine Vorurteile, sondern man kann sich ein eigenes Bild machen. Und je früher diese Dinge auch ankommen, desto besser. Und insofern – dass das an einer Schule beginnt, ist ein starkes Zeichen und auch der richtige Ort.
Uwe Becker, Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen
Neugründung der jüdischen Gemeinde Hanau 2005
Esther Braun ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hanau. Sie kann sich aber noch gut an die Zeit vor 2005 erinnern, als die verheerenden Folgen von Auschwitz und Treblinka noch verhinderten, dass sich wieder eine Gemeinde gründet:
Es gab ja nicht immer die Gemeinde hier in Hanau. Weil ich selbst bin ja Hanauerin und gehörte ja früher der Gemeinde in Frankfurt an. Und von daher – ist es schon ein Traditions-Bewusstsein auch als Hanauerin, hier wieder eine Gemeinde zu haben.
Esther Braun, Jüdische Gemeinde Hanau
„Wir sind froh und vor allem dankbar, dass wir nach dem unentschuldbaren Zivilisationsbruch während der Nazizeit seit 2005 wieder eine Jüdische Gemeinde, also jüdisches Leben wieder in Hanau haben.“ Sagt auch Claus Kaminsky, der SPD-Oberbürgermeister der Stadt.
Religionsgemeinschaften nach dem Anschlag 2020
Gerade nach dem rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 mit neun Toten mit Migrationsgeschichte seien die Religionsgemeinschaften in Hanau noch enger zusammengerückt, etwa im sogenannten „Runden Tisch der Religionen“, so Kaminsky:
Da geht es – um das auch gleich zu sagen – nicht in irgendeiner Weise um Gleichmacherei. Da soll jeder seine Religion leben. Aber wir brauchen Transparenz, wie brauchen Gespräche und wir stellen fest, wieviel Übereinstimmung es gibt in einer Stadt in den unterschiedlichen Religionen.
Claus Kaminsky, Oberbürgermeister Hanau
Auch Oliver Dainow, der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau glaubt wahrzunehmen, dass der Anschlag von Hanau die Solidarität in der Stadtgesellschaft eher noch erhöht habe:
Ja, ich empfinde schon ein sehr starkes Zusammenrücken. Es ist immer sehr schade, dass es solche schrecklichen Ereignisse braucht, dass man dann mal wachgerüttelt wird. Aber wir wissen das nicht erst seit Halle, dass es sowas braucht, um dann tatsächlich ins Gespräch zu kommen. Und es gibt wunderbare Bildungsinitiativen, die Bildungsinitiative Unvar. Sehr viele Anfragen auch an die Jüdische Gemeinde, Synagogenbesuche von Schulklassen. Also ich empfinde das schon, dass es stärker zugenommen hat nach dem 19. Februar als vorher.
Oliver Dainow, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau
Und jetzt verhindert auch Corona nicht mehr, dass die Menschen wieder zusammenkommen - wie zur Live-Musik in der Mensa der Karl-Rehbein-Schule zum Auftakt der
Jüdischen Kulturwochen in Hanau.