Diener zweier Herren

Von Peter Alexis Albrecht · 02.04.2012
Neue Befugnisse der Polizei werden mit bekannten Bedrohungsszenarien gerechtfertigt. Weil Bürger so zu Objekten heimlicher Ausforschung gemacht würden, solle sich die Polizei stärker auf die Kriterien rechtsstaatlicher Verfahren besinnen, meint Peter Alexis Albrecht.
Im Rechtsstaat hat die Polizei zwei traditionelle Aufgaben: Sie ist zum einen Gehilfe der Staatsanwaltschaft im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Einschreiten darf sie nur bei einem konkreten Anfangsverdacht für eine Straftat. Sie unterliegt dabei der rechtsstaatlichen Kontrolle der Strafprozessordnung. Das Ganze nennt man die repressive Funktion der Polizei.

Zum anderen ist sie präventives Organ im Rahmen der Gefahrenabwehr. Hier ist die Polizei klassisches Instrument der Exekutive. Sie ist "Freund und Helfer" aller Bürger und unterliegt in dieser Funktion dem Polizeirecht. Eingriffsschwelle ist die konkrete Gefahr. Wer sich durch derartige Eingriffe verletzt fühlt, geht nicht zur Staatsanwaltschaft, sondern zu den Verwaltungsgerichten.

Soweit das kleine Einmaleins des Rechtsstaates.

Diese traditionelle Aufgabenbestimmung war der Polizei schon seit den 70er-Jahren zu eng. Verbrechensbekämpfung sollte nicht mehr nur betrieben werden, um eine Einzeltat aufzuklären, sondern um die Kriminalität schlechthin zu beseitigen. Die Polizei sollte von nun an operativ tätig sein, im Gegensatz zu "bloß" präventiv oder "bloß" repressiv.

In den Polizeigesetzen wurden diese Forderungen seit den 80er-Jahren umgesetzt. Dabei ist die Eingriffsschranke der konkreten Gefahr ebenso gefallen wie die des tatsächlichen Anfangsverdachts. Relevant ist nicht mehr die Substanz des Verdachts, sondern die polizeiliche Prognose. Herausgekommen sind Normen, die scheinbar präzise differenzieren, in Wirklichkeit aber nicht mehr durch Tatbestandsmerkmale eingeschränkt werden.

Die Anwendung von Zwangsbefugnissen wurde so entgrenzt. Rasterfahndung und der Einsatz verdeckter Ermittler sind Produkte dieser Entwicklung. Man spricht von der Verpolizeilichung des Strafverfahrens. Im Zuge dieser operativen Polizeiarbeit fallen "bürgerrechtliche Kosten" an: Bürger werden zu Objekten heimlicher Ausforschung, verdeckter Datenerhebung und unsichtbarer Kontrollpolitik gemacht.

Die neu entstandenen Regelungen in den Polizeigesetzen ermächtigen die Polizei, jederzeit und überall Informationen mit geeigneten Mitteln zu sammeln, sofern kriminalistische Hypothesen vorhanden sind. Um Fakten und deren Überprüfbarkeit geht es dabei also nicht mehr.

Die neuen Befugnisse werden mit bekannten Bedrohungsszenarien gerechtfertigt: Organisierte Kriminalität und Terrorismus. Hier will die moderne Polizei auf Augenhöhe sein. Bürgerrechte stehen im Wege und müssen quasi notstandsmäßig außer Kraft gesetzt werden. Der nächste Schritt wäre die Wiedererweckung Weimarer Notstandsverordnungen. Das Gespenst des Ermächtigungsgesetzes klopft an die Tür.

Geboten ist dagegen eine sachliche Aufklärung über kriminelle Bedrohungen. Bei unaufgeregter Betrachtung wird man ihnen mit herkömmlichen Methoden vernünftig begegnen können. Anstelle von Überwachungskameras im öffentlichen Raum sollte die Polizei mehr Präsenz an den bekannten Orten der Gefährdung zeigen. Doch das ist der Politik zu teuer. Für eine gut ausgebildete rechtsstaatliche Polizei will sie nicht zahlen. Die Lasten tragen allein die Bürger.

Vor allem: Die Grenzziehung zwischen präventiven und repressiven polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten muss verfassungsrechtlich wiederhergestellt werden. Sie haben sich eindeutig sowohl durch Anlass als auch durch Zweck zu unterscheiden. Diese Kriterien sind unabdingbar für ein rechtsstaatliches Verfahren und einen effektiven Rechtsschutz. Das wird letztlich wieder dem Bundesverfassungsgericht obliegen, hier Klarheit zu schaffen. Wer will schon einen neuen Polizeistaat?

Diskutieren Sie mit auf unserer Facebook-Seite!

Peter Alexis Albrecht, Strafrechtler geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Grundlagenbezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems.

Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" (2. Auflage, 2006) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).

Peter-Alexis Albrecht ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".
Prof. Dr. Peter Alexis Albrecht
Peter Alexis Albrecht© privat
Mehr zum Thema