Dienst in Demut oder ein Fall für die Arbeitsgerichte?
Dürfen kirchliche Mitarbeiter streiken? Die Arbeitgeber sagen: Nein, da der Dienst für die Kirche nicht mit anderen Jobs vergleichbar ist. Viele Arbeitnehmer sehen das anders. Immer häufiger landen die Konflikte vor Gericht.
Schwester Siegrid: "Man dient in erster Linie Christus und dafür, dass man Christ sein darf. Und dann eben den Menschen, die uns vor die Füße gestellt werden. Ob das Alte sind, Kranke, ob das Kinder sind, ob das auf der Straße ist, ob das im Hause ist – da sollte man nicht Unterschiede machen."
Schwester Siegrid trägt ein graues Kleid und eine weiße Haube. Seit fast 54 Jahren. Bei ihrer Einsegnung zur Diakonisse legte sie – wie alle anderen – eine Art Selbstverpflichtung ab. Darin heißt es: Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich dienen darf.
Schwester Siegrid ist 72 Jahre alt. Dienen tut sie noch immer - als Oberin im Berliner Paul Gerhardt Stift. In dessen Blütenzeiten, vor fast 100 Jahren, dienten hier mehr als 400 Schwestern, widmeten sich Kranken und Bedürftigen, bildeten Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen aus. Heute leben hier nur noch neun Diakonissen.
In ihrer Tracht wirken sie wie letzte Zeitzeugen einer vergangenen Epoche. Dass sich nur noch sehr wenige Frauen für das Lebensmodell der Diakonisse entscheiden, hat Gründe. Der eine liegt in der Selbstverpflichtung zur Ehelosigkeit. Der andere in der Bezahlung.
Schwester Siegrid: "Man erfüllt einen Auftrag, ohne Geld oder anderes dafür zu erwarten. Für mich hat es nie eine Rolle gespielt, viel Geld in der Hand zu haben. Der Lohn? Der Dank der Menschen, die man gepflegt hat, für die man da war, und dass man selbst auch damit leben kann. Also ich möcht' nicht anders. Ob ich draußen in der Welt so viel Freude gehabt hätte und so viel Dankbarkeit, das weiß ich nicht."
"Mein Lohn ist, dass ich dienen darf": Bei vielen Menschen ruft diese Haltung heutzutage nur noch ein mitleidiges Lächeln hervor. Sie wittern hinter dieser Formulierung unterbezahlte Unterordnung – und übersehen die Freiwilligkeit, die in dem Satz auch enthalten ist. Die Diakonisse Schwester Siegrid nämlich nimmt das Wörtchen "darf" sehr ernst:
"Dass ich dienen darf, dass ich’s nicht muss. Das ist für mich immer ausschlaggebend gewesen: Ich darf es, soweit ich’s kann. Ich muss es aber nicht."
Schwester Siegrid wirkt nicht so, dass man ihr das nicht glauben mag. Eine agile ältere Dame, die von ihrem großen Schreibtisch aus Vieles im Paul Gerhardt Stift managt. Leiter des Stifts ist Martin von Essen. Der Pastor ist auch Vorsteher des Evangelischen Johannesstifts, eines der größten Diakoniewerke Berlins. Mehr als 3000 Menschen sind dort beschäftigt.
"Mein Lohn ist, dass ich dienen darf": Dieser Spruch dürfte die wenigsten der dort Angestellten bei ihrer Berufswahl beeinflusst haben. Was nach Ansicht des Vorstehers Martin von Essen nicht nur schlecht ist:
"Als Arbeitgeber und Leiter einer solchen Einrichtung muss man natürlich auch die Ambivalenz dieses Spruches sehen. Und die Gefahr, die es dann natürlich auch gibt, dass sich Menschen einfach auch aufopfern und ihr eigenes Ich, ihre eigene Persönlichkeit so auch in den Hintergrund stellen, dass dies für den Menschen selber natürlich auch schädlich sein kann."
Dennoch bleibt das Wort "dienen" wichtig für Kirchen wie Diakonie. Sie bezeichnen sich als "Dienstgemeinschaften" und berufen sich dabei auf einen Spruch Jesu, der im zehnten Kapitel des Markus-Evangeliums, Vers 43 steht: "Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener."
Alle Kirchenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen dienen demzufolge dem Auftrag der Kirche: Die frohe Botschaft der in Jesus Christus offenbarten Gnade Gottes vor aller Welt zu bezeugen. Nicht nur mit Worten, sondern auch mit Werken der Nächstenliebe.
Dieser Dienstbegriff unterscheidet den kirchlichen Dienst von anderen Arbeitsverhältnissen – jedenfalls aus der Sicht der Kirchen selbst. Sie verwalten ihre Arbeitsverhältnisse mithilfe eines eigenen Dienstrechts.
Die Gewerkschaften halten dies für untragbar und unzeitgemäß. Warum, erklärt Georg Güttner-Mayer. Lange Jahre war er selbst in der Diakonie tätig. Jetzt ist er bei der Gewerkschaft ver.di aus anderer Warte für die Kirchen zuständig:
"Wir haben es hier mit ganz normalen Erwerbskarrieren zu tun: Menschen sind angewiesen auf Arbeit, um davon ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nur: Kirche verbrämt das Ganze mit dem Gedanken der Dienstgemeinschaft, um den Interessenkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu verkleistern, ihn also ein Stück weit nach hinten zu schieben, bedient sich dabei merkwürdiger Methoden eigener Arbeitsrechtssetzung, eines eigenen betrieblichen Vertretungsrechts."
Diese "merkwürdigen Methoden" sind den Kirchen freilich vom Grundgesetz zugestanden – "im Rahmen des geltenden Rechts", versteht sich. "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig" - Artikel 140 des Grundgesetzes verleiht den Kirchen auch das Recht, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen mit ihren Mitarbeitern selbst zu lösen.
Doch die Dienstgemeinschaft wird zusehends brüchig. Die gewerkschaftlichen Vorwürfe gehen mit einer wesentlichen Veränderung in der kirchlichen Mitarbeiterschaft einher. Immer weniger Mitarbeiter der Kirche sind auch deren Mitglieder.
Georg Güttner-Mayer: "Wir müssen feststellen, dass in weiten Bereichen von Caritas und Diakonie mittlerweile die nichtkirchlichen engagierten Beschäftigen teilweise in der Überzahl sind. Teilweise haben wir ja schon die Situation in diakonischen Einrichtungen, dass es dort nicht zur Wahl von Mitarbeitervertretungen kommen kann, weil nicht genügend Kirchenmitglieder in dieser Einrichtung arbeiten."
Die dramatische Folge dieser Entwicklung bekommen die Kirchen zu spüren: Wer den christlichen Glauben nicht mehr teilt, ist für das in den letzten beiden Jahrhunderten gepflegte christliche Dienstverständnis schwerlich ansprechbar. Der Lohn besteht nicht mehr darin, dienen zu dürfen, sondern soll sich auf dem Gehaltszettel dokumentieren. Und zwar so, dass er mit anderen Löhnen vergleichbar ist.
Für die kirchlichen Arbeitgeber erfordert das die Bereitschaft zum Umdenken. Bisher hatte der Dienstbegriff für sie Vorteile. Sie konnten sich auf eine christlich motivierte Mitarbeiterschaft verlassen, die auch mal gerne für Gotteslohn arbeitete.
Martin von Essen: "Selbstverständlich kann ich mir gut vorstellen, dass entsprechende Leiter einer solchen Einrichtung diesen Spruch nutzten, um Menschen auszubeuten – das ist natürlich auch eine große Gefahr, dass solch eine Formulierung benutzt wurde, um in der Kirche - und da muss man ja gar nicht nur auf Diakonissen schauen, das kann man ja auch mit Mitarbeitern in der Kirche machen, das kann man mit Diakonen machen oder wie auch immer -, dass man sie auf diese Weise auch ein Stückchen unter Druck setzt und sagt: Ach ja, du bist ja jetzt in einer diakonischen oder kirchlichen Einrichtung und dass man das als Erwartung auch formuliert."
Das funktioniert so nicht mehr. Selbstbewusste Mitarbeiter fordern leistungsgerechte Entlohnung und erklären hier und dort verdutzten kirchlichen Arbeitgebern sogar den Arbeitskampf: Sie folgen gewerkschaftlichen Streikaufrufen.
In ihrer Not klagten die Arbeitgeber vor Gericht – mit erstem Erfolg. Im März entschied das Bielefelder Arbeitsgericht, ein Streikverbot sei rechtmäßig. Für die Gewerkschaften hingegen ist das Streikrecht ein Grundrecht. In der zweiten Instanz erhoffen sie sich ein arbeitnehmerfreundlicheres Urteil. Die Wogen schlagen hoch. Auch auf Gewerkschaftsseite.
Georg Güttner-Mayer: "Noch heute sind die Kirchenrechtler stark bemüht, diesen Mythos Dienstgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Man spricht auch immer nicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern von Dienstgebern und Dienstnehmern. All dies dient dazu, die Interessengegensätze zu verschleiern.
Wir haben ja die Situation, dass es besonders in der Diakonie so ist, dass der Leiter einer Einrichtung immer noch ein Theologe ist und von daher schon die theologische Verbrämung im Prinzip gegeben ist. Und das wird häufig genug ausgenutzt, sei es durch die tägliche Gehirnwäsche von Morgenandachten oder Ähnlichem mehr – also das gibt es noch durchaus häufig."
"Mein Lohn ist, dass ich dienen darf": Verständlich, dass viele kirchliche Arbeitgeber auf die Zeiten, in denen das Ethos dieses Spruches eher die Regel als die Ausnahme war, wehmütig zurückblicken. Und auf solche Diakonissen, die ihr Berufsleben noch ganz danach ausgerichtet haben. So wie Schwester Hildegard im Berliner Paul Gerhardt Stift, die mit ihren 80 Jahren die Herausforderung des Dienstgedankens erkennt:
"Für mich war das Dienen nicht ein unermüdliches Arbeiten. Wem ich dienen wollte, das war für mich das Wichtigste, und da hab' ich gedacht, da kann man ja nicht missbraucht werden. Und darum hab ich davor nie Angst gehabt.
Es ist natürlich - jetzt würden ja immer weniger neben uns, wenn wir noch arbeitsfähig wären, arbeiten, die eine ganz andere Arbeitszeit und so weiter hätten, das wäre ja furchtbar schwierig. Dann wären wir immer irgendwo abgesondert mit Zeit und dem Drum und Dran. Darum muss man da also jetzt neue Wege finden, dass es trotzdem Diakonie bleibt im eigentlichen Sinne."
Dass "Diakonie im eigentlichen Sinne" Selbstaufgabe bedeuten muss, steht eben nicht in der Bibel. Im Gegenteil: "Liebe den Nächsten wie Dich selbst", lautet einer der bekanntesten Sprüche des Jesus von Nazareth. Tarifliche Vereinbarungen könnten kirchliche Helferinnen und Helfer davor bewahren, sich selbst aus dem Blick zu verlieren.
Schwester Siegrid trägt ein graues Kleid und eine weiße Haube. Seit fast 54 Jahren. Bei ihrer Einsegnung zur Diakonisse legte sie – wie alle anderen – eine Art Selbstverpflichtung ab. Darin heißt es: Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich dienen darf.
Schwester Siegrid ist 72 Jahre alt. Dienen tut sie noch immer - als Oberin im Berliner Paul Gerhardt Stift. In dessen Blütenzeiten, vor fast 100 Jahren, dienten hier mehr als 400 Schwestern, widmeten sich Kranken und Bedürftigen, bildeten Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen aus. Heute leben hier nur noch neun Diakonissen.
In ihrer Tracht wirken sie wie letzte Zeitzeugen einer vergangenen Epoche. Dass sich nur noch sehr wenige Frauen für das Lebensmodell der Diakonisse entscheiden, hat Gründe. Der eine liegt in der Selbstverpflichtung zur Ehelosigkeit. Der andere in der Bezahlung.
Schwester Siegrid: "Man erfüllt einen Auftrag, ohne Geld oder anderes dafür zu erwarten. Für mich hat es nie eine Rolle gespielt, viel Geld in der Hand zu haben. Der Lohn? Der Dank der Menschen, die man gepflegt hat, für die man da war, und dass man selbst auch damit leben kann. Also ich möcht' nicht anders. Ob ich draußen in der Welt so viel Freude gehabt hätte und so viel Dankbarkeit, das weiß ich nicht."
"Mein Lohn ist, dass ich dienen darf": Bei vielen Menschen ruft diese Haltung heutzutage nur noch ein mitleidiges Lächeln hervor. Sie wittern hinter dieser Formulierung unterbezahlte Unterordnung – und übersehen die Freiwilligkeit, die in dem Satz auch enthalten ist. Die Diakonisse Schwester Siegrid nämlich nimmt das Wörtchen "darf" sehr ernst:
"Dass ich dienen darf, dass ich’s nicht muss. Das ist für mich immer ausschlaggebend gewesen: Ich darf es, soweit ich’s kann. Ich muss es aber nicht."
Schwester Siegrid wirkt nicht so, dass man ihr das nicht glauben mag. Eine agile ältere Dame, die von ihrem großen Schreibtisch aus Vieles im Paul Gerhardt Stift managt. Leiter des Stifts ist Martin von Essen. Der Pastor ist auch Vorsteher des Evangelischen Johannesstifts, eines der größten Diakoniewerke Berlins. Mehr als 3000 Menschen sind dort beschäftigt.
"Mein Lohn ist, dass ich dienen darf": Dieser Spruch dürfte die wenigsten der dort Angestellten bei ihrer Berufswahl beeinflusst haben. Was nach Ansicht des Vorstehers Martin von Essen nicht nur schlecht ist:
"Als Arbeitgeber und Leiter einer solchen Einrichtung muss man natürlich auch die Ambivalenz dieses Spruches sehen. Und die Gefahr, die es dann natürlich auch gibt, dass sich Menschen einfach auch aufopfern und ihr eigenes Ich, ihre eigene Persönlichkeit so auch in den Hintergrund stellen, dass dies für den Menschen selber natürlich auch schädlich sein kann."
Dennoch bleibt das Wort "dienen" wichtig für Kirchen wie Diakonie. Sie bezeichnen sich als "Dienstgemeinschaften" und berufen sich dabei auf einen Spruch Jesu, der im zehnten Kapitel des Markus-Evangeliums, Vers 43 steht: "Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener."
Alle Kirchenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen dienen demzufolge dem Auftrag der Kirche: Die frohe Botschaft der in Jesus Christus offenbarten Gnade Gottes vor aller Welt zu bezeugen. Nicht nur mit Worten, sondern auch mit Werken der Nächstenliebe.
Dieser Dienstbegriff unterscheidet den kirchlichen Dienst von anderen Arbeitsverhältnissen – jedenfalls aus der Sicht der Kirchen selbst. Sie verwalten ihre Arbeitsverhältnisse mithilfe eines eigenen Dienstrechts.
Die Gewerkschaften halten dies für untragbar und unzeitgemäß. Warum, erklärt Georg Güttner-Mayer. Lange Jahre war er selbst in der Diakonie tätig. Jetzt ist er bei der Gewerkschaft ver.di aus anderer Warte für die Kirchen zuständig:
"Wir haben es hier mit ganz normalen Erwerbskarrieren zu tun: Menschen sind angewiesen auf Arbeit, um davon ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nur: Kirche verbrämt das Ganze mit dem Gedanken der Dienstgemeinschaft, um den Interessenkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu verkleistern, ihn also ein Stück weit nach hinten zu schieben, bedient sich dabei merkwürdiger Methoden eigener Arbeitsrechtssetzung, eines eigenen betrieblichen Vertretungsrechts."
Diese "merkwürdigen Methoden" sind den Kirchen freilich vom Grundgesetz zugestanden – "im Rahmen des geltenden Rechts", versteht sich. "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig" - Artikel 140 des Grundgesetzes verleiht den Kirchen auch das Recht, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen mit ihren Mitarbeitern selbst zu lösen.
Doch die Dienstgemeinschaft wird zusehends brüchig. Die gewerkschaftlichen Vorwürfe gehen mit einer wesentlichen Veränderung in der kirchlichen Mitarbeiterschaft einher. Immer weniger Mitarbeiter der Kirche sind auch deren Mitglieder.
Georg Güttner-Mayer: "Wir müssen feststellen, dass in weiten Bereichen von Caritas und Diakonie mittlerweile die nichtkirchlichen engagierten Beschäftigen teilweise in der Überzahl sind. Teilweise haben wir ja schon die Situation in diakonischen Einrichtungen, dass es dort nicht zur Wahl von Mitarbeitervertretungen kommen kann, weil nicht genügend Kirchenmitglieder in dieser Einrichtung arbeiten."
Die dramatische Folge dieser Entwicklung bekommen die Kirchen zu spüren: Wer den christlichen Glauben nicht mehr teilt, ist für das in den letzten beiden Jahrhunderten gepflegte christliche Dienstverständnis schwerlich ansprechbar. Der Lohn besteht nicht mehr darin, dienen zu dürfen, sondern soll sich auf dem Gehaltszettel dokumentieren. Und zwar so, dass er mit anderen Löhnen vergleichbar ist.
Für die kirchlichen Arbeitgeber erfordert das die Bereitschaft zum Umdenken. Bisher hatte der Dienstbegriff für sie Vorteile. Sie konnten sich auf eine christlich motivierte Mitarbeiterschaft verlassen, die auch mal gerne für Gotteslohn arbeitete.
Martin von Essen: "Selbstverständlich kann ich mir gut vorstellen, dass entsprechende Leiter einer solchen Einrichtung diesen Spruch nutzten, um Menschen auszubeuten – das ist natürlich auch eine große Gefahr, dass solch eine Formulierung benutzt wurde, um in der Kirche - und da muss man ja gar nicht nur auf Diakonissen schauen, das kann man ja auch mit Mitarbeitern in der Kirche machen, das kann man mit Diakonen machen oder wie auch immer -, dass man sie auf diese Weise auch ein Stückchen unter Druck setzt und sagt: Ach ja, du bist ja jetzt in einer diakonischen oder kirchlichen Einrichtung und dass man das als Erwartung auch formuliert."
Das funktioniert so nicht mehr. Selbstbewusste Mitarbeiter fordern leistungsgerechte Entlohnung und erklären hier und dort verdutzten kirchlichen Arbeitgebern sogar den Arbeitskampf: Sie folgen gewerkschaftlichen Streikaufrufen.
In ihrer Not klagten die Arbeitgeber vor Gericht – mit erstem Erfolg. Im März entschied das Bielefelder Arbeitsgericht, ein Streikverbot sei rechtmäßig. Für die Gewerkschaften hingegen ist das Streikrecht ein Grundrecht. In der zweiten Instanz erhoffen sie sich ein arbeitnehmerfreundlicheres Urteil. Die Wogen schlagen hoch. Auch auf Gewerkschaftsseite.
Georg Güttner-Mayer: "Noch heute sind die Kirchenrechtler stark bemüht, diesen Mythos Dienstgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Man spricht auch immer nicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern von Dienstgebern und Dienstnehmern. All dies dient dazu, die Interessengegensätze zu verschleiern.
Wir haben ja die Situation, dass es besonders in der Diakonie so ist, dass der Leiter einer Einrichtung immer noch ein Theologe ist und von daher schon die theologische Verbrämung im Prinzip gegeben ist. Und das wird häufig genug ausgenutzt, sei es durch die tägliche Gehirnwäsche von Morgenandachten oder Ähnlichem mehr – also das gibt es noch durchaus häufig."
"Mein Lohn ist, dass ich dienen darf": Verständlich, dass viele kirchliche Arbeitgeber auf die Zeiten, in denen das Ethos dieses Spruches eher die Regel als die Ausnahme war, wehmütig zurückblicken. Und auf solche Diakonissen, die ihr Berufsleben noch ganz danach ausgerichtet haben. So wie Schwester Hildegard im Berliner Paul Gerhardt Stift, die mit ihren 80 Jahren die Herausforderung des Dienstgedankens erkennt:
"Für mich war das Dienen nicht ein unermüdliches Arbeiten. Wem ich dienen wollte, das war für mich das Wichtigste, und da hab' ich gedacht, da kann man ja nicht missbraucht werden. Und darum hab ich davor nie Angst gehabt.
Es ist natürlich - jetzt würden ja immer weniger neben uns, wenn wir noch arbeitsfähig wären, arbeiten, die eine ganz andere Arbeitszeit und so weiter hätten, das wäre ja furchtbar schwierig. Dann wären wir immer irgendwo abgesondert mit Zeit und dem Drum und Dran. Darum muss man da also jetzt neue Wege finden, dass es trotzdem Diakonie bleibt im eigentlichen Sinne."
Dass "Diakonie im eigentlichen Sinne" Selbstaufgabe bedeuten muss, steht eben nicht in der Bibel. Im Gegenteil: "Liebe den Nächsten wie Dich selbst", lautet einer der bekanntesten Sprüche des Jesus von Nazareth. Tarifliche Vereinbarungen könnten kirchliche Helferinnen und Helfer davor bewahren, sich selbst aus dem Blick zu verlieren.