"Diese Form der Arbeitsmigration zerstört definitiv Familien"
Sie schlagen sich als Putzfrauen durch und sind oft ohne Aufenthaltserlaubnis: Frauen aus Moldawien in Österreich und Italien. Der Dokumentarfilmer Ed Moschitz hat mehrere Moldawierinnen vor die Kamera geholt und ist auch in ihre Heimat gefahren.
Britta Bürger: DOK Leipzig – wir ziehen Bilanz. Das 55. Internationale Festival für Dokumentar- und Animationsfilm geht heute in Leipzig zu Ende und wir fassen zusammen. Außerdem sind wir im Gespräch mit dem Filmemacher Ed Moschitz, der in Leipzig seinen Film "Mama Illegal" gezeigt hat. Das ist eine Langzeitdokumentation über moldawische Frauen, die als illegale Putzfrauen in Italien und Österreich auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Dafür verlassen sie ihren Mann und ihre Kinder, ihre alten Eltern und Freunde, Haus und Hof. Aus geplanten Monaten in der Fremde werden Jahre, bis sie als Fremde zu ihren Familien zurückkehren – geschockt, wie elend das Leben ist, das sie vor Jahren zurückgelassen haben. Das ist ein sehr nachdenklicher Film, über den uns Ed Moschitz gleich mehr erzählen wird.
Was wissen wir eigentlich über die Frauen, die unsere Wohnungen putzen, Kinder betreuen und Alten pflegen? Mit dieser Frage konfrontiert uns der österreichische Dokumentarfilmer Ed Moschitz. Er stellt sie nicht direkt, sondern zeigt schonungslos, auf welchem Hintergrund moldawische Frauen ihre Familien verlassen, um illegal in Westeuropa Geld zu verdienen. Sieben Jahre lang hat Ed Moschitz drei Frauen und ihre Familien mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein Film, der beschreibt, wie Familien durch Migration zerbrechen können. Ein Film, der zeigt, wie der Traum von einem besseren Leben wenig mit der Realität zu tun hat. Und schließlich ein Film, in dem sehr viel geweint wird. "Mama Illegal" heißt diese bereits mehrfach preisgekrönte Kino-Dokumentation, die gerade beim DOK-Filmfestival in Leipzig zu sehen war. Dort haben wir Ed Moschitz ins Studio bekommen und ich habe ihn zunächst gefragt: Wie sind sie mit den Frauen, die Sie in diesem Film begleiten, in Kontakt gekommen?
Ed Moschitz: Das hat eigentlich bei mir daheim in meiner Wohnung begonnen. Es war vor etwa acht Jahren, da waren wir auf der Suche nach einem Babysitter, und Bekannte von uns haben uns dann erzählt, dass es da eine Ulrika gibt. Und die hat sich dann eines Tages bei uns vorgestellt. Und die hat aber am Anfang nichts über ihren Status gesagt. Also wir wussten einfach nicht, dass sie ohne Papiere in Westeuropa ist und dass sie mit Schleppern über die Grenze gekommen ist. Und eines Tages hat sie dann meiner Frau erzählt, dass sie eigentlich illegal in Österreich ist, und dass sie aber auch zwei Kinder zu Hause hat. Und meine Frau hat mir das dann eines Tages gesagt.
Und für mich war das dann schon ein schwieriger Punkt, weil ich ja auch als Journalist arbeite beim ORF in Wien und da schon auch die Frage war, wie geht man jetzt sozusagen mit so einer Situation um. Denn jetzt einfach jemanden so nebenbei mal als Babysitter zu beschäftigen für den einen oder anderen Abend, ist die eine Sache, aber jemanden, der jetzt keinen Aufenthaltstitel hat und eigentlich mit Schleppern nach Österreich gekommen ist, das war dann schon schwierig. Und ich habe dann versucht, eigentlich das Beste daraus zu machen, und ich habe sie einfach gefragt, ob es denn möglich wäre, vielleicht über sie eine Reportage zu machen. Weil ich auch für die Reportageredaktion arbeite beim Österreichischen Rundfunk
Und sie hat dann ihre Schwestern gefragt, die eben illegal in Österreich waren damals, und auch ihren Mann, der eben damals daheim auf sie gewartet hat. Und es waren überraschenderweise alle damit einverstanden. Also alle haben das irgendwie gut gefunden, weil sie sagen: Es gibt ja sonst eh keine Möglichkeit, darüber zu erzählen, und nachdem der einer ist, der dir quasi auch das Geld gibt und der eh nicht in der gleichen Situation ist wie du, warum nicht? Und sie hat dann eigentlich genug Vertrauen gehabt und hat mich dann letztlich dann auch mitgenommen zu sich nach Hause. Und ich kann mich noch sehr gut erinnern, ich hatte damals ein Foto dabei von meiner Frau und von meinen Kindern, also, wie wir da gemeinsam irgendwie im Winter irgendwo in der Schneelandschaft stehen.
Und ich bin dahin gefahren und habe ihrem Mann, weil ich gedacht hab, das muss ja furchtbar sein für den, wenn dann plötzlich so ein Kamerateam kommt mit drei Männern und da kommt die Frau nach zwei Jahren zurück … Und ich hab ihm damals irgendwie das Foto gezeigt, dem Misce, und der hat sich, glaube ich, irrsinnig gefreut, und der hat dann auch verstanden, worum es geht.
Bürger: Die meisten von uns wissen vermutlich sehr wenig über Moldawien. Das ärmste Land Europas, dem die Menschen davonlaufen. 80 Prozent sind arbeitslos, erfährt man in ihrem Film. Wer Arbeit hat, verdient im Schnitt 100 Euro im Monat. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat das Land bereits verlassen. Viele davon eben mit Hilfe von Schleppern, wie Sie das beschreiben. Durch Wälder und Flüsse – ob man überhaupt schwimmen kann, wird dabei nicht berücksichtigt. Wie haben Sie das denn, dieses Leben in dem Heimatdorf ihrer Protagonistinnen erlebt? Waren Sie geschockt, als Sie dort ankamen?
Moschitz: Erst mal zu Beginn hatte ich so was fast wie Sozialromantik. Also ich bin da sehr spät abends angekommen, und es war dunkel und ich hatte unglaubliche Geräusche gehört. Ich hab ja auch beim Radio gearbeitet, und für mich war das sehr eindrucksvoll, diese Atmosphäre dort, wenn Pferdekutschen fahren in der Nacht und man keine Autos hört weit und breit. Und eine unglaubliche Ruhe, die ich aus Westeuropa, aus einer Großstadt in Westeuropa überhaupt nicht kenne. Ich bin dann aber sehr bald darauf gekommen, dass die Häuser nicht beheizt werden, dass die Menschen sehr einfache Dinge essen. Und es war auch sehr überraschend für mich, dass man dann hinters Haus gehen muss und sich ein Huhn holen muss, wenn man sozusagen Fleisch essen möchte, oder in den Keller gehen muss und Zwiebeln holt und Konservengläser, die man selbst eingekocht hat. Also ich hab bemerkt, dass sie einfach ein sehr ursprüngliches, einfaches, armes Leben führen, und das mit der Sozialromantik hat sich dann bald erledigt und vor allem: ich bin dann auch durch das Dorf gegangen und habe gesehen, dass kaum mehr Mütter dort sind. Also die jungen Frauen sind einfach alle in Westeuropa und …
Bürger: Warum ist es ausgerechnet diese mittlere Generation von Frauen, die aufbricht und die Armut jetzt im Gegensatz auch zu ihren Eltern nicht mehr ertragen kann? Warum die Frauen und nicht die Männer?
Moschitz: Ich glaube, das liegt einfach daran, dass … die Frauen sind sicher nicht fleißiger als die Männer. Also es liegt einfach daran, dass es in Westeuropa einen Bedarf gibt und dass sich das in dem Dorf herumgesprochen hat, dass man in Westeuropa, wenn man fleißig ist, doch auch ganz gutes Geld verdienen kann. Denn die Männer dort in dem Dorf können vielleicht 100 Euro, vielleicht 200 Euro, wenn sie viel Glück haben, verdienen, und eine Frau, wenn sie fleißig ist mit Babysitten und als Putzfrau arbeitet vielleicht oder vielleicht noch irgendwie Massage macht oder Alte pflegt, kann unter Umständen 100, 150 Euro am Tag verdienen. Das heißt, es gibt eine gute Möglichkeit, und die Schlepper bieten das ja auch an. Also man zahlt für die Reise ungefähr 5000 Euro, kann das Geld dann auch gleich bei den Schleppern aufnehmen und muss das dann unter schwierigsten Bedingungen mit Arbeit in Westeuropa und mit ganz, ganz hohen Zinsen zurückzahlen.
Bürger: Man spürt im Film immer wieder die Scham und die Schuldgefühle, die diese Frauen haben. Sie gehen aus Verantwortung für ihre Kinder und empfinden aber zugleich, dass sie völlig verantwortungslos handeln. Wie gehen die Frauen mit diesem Konflikt um?
Moschitz: Na ja, ich habe es in meiner Familie erlebt, dass die Ulrika am Anfang einfach nicht gesagt hat, weil sie sich so geschämt hat dafür, sie nicht gesagt hat, dass sie selbst Mutter von zwei Kindern ist. Und sie hat auch nicht gesagt, dass sie mit Schleppern über die Grenze gegangen ist. Ich glaube, die Frauen fühlten sich schuldig dafür, was sie tun, sind aber gleichzeitig in einem Dilemma und haben auch keine Möglichkeit, anders zu handeln. Denn was ist die Lösung? Dort zu bleiben und keine Möglichkeit zu haben, das Leben zu verändern – das kann man, glaube ich, letztlich halt niemandem vorwerfen. Denn wir alle wollen ja ein besseres Leben haben.
Und so sind auch diese Frauen natürlich alle aufgebrochen, um für ihre Familien, für sich ein besseres Leben zu gestalten oder gestalten zu können. Sie sind ja die erste Generation, die weggeht, das darf man auch nicht vergessen. Und letztlich waren sie sich auch der Folgen dessen, was dann alles passierte, nicht bewusst. Und mittlerweile, glaube ich, weiß man das auch sehr gut, und es gibt auch ein Sprichwort dort in dem Dorf. Die Männer sagen: Ist deine Frau erst mal zwei Jahre nicht zurückgekommen, dann schau dich am besten gleich nach einer anderen um.
Bürger: An einer Stelle des Films stellt eine Lehrerin ihre Schülerinnen und Schüler vor, und von diesen Schülern hat fast keiner beide Eltern mehr im Dorf. Alle weinen in dem Moment, in dem erzählt wird, dass entweder die Mutter in Italien ist oder der Vater in Griechenland. Wie überhaupt sehr, sehr viel geweint wird in diesem Film. War das ein Konflikt für Sie, die Menschen immer wieder in ihrer Hilflosigkeit zu filmen?
Moschitz: Ich glaube, es ist eine sehr kulturelle Sache auch, dass Frauen vor allem in Moldawien sehr oft weinen. Und das ist – es kommt immer wieder zu sehr starken Gefühlsausbrüchen. Ich habe das dann irgendwann mal als gegeben hingenommen und als Teil der Kultur dort. Was ich schwer verstehen habe können, war, das die Männer überhaupt keine Regung zeigen. Das ist dann fast so, dass ich manchmal den Eindruck hatte, dass die Frauen dann stellvertretend für beide Geschlechter eigentlich auch diese Emotionen zeigen. Weil die Männer so ganz ruhig, in sich gekehrt und fast depressiv, reduziert sind und gar keine Möglichkeit hatten, sich irgendwie auszudrücken. Also, das Gefühlsleben dort ist irgendwie so eine Frauensache. Und nachdem das jetzt ein Film über Frauen ist, ist das auch eine sehr gefühlsbetonte Welt, in der der Film da eintaucht, natürlich.
Bürger: "Mama illegal" heißt dieser Dokumentarfilm von Ed Moschitz, mit dem wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch sind. Sie zeigen Moldawien überwiegend im Winter. Es ist grau, schmutzig, nasskalt, neblig – das kriecht einem richtig unter die Haut. Und wenn die Frauen dann nach jahrelanger Abwesenheit in ihr Dorf zurückkehren – auch da sind Sie mit der Kamera dabei –, dann sind die Frauen regelrecht geschockt, wie elend es dort ist, wie schmutzig, wie arm. Hatten sie das verdrängt und zugleich gar nicht gemerkt, wie sie sich selbst im Westen verändert haben?
Moschitz: Ich glaube, dass man das sehr schwer merkt, wenn man sich selbst verändert. Das muss einem ja die Außenwelt irgendwie widerspiegeln, und da haben sie ja keinen Halt, letztlich. Also sie hatten ja damals keine Möglichkeit zu skypen, zu Beginn, als die Dreharbeiten begonnen haben, gab es das ja noch nicht. Und so hatten sie halt immer wieder ihre Familie am Telefon und haben dann auch teilweise gar nicht bemerkt, wie sie sich verändert haben. Und ich glaube, viele haben einfach das Leben in Westeuropa kennengelernt. Das hat ihnen, glaube ich, auch sehr gefallen, und haben gesehen, dass die Frauen hier mehr Möglichkeiten haben, mehr Rechte haben, die Familien hier ein anderes Leben leben, man anders mit den Kindern umgeht. Und ich glaube, das gefällt ihnen schon sehr gut.
Zum Problem wird das, glaube ich, dann erst, wenn sie eben nach Hause zurückkommen und dann wieder mit ihrer alten Welt konfrontiert werden. Ich glaube aber, dass da noch etwas dazukommt. Die Frauen haben ja hier über viele Jahre auch Wohnungen geputzt, das heißt, sie waren auch sehr mit der Haushaltsreinigung betraut und immer wieder sind sie vielleicht auch von ihren Dienstgebern darauf gestoßen worden, dass sie das nicht ganz so perfekt gemacht haben, dass man das und das noch besser machen könnte. Und ich glaube, diese zahlreichen Arbeitstage, diese Arbeit auch über Wochenende, über Monate und ohne Urlaub, sind die einfach so tief in diese Welt der Reinigung, des Putzens, des Haushaltführens irgendwie eingetaucht, dass sie da so drinnen stecken und dann, wenn sie nach Hause kommen, sehen sie das auch viel stärker. Also das ist auch ein bisschen im Sinne der selektiven Wahrnehmung, sage ich jetzt mal, das kommt dann auch noch dazu und macht das Ganze noch viel stärker.
Bürger: Man hat das Gefühl, sie wollen ganz schnell die Kontrolle über das Haus wieder zurückgewinnen. Gelingt ihnen das?
Moschitz: Was ja ursprünglich auch ihre Position war. Weil sozusagen ja die Menschen dort sehr traditionell eigentlich auf das Leben vorbereitet werden. Da gab es ja keine 70er-Jahre und die Frauen sind halt ursprünglich mit Hausarbeit und mit der Kindererziehung betraut gewesen. Um so schrecklicher ist das natürlich für die Männer, dass die über viele Jahre dort mit den Kindern und mit Kochen und ähnlichen Dingen irgendwie ausharren müssen und keine Möglichkeit haben, selbst einen Job zu finden. Und man sieht es dann, dass die Männer sehr enttäuscht sind, dass da eine Frau zurückkommt, die plötzlich das Geld hat, das Sagen hat, eine andere Welt kennengelernt hat in Westeuropa, die sie selbst gar nicht kennen, weil sie das Dorf nie verlassen haben.
Und ich glaube, die Männer sehnen sich auch nach dieser Rolle zurück, nach dieser ursprünglichen, ja? Nach dieser vorherigen Wertegemeinschaft, die dann aber plötzlich völlig zerrüttet ist und nicht mehr funktioniert. Und die Frauen merken dann gleichzeitig, dass ihre Kinder größer geworden sind und die Männer immer noch die alten sind und sie selbst haben so viel gesehen, sie haben so viel erlebt. Sie würden da gern so viel mitteilen, und irgendwie kommt das nicht an dort. Und irgendwie passen diese beiden Welten dann nicht mehr zusammen, und das können wir jetzt wirklich am Ende dieser sieben Jahre Dreharbeiten sagen, dass diese Form der Arbeitsmigration definitiv Familien zerstört.
Bürger: Der Film soll demnächst im Wiener Parlament gezeigt werden. Am 4. Dezember auch im Europaparlament. Was erhoffen Sie sich da an Erkenntnis und Resonanz?
Moschitz: Ich glaube, dass es für die Frauen irrsinnig wichtig ist. Ich glaube, dass das für die Frauen wichtig ist, einfach mal eine Stimme zu haben und auch mal das Gefühl zu haben, man redet mit Menschen, die wirklich an dieser Situation was verändern könnten. Denn was war ihre Position vorher? Sie konnte überhaupt mit niemandem darüber reden. Denn die einzigen Ansprechpartner waren letztlich die Dienstgeber. Und die konnten ja gar nicht in die Öffentlichkeit gehen oder können ja nicht dazu Stellung beziehen, weil sie selbst was machen, was eigentlich Unrecht ist. Das heißt, die waren irgendwie in so einem Teufelskreis gefangen.
Und so diese Reise nach Brüssel und der Gang ins Europaparlament und die Konfrontation mit 100 oder vielleicht mehr Politikern sollte den Frauen auch die Chance geben, ihre Geschichte zu erzählen und darüber hinaus dort auch eigentlich Bewusstsein schaffen. Ich meine, was machen diese Frauen alles mit? Die sitzen in irgendwelchen Frachträumen mit 30, 40 anderen Menschen, ringen irgendwann um Luft. Sie müssen Flüsse durchqueren, können teilweise nicht gut genug schwimmen. Zahlreiche Menschen sterben auf der Reise. Ich meine, die Schlepper sind ja dann auch entsprechend grob.
Man kann sich das selbst, wenn man nie in dieser Situation war, auch nicht vorstellen, und ich bin mir sicher, dass kein einziger dieser Europaparlamentarier jemals in Moldawien war und wirklich eine Vorstellung davon hat, was es heißt, in diesen Dörfern zu leben, was es heißt, Hunger zu haben, was es heißt, ohne Arbeit zu leben, was es heißt, in einer Region aufzuwachsen, wo die Arbeitslosigkeit 80 Prozent beträgt in etwa. Das heißt, die Frauen sollen die Chance haben, diesen Leuten das dort zu erzählen. Und dass es nicht umsonst war, das alles zu erzählen. Und diese Angst zu haben auch vor der Kamera, das war ja auch schrecklich für sie.
Bürger: "Mama illegal" heißt der Dokumentarfilm von Ed Moschitz, dem ich herzlich danke für das Gespräch.
Moschitz: Sehr, sehr gern. Vielen Dank.
Was wissen wir eigentlich über die Frauen, die unsere Wohnungen putzen, Kinder betreuen und Alten pflegen? Mit dieser Frage konfrontiert uns der österreichische Dokumentarfilmer Ed Moschitz. Er stellt sie nicht direkt, sondern zeigt schonungslos, auf welchem Hintergrund moldawische Frauen ihre Familien verlassen, um illegal in Westeuropa Geld zu verdienen. Sieben Jahre lang hat Ed Moschitz drei Frauen und ihre Familien mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein Film, der beschreibt, wie Familien durch Migration zerbrechen können. Ein Film, der zeigt, wie der Traum von einem besseren Leben wenig mit der Realität zu tun hat. Und schließlich ein Film, in dem sehr viel geweint wird. "Mama Illegal" heißt diese bereits mehrfach preisgekrönte Kino-Dokumentation, die gerade beim DOK-Filmfestival in Leipzig zu sehen war. Dort haben wir Ed Moschitz ins Studio bekommen und ich habe ihn zunächst gefragt: Wie sind sie mit den Frauen, die Sie in diesem Film begleiten, in Kontakt gekommen?
Ed Moschitz: Das hat eigentlich bei mir daheim in meiner Wohnung begonnen. Es war vor etwa acht Jahren, da waren wir auf der Suche nach einem Babysitter, und Bekannte von uns haben uns dann erzählt, dass es da eine Ulrika gibt. Und die hat sich dann eines Tages bei uns vorgestellt. Und die hat aber am Anfang nichts über ihren Status gesagt. Also wir wussten einfach nicht, dass sie ohne Papiere in Westeuropa ist und dass sie mit Schleppern über die Grenze gekommen ist. Und eines Tages hat sie dann meiner Frau erzählt, dass sie eigentlich illegal in Österreich ist, und dass sie aber auch zwei Kinder zu Hause hat. Und meine Frau hat mir das dann eines Tages gesagt.
Und für mich war das dann schon ein schwieriger Punkt, weil ich ja auch als Journalist arbeite beim ORF in Wien und da schon auch die Frage war, wie geht man jetzt sozusagen mit so einer Situation um. Denn jetzt einfach jemanden so nebenbei mal als Babysitter zu beschäftigen für den einen oder anderen Abend, ist die eine Sache, aber jemanden, der jetzt keinen Aufenthaltstitel hat und eigentlich mit Schleppern nach Österreich gekommen ist, das war dann schon schwierig. Und ich habe dann versucht, eigentlich das Beste daraus zu machen, und ich habe sie einfach gefragt, ob es denn möglich wäre, vielleicht über sie eine Reportage zu machen. Weil ich auch für die Reportageredaktion arbeite beim Österreichischen Rundfunk
Und sie hat dann ihre Schwestern gefragt, die eben illegal in Österreich waren damals, und auch ihren Mann, der eben damals daheim auf sie gewartet hat. Und es waren überraschenderweise alle damit einverstanden. Also alle haben das irgendwie gut gefunden, weil sie sagen: Es gibt ja sonst eh keine Möglichkeit, darüber zu erzählen, und nachdem der einer ist, der dir quasi auch das Geld gibt und der eh nicht in der gleichen Situation ist wie du, warum nicht? Und sie hat dann eigentlich genug Vertrauen gehabt und hat mich dann letztlich dann auch mitgenommen zu sich nach Hause. Und ich kann mich noch sehr gut erinnern, ich hatte damals ein Foto dabei von meiner Frau und von meinen Kindern, also, wie wir da gemeinsam irgendwie im Winter irgendwo in der Schneelandschaft stehen.
Und ich bin dahin gefahren und habe ihrem Mann, weil ich gedacht hab, das muss ja furchtbar sein für den, wenn dann plötzlich so ein Kamerateam kommt mit drei Männern und da kommt die Frau nach zwei Jahren zurück … Und ich hab ihm damals irgendwie das Foto gezeigt, dem Misce, und der hat sich, glaube ich, irrsinnig gefreut, und der hat dann auch verstanden, worum es geht.
Bürger: Die meisten von uns wissen vermutlich sehr wenig über Moldawien. Das ärmste Land Europas, dem die Menschen davonlaufen. 80 Prozent sind arbeitslos, erfährt man in ihrem Film. Wer Arbeit hat, verdient im Schnitt 100 Euro im Monat. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat das Land bereits verlassen. Viele davon eben mit Hilfe von Schleppern, wie Sie das beschreiben. Durch Wälder und Flüsse – ob man überhaupt schwimmen kann, wird dabei nicht berücksichtigt. Wie haben Sie das denn, dieses Leben in dem Heimatdorf ihrer Protagonistinnen erlebt? Waren Sie geschockt, als Sie dort ankamen?
Moschitz: Erst mal zu Beginn hatte ich so was fast wie Sozialromantik. Also ich bin da sehr spät abends angekommen, und es war dunkel und ich hatte unglaubliche Geräusche gehört. Ich hab ja auch beim Radio gearbeitet, und für mich war das sehr eindrucksvoll, diese Atmosphäre dort, wenn Pferdekutschen fahren in der Nacht und man keine Autos hört weit und breit. Und eine unglaubliche Ruhe, die ich aus Westeuropa, aus einer Großstadt in Westeuropa überhaupt nicht kenne. Ich bin dann aber sehr bald darauf gekommen, dass die Häuser nicht beheizt werden, dass die Menschen sehr einfache Dinge essen. Und es war auch sehr überraschend für mich, dass man dann hinters Haus gehen muss und sich ein Huhn holen muss, wenn man sozusagen Fleisch essen möchte, oder in den Keller gehen muss und Zwiebeln holt und Konservengläser, die man selbst eingekocht hat. Also ich hab bemerkt, dass sie einfach ein sehr ursprüngliches, einfaches, armes Leben führen, und das mit der Sozialromantik hat sich dann bald erledigt und vor allem: ich bin dann auch durch das Dorf gegangen und habe gesehen, dass kaum mehr Mütter dort sind. Also die jungen Frauen sind einfach alle in Westeuropa und …
Bürger: Warum ist es ausgerechnet diese mittlere Generation von Frauen, die aufbricht und die Armut jetzt im Gegensatz auch zu ihren Eltern nicht mehr ertragen kann? Warum die Frauen und nicht die Männer?
Moschitz: Ich glaube, das liegt einfach daran, dass … die Frauen sind sicher nicht fleißiger als die Männer. Also es liegt einfach daran, dass es in Westeuropa einen Bedarf gibt und dass sich das in dem Dorf herumgesprochen hat, dass man in Westeuropa, wenn man fleißig ist, doch auch ganz gutes Geld verdienen kann. Denn die Männer dort in dem Dorf können vielleicht 100 Euro, vielleicht 200 Euro, wenn sie viel Glück haben, verdienen, und eine Frau, wenn sie fleißig ist mit Babysitten und als Putzfrau arbeitet vielleicht oder vielleicht noch irgendwie Massage macht oder Alte pflegt, kann unter Umständen 100, 150 Euro am Tag verdienen. Das heißt, es gibt eine gute Möglichkeit, und die Schlepper bieten das ja auch an. Also man zahlt für die Reise ungefähr 5000 Euro, kann das Geld dann auch gleich bei den Schleppern aufnehmen und muss das dann unter schwierigsten Bedingungen mit Arbeit in Westeuropa und mit ganz, ganz hohen Zinsen zurückzahlen.
Bürger: Man spürt im Film immer wieder die Scham und die Schuldgefühle, die diese Frauen haben. Sie gehen aus Verantwortung für ihre Kinder und empfinden aber zugleich, dass sie völlig verantwortungslos handeln. Wie gehen die Frauen mit diesem Konflikt um?
Moschitz: Na ja, ich habe es in meiner Familie erlebt, dass die Ulrika am Anfang einfach nicht gesagt hat, weil sie sich so geschämt hat dafür, sie nicht gesagt hat, dass sie selbst Mutter von zwei Kindern ist. Und sie hat auch nicht gesagt, dass sie mit Schleppern über die Grenze gegangen ist. Ich glaube, die Frauen fühlten sich schuldig dafür, was sie tun, sind aber gleichzeitig in einem Dilemma und haben auch keine Möglichkeit, anders zu handeln. Denn was ist die Lösung? Dort zu bleiben und keine Möglichkeit zu haben, das Leben zu verändern – das kann man, glaube ich, letztlich halt niemandem vorwerfen. Denn wir alle wollen ja ein besseres Leben haben.
Und so sind auch diese Frauen natürlich alle aufgebrochen, um für ihre Familien, für sich ein besseres Leben zu gestalten oder gestalten zu können. Sie sind ja die erste Generation, die weggeht, das darf man auch nicht vergessen. Und letztlich waren sie sich auch der Folgen dessen, was dann alles passierte, nicht bewusst. Und mittlerweile, glaube ich, weiß man das auch sehr gut, und es gibt auch ein Sprichwort dort in dem Dorf. Die Männer sagen: Ist deine Frau erst mal zwei Jahre nicht zurückgekommen, dann schau dich am besten gleich nach einer anderen um.
Bürger: An einer Stelle des Films stellt eine Lehrerin ihre Schülerinnen und Schüler vor, und von diesen Schülern hat fast keiner beide Eltern mehr im Dorf. Alle weinen in dem Moment, in dem erzählt wird, dass entweder die Mutter in Italien ist oder der Vater in Griechenland. Wie überhaupt sehr, sehr viel geweint wird in diesem Film. War das ein Konflikt für Sie, die Menschen immer wieder in ihrer Hilflosigkeit zu filmen?
Moschitz: Ich glaube, es ist eine sehr kulturelle Sache auch, dass Frauen vor allem in Moldawien sehr oft weinen. Und das ist – es kommt immer wieder zu sehr starken Gefühlsausbrüchen. Ich habe das dann irgendwann mal als gegeben hingenommen und als Teil der Kultur dort. Was ich schwer verstehen habe können, war, das die Männer überhaupt keine Regung zeigen. Das ist dann fast so, dass ich manchmal den Eindruck hatte, dass die Frauen dann stellvertretend für beide Geschlechter eigentlich auch diese Emotionen zeigen. Weil die Männer so ganz ruhig, in sich gekehrt und fast depressiv, reduziert sind und gar keine Möglichkeit hatten, sich irgendwie auszudrücken. Also, das Gefühlsleben dort ist irgendwie so eine Frauensache. Und nachdem das jetzt ein Film über Frauen ist, ist das auch eine sehr gefühlsbetonte Welt, in der der Film da eintaucht, natürlich.
Bürger: "Mama illegal" heißt dieser Dokumentarfilm von Ed Moschitz, mit dem wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch sind. Sie zeigen Moldawien überwiegend im Winter. Es ist grau, schmutzig, nasskalt, neblig – das kriecht einem richtig unter die Haut. Und wenn die Frauen dann nach jahrelanger Abwesenheit in ihr Dorf zurückkehren – auch da sind Sie mit der Kamera dabei –, dann sind die Frauen regelrecht geschockt, wie elend es dort ist, wie schmutzig, wie arm. Hatten sie das verdrängt und zugleich gar nicht gemerkt, wie sie sich selbst im Westen verändert haben?
Moschitz: Ich glaube, dass man das sehr schwer merkt, wenn man sich selbst verändert. Das muss einem ja die Außenwelt irgendwie widerspiegeln, und da haben sie ja keinen Halt, letztlich. Also sie hatten ja damals keine Möglichkeit zu skypen, zu Beginn, als die Dreharbeiten begonnen haben, gab es das ja noch nicht. Und so hatten sie halt immer wieder ihre Familie am Telefon und haben dann auch teilweise gar nicht bemerkt, wie sie sich verändert haben. Und ich glaube, viele haben einfach das Leben in Westeuropa kennengelernt. Das hat ihnen, glaube ich, auch sehr gefallen, und haben gesehen, dass die Frauen hier mehr Möglichkeiten haben, mehr Rechte haben, die Familien hier ein anderes Leben leben, man anders mit den Kindern umgeht. Und ich glaube, das gefällt ihnen schon sehr gut.
Zum Problem wird das, glaube ich, dann erst, wenn sie eben nach Hause zurückkommen und dann wieder mit ihrer alten Welt konfrontiert werden. Ich glaube aber, dass da noch etwas dazukommt. Die Frauen haben ja hier über viele Jahre auch Wohnungen geputzt, das heißt, sie waren auch sehr mit der Haushaltsreinigung betraut und immer wieder sind sie vielleicht auch von ihren Dienstgebern darauf gestoßen worden, dass sie das nicht ganz so perfekt gemacht haben, dass man das und das noch besser machen könnte. Und ich glaube, diese zahlreichen Arbeitstage, diese Arbeit auch über Wochenende, über Monate und ohne Urlaub, sind die einfach so tief in diese Welt der Reinigung, des Putzens, des Haushaltführens irgendwie eingetaucht, dass sie da so drinnen stecken und dann, wenn sie nach Hause kommen, sehen sie das auch viel stärker. Also das ist auch ein bisschen im Sinne der selektiven Wahrnehmung, sage ich jetzt mal, das kommt dann auch noch dazu und macht das Ganze noch viel stärker.
Bürger: Man hat das Gefühl, sie wollen ganz schnell die Kontrolle über das Haus wieder zurückgewinnen. Gelingt ihnen das?
Moschitz: Was ja ursprünglich auch ihre Position war. Weil sozusagen ja die Menschen dort sehr traditionell eigentlich auf das Leben vorbereitet werden. Da gab es ja keine 70er-Jahre und die Frauen sind halt ursprünglich mit Hausarbeit und mit der Kindererziehung betraut gewesen. Um so schrecklicher ist das natürlich für die Männer, dass die über viele Jahre dort mit den Kindern und mit Kochen und ähnlichen Dingen irgendwie ausharren müssen und keine Möglichkeit haben, selbst einen Job zu finden. Und man sieht es dann, dass die Männer sehr enttäuscht sind, dass da eine Frau zurückkommt, die plötzlich das Geld hat, das Sagen hat, eine andere Welt kennengelernt hat in Westeuropa, die sie selbst gar nicht kennen, weil sie das Dorf nie verlassen haben.
Und ich glaube, die Männer sehnen sich auch nach dieser Rolle zurück, nach dieser ursprünglichen, ja? Nach dieser vorherigen Wertegemeinschaft, die dann aber plötzlich völlig zerrüttet ist und nicht mehr funktioniert. Und die Frauen merken dann gleichzeitig, dass ihre Kinder größer geworden sind und die Männer immer noch die alten sind und sie selbst haben so viel gesehen, sie haben so viel erlebt. Sie würden da gern so viel mitteilen, und irgendwie kommt das nicht an dort. Und irgendwie passen diese beiden Welten dann nicht mehr zusammen, und das können wir jetzt wirklich am Ende dieser sieben Jahre Dreharbeiten sagen, dass diese Form der Arbeitsmigration definitiv Familien zerstört.
Bürger: Der Film soll demnächst im Wiener Parlament gezeigt werden. Am 4. Dezember auch im Europaparlament. Was erhoffen Sie sich da an Erkenntnis und Resonanz?
Moschitz: Ich glaube, dass es für die Frauen irrsinnig wichtig ist. Ich glaube, dass das für die Frauen wichtig ist, einfach mal eine Stimme zu haben und auch mal das Gefühl zu haben, man redet mit Menschen, die wirklich an dieser Situation was verändern könnten. Denn was war ihre Position vorher? Sie konnte überhaupt mit niemandem darüber reden. Denn die einzigen Ansprechpartner waren letztlich die Dienstgeber. Und die konnten ja gar nicht in die Öffentlichkeit gehen oder können ja nicht dazu Stellung beziehen, weil sie selbst was machen, was eigentlich Unrecht ist. Das heißt, die waren irgendwie in so einem Teufelskreis gefangen.
Und so diese Reise nach Brüssel und der Gang ins Europaparlament und die Konfrontation mit 100 oder vielleicht mehr Politikern sollte den Frauen auch die Chance geben, ihre Geschichte zu erzählen und darüber hinaus dort auch eigentlich Bewusstsein schaffen. Ich meine, was machen diese Frauen alles mit? Die sitzen in irgendwelchen Frachträumen mit 30, 40 anderen Menschen, ringen irgendwann um Luft. Sie müssen Flüsse durchqueren, können teilweise nicht gut genug schwimmen. Zahlreiche Menschen sterben auf der Reise. Ich meine, die Schlepper sind ja dann auch entsprechend grob.
Man kann sich das selbst, wenn man nie in dieser Situation war, auch nicht vorstellen, und ich bin mir sicher, dass kein einziger dieser Europaparlamentarier jemals in Moldawien war und wirklich eine Vorstellung davon hat, was es heißt, in diesen Dörfern zu leben, was es heißt, Hunger zu haben, was es heißt, ohne Arbeit zu leben, was es heißt, in einer Region aufzuwachsen, wo die Arbeitslosigkeit 80 Prozent beträgt in etwa. Das heißt, die Frauen sollen die Chance haben, diesen Leuten das dort zu erzählen. Und dass es nicht umsonst war, das alles zu erzählen. Und diese Angst zu haben auch vor der Kamera, das war ja auch schrecklich für sie.
Bürger: "Mama illegal" heißt der Dokumentarfilm von Ed Moschitz, dem ich herzlich danke für das Gespräch.
Moschitz: Sehr, sehr gern. Vielen Dank.